Urteil des LG Dortmund vom 04.07.2006
LG Dortmund: wohnung, besucher, wand, polizei, pistole, angriff, warnschuss, strafrechtliche verantwortlichkeit, zorn, leib
Landgericht Dortmund, 14 (Schw) T 1/05
Datum:
04.07.2006
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
Schwurgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 (Schw) T 1/05
Tenor:
Der Angeklagte wird wegen Mordes und wegen gefährlicher
Körperverletzung zu
lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Verfahrenskosten, die notwendigen Auslagen
der Nebenkläger und seine Auslagen.
Angewendete Strafgesetze:
§§ 211, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, 223, 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
G r ü n d e :
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I.
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Lebenslauf des Angeklagten
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Der Angeklagte wurde am 22.02.1947 in M in der Nähe von L(jetzt L in Polen) geboren
und wuchs dort in geordneten Familienverhältnissen auf. Nach seinen Angaben war
sein Vater als Meister bei der Eisenbahn tätig, während seine Mutter ein Geschäft
leitete. Der Angeklagte wurde altersgerecht eingeschult. Wegen einer
Blinddarmoperation und der damit verbundenen längeren stationären Behandlung
musste er eine Klasse wiederholen. Abgesehen davon bereitete ihm der Lernstoff keine
Schwierigkeiten. Nach seinen Angaben wurde er etwa 1962 aus der 8. Klasse der
Volksschule als Jahrgangsbester entlassen. Im Anschluss besuchte er fünf Jahre lang
ein von ihm so bezeichnetes Technikum, eine weiterführende Schule, die gleichzeitig
eine Berufsausbildung vermittelte. Der Angeklagte erwarb dort nach seinen Angaben
das Abitur und absolvierte mit Erfolg eine Ausbildung zum Techniker. Anschließend
arbeitete er etwa 8 bis 9 Jahre lang zuvor oder währenddessen leistete er den
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Militärdienst ab in einem Hüttenwerk, nach der Anfangszeit als Vorarbeiter, und war
darüber hinaus nebenberuflich als Bademeister tätig. Weil diese Nebentätigkeit von der
Werksleitung nicht weiter hingenommen wurde, gab der Angeklagte diese Arbeitsstelle
auf. Nach seinen Angaben war er im Anschluss mehrere Jahre als Inspektor und
Oberinspektor im öffentlichen Dienst Polens tätig und dabei u. a. mit der Organisation
von Sportveranstaltungen befasst, bevor er aufgrund der niedrigen Entlohnung in eine
Brauerei wechselte, in der er angeblich für mehrere Jahre als Brauereimeister tätig war.
Anlässlich des Todes seines Vaters, der zu diesem Zeitpunkt in E in Deutschland lebte,
im Jahre 1988 siedelte der Angeklagte nach Deutschland über und ließ sich ebenfalls in
E nieder, wo auch seine in diesem Verfahren als Zeugin vernommene Schwester N
lebte. Zusätzlich zu seiner polnischen Staatsbürgerschaft erwarb er die deutsche
Staatsbürgerschaft. Er absolvierte einen Sprachkurs sowie einen Schweißerkurs und
war ca. drei Jahre lang in einem Leiharbeitsunternehmen als Schlosser und Schweißer
tätig, bevor er dann eine Arbeitsstelle in einem Betrieb fand, der Montage von Fenstern
und Türen ausführte. Bei einem Arbeitsunfall vor acht oder neun Jahren er war aus dem
2. Stock eines Hauses gestürzt zog er sich eine Ellbogenfraktur und seine Angaben
dazu während des Strafverfahrens wechselten möglicherweise auch
Handgelenksbrüche zu. Nach längerer stationärer Behandlung und verschiedenen
Rehabilitationsmaßnahmen scheiterten erneute Versuche, als Schlosser zu arbeiten.
Der Angeklagte ist seitdem nicht mehr berufstätig. Er lebt seitdem von einer knapp
bemessenen Unfall- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente und erhält ergänzende
Unterstützung vom Arbeitsamt.
Der Angeklagte war in Polen zweimal verheiratet. Die erste Ehe ging er im Alter von 25
Jahren ein. Sie wurde bereits nach drei Jahren geschieden. Zu dem aus dieser Ehe
stammenden und in Polen lebenden 34-jährigen Sohn hat der Angeklagte noch Kontakt.
Ein zweites Mal heiratete der Angeklagte mit 30 Jahren. Aus dieser Ehe gingen ein jetzt
25 Jahre alter Sohn und eine jetzt 24 Jahre alte Tochter hervor, die wie ihre Mutter in
Polen leben. Zu ihnen hat der Angeklagte keinen Kontakt mehr. Seit etwa acht Jahren
unterhält der Angeklagte wiederum eine Beziehung zu der Zeugin H, mit der er bereits
als junger Mann vor seiner ersten Heirat ein Verhältnis hatte, das beendet worden war,
nachdem die Zeugin von ihm schwanger geworden war und eine Fehlgeburt gehabt
hatte. Die Zeugin hatte danach einen anderen Mann geheiratet und war, als der
Angeklagte wieder mit ihr zusammen traf, Witwe. Die Zeugin H bezieht in Polen eine
Rente und ist Eigentümerin eines Hauses. Der Angeklagte und seine Partnerin leben
seit mehreren Jahren zusammen, und zwar dergestalt, dass sie sich teils im Hause der
Zeugin in Polen und teils in der Wohnung des Angeklagten in E in Deutschland
aufhalten.
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Der Angeklagte ist seit langem gewöhnt, Alkohol zu trinken. Zum Auftreten von
Entzugssymptomen ist es nie gekommen. Ein oder zwei Wochen auf Alkohol zu
verzichten, ist dem Angeklagten ohne Weiteres möglich. Nach reichlicherem
Alkoholgenuss an einem Tag sieht der Angeklagte am folgenden Tag grundsätzlich vom
Konsum alkoholischer Getränke ab. Bewusstseinsverändernde Drogen hat der
Angeklagte nie genommen.
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Vor dem erwähnten Arbeitsunfall vor acht bis neun Jahren hat der Angeklagte bei seiner
früheren Tätigkeit in der polnischen Brauerei einmal einen Ohnmachtsanfall erlitten, was
damals schließlich auf mangelnde Sauerstoffzufuhr in dem Werksraum, in dem sich der
Angeklagte aufgehalten hatte, zurückgeführt wurde. Nachdem er Mitte des Jahres 2002
im Hausflur des Mehrfamilienhauses, in dem er seine Wohnung hat, überfallen und
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dabei auf den Kopf geschlagen worden war, suchte er Anfang 2003 wegen auftretender
Angstzustände zweimal einen Neurologen auf, der ihm ein Beruhigungsmittel
verschrieb. Der Angeklagte wiegt bei einer Größe von 1,72 m ca. 104 kg, weist also eine
Adipositas auf. Er leidet unter Bluthochdruck und einer chronischen Gastritis.
Strafrechtlich ist der Angeklagte bereits in Erscheinung getreten.
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Ende der 90-er Jahre wurde in einem Umfangsstrafverfahren u. a. gegen ihn ermittelt. Er
stand seinerzeit wegen des Umstands, dass er mehrfach Kleintransporter angemietet
hatte, mit denen nach Erkenntnissen der Polizei geschmuggelte Zigaretten transportiert
worden waren, im Verdacht, sich an wiederholtem organisiertem Schmuggel von jeweils
1.000 Stangen Zigaretten oder mehr beteiligt zu haben. Während der laufenden
Ermittlungen, von denen der Angeklagte seinerzeit wohl keine Kenntnis hatte, wurde er
Mitte Januar 1999 und Mitte Dezember des Jahres 2000 jeweils im Besitze von 80
Stangen unverzollter Zigaretten betroffen. Im letzteren Fall hatte er vor seiner
Festnahme bereits weitere 80 Stangen geschmuggelte Zigaretten weiterveräußert. Das
Amtsgericht Dortmund verhängte in dem Verfahren 80 Cs 170 Js 76/02 (14/02) aufgrund
der konkret bezeichneten Vorfälle von Januar 1999 und Dezember 2000 durch
Strafbefehl vom 04.03.2002 wegen Steuerhehlerei in 2 Fällen eine Gesamtgeldstrafe
von 120 Tagessätzen zu je 15,00 € gegen den Angeklagten. Wegen der
weitergehenden Vorwürfe wurde das Verfahren, in dem sich der Angeklagte im Sommer
2001 etwas mehr als zwei Monate in Untersuchungshaft befunden und eingeräumt
hatte, nicht bei der ersten Anmietung, aber bei späteren Anmietungen davon
ausgegangen zu sein, dass die Fahrzeuge von seinen Auftraggebern beim Handel mit
geschmuggelten Zigaretten eingesetzt wurden, gemäß § 154 StPO eingestellt.
9
II.
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Tatvorgeschichte
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Im Jahre 2002 stand der Angeklagte in Kontakt mit den späteren Tatopfern, dem am
###### geborenen I und dem am ###### geborenen I². Bei ihnen handelt es sich um
polnische Brüder - der jüngere hatte seinen Geburtsnamen I ändern lassen -, die mit
dem Schmuggel von Zigaretten von Polen nach Deutschland befasst waren. Ob der
Angeklagte sie aufgrund früherer Schmuggelgeschäfte kannte oder sie in diesem Jahre
kennen gelernt hatte, hat die Kammer nicht festgestellt. Die Brüder suchten Abnehmer
für nach Deutschland zu schmuggelnde Zigaretten, woraufhin der Angeklagte sie mit
dem Zeugen L³ bekannt machte, der sich auf dieses Geschäft mit den Brüdern einließ.
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Der Angeklagte wurde für seine Vermittlung von den Brüdern entlohnt; möglicherweise
erhielt er anstelle eines Geldbetrages oder zusätzlich eine jahrzehntealte
halbautomatische Selbstladepistole des belgischen Fabrikats FN, Modell 1910/22,
Kaliber 7,65 mm Browning. Sicher festzustellen ist, dass der Angeklagte, der seit seiner
Kindheit an Waffen interessiert ist, sich beim Militärdienst in Polen als sehr guter
Schütze erwiesen hatte und seit langen Jahren Waffen und Militaria unterschiedlichster
Art sammelt, längere Zeit vor dem Tatgeschehen im Besitze der vorbezeichneten
funktionsfähigen Pistole war und mindestens gelegentlich damit bei Aufenthalten in
Polen geschossen hatte.
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L³ mietete gemeinsam mit einem anderen Mittäter eine Halle bzw. Garage in Essen an
und bezog in der Folgezeit nach Deutschland geschmuggelte unverzollte Zigaretten von
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I und I². Mindestens zwei Lieferungen von jeweils über 1.000 Stangen wurden in D
umgeschlagen, von L³ an seine eigenen Abnehmer verbracht und an diese veräußert.
Bei Abwicklung eines weiteren Geschäfts wurden die Zigaretten, die zuvor von L³ und
seinem Mittäter in D bereits übernommen worden waren, beim Weitertransport von der
Polizei beschlagnahmt. Der Zeuge L³ suchte daraufhin umgehend I und I² auf, die sich
in Begleitung eines anderen Mannes in der Wohnung des Angeklagten befanden und
auf die Bezahlung der Lieferung warteten. Als L³ von der Beschlagnahme berichtete und
darauf hinwies, dass er von den Abnehmern jetzt kein Geld mehr erhalten werde und die
Lieferung deshalb erst später bezahlen könne, wurde er von I und I² ohne Weiteres
aufgefordert, unverzüglich die 17.000,00 € zu beschaffen und die Lieferung zu bezahlen.
L³ sah keine Möglichkeit, diese Forderung zu erfüllen, und machte dies auch deutlich,
worauf es zu einem Streitgespräch kam, in dessen Verlauf einer der Brüder wohl I ein
Küchenmesser nahm und dem Zeugen L³ damit einen Stich in das Bein versetzte, der
so heftig war, dass die Spitze der Klinge abbrach und in der Wunde steckenblieb, wo sie
sich noch heute befindet. Der Angeklagte war bei dieser Auseinandersetzung
anwesend, hatte jedoch mit der Abwicklung des von ihm ursprünglich vermittelten
Geschäfts selbst nichts zu tun und hatte sich an der Auseinandersetzung nicht beteiligt.
Er schritt andererseits auch nicht ein und ließ seine Besucher gewähren. L³ verließ
verletzt die Wohnung. In seiner Angst vor weiteren Angriffen trieb er zunächst einen
größeren Teilbetrag mehrere 1.000,00 € auf, die er den Brüdern aushändigte. Bis zum
Herbst 2004 wurde er mehrfach in E von den Brüdern I und I² überwiegend wohl in
Begleitung eines dritten Mannes aufgesucht und zu weiteren Zahlungen aufgefordert.
Auch wenn dabei keine offenen Drohungen geäußert wurden, so verstand der Zeuge L³,
was auch der Absicht der Brüder entsprach, das Erscheinen mehrerer Männer und ihr
Auftreten als so bedrohlich, dass er, soweit es ihm möglich war, weitere Zahlungen in
unterschiedlicher Höhe auf die Restforderung leistete. Dabei spielte nicht nur die bereits
erlebte Gewalttätigkeit eine Rolle, sondern auch der Umstand, dass schon die Statur
des älteren Bruders I hatte bei einer Größe von etwa 2 m ein Gewicht von ca. 120 kg
geeignet war, ihm Angst einzuflößen. Bei einem der Besuche erhielt der Zeuge L³ einen
Schlag in das Gesicht, worauf er gegen die Wand des Wohnungsflurs hinter ihm prallte.
Verletzungen zog er sich dabei nicht zu. Von November 2004 bis zum September 2005
befand sich der Zeuge L³, der zwischenzeitlich wegen dieser Zigarettengeschäfte
verurteilt worden war zur Identität der Lieferanten hatte er im Verfahren keine oder
unzutreffende Angaben gemacht in Haft. Während der Haftzeit erhielt seine Ehefrau
wohl keinen Besuch von I und I², obwohl etwa 3.000,00 € noch immer ausstanden.
Der Angeklagte hatte weiterhin ein gutes Verhältnis zu den Brüdern, die ihn in
Abständen in E besuchten. Darüber hinaus gab es auch Kontakte zwischen ihnen,
wenn sich der Angeklagte in Polen aufhielt. Mehrfach kam es dazu, dass der
Angeklagte seine Wohnung zur Übernachtung der Brüder oder ihrer Begleitung zur
Verfügung stellte. Den Brüdern ging es bei ihren Aufenthalten in Deutschland
unabhängig vom Eintreiben der Forderung gegen L³ - auch - um die Durchführung
anderer krimineller Geschäfte. Feststellungen zu ihren Kontakten zum Angeklagten im
Einzelnen und dazu, ob der Angeklagte in andere kriminelle Aktivitäten eingebunden
war, hat die Kammer nicht getroffen. In einem Fall überließ der Angeklagte, während er
sich selbst in Polen aufhielt, I außerdem die Wohnung für einen etwa einwöchigen
Urlaub mit Frau und Kind.
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III.
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Tatgeschehen
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Am frühen Morgen des 21.10.2005 erschienen I und der Zeuge I² in Begleitung des
Zeugen N² beim Angeklagten. Sie waren aus Polen mit dem Auto angereist, um das
Wochenende in E zu verbringen. Sie hatten vor, in E bzw. im Ruhrgebiet kriminelle
Geschäfte zu tätigen. U. a. beabsichtigten I und I², die noch ausstehenden 3.000,00 €
vom Zeugen L³ einzutreiben. Weitere Einzelheiten bezüglich der beabsichtigten
Geschäfte hat die Kammer nicht festgestellt. Ob sie dem Angeklagten ihr Kommen
allgemein oder bezogen auf den konkreten Zeitpunkt angekündigt hatten und ob der
Angeklagte konkrete Kenntnisse von den beabsichtigten Geschäften hatte, ist offen.
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Der Angeklagte hatte seit mehreren Wochen Besuch von seiner Partnerin, der Zeugin H.
Bei der Wohnung des Angeklagten im 1. Obergeschoss des Hauses G in E - eines
Hauses mit vier Wohnebenen und insgesamt 12 Mietwohnungen - handelt es sich um
eine nicht allzu große 2-Zimmerwohnung mit Küche und Bad. Der Angeklagte empfing
seine Besucher herzlich. Als sie darum baten, sich bei ihm ausruhen bzw. frischmachen
zu dürfen, weil das Hotel erst um 10:00 Uhr öffne, war er ohne Weiteres damit
einverstanden. Ob zu diesem Zeitpunkt über einen Aufenthalt der Besucher in der
Wohnung des Angeklagten über das gesamte Wochenende hin gesprochen wurde, ist
offen. Auch wenn die Zeugin H möglicherweise bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem
Aufenthalt der Besucher nicht einverstanden war, so beeinträchtigte dies die Stimmung
nicht. Die Besucher hielten sich mehrere Stunden in der Wohnung auf und aßen dort
auch. Der Angeklagte hatte Essen von einem Restaurant in der Nähe besorgt. I und I²
hatten dem Angeklagten ihrerseits Wodka und auch eine Stange Zigaretten mitgebracht.
Als die Besucher im Verlaufe des Nachmittags die Wohnung verließen, ließen sie ihr
Gepäck in der Wohnung zurück. Der Angeklagte hatte ihnen zuvor einen Schlüssel für
die Haus- und für die Wohnungstür ausgehändigt, so dass die Besucher zu beliebiger
Zeit zurückkommen konnten. Wo und unter welchen Umständen im Einzelnen I, I² und
N³ die Nacht verbrachten, hat die Kammer nicht festgestellt. Sie kehrten jedenfalls am
frühen Samstagmorgen in die Wohnung des Angeklagten zurück. Sie äußerten, sie
hätten von einem "P" erfahren, dass der Angeklagte sie zusammen mit L³ betrogen
habe. Sie seien gewarnt worden, bei ihnen zu übernachten, weil er seine Gäste
bestehle. Der Angeklagte war empört über diesen Verdacht und konnte sich nur
vorstellen, dass mit "P" ein Schwager seines Schwagers P², der mit seiner Schwester N
verheiratet war, namens S gemeint war, dessen Spitzname "P" lautete. Er rief gegen
8:00 Uhr seine Schwester N und bei der Familie S an, wobei er erfuhr, dass S("P")
schon vor zwei Tagen mit dem Lkw zu einem Auslandstransport aufgebrochen sei und
deshalb nicht derjenige sein könne, der schlecht über ihn gesprochen habe. Bei diesen
Gesprächen weigerten sich die I bzw. I², mit dem Angerufenen zu sprechen. Die Zeugin
P² rief später zurück und machte dem Angeklagten Vorwürfe, dass er "so viel Gangster"
bei sich habe, die er "rausschmeißen" solle, worauf der Angeklagte erwiderte, dass sie
nicht gingen. Die Spannungen blieben bestehen, obwohl die Besucher wieder mehrere
Stunden blieben und sich auch eine Zeit lang schlafen legten. Es war dann vor ihrem
Aufbruch in die Stadt mindestens die Rede davon dass der Angeklagte seinen
Besuchern ein Ultimatum setzte, hat die Kammer nicht festgestellt , dass die Besucher
nach ihrer Rückkehr Abends bzw. in der Nacht ihr Gepäck mitnehmen und fahren
sollten. Diesmal bekamen sie keinen Hausschlüssel mit. Im Verlaufe des
Samstagabends - wohl gegen 20:00 Uhr - tauchten sie einmal an der Wohnung der
Zeugen L³ auf. Die anwesende Zeugin L4 ging auf das Klingeln hin zur Wohnungstür
und sah I, I² und N² im Flur stehen, worauf sie die Tür nicht öffnete. Etwas später rief der
Angeklagte ebenfalls bei der Familie L³ an und warnte in seinem Gespräch mit der
Zeugin L4 diese davor, dass sie Besuch der ihr bekannten Männer wegen der
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ausstehenden Restforderung erhalten könne, worauf die Zeugin erwiderte, dass dieser
Besuch schon da gewesen sei und dass sie das nächste Mal die Polizei rufen würde.
Wie I, I² und N² die Nacht weiterhin verbrachten, hat die Kammer ebenfalls nicht
festgestellt. Sie kehrten jedenfalls erst am Sonntagmorgen zwischen 7:00 und 8:00 Uhr
in die Wohnung des Angeklagten zurück. Wenn sie es nicht schon wussten, so merkten
sie unmittelbar, dass sie nicht mehr willkommen waren, was sie aber nicht hinderte, wie
selbstverständlich zu bleiben, wofür sich I und I² entschieden hatten. Die Brüder hatten
beschlossen, in der Wohnung zu bleiben und dort zunächst zu schlafen, bevor sie
abfuhren. Ob sie aufgrund der Rollenverteilung bei dem früheren Zigarettengeschäft
bzw. anderen kriminellen Geschäften oder aufgrund ihrer zahlenmäßigen und
körperlichen Überlegenheit davon ausgingen, dass der Angeklagte und die Zeugin H
nichts machen könnten, kann dahinstehen. Sie hatten jedenfalls mitbekommen, dass die
Zeugin H mit ihrem Besuch noch weniger einverstanden war als der Angeklagte und
nahmen das - sie waren jetzt jedenfalls verärgert - zum Anlass, über die Zeugin grob
beleidigend herzuziehen, womit sie aber auch den Angeklagten, der die Zeugin wirklich
liebt, besonders trafen. Dabei tat sich besonders der Zeuge I² hervor. Als der Angeklagte
gleich zu Beginn darauf hinwies, dass die Zeugin im Schlafzimmer sei, es ihr nicht gut
gehe und das Schlafzimmer deshalb nicht betreten werden solle, füllte der Zeuge I² in
der Küche einen Topf mit Wasser, ging in das Schlafzimmer und schüttete das Wasser
über die im Bett liegende Zeugin. Diese wurde auch selbst nass und brachte das
Oberbett und das Kopfkissen, nachdem sie die Bezüge abgezogen hatte, anschließend
auf den Balkon, wo sie es zum Trocknen ausbreitete, wobei sie weinte. Der Angeklagte
war überaus zornig über dieses Verhalten. Ihm war klar, dass er gegen die Besucher
körperlich selbst nichts ausrichten konnte, und fragte dann, was sie denn machen
würden, wenn er sich bei einem Besuch gegenüber einer Frau so verhalten würde. Der
Zeuge I² machte sich dann über den Angeklagten lustig und erklärte, das sei nur der - in
Polen übliche - Osterbrauch gewesen. Den Angeklagten machte dies noch zorniger. Er
beschloss gegen 8.00 Uhr, in Gegenwart seiner Besucher einen Notruf abzusetzen,
wobei er hoffte, dass schon der Anruf die Besucher zum Gehen veranlassen würde. Er
wählte zunächst den Feuerwehrnotruf und wurde von dem Mitarbeiter der Feuerwehr
darauf verwiesen, sich an die Polizei zu wenden. Der Angeklagte wählte daraufhin den
polizeilichen Notruf. Eine Verbindung kam jedoch nicht zustande, weil die Zeugin H den
Anrufvorgang durch Drücken der Hörerauflage unterbrach. I und I² zeigten sich davon im
Übrigen unbeeindruckt und einer von Ihnen erklärte dem Angeklagten, dass sie der
Polizei sagen würden, dass die Zeugin H zwei Kilogramm Rauschgift in ihrer Scheide
geschmuggelt habe, worauf der Angeklagte die Beleidigung zurückgab und erwiderte,
dass allenfalls dessen Frau in der Lage sei, darin zwei Kilogramm zu transportieren.
Möglicherweise kündigten I und I² auch an, den Angeklagten im Falle des Erscheinens
von Polizei der Unterschlagung von zum Verkauf übergebenen Gegenständen zu
bezichtigen. Der Angeklagte machte dann keinen weiteren Versuch mehr, die Polizei zu
rufen. Obwohl ihm klar war, dass die Brüder wegen ihrer eigenen kriminellen Geschäfte
solche Beschuldigungen nicht erheben würden, wollte er in diesem Augenblick keine
weitere Eskalation. Die Beleidigungen seitens der Brüder wurden aber fortgesetzt. So
wurde der Angeklagte gefragt, was er mit der alten Kuh mit ihrer roten Schnauze –
gemeint war wieder die Zeugin H - wolle. Er brauche nur etwas zu sagen, dann könne
man ihm etwas Jüngeres aus Polen besorgen. Nach diesen groben Beleidigungen
verließ die Zeugin H, die sich inzwischen umgezogen hatte, weinend die Wohnung,
wobei sie erklärte, sie werde nicht zurückkommen, bevor die Männer gegangen seien.
Obwohl der Angeklagte weiterhin unvermindert wütend über die Brüder war, suchte er
nun nach einer Möglichkeit, die Situation zu entspannen. Er rief den Zeugen T, der
einen der Brüder von früher kannte, an und bat diesen unter Hinweis darauf, dass er
Probleme habe, zu kommen. Dieser sagte zu und ließ sich - er hatte am Vorabend
Alkohol in erheblicher Menge getrunken - von seiner Ehefrau bringen. Als sie eintrafen,
zog der Angeklagte die Zeugin T² zur Seite und äußerte, dass er Probleme mit "H", der
Zeugin H, habe. Sie sei weg und habe geäußert, entweder die Besucher gingen oder
sie. Ob und welche konkreten Vorstellungen bezüglich einer Hilfeleistung seitens der
Zeugen T beim Angeklagten bestanden, ist offen. Der Angeklagte und alle Besucher
setzten sich ins Wohnzimmer um den Tisch herum. Der Zeuge T hatte Wodka
mitgebracht, wovon getrunken wurde. Nach einiger Zeit kehrte die Zeugin H zurück. Sie
hatte sich jedoch nicht beruhigt. Sie setzte sich nicht mit an den Tisch und äußerte - für
alle vernehmlich - mehrfach, dass die Besucher verschwinden sollten. Auch in
Gegenwart der Zeugen T kam es wieder zu der beleidigenden Äußerung, dass die
Zeugin H Alkoholikerin sei. Der Angeklagte verhielt sich zu dieser Zeit sehr ruhig und
reagierte darauf äußerlich nicht, obwohl er weiterhin Wut und Zorn empfand.
Zwischendurch entspannte sich die Situation etwas. So wurde beispielsweise - der
Zeuge T hatte das Gespräch wohl darauf gelenkt - über Fußball gesprochen. Die
Zeugen T brachen um 10:00 Uhr oder etwas später auf. Der Angeklagte hatte erst zum
Schluss des Aufenthalts Wodka getrunken. Einige Zeit nach dem Weggang der Zeugen
T - der konkrete Zeitpunkt ist nicht festzustellen - legten sich die Männer schlafen. Zuvor
- auch insoweit ist kein konkreter Zeitpunkt festzustellen - hatte sich der Zeuge I² weiter
unhöflich benommen, indem er in der Küche nach Essbarem geschaut, auch in den
Kühlschrank gesehen, von einem Brötchen und Käse etwas abgebissen und sich
abfällig über die vorhandenen Lebensmittel geäußert hatte.
Zu den Verhältnissen in der Wohnung ist nachzutragen, dass hinter der
Wohnungseingangstür ein querverlaufender Flur lag, an den sich rechter Hand das
Badezimmer anschloss. Rechts neben der gegenüber der Wohnungseingangstür
angebrachten Garderobe mit Spiegel befand sich die Tür zum Wohnzimmer, dem
einzigen größeren Raum. Von der Wohnzimmertür aus gesehen rechts befanden sich
hintereinander jeweils nur vom Wohnzimmer aus zu betreten Küche und Schlafzimmer.
Während das Schlafzimmer, über das wiederum ein kleiner in das Gebäude
eingezogener Balkon zu erreichen ist, vom Wohnzimmer durch eine Tür abgetrennt war,
war die Küche durch einen offenen Rundbogen zu betreten. In dem Rundbogen hing ein
aus einer Vielzahl von wohl geflochtenen Schnüren bestehender Sichtschutz, dessen
zwei Hälften allerdings wohl des bequemen Durchgangs wegen jeweils miteinander
verschlungen worden waren. Die herabhängenden zwei Schnurbündel, die im Übrigen
40 cm oder mehr oberhalb des Fußbodens endeten, behinderten den Blick aus dem
Wohnzimmer in die Küche nur unwesentlich. Erst im Bereich etwa des oberen Drittels
fächerten die Bündel auf. Wegen der Einzelheiten wird insoweit gem. § 267 Abs.1 Satz
3 StPO auf den Ausdruck des Digitalbildes Nr. 40 der Lichtbildmappe der KTU (Bd. I
Bl. 109 d. A.) verwiesen. Den Bereich links von der Wohnzimmertür aus gesehen
nahmen im Wesentlichen eine Couch, ein Tisch und ein Sessel ein. Die Couch befand
sich mit der Rückenlehne an der links an die Wohnzimmertür anschließenden Wand,
die Flur und Wohnzimmer trennte und in Leichtbauweise - wohl aus Rigipsmaterial -
ausgeführt und übertapeziert war. Oberhalb der Couch hing, gruppiert um mehrere
Bilder herum - eine Vielzahl der Waffen und anderen Sammlerstücke des Angeklagten.
Dazu gehörten alte Pistolen - vermutlich Steinschlossmodelle -, Gewehre - wohl
Dekorationswaffen - , Handschellen, Orden und über ein Dutzend Hieb- und
Stichwaffen, überwiegend oder sogar sämtlich in Scheiden steckend.
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Während sich I mit dem Kopf zur Tür und N² mit dem Kopf zum Schrank auf die
ausgezogene Bettcouch im Wohnzimmer legten, klappte der Zeuge I² die Campingliege
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in der Küche aus und legte sich darauf. Er hatte dort wohl schon am Samstag
geschlafen. Der Angeklagte war damit nicht einverstanden und brachte dies auch zum
Ausdruck, wodurch sich die Brüder nicht stören ließen. Der Zeuge N² hatte sich an
allem nicht beteiligt. Obwohl auch er in der Wohnung blieb, nahm ihm das der
Angeklagte, der ihn als untergeordneten Begleiter einstufte, nicht übel. Sein Zorn
richtete sich allein gegen die Brüder. Dieser Zorn wurde noch einmal gesteigert, als eine
Zeit lang später die Zeugin H die Küche betrat und nach dem Einschalten von Licht vom
Zeugen I² barsch angefahren wurde, sie solle das Licht ausmachen und aus der Küche
verschwinden, er wolle schlafen. Der Zeuge I² schlief dann wieder ein. Auch I und der
Zeuge N² schliefen jetzt. Alle drei waren übermüdet.
Die Wut und der Zorn des Angeklagten über die Beleidigung seiner Partnerin und damit
auch seiner Person hatten jetzt ein solches Maß erreicht, dass er nicht mehr hinnehmen
wollte, dass die Brüder in der Wohnung blieben. Er holte nunmehr die im Rahmen der
Tatvorgeschichte erwähnte Selbstladepistole,die über zwei Sicherungen verfügt. Zum
einen ist dieses Pistolenmodell mit einer Griffstücksicherung ausgestattet, die durch das
feste Umschließen des Pistolengriffs mit der Schusshand deaktiviert wird. Zum anderen
weist es eine Hebelsicherung auf, die bei Betätigung die Griffstücksicherung und den
Verschluss blockiert. Im Magazin der Waffe befanden sich mindestens drei Patronen.
Der Angeklagte betätigte die Hebelsicherung, lud die Waffe durch und gab im Sessel
sitzend über den Tisch und die dahinter auf der Schlafcouch schlafenden I und N²
hinweg einen Schuss in Richtung der Wand ab, wobei ihm klar war, dass das Geschoss
die Wand durchdringen und nicht etwa abprallen und als Querschläger im Wohnzimmer
herumfliegen würde. Das Geschoss durchschlug tatsächlich die Wand und den auf der
anderen Seite befindlichen Spiegel, um schließlich im Wohnungstürblatt gegenüber
steckenzubleiben. Hierdurch wachte der Zeuge N² auf und möglicherweise auch kurz I.
Falls letzterer kurz wach wurde und äußerte, dass ihn der Angeklagte ruhig in den
"Arsch" schießen könne, so hatte er das Geschehen in seiner Schlaftrunkenheit nicht
ernst genommen. Er ging in diesem Fall nicht davon aus, dass ihm ein Angriff gegen
Leib und Leben seitens des Angeklagten drohe. Der Zeuge I² schlief weiter. Der Zeuge
M² stand jetzt auf. Der Angeklagte wies darauf hin, dass er mit einer scharfen Waffe
geschossen habe, die sogar durch die Wand schieße. Er sagte weiter, sie hätten noch
Zeit bis "halb" - die Wanduhr zeigte etwa 1/4 nach der vollen Stunde -, um aufzustehen.
Wenn sie bis dahin nicht aufgestanden seien, werde er die anderen abknallen. Wenn er
- der Zeuge N² - keine Schwierigkeiten haben wolle, packe er besser seine Sachen und
gehe `raus. Der Zeuge N² nahm diese Ankündigung nicht ernst. Er ging ins Bad und
begab sich anschließend wieder auf die Schlafcouch, wo er im Sitzen möglicherweise
zwischendurch döste. Zu diesem Zeitpunkt saß der Angeklagte wieder auf dem Sessel
auf der anderen Seite des Tisches mit seiner Waffe. Als der Zeuge im Bad war oder
danach kurz eingedöst war, bat die Zeugin H den Angeklagten flehentlich darum, mit der
Waffe nichts weiter zu machen. Der Angeklagte wartete genau die festgesetzte
Viertelstunde ab. Auch die Bitten der Zeugin H hatten ihn nicht beruhigen können. Wut
und Zorn beherrschten ihn weiterhin. Seine Partnerin war massiv beleidigt worden,
ohne dass er für sie entscheidend hatte eintreten können. Dass die Brüder nicht einmal
darauf reagiert hatten, dass er mit der scharfen Waffe durch die Wand geschossen hatte,
der Zeuge I² weiter geschlafen hatte und I, wenn er kurz wach gewesen war, wieder
eingeschlafen war, empfand er als zusätzliche Demütigung vor seiner Freundin. In
dieser Gemütsverfassung entschloss er sich schließlich zum Ablauf der Viertelstunde,
sich für die Kränkungen und Demütigungen sowohl seiner Partnerin als auch ihm selbst
gegenüber zu rächen, indem er die Schusswaffe gegen die Brüder einsetzte, und
dadurch gleichzeitig zu demonstrieren, dass man so nicht mit ihm umspringen könne
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und er nicht der Mann sei, leere Drohungen auszustoßen. Der Angeklagte hielt das
beabsichtigte Handeln nicht für erlaubt. Falls er an Folgen für ihn selbst dachte, so
waren ihm solche Folgen in diesem Moment gleichgültig. Dem Angeklagten war
bewusst, dass I² von dem Warnschuss gar nichts mitbekommen und beim
Schlafengehen bzw. beim Wiedereinschlafen nach dem Vorfall mit der Zeugin H nicht
mit einem Angriff gegen Leib und Leben von seiner Seite gerechnet hatte. Ihm war
weiter entweder bewusst, dass das auch für I galt, oder ihm war bewusst, dass dieser
zwar durch den Schuss kurz wach geworden, ihn aber nicht als ernstzunehmende
Warnung vor einem Angriff gegen Leib und Leben verstanden hatte. Der Angeklagte
wusste weiter, dass beide Männer, weil sie schliefen, einem schnell nacheinander
gegen beide durchgeführten Angriff gegenüber hilflos sein würden und wollte dies jetzt
zur Tatbegehung auch ausnutzen. Er stand aus dem Sessel auf - falls er die
Hebelsicherung zwischenzeitlich eingelegt hatte, so löste er sie -, trat auf den an der aus
seiner Sicht an der linken Küchenwand auf dem Klappbett liegenden Zeugen I² zu, der
auf dem Rücken liegend schlief, und feuerte mit der Waffe in seiner rechten Hand, wobei
er die Griffstücksicherung drückte, aus geringer Entfernung - die Mündung der Waffe war
40 bis 60 cm von der Körpermitte entfernt - einen Schuss auf den Unterkörper des I² ab,
mit dem er ihn mindestens erheblich verletzen und außer Gefecht setzen wollte, wobei
er für möglich hielt, dass I² sterben würde, und einen solchen Ausgang in Kauf nahm.
Das Geschoss trat im Schrittbereich in den linken Unterbauch ein, nicht weit vom
Geschlechtsteil entfernt, durchsetzte den dortigen Darmabschnitt und drang durch die
Rectusmuskulatur bis in die Lumbalmuskulatur vor, wo es wenige Zentimeter neben der
Wirbelsäule stecken blieb. Der Zeuge I² wurde durch den Schussknall und die
Verletzung wach und bewegte sich in seiner Angst, worauf das Campingbett teils
einklappte. Der Zeuge N² hatte den Angeklagten in die Küche gehen und schießen
sehen. Er begab sich sofort in die Küche. Der Angeklagte ging im Durchgang zur Küche
an ihm vorbei, ging zurück ins Wohnzimmer, trat an den auf der Couch liegenden I heran
- falls dieser nicht reglos lag, so war er jedenfalls nicht wach und handlungsfähig, was
der Angeklagte wahrnahm - und schoss aus 20 bis 40 cm auf dessen Oberkörper, wobei
I einen Herzdurchschuss erlitt, der zu erheblichem Blutverlust in die Brusthöhle und fast
unmittelbar zu einem Kreislaufzusammenbruch führte, wodurch I binnen kurzem
verstarb. Auch in diesem Fall handelte der Angeklagte, um I eine schwere Verletzung
zuzufügen und ihn außer Gefecht zu setzen, wobei er dessen Tod mindestens für
möglich hielt und auch eine solche Folge in Kauf nahm.
Im Anschluss flüchteten sowohl die Zeugin H, die jetzt aus dem Schlafzimmer kam, als
auch der Zeuge I², der dabei vom Zeugen N² gestützt wurde, aus der Wohnung.
Während die Zeugin H das Haus verließ, blieb der Zeuge I², der nicht mehr weiter
konnte, im Hausflur auf einer Treppenstufe sitzen. Der Zeuge N² begab sich zurück in
die Wohnung, um Hilfe herbeizurufen bzw. den Angeklagten dazu zu bewegen, Hilfe zu
rufen. Der Angeklagte riet dem Zeugen N², ein Handtuch auf die Wunde zu drücken,
damit die Blutung gestillt werde. Der Angeklagte rief schließlich es war jetzt 13:29 Uhr
über Notruf zunächst bei der Einsatzleitstelle der Feuerwehr über deren Notruf an. Als er
mitteilte, dass es in seiner Wohnung eine Schießerei gegeben habe, wurde das
Gespräch an die Polizei weitervermittelt. Im Weiteren äußerte der Angeklagte, der zu
diesem Zeitpunkt sehr aufgeregt war und dessen ohnehin nur unzulängliches Deutsch
kaum zu verstehen war, dass er geschossen habe. Er wollte dem Gesprächspartner
sagen, dass er jemanden in den Bauch geschossen habe. Verstanden wurde zunächst,
dass er in einen Baum geschossen habe. Anschließend rief der Angeklagte – die
Reihenfolge hat die Kammer nicht festgestellt – die Zeugin L³ und seine Schwester, die
Zeugin N, an. Der ersten erklärte er, dass es kein Problem mehr gebe. Er sagte dazu, er
23
habe die erschossen, oder, er habe auf die geschossen. Als die Zeugin nachfragte,
sagte er noch etwas und beendete das Gespräch. Seiner Schwester sagte er ebenfalls
nur, dass er zwei Gangster erschossen bzw. auf zwei Gangster geschossen habe.
Nachdem seine Schwester weiter erfuhr, dass sie die Zeugin H nicht sprechen könne,
weil sie weggelaufen sei, ahnte sie, dass etwas schlimmes passiert war, und machte
sich deshalb sofort auf den Weg zur Wohnung des Angeklagten. In der Nähe der
Wohnung traf sie die Zeugin H, die ihr berichtete, dass der Angeklagte den Leuten eine
Frist gegeben habe, aus der Wohnung zu verschwinden. Er sei nur ausgelacht worden.
Der Angeklagte habe eine Pistole in der Hand gehabt, sie habe ihm die Waffe
weggenommen und ihn oder die Leute auf Knien gebeten, Ruhe zu geben. Die Leute
hätten sie – die Zeugin H - vorher beleidigt. Auf Frage der Zeugin N, warum ihr Bruder
nicht die Polizei gerufen habe, antwortete die Zeugin N, dass die Leute ihn damit
erpresst hätten, dass sie der Polizei sagen wollten, dass sie – die Zeugin H – mit
Drogen zu tun habe, was aber nicht stimme.
Kurz nach 13.30 Uhr trafen die zunächst eingesetzten Polizeibeamten einer
nahegelegenen Polizeiinspektion – unter ihnen PK T² – am Hause G ein, wo sie eine
RTW-Besatzung erwartete. Als sich die Beamten vorsichtig der Haustür näherten,
erblickten sie den Angeklagten, der aus einem geöffneten Fenster des Hausflures im
ersten Stockwerk auf sie herabschaute. Beim Erscheinen der Beamten rief er von sich
aus, dass er geschossen habe, und warf die benutzte Selbstladepistole etwas später auf
die Aufforderung eines Beamten, seine Hände aus dem Fenster zu halten, hinunter in
ein Gebüsch neben der Haustür, so dass sie von den Beamten sofort sichergestellt
werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war das Magazin leer. Beim Hinaufgehen zur
Wohnung des Angeklagten stießen die Beamten im Treppenhaus auf den auf einer
Treppenstufe sitzenden Zeugen I² und den Zeugen N². Der Angeklagte wurde am
geöffneten Flurfenster im ersten Stock angetroffen, von den Beamten zur
Eigensicherung zunächst zu Boden gebracht und mit einer Schließacht gefesselt. In der
Wohnung fanden die Beamten sodann den reglosen I – teils auf dem Bauch und teils
auf der linken Seite liegend – auf der Schlafcouch vor. Durch den inzwischen
eingetroffenen Notarzt wurde dann – bei Ableitung eines EKG war keinerlei
Herztätigkeit mehr zu verzeichnen – der Tod von I festgestellt. Der Zeuge I² wurde an Ort
und Stelle notärztlich versorgt und anschließend in die Städtischen Kliniken E
transportiert. Der Zeuge N², die Zeugin H, die in der unmittelbaren Nähe des Hauses
wegen ihres aufgeregten Verhaltens aufgefallen war, und der Angeklagte wurden in der
Folgezeit vorläufig festgenommen und getrennt zum Polizeigewahrsam verbracht.
Währenddessen hatten KOK`in I³und andere Beamte der Kriminalwache mit der
Aufnahme des Tatortbefundes begonnen. Im Laufe des Nachmittags waren dann
Angehörige der inzwischen gebildeten Mordkommission und der Abteilung für
kriminaltechnische Untersuchungen – letztere auch noch am folgenden Tag – mit der
Untersuchung der Wohnung, der Anfertigung von Lichtbildern und der Sicherung von
Spuren am Tatort und an den Beteiligten befasst. In der Wohnung wurden unter
anderem drei Patronenhülsen des Kalibers 7,65 mm – eine innen vor dem
Wohnzimmerfenster, eine auf dem Teppich links neben dem Sessel und eine in der
Küche unter einem Gewürzregal – gefunden und ebenso wie das in der Wohnungstür
steckende Projektil sichergestellt. Darüberhinaus wurden sichergestellt: ein Fallmesser
der Bundeswehr, ein Karabinerverschluss, eine einschüssige vermutlich in Eigenbau
hergestellte Pistole, ein sechsschüssiger vermutlich ebenfalls privat gefertigter Revolver
ohne Schlaghahn, ein Wurfstern, Kartuschenmunition, einige Patronen – allerdings
keine des Kalibers und des Fabrikats der verschossenen Munition - und eine geringe
Menge Schwarzpulver. Der Angeklagte, der über keine waffenrechtlichen Erlaubnisse
24
verfügt, hat sich inzwischen mit der außergerichtlichen Einziehung dieser Gegenstände,
deren Besitz teils verboten, teils erlaubnispflichtig ist, wie auch der Selbstladepistole
nebst Magazin einverstanden erklärt.
Den Beteiligten – mit Ausnahme des Zeugen N²- wurden nachmittags Blutproben
entnommen, die – bezogen auf die Entnahmezeitpunkte – folgende
Blutalkoholkonzentrationen aufwiesen: die des Angeklagten 1,02 o/oo (15.08 Uhr) und
0,87 o/oo (15.38 Uhr), die der Zeugin H 1,56 o/oo (16.32 Uhr) und 1,47 o/oo (17.02 Uhr)
und schließlich die des Zeugen I² 0,73 o/oo (15.30).
25
Der Zeuge I² war in kreislaufstabilem Zustand in der Klinik eingetroffen. Die
behandelnden Ärzte gingen zunächst wegen zweier Verletzungen im Unterbauch davon
aus, dass den Zeugen zwei Schüsse getroffen hatten, stellten dann aber fest, dass diese
äußeren Verletzungen auf ein eindringendes Geschoss, das zunächst den Rand einer
Hautfalte getroffen hatte, zurückzuführen waren. Nach Eröffnung der Bauchhöhle mittels
einer Laparotomie fand sich reichlich Blut darin. Die Bauchhöhle und der Schusskanal
wurden gesäubert. Der verletzte Dickdarmabschnitt wurde entfernt und die dabei
entstandenen Darmenden wurden miteinander verbunden. Da das Projektil von der
Bauchhöhle aus nicht zu tasten war, wurde es mit einem bildgebenden Verfahren
lokalisiert und unter Setzung eines Schnittes neben der Wirbelsäule vom Rücken her
entfernt. Der Zeuge verblieb einen Tag auf der Intensivstation und wurde dann auf eine
normale Station verlegt. Da sich keine Komplikationen ergaben, konnte er bereits am
31.10.2005 aus dem Krankenhaus entlassen werden. Psychische Schäden hat der
Zeuge nicht davongetragen. Er muss sich allerdings mit der über 25 cm langen
Laparotomienarbe auf seinem Bauch und dem Risiko späterer Komplikationen wie dem
Auftreten von Verwachsungen im Bauchraum abfinden.
26
Der Angeklagte wurde erstmalig am 24.10.2005 als Beschuldigter vernommen. Die
Vernehmung, die unter Mitwirkung des Zeugen KHK T³ und der als Dolmetscherin
tätigen Zeugin U² erfolgte, begann vormittags und dauerte etwa drei Stunden. Nach
entsprechender Belehrung über den Vorwurf und seine Rechte als Beschuldigter
machte der Angeklagte zunächst Angaben zu seinem Lebenslauf und seiner
gesundheitlichen Verfassung, bevor er sich zur Person seiner Besucher und zum
Tatvorwurf selbst äußerte. Die Brüder I und I² bezeichnete er als Mafiosi bzw. Gangster,
die in Begleitung eines "Bodyguards" am Freitag vor dem Wochenende bei ihm
erschienen und in E ihren Geschäften nachgegangen seien, von denen er nicht viel
wisse. Nach einer in wesentlichen Punkten mit den dazu getroffenen Feststellungen
übereinstimmenden Schilderung der Ereignisse am Freitag, Samstag und am
Sonntagmorgen gab der Angeklagte zum eigentlichen Tatgeschehen folgendes an: Er
sei in das Schlafzimmer gegangen, um seine weinende Freundin zu beruhigen. Er habe
ihr gesagt, dass er das in Ordnung bringe. Er habe dann die Pistole, die er drei Jahre
zuvor von I bekommen habe, geholt. Die Männer hätten nicht geschlafen, sondern die
ganze Zeit seine Freundin beleidigt. Er habe ca. 40 cm über I weg geschossen und
dabei gesagt, sie sollten sich jetzt "verpissen". Er habe ihnen Angst einjagen wollen,
damit sie verschwänden. Er habe dann gesagt, dass er ihnen eine Viertelstunde Zeit zu
verschwinden gebe. Er habe "Glatze" – dem Begleiter – gesagt, wenn sie um 12.30 Uhr
– hinsichtlich der Uhrzeit irrte sich der Angeklagte um eine Stunde – noch da seien,
seien sie selber schuld. Er habe "Glatze" auch das Loch im Garderobenspiegel und in
der Wand gezeigt. "Glatze" habe nur mit den Schultern gezuckt; I habe gesagt, er könne
ihn ruhig in den "Arsch" schießen. Er sei dann ins Schlafzimmer gegangen, worauf
seine Freundin versucht habe, ihn zu beruhigen. Er habe die Uhr schlagen hören und
27
sei total aufgeregt gewesen. Er sei dann in die Küche gegangen, habe den auf dem
Klappbett liegenden I² mit der linken Hand an der Oberbekleidung gezogen, ihn
umgedreht und dabei gesagt: "Ich habe dir doch gesagt, ...". Er denke, I² sei klar
gewesen, was er damit gemeint habe. Dann habe er geschossen. Er habe ihn auf der
rechten Seite treffen, aber nur verletzen wollen. Dann sei er ins Wohnzimmer gegangen.
Er habe I auch gesagt: "Ich habe dir doch gesagt, ...", worauf sich dieser aufgerichtet
habe und ihm etwas entgegengekommen sei. Dann habe er geschossen, und zwar aus
einem Abstand von etwa 40 cm zum Körper des I. Er habe auch I nur verletzen wollen
und habe im Glauben, beide lediglich verletzt zu haben, "Glatze" aufgefordert, die
beiden mitzunehmen und zu verschwinden. Er sei schon seit seiner Kindheit an Waffen
interessiert gewesen und habe bei der Armee sehr gut geschossen, sogar
Meisterschaften gewonnen. Deshalb sei er vorher sicher gewesen, dass er sie nur
verletzen würde. Auf Vorhalt, dass nach Angabe des Zeugen N² beide Männer bei der
Schussabgabe geschlafen hätten, erklärte der Angeklagte, dass das nicht möglich sei. I
habe sich bewegt, als er ihn angefasst habe. "Glatze" habe sich die ganze Zeit
zwischen dem ersten Schuss und den späteren Schüssen mit den beiden unterhalten.
Die Waffe habe nach dem ersten Schuss auf dem Wohnzimmertisch gelegen, so dass
"Glatze" oder die beiden anderen sie an sich hätten nehmen können.
Bei der anschließenden Vorführung vor den Haftrichter zunächst u. a. folgendes an: Die
hätten nicht geschlafen. I habe sogar gesagt, er könne ihn in den "Arsch" schießen. Er
sei von I auch mit dem Messer bedroht worden. Sie hätten ständig seine Freundin
beleidigt und auch damit gedroht, sie zu verletzen. Möglicherweise habe ihn der I²
angestoßen, als er gerade auf I geschossen habe. Er – der Angeklagte – habe zuvor
gedroht, die Polizei anzurufen. Er habe das um 11.30 Uhr und möglicherweise auch
schon um 8.00 Uhr morgens tatsächlich getan. Die Männer hätten gesagt, das solle er
ruhig tun; sie hätten genügend Waffen, um sich zu verteidigen. Er habe Angst vor ihnen
gehabt. Auf Nachfrage schilderte der Angeklagte das Kerngeschehen noch einmal.
Nachdem sein Freund, der ihm die Besucher vom Hals habe schaffen sollen, weg
gewesen sei, habe er, während seine Lebensgefährtin in einem anderen Zimmer
gewesen sei, einen Warnschuss in die Wand oberhalb des Kopfes von I abgegeben,
worauf dieser entgegnet habe, er könne ihm ruhig in den "Arsch" schießen. Er habe
ihnen fünfzehn Minuten Zeit zu verschwinden gegeben. Als die Zeit umgewesen sei, sei
er zu dem in der Küche auf dem Klappbett liegenden I² gegangen. Er habe ihn
umgedreht. I² habe ihn angeschaut; dann habe er den Schuss abgegeben. Es habe nur
ein Streifschuss an dessen rechter Seite sein sollen. I² habe sich dann hinter das
zusammengebrochene Klappbett gekauert. Er – der Angeklagte – sei in das
Wohnzimmer gegangen. Er habe den auf dem Ecksofa liegenden I, der sich jetzt etwas
aufgerichtet und auf einen Ellenbogen gestützt hätte, mit einer Hand am Kragen gefasst
und aus etwa einem halben Meter Entfernung den Schuss abgegeben.
28
Der Angeklagte wurde dann aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom
24.10.2005 in Untersuchungshaft genommen, die bis heute andauert.
29
Bei einer ergänzenden Vernehmung am 25.10.2005 wiederholte der Angeklagte, dass
er Angst vor den Männern gehabt habe. Er sei ja dabei gewesen, als sie L³ gestochen
hätten. Sie hätten auch vor einem halben Jahr, als sie Ärger mit Türstehern in C gehabt
hätten, Schusswaffen dabeigehabt. Sonst habe er in Deutschland keine Waffe bei ihnen
gesehen. Seine Waffe habe er mit Magazin und acht Schuss vor ungefähr drei Jahren
als Geschenk von I bekommen, weil er sie mit L³ zusammengebracht habe. Als er sie
am Sonntagmorgen geholt habe, habe er das Magazin herausgenommen, ca. fünf
30
Patronen darin gesehen, das Magazin eingeführt, durchgeladen und den ersten Schuss
abgegeben. Danach sei er mit der Waffe in der Hosentasche in den Flur gegangen,
habe N² dort das Loch in der Wand gezeigt und ihm gesagt, dass er keine Scherze
mache und dass sein letztes Wort sei, dass er ihnen noch fünfzehn Minuten gebe. Er
habe keine Reaktion des N² gesehen. Er sei dann ins Schlafzimmer zu seiner Freundin
gegangen. Es könne sein, dass er sich zeitlich vertan habe und dass er nach dem
ersten Schuss um 13.15 die anderen Schüsse um 13.30 abgegeben habe.
Bei der am 28.11. und 8.12.2005 von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. N³ durchgeführten Exploration äußerte sich der Angeklagte zum Kerngeschehen im
wesentlichen wie folgt: Nach dem Vorfall, als sie von I² aus der Küche gewiesen worden
sei, sei seine Freundin ins Schlafzimmer gegangen, wohin er ihr gefolgt sei. Sie habe
die ganze Zeit geheult. Dann habe er – der Angeklagte -, als er danach im Sessel im
Wohnzimmer gesessen habe, bemerkt, dass ein Samuraimesser von der Wand
genommen worden sei und sich an der Tür befunden habe. Der Glatzköpfige sei dann
aufgestanden und ins Bad gegangen. Da habe er – der Angeklagte – die Pistole, die auf
einer Wanduhr gelegen habe, geholt, gesagt, dass sie verschwinden sollten, und habe
durch die Wand in einen Spiegel hinein geschossen. I habe dann gesagt, er könne ihm
in den "Arsch" schießen. Er habe ihnen fünfzehn Minuten Zeit gegeben, um zu
verschwinden. Danach habe er im Schlafzimmer seine Freundin beruhigt, die vor lauter
Schreck gezittert habe. Nach fünfzehn Minuten habe die Uhr um 13.30 geschlagen.
Zwischendurch habe er durch die nicht zugezogene Schlafzimmertür ein Fragment
eines Gesprächs zwischen dem Glatzkopf und I, nämlich den Satz "Das soll er doch mal
versuchen" mitbekommen. Dann sei er –der Angeklagte – zur Küche, habe I² am T-Shirt
gepackt, hochgezogen und ihm gesagt: "Ich hab`s euch doch gesagt, ...". Da sei der
erste Schuss gefallen. Er habe zwischen Rippen und Arm gezielt, um I² nicht zu stark zu
verletzen. Daraufhin sei der hochgesprungen, da sei der Schuss gefallen. Er – der
Angeklagte – sei dann zu I gegangen, der zu diesem Zeitpunkt auf einem Arm gelegen,
aber versucht habe, sich zu erheben, und dabei gefragt habe, ob hier einer geschossen
habe. Er habe das bejaht und als er zwischen Rippen und Arm des I gezielt habe, habe
ihn I² aus der Küche in den Flur laufend geschubst. Da sei der zweite Schuss gefallen.
Auf die Frage, was in ihm vorgegangen sei, als er geschossen habe, gab er an, er habe
sich machtlos gefühlt, dass diese "Hurensöhne" einen zum Dreck machen könnten und
dabei dächten, dass Geld alles sei, sie alle niedermachen könnten und alles dürften. Er
habe auch an die Behauptung gedacht, dass seine Freundin zwei Kilogramm
Rauschgift in ihrer Scheide transportiert habe. Er bereue und er bedauere, was passiert
sei. Im Vorflur habe ein Elektroschocker gelegen, der aber nicht funktioniert habe. So
habe er gedacht, entweder sie oder er. Er habe ja miterlebt, als sie dem L³ das Messer
ins Bein geknallt hätten. Er hätte Angst um seine Freundin gehabt. Alleine hätte er
gegen drei Männer keine Chance gehabt. Wem hätte denn die Polizei wohl geglaubt,
wenn sie ihn als Betrüger dargestellt hätten. Die seien in ihrer Unverschämtheit zu
sicher gewesen. Sie hätten vergessen, dass beim Schachspiel manchmal ein einfacher
Läufer das Schachmatt mache. Man dürfe die Grenzen dessen, was für einen Menschen
erträglich sei, eben nicht überschreiten. Er sei nicht er selbst gewesen. Einem Dummen
könne man verzeihen, aber hier habe es sich um berechnetes Verhalten gehandelt. Auf
weitere Nachfrage zu den Brüdern gab der Angeklagte u. a. an, dass der I eigentlich ein
ganz guter Kerl gewesen sei. Der I² habe sich wie eine Schlange verhalten und ständig
gestänkert, wobei sich I unter Alkohol angeschlossen habe. Wenn er überhaupt
jemanden hätte umbringen wollen, dann den I². Aber er habe eigentlich niemand
umbringen wollen. Er habe nur einen Schreckschuss zwischen Rippen und Arm
machen und dadurch ein Brennen bewirken wollen. Durch das Schubsen sei es zur
31
Tötung gekommen. Wegen dieses Geschwürs – das sei I² – sitze er nun. Beide hätten
eine Strafe verdient gehabt, aber so eine Strafe habe er ihnen nicht gewünscht. In seiner
Machtlosigkeit habe in dem Moment empfunden, dass er sie zerreißen könne. Weder er
noch seine Nächsten seien jemals so beleidigt worden. An dem Tag habe er im übrigen
nur seine Grippetabletten und etwas wegen seines Blutdrucks genommen.
In einem von der Kammer beschlagnahmten Schreiben vom 5.2.2006 des Angeklagten
an den Zeugen T erklärte der Angeklagte u. a. wieder, dass die Männer ihn, wenn er die
Polizei gerufen hätte, beschuldigen hätten können, dass er zum Verkauf gegebene
Sachen – es hätte gereicht, wenn sie zwei Rolex-Uhren und eine Kette angegeben
hätten – für sich behalten habe und nicht bezahlt habe. Er wäre dann ins Gefängnis
gekommen und sie hätten seine Freundin belästigt. Der Zeuge habe doch gesehen, in
welchem Zustand sich seine Freundin befunden habe. Er – der Angeklagte – sei, egal
wie er sich verhalten hätte, der Verlierer gewesen. Gehöre es nicht zu den Pflichten
eines Mannes, seine Familie und die geliebte Person zu verteidigen? Habe er zur
Selbstverteidigung denn kein Recht gehabt? Er habe sie am Anfang mit einer Pistole
erschrecken wollen, damit sie gingen, deshalb in die Wand geschossen und ihnen
gesagt, dass sie fünfzehn Minuten Zeit hätten, die Wohnung zu verlassen, worauf I ihm
gesagt habe, er könne ihn ruhig in den "Arsch" schießen. Vom Schlafzimmer aus habe
er gehört, dass I dem Gorilla gesagt habe, dass er ihn – den Angeklagten – fertigmachen
werde, wenn er versuchen solle, ihm was zu tun. I² habe auch nicht geschlafen, denn
fünf Minuten, nachdem I² seine Freundin H aus der Küche geschickt habe, weil ihn das
Licht störe, habe er – der Angeklagte – den Warnschuss abgegeben. Er habe beide nur
zwischen Rippen und Hand treffen und dann auffordern wollen "abzuhauen".
32
In einem Schreiben vom 12.2.2006 an die Zeugin H teilte der Angeklagte u. a. mit, dass
er besser daran getan hätte, die Männer zum Abholen der Taschen nicht in die
Wohnung zu lassen. Sie hätten in diesem Fall aber behauptet, dass er etwas aus ihren
Taschen gestohlen habe und er hätte dann als "Klaubock" dagestanden. Wie habe er
wissen sollen, wie das zu Ende gehe. Das seien aber reine Spekulationen. Er habe
dem I schon in Polen gesagt, dass dieser ihn weder in Polen noch in Deutschland mit
dem I² besuchen solle, weil es immer, wenn I mit seinem Bruder zusammen sei,
Konflikte, Unterstellungen und ähnliches gebe. I² habe auch hauptsächlich provoziert.
Um I tue es ihm leid.
33
In einem weiteren von der Kammer beschlagnahmten Brief vom 2.4.2006 an die Zeugin
H schrieb der Angeklagte von seinen Gedanken während des Geschehens selbst und
später. Die Übersetzung dieser Passagen lautet wörtlich: "Beim Rasieren hätte ich im
Spiegel einen Feigling gesehen. Ob der verstorbene I² – der Angeklagte meinte damit
den verstorbenen Ehemann der Zeugin – erlauben würde, Dich zu beleidigen?
Bestimmt nicht. So wie ich ihn kannte, hätte er auch scharf reagiert. Und ich, was sollte
ich machen? Sollte ich ihnen verzeihen? Was hättest Du dann über mich gedacht? So
nicht, H. Sie sollten daran denken, dass man nicht beleidigen darf, umso mehr, da sie
gewusst haben, wie viel Du für mich bedeutest. Und sie könnten damit rechnen, dass
ich diese Beschimpfungen nicht verzeihen werde. Sie wussten, dass ich so bin wie
diese drei Äffchen. Ich sehe nichts, ich höre nichts und ich sage auch nichts. Sie haben
aber vergessen, dass ich auch nichts verzeihe. Der Übermut und der Glaube an die
Macht des Geldes hat sie vernichtet. Sie dachten, dass man alles kaufen kann und dass
sie sich alles erlauben können. Sie haben sich geirrt. Selbst wenn sie `rausgegangen
wären, würde ich es ihnen auf irgendeine Art und Weise zurückzahlen. Sie sind verrückt
geworden, da sie zuviel Geld gehabt haben. Ich würde dafür sorgen, dass sie es gehabt
34
hätten wie alle anderen, nur den normalen Lohn zur Verfügung." ... " Es hat sich alles
anders ergeben und ich muss jetzt auf den Prozess warten. Wenn ich daran denke, dass
es wegen dieser Lümmel geschieht, dann platze ich vor Wut. Ich weiß nicht, warum sie
so gehandelt haben, was sie geplant und warum sie mich provoziert haben. Denn dass
es einfach aus Dummheit war, kann ich nicht glauben. Auf jeden Fall haben sie
geschafft, mich zu provozieren. Und es ist tragisch zu Ende gegangen, sowohl für sie als
auch für mich, denn ich sitze. Schade, dass es nicht vor hundert Jahren passiert ist.
Dann hätte ich so einen Lümmel zu einem Duell bestellt und dann gezeigt, was Respekt
bedeutet. Ich hätte so einen nicht einfach erschossen, denn er müsste sich danach
erinnern, weshalb er dann so aussieht. Ich verspreche Dir, er könnte nach unserem
Treffen bestimmt keine Kinder mehr zeugen."
IV.
35
Grundlage der Feststellungen
36
Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen Angaben und
ergänzend auf der auszugsweisen Verlesung der ihn betreffenden
Bundeszentralregisterauskunft.
37
Den Feststellungen zur Tatvorgeschichte liegen ebenfalls die Angaben des
Angeklagten, die im wesentlichen mit den Bekundungen der Zeugen L³
übereinstimmen, zugrunde. Der Zeuge L³ hat in aller Offenheit bestätigt, dass ihn der
Angeklagte mit I², den er vor seiner Vernehmung im Gericht gesehen und wiedererkannt
habe, und I zusammengebracht habe, von denen er dann die nach Deutschland
geschmuggelten Zigaretten bezogen und weiterveräußert habe. Er hat weiter glaubhaft
bekundet, bereits unmittelbar nach der Beschlagnahme einer Lieferung in der Wohnung
des Angeklagten in dessen Gegenwart von den Brüdern wegen der Bezahlung der
Lieferung unter Druck gesetzt und von einem der Brüder mit dem Messer, dessen
Klingenspitze dabei abgebrochen und im Bein steckengeblieben sei, verletzt worden zu
sein. Er hat ebenso glaubhaft das Eintreiben weiterer Teilbeträge entsprechend den
getroffenen Feststellungen geschildert. Auch die Zeugin L4 war sich sicher, dass der
Zeuge I² einer der drei Männer gewesen sei, die sie am Samstagabend aufgesucht
hätten. Der Zeuge I² hat zunächst jede Kenntnis von Zigarettengeschäften mit dem
Zeugen L³ und seine Beteiligung am Eintreiben von Zahlungen wegen eines solchen
Geschäfts in Abrede gestellt, hat dies dann aber auf nachdrückliche Ermahnung des
Gerichts nicht aufrechterhalten und hat sich auf das ihm zustehende
Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Der Zeuge N² hat sich sofort geweigert,
dahingehende Fragen zu beantworten. Nach allem hat die Kammer keinen Zweifel
daran, dass die Schilderung der Vorgeschichte durch den Angeklagten insoweit zutrifft.
Die Kammer ist aufgrund der Gesamtumstände, wozu insbesondere gehört, dass die
Brüder nicht zum ersten Mal in Begleitung eines Dritten nach E kamen und die
Behauptung des Zeugen N², er sei nur aus Gefälligkeit mitgefahren, damit man sich bei
der Fahrt abwechseln könne, als offensichtliche Ausrede erscheint, weiterhin davon
überzeugt, dass beide Brüder in größerem Umfang unredliche Geschäfte betrieben
haben. Einzelheiten hierzu waren nicht festzustellen. Der Angeklagte hat ohne Nennung
konkreter und überprüfbarer Einzelheiten lediglich Andeutungen dazu gemacht, dass
die Brüder mit Rauschgift zu tun gehabt hätten und im Begriffe gewesen seien, bei
einem nicht weiter bezeichneten Geschäft einen Millionenerlös zu erzielen.
38
Angesichts des Umstands, dass der Angeklagte den Kontakt zu den Brüdern auch nach
39
dem Vorfall, bei dem der Zeuge L³ verletzt worden war, aufrechterhielt und sie bzw. ihre
Begleitung weiterhin mindestens gelegentlich in seiner Wohnung übernachten ließ, liegt
nahe, dass der Angeklagte bei kriminellen Geschäften Hilfsdienste leistete oder in
anderer Weise in solche Aktivitäten eingebunden war. Sichere Feststellungen hierzu
waren der Kammer allerdings nicht möglich.
Die Kammer hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte, wie er
angegeben hat, die FN-Selbstladepistole von I erhalten hat. Den Angeklagten kann
nämlich zu dieser Behauptung die Vorstellung bewogen haben, dass sich für ihn
günstig auswirken könne, wenn er den Toten mit Schusswaffen in Verbindung bringe
bzw. ihm sogar eine Mitverantwortung dafür zuweise, dass er – der Angeklagte –
unerlaubt die bei dem ihm vorgeworfenen Geschehen benutzte scharfe Waffe besessen
habe. Auszuschließen ist der vom Angeklagten behauptete Erwerb – auf das Bestreiten
dieses Vorgangs durch den Zeugen I² hat die Kammer nichts gegeben – andererseits
auch nicht. Die Kammer ist allerdings davon überzeugt, dass die Angabe des
Angeklagten, die Waffe schon länger in Besitz gehabt und mit ihr auch schon
geschossen zu haben, zutrifft. Dafür, dass diese Angabe des Angeklagten zutrifft, spricht
insbesondere sein besonderes Interesse an Waffen jeglicher Art.
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Hinsichtlich des Vorgeschehens in der Wohnung an den Vortagen und am
Sonntagmorgen bis zum Weggang der Eheleute T beruhen die Feststellungen im
wesentlichen auf den Angaben des Angeklagten und ergänzend auf den Bekundungen
der Zeugen T und H. Die Kammer ist allerdings davon überzeugt, dass die Zeugin H
und nicht der Angeklagte, wie er angegeben hat, die Verbindung unterbrach, als er
morgens gegen 8.00 Uhr die Polizei anrufen wollte. Denn die Zeugin hat nicht nur bei
ihrer Vernehmung durch die Kammer erwähnt, dass sie es gewesen sei, sondern hat
dies, wie die Vernehmung der Zeugin T4 ergeben hat, bei ihrer ersten Vernehmung am
Tattage – als Beschuldigte – ebenso gesagt und dies auch der Zeugin N , die dies
glaubhaft bekundet hat, bei der Begegnung in der Nähe der Wohnung des Angeklagten
nicht lange nach dem Tatgeschehen berichtet. Auch wenn, worauf noch einzugehen ist,
die Angaben der Zeugin H bei dieser Vernehmung sehr ungeordnet und lückenhaft
erfolgten, so ist die Kammer doch von der Richtigkeit dieser Einzelangabe, die konstant
wiederholt worden ist und bezüglich derer ein Interesse der Zeugin, die Unwahrheit zu
sagen, nicht erkennbar ist, überzeugt.
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Die Kammer ist weiter der sicheren Überzeugung, dass dem Angeklagten klar war, dass
die Brüder ihre Ankündigung für den Fall, dass Polizei eintreffen werde, nicht
wahrgemacht hätten. Denn es lag für alle Beteiligten auf der Hand, dass der Angeklagte
sich im Gegenzuge schon wegen der Geschäfte der Brüder mit dem Zeugen L³ hätte
revanchieren können. Auch wenn er selbst als Vermittler tätig gewesen war, hätten
seine Besucher auf jeden Fall mit dieser Retourkutsche rechnen müssen, wenn sie den
Angeklagten ihrerseits zu Unrecht bezichtigt und dadurch behördliche Maßnahmen
gegen ihn provoziert hätten. Dies war so offensichtlich, dass die Kammer keinen Zweifel
daran hat, dass der Angeklagte, der intellektuell durchschnittlich ausgestattet ist und zu
diesem Zeitpunkt noch keinen Alkohol getrunken hatte, die Ankündigung nicht ernstlich
fürchtete, sondern den Willen seiner Freundin respektierte und nach anderen
Lösungsmöglichkeiten suchte.
42
Zum Kern des Vorwurfs hat sich der Angeklagte zunächst im wesentlichen wie folgt
eingelassen: Nach dem Weggang der Zeugen T hätten sich die Männer trotz seines
Widerspruchs hingelegt. Sie hätten zehn bis fünfzehn Minuten gelegen, als seine
43
Freundin von I² aufgefordert worden sei, ihn in der Küche in Ruhe schlafen zu lassen.
Weitere fünf Minuten später – der Zeuge N² sei gerade zum Bad gegangen – habe er
die Waffe, die auf einer Wanduhr gelegen habe, geholt, habe sie durchgeladen und sich
an den Tisch gesetzt. Er habe gesagt, dass sie verschwinden sollten, und habe, um sie
zu erschrecken, auf die Wand oberhalb des Kopfes von I geschossen. Ihm sei klar
gewesen, dass der Schuss durch die Wand gehen würde. I habe erwidert, er könne ihm
ruhig in den Arsch schießen. Er habe dem Gorilla das Loch im Spiegel im Flur gezeigt,
um ihm klar zu machen, dass es sich um eine scharfe Waffe handele. Er habe gesagt,
dass er sie in fünfzehn Minuten nicht mehr sehen wolle. Er sei dann ins Schlafzimmer
gegangen und habe seiner weinenden Freundin gesagt, dass die Männer nun gehen
müssten, worauf sie ihn davor gewarnt habe, dass sie ihm etwas antun könnten. Er habe
es nicht mehr ausgehalten. Er habe sich so gefühlt, als könne er in wenigen Minuten
kratzen und beißen. Er sei in einem Zustand gewesen, dass er den Männern den Hals
hätte umdrehen können. Nach den fünfzehn Minuten sei er zum Zeugen I² gegangen,
der in der Küche gelegen habe. Er habe noch keine Absicht gehabt zu schießen. Er
habe nicht daran gedacht, dass die Waffe wieder durchgeladen gewesen sei. Sie weise
keinen außenliegenden Hahn auf, weshalb man den Ladezustand nicht sehen könne,
und habe auch keine zweite Sicherung. Er habe ihn mit einer Hand angefasst, ihm mit
der anderen Hand die Waffe vorgehalten und ihn aufgefordert zu verschwinden. I² habe
nicht geschlafen. Er sei hochgesprungen und dabei gegen die Waffe gestoßen, wodurch
sich der Schuss gelöst habe. Jetzt habe sich I mit der Äußerung gemeldet, was er – der
Angeklagte – denn für einen "Scheiss" mache. Er habe sich auf der Schlafcouch
bewegt, als wenn er sich habe umdrehen wollen. Er –der Angeklagte – habe drei
Schritte zurück ins Wohnzimmer gemacht. Er habe sich gegen I verteidigen wollen und
in dessen Achselgegend gezielt. Hinter sich habe er ein metallisches Geräusch von
dem Klappbett gehört. I² habe sich dahinter versteckt, so dass er – der Angeklagte –
lediglich dessen Augen und etwas vom Oberkörper gesehen habe. Er habe den beiden
dann gesagt: "Wer ist nun durchgeknallt, ich oder ihr?" Jetzt sei I² weggelaufen. Er – der
Angeklagte – habe an der nur 80 cm breiten Tür zwischen Wohnzimmer und Flur
gestanden. Er habe versucht, I leicht zu verletzen. Er sei ein guter Schütze. Beim Militär
– dies bei späterer Nachfrage - habe er problemlos auf 100 Meter eine Apfelsine
getroffen. Er habe erfolgreich an Schießwettbewerben teilgenommen, weshalb er
Sonderurlaub bekommen habe. Es sei dann zu einem Schubsen gekommen, wodurch
sich der Schuss gelöst habe. Der Zeuge N² sei danach aus dem Wohnzimmer
gegangen, wobei er ihn aufgefordert habe, die anderen beiden mitzunehmen und zu
verschwinden. Er habe nämlich gedacht, dass beide nur leicht verletzt seien. Er sei
sicher, dass er bei der polizeilichen Vernehmung gesagt habe, dass er angestoßen
worden sei, als er versucht habe, die Körperstelle zu treffen. Er habe das schon gesagt,
was im Vernehmungsprotokoll dazu stehe – die entsprechenden Passagen sind dem
Angeklagten im einzelnen vorgehalten worden -, es müsse von ihm aber doch auch
gesagt worden sein, dass er angestoßen worden sei. Warum das nicht in dem von ihm
unterzeichneten Protokoll stehe, könne er sich nicht erklären. Im weiteren Verlauf der
Beweisaufnahme - nämlich während der Vernehmung des Sachverständigen Dr. A zur
Todesursache - hat der Angeklagte demonstriert, wie er neben dem liegenden I
gestanden habe, und hat dazu angegeben, dieser habe versucht aufzustehen und
gefragt, ob er bescheuert sei. Er – der Angeklagte – habe ihn am T-Shirt festgehalten,
um zu verhindern, dass er aufstehe, und gefragt, wer denn durchgeknallt sei, er oder sie.
Er habe die Pistole in einem Abstand von etwa 40 cm gehalten. Er habe versucht,
zwischen Arm und Körper zu treffen. Als I² weggelaufen sei, sei es zum Schuss
gekommen. Ebenso hat der Angeklagte bei der Vernehmung des Sachverständigen Dr.
A – nunmehr zur Verletzung des Zeugen I² - demonstriert, wie er gebückt neben I²
gestanden habe. Er hat dazu zunächst angegeben, als I² versucht habe aufzustehen, sei
es zum Schuss gekommen. I² habe sich aufrichten wollen. Als er – der Angeklagte – die
Waffe zurückgezogen habe, habe sich der Schuss gelöst. Auf weitere Nachfrage in
diesem Punkt hat der Angeklagte sodann angegeben, I² sei hochgesprungen und mit
dem Körper gegen die Waffe gestoßen, wodurch sich der Schuss gelöst habe. Der
Angeklagte hat schließlich an einem späteren Verhandlungstag zur Verdeutlichung der
beengten Verhältnisse im Wohnzimmer und damit der Plausibilität seiner Einlassung
eine selbst gefertigte Skizze des Wohnzimmers überreicht, in die die behaupteten
Positionen und Laufwege – mit Angabe der Dauer in Sekunden - aller Anwesenden
während des Geschehens eingetragen waren. Wegen der Einzelheiten wird auf diese
Skizze (Anlage 3 zum Tagesprotokoll vom 19.6.2006) gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO
verwiesen.
Zu der von ihm benutzten Waffe hat der Angeklagte außerdem angegeben, dass das
Abzugsgewicht nach dem ersten Schuss vielleicht ein Kilogramm, jedenfalls keine drei
Kilogramm, wie im Gutachten des LKA ausgeführt, betrage. Das Gutachten sei auch
deshalb falsch, weil darin von zwei Sicherungen die Rede sei. Tatsächlich habe sie nur
eine Griffstücksicherung. Bei einem später vertriebenen Modell der Waffe sei deshalb
eine zusätzliche Sicherung eingebaut worden.
44
In einem weiteren während des Laufs der Hauptverhandlung beschlagnahmten
Schreiben des Angeklagten vom 10.5.2006 an den Zeugen T, das dieser übersetzen
und dem Verteidiger zur Weitergabe an das Gericht zukommen lassen sollte, hat der
Angeklagte ebenso geltend gemacht, dass die Pistole nur eine Sicherung am Griff
aufweise, man äußerlich nicht sehen könne, ob sie geladen und schussbereit sei und
dass diese Pistole deshalb als gefährlich einzustufen sei. Außerdem hat der Angeklagte
in diesem Schreiben noch einmal darauf hingewiesen, dass er, als er in die Küche
gegangen sei, nicht die Absicht gehabt habe zu schießen. Der Zeuge I² habe sich
schnell umgedreht, als er ihn angefasst und angesprochen habe. Der ganze Vorfall
habe drei Sekunden gedauert. In dieser Zeit habe sich der Schuss gelöst. Er – der
Angeklagte – habe sich dann umgedreht, als I aus dem Wohnzimmer in polnischer
Sprache gefragt habe, ob er einen Knall habe. Er sei hingegangen und habe ihn an der
Schulter gehalten, um sein Aufstehen zu verhindern. Er habe zwischen Arm und Rippen
treffen wollen, was kein Bluten zur Folge gehabt hätte, aber schmerzhaft – auch bei
Bewegungen - wie eine Verbrennung gewesen wäre. Er habe befürchten müssen, dass
I ihm die Verletzung seines Bruders nicht verzeihen würde. I habe nach dem
Warnschuss schon dem Zeugen N² gesagt, wenn er – der Angeklagte – etwas mache,
dann bringe er das "Arschloch" um. I² sei sehr schnell aus der Küche gelaufen und habe
ihn dabei angestoßen. Dann sei es zum zweiten Schuss gekommen, wobei er immer
noch sicher gewesen sei, die Stelle, auf die er gezielt habe, auch getroffen zu haben.
Der Schluss des Schreibens lautet dann übersetzt: "Wie sollte ich auf die fünf Stunden
psychischer Misshandlung und Erniedrigung einer geliebten Person reagieren? Habe
ich nicht probiert, die Tragödie zu vermeiden? Habe ich nicht die Polizei angerufen?
Habe ich nicht den T angerufen? Habe ich nicht auf die Wand geschossen, als ich bis
auf die Grenze getrieben wurde? Ich habe deren Selbstsicherheit gesehen und sie
meine Machtlosigkeit. Und was haben sie geantwortet, als ich sie ausdrücklich
aufgefordert habe, die Wohnung zu verlassen? Die Worte von I: Gut, gut, zuerst schlafen
wir und dann reden wir mit dir. Es war für mich zuviel. Ich wundere mich selbst, wieso
ich ihnen noch 15 Minuten gegeben habe und nicht sofort explodiert bin. ...Es ist
lächerlich, dass dieser Mensch, der den Vorfall provoziert hatte, der zum Tod seines
Bruders und zur Tragödie seiner Familie geführt hat, mich noch beschuldigt. Man muss
45
wirklich unverschämt sein."
Soweit die Einlassung des Angeklagten zum Kerngeschehen von den Feststellungen
abweicht, ist er der Begehung beider Taten in der festgestellten Form aufgrund der
seitens der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme überführt. Dazu im einzelnen:
46
Die Kammer hat sich zunächst pflichtgemäß damit auseinandergesetzt, ob dem
Angeklagten darin zu folgen ist, dass er die Waffe in der Hand hatte, als die Schüsse
fielen, oder ob auch in Betracht kommt, dass die Zeugin H handelte und der Angeklagte
zu ihrem Schutz angab, die Waffe geführt zu haben. Auch wenn eine kriminaltechnische
Auswertung der abgenommenen Schmauchspuren der Kammer nicht vorlag, so kommt
die letztgenannte Konstellation angesichts der insoweit übereinstimmenden
Schilderungen aller – überlebenden - Beteiligten und angesichts des Umstandes, dass
eine Absprache zwischen dem Angeklagten und der Zeugin H einerseits und den
Zeugen I² und N² andererseits vor ihren Vernehmungen nach Lage der Dinge –
unabhängig von tatsächlichen Schwierigkeiten – ausgeschlossen erscheint, nicht in
Betracht. Dass der Angeklagte die Waffe führte, steht danach außer Zweifel.
47
Die Einlassung des Angeklagten dazu, wie es zur Verletzung des Zeugen I² und zur
Tötung des I kam, ist für sich genommen schon nicht plausibel, in Einzelheiten auch
widersprüchlich und mit objektiven Befunden nicht zu vereinbaren :
48
Die Angaben des Angeklagten, nicht gemerkt zu haben, dass die Pistole schussbereit
war, als er sich zu I² in die Küche begab, erscheint nicht nachvollziehbar. Es handelt
sich nach dem Gutachten des Dipl. Ing. E² vom LKA NRW vom 9.11.2005 um eine
ordnungsgemäß und störungsfrei funktionierende halbautomatische Selbstladepistole,
bei der das Abgeben eines Schusses die Beförderung einer weiteren Patrone aus dem
Magazin in das Patronenlager und damit weitere Schussbereitschaft bewirkt.
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Der Angeklagte ist Waffensammler, verfügt also über die erforderlichen Kenntnisse und
war auch im Umgang mit dieser speziellen Waffe, wie er eingeräumt hat, vertraut, so
dass nicht nachzuvollziehen ist, dass er nur 15 Minuten nach Abgabe des Schusses
durch die Wand nicht gewusst haben sollte, dass die Pistole durchgeladen war. Schon
in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Behauptung des
Angeklagten, die Pistole verfüge lediglich über eine Sicherung, nicht zutrifft. Die
Kammer hat sich insoweit nicht mit dem bezeichneten Gutachten begnügt, in dem –
ohne nähere Ausführungen - eine Hebel- und eine Griffstücksicherung genannt werden,
sondern hat daraufhin die Waffe ein zweites Mal in Augenschein genommen und sich
vom Vorhandensein beider Sicherungen und ihren Funktionen beim Spannen und
Entspannen der Waffe überzeugt. Auf diese augenfällige Demonstration hat der
Angeklagte dann lediglich erwidert, die Hebelsicherung sei keine Sicherung im
eigentlichen Sinne, sondern diene nur dazu, ein unbeabsichtigtes Losgehen der Waffe,
wenn man sie in der Hosentasche trage, zu verhindern, womit er letztlich die
Sicherungsfunktion eingestanden hat.
50
Unplausibel erscheint der Kammer ferner, dass der Angeklagte beabsichtigt haben will,
beide Männer durch einen Streifschuss zwischen Brustkorb und Arm leicht zu verletzen,
der - wie er bzgl. des I später im einzelnen ausgeführt hat - lediglich eine Rötung und
Schmerzen, aber keine offene Wunde zur Folge gehabt hätte. Abgesehen davon, dass
es selbst einem sehr guten Schützen kaum möglich sein dürfte, bei einem streifenden
Treffer eine blutende Verletzung zu vermeiden, spricht gegen die Richtigkeit der
51
Einlassung in diesem Punkt bereits, dass der Angeklagte in diesem Fall unmittelbar mit
wütenden Reaktionen und Racheakten der Angegriffenen hätte rechnen müssen und
auch bei Einsatz der Waffe als Drohmittel mindestens unsicher gewesen wäre, ob er sie
sich vom Leibe hätte halten können.
Zum Hergang des Geschehens, bei dem der Zeuge I² schwer verletzt wurde, hat sich
der Angeklagte wechselnd und damit widersprüchlich eingelassen. Während er erst
angegeben hat, I² sei beim Hochspringen gegen die Waffe gestoßen, wodurch sich der
Schuss gelöst habe, hat er an einem weiteren Verhandlungstag erklärt, als I²
hochgesprungen sei, sei er – der Angeklagte - mit dem rechten Arm zurückgegangen,
wobei sich der Schuss gelöst habe, um kurz darauf auf Nachfrage des Gerichts dann
wieder anzugeben, I² sei mit dem Körper gegen die Waffe gestoßen, als er
hochgekommen sei. Gegen diese Version spricht bereits, dass, wie der als
Sachverständige gehörte Arzt für Rechtsmedizin Dr. A ausgeführt hat, I² dazu mit dem
Unterleib hätte hochkommen und ihn dem Angeklagten hätte entgegenstrecken müssen,
weil anderenfalls das Projektil in einem steileren Winkel in den Körper eingedrungen
wäre. Darüberhinaus hat der bereits erwähnte Sachverständige E², dessen Gutachten
vom 16.5.2006 zu dieser Frage verlesen worden ist, darin ausgeführt, dass eine
Schussauslösung lediglich durch einen kräftigen Schlag auf die Rückseite der Waffe bei
gleichzeitiger Krafteinwirkung auf Sicherung und Abzug möglich gewesen sei. Eine
unbeabsichtigte Schussauslösung durch Stoß, Schlag oder anderweitigen
Körperkontakt habe nicht rekonstruiert werden können. Insbesondere hätten
Krafteinwirkungen von vorn auf die Laufmündung ohne Betätigung des Abzuges nicht
zu einer Schussauslösung geführt. Schließlich ergibt sich aus dem von der Kammer
während der Hauptverhandlung eingeholten Gutachten des Sachverständigen ORR N4
vom LKA NRW vom 12.5.06, dass die Mündung der Pistole zwischen 40 und 60 cm von
der Jeanshose des Zeugen I² entfernt war, als er getroffen wurde, wonach ohne weiteres
klar ist, dass der Schuss nicht durch einen Stoß des I² mit dem Körper ausgelöst worden
sein kann, weil dann die Merkmale eines aufgesetzten Schusses gefunden hätten
werden müssen.
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Weiter ist nur schwerlich nachzuvollziehen, dass der Angeklagte nach der Verletzung
des Zeugen I² keinerlei eigene Reaktion darauf geschildert hat, dass sich der Schuss zu
diesem Zeitpunkt unabsichtlich gelöst und den Zeugen möglicherweise schwer verletzt
hatte, sondern er sich ohne weiteres zu I zurück in das Wohnzimmer begab. Erst recht
ist nicht nachzuvollziehen, dass der Angeklagte das tat, wie er in seiner Einlassung
eingangs des Verfahrens geltend gemacht hat, um sich gegen I zu verteidigen. Wer, wie
der Angeklagte, über 55 Jahre alt, nur mittelgroß ist und Übergewicht hat, der flüchtet
eher entweder vor einem jüngeren Gegner mit einer Größe von 2 Metern und einem
Gewicht von über 100 kg oder er versucht, wenn er eine Waffe hat, ihn auf Distanz zu
halten. Dass der Angeklagte stattdessen zu I gegangen sein, ihn mit einer Hand am
Aufrichten gehindert und dabei auf ihn mit der Absicht gezielt haben will, ihm einen
schmerzhaften Streifschuss ohne blutende Verletzung beizubringen, ist vollends
unglaubhaft.
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Entscheidend gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten spricht nach der
Überzeugung der Kammer, dass der Angeklagte bei seinen ersten Vernehmungen am
24. und 25. Oktober 2005 durch die Polizei bzw. den Haftrichter angeben hat, dass er
auf beide Brüder geschossen habe. Der Angeklagte hat in seiner etwa dreistündigen
Vernehmung am 24. 10.2005, die die detaillierte Erörterung des gesamten Geschehens
zum Gegenstand hatte, angegeben, er habe I² (I²) mit der linken Hand an der
54
Bekleidung gezogen, ihm gesagt, er habe ihm doch gesagt......, und habe dann auf ihn
geschossen, wobei er ihn an der rechten Seite habe treffen und verletzen wollen. Im
Wohnzimmer habe er, als I (I) sich aufgerichtet habe und ihm etwas entgegengekommen
sei, auf ihn geschossen. Beim Haftrichter hat der Angeklagte zwar erwähnt, dass es sein
könne, dass I² ihn angestoßen habe, als er gerade auf I geschossen habe, hat dann
aber eine zusammenhängende Schilderung abgegeben, wonach er auf beide Brüder
geschossen habe. Ein unbeabsichtigtes Auslösen des Schusses auf I² oder das
Fehlgehen des Schusses auf I hat bei dieser zusammenfassenden Schilderung ebenso
wenig wie bei der weiteren polizeilichen Vernehmung am 25.10.2005 Erwähnung
gefunden. Zum Schluss der Vernehmung am 25.10.2005 war es dem Angeklagten
lediglich wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass er nicht auf Schlafende
geschossen habe.
Die Behauptung des Angeklagten, er habe schon bei der ersten polizeilichen
Vernehmung angegeben, dass der Schuss auf I² sich gelöst habe, als dieser
hochgekommen und gegen die Waffe gestoßen sei, und dass er bei dem Schuss auf I
vom flüchtenden I² angestoßen worden sei, hat sich als unzutreffende Ausrede
erwiesen. Die Kammer hat hierzu den Zeugen T³, der die Vernehmung führte, und die
Zeugin U², die dabei dolmetschte, vernommen. Beide Zeugen haben sich an den Gang
der Vernehmung erinnern können und mit Bestimmtheit in Abrede gestellt, dass
entsprechende Angaben des Angeklagten erfolgt, aber nicht übersetzt bzw. nicht in das
Protokoll aufgenommen worden wären. Die Kammer hat diesen Zeugen Glauben
geschenkt.
55
Schon danach ist die Überzeugung der Kammer begründet, dass der Angeklagte
willentlich auf I² und I schoss und, dass er, als er auf letzteren schoss, während der
Schussabgabe nicht von I² angestoßen wurde. Dass der Angeklagte solche wichtigen
und ihn offensichtlich entlastenden Umstände bei der polizeilichen Vernehmung
verschwiegen hätte, ist zur Überzeugung der Kammer auszuschließen. Die Abfolge der
Äußerungen des Angeklagten belegt vielmehr, dass der Angeklagte ausgehend von der
beiläufig bei der haftrichterlichen Vernehmung geäußerten Vermutung einen Ablauf des
Geschehens konstruiert hat, der die schwere Verletzung des I² und den Tod des I eher
als das Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände und weniger als das
Resultat eigenen Handeln erscheinen lässt.
56
Die hiernach insoweit gewonnene Überzeugung der Kammer wird zusätzlich durch
Angaben der Zeugin H, die sie bei ihren Vernehmungen als Beschuldigte und darauf
folgend als Zeugin am Tattage gemacht hat, bestätigt. Die Zeugin hat nämlich, wie die
Vernehmung der KHK’in T4, die diese Vernehmung durchführte, ergeben hat, als
Beschuldigte angegeben, dass I auf dem Sofa und I² auf dem zusammengeklappten,
bzw. eingebrochenen Klappbett gelegen hätten, als sie aus dem Zimmer gekommen sei.
I² habe sich gekrümmt und die Hände vor den Bauch gehalten. Er habe im Hausflur auf
der Treppe gesessen und sie sei an ihm vorbeigegangen.
57
Bei der anschließenden zeugenschaftlichen Vernehmung, die die Zeugin I4 durchführte,
hat die Zeugin H dazu noch einmal im einzelnen ausgeführt, nach den Schüssen, deren
Anzahl sie nicht angeben könne, sei sie im Schock aus dem Zimmer gelaufen. Der eine
habe neben dem Bett gesessen und sich etwas gehalten. Sie habe zuerst nur den in der
Küche gesehen. Sie habe dann ihre Jacke geholt und habe den aus der Küche im
Treppenhaus gesehen. Bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung hat die Zeugin
zunächst angegeben, dass sie nach dem Schießen das Zimmer verlassen und dabei
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einen Mann auf dem Sofa und einen Mann auf dem Klappbett gesehen habe. Auf
Vorhalt ihrer Bekundung bei der Beschuldigtenvernehmung dazu hat sie dann
angegeben, dass das Klappbett zusammengeklappt sei, der Mann habe schon auf der
Treppe gesessen. Sie hat dann bejaht, dass der Besucher I² noch in der Küche
gewesen sei und auf weitere Fragen wegen dieses Widerspruchs erwidert, dass alles
so gewesen sei, wie sie es bei der Polizei ausgesagt habe.
Die Kammer ist, auch wenn die Zeugin in der Hauptverhandlung widersprüchlich dazu
ausgesagt hat und jetzt wie auch in den Vernehmungen am Tattage zu einer
Darstellung der Geschehnisse in chronologischer Reihenfolge und inhaltlich geordnet
nicht imstande war, aufgrund der Angaben der Vernehmungsbeamtinnen, die beide
glaubhaft ausgeschlossen haben, der Zeugin insoweit Vorgaben gemacht zu haben,
davon überzeugt, dass die Zeugin am Tattage entsprechend ausgesagt hat. Die
Angaben der Zeugin als Beschuldigte und Zeugin sind auch trotz ihrer nicht
unerheblichen Alkoholisierung verwertbar. Die Zeugin ist dazu vor ihrer ersten
Vernehmung befragt worden und hat angegeben, an Alkohol gewöhnt und in der Lage
zu sein, der Vernehmung zu folgen. Dass ihre Angaben dann lückenhaft und
ungeordnet erfolgten, steht der Bejahung der Vernehmungsfähigkeit nicht entgegen,
weil diese Aussagemängel auch bei der Vernehmung durch die Kammer, bei der die
Zeugin nicht alkoholisiert war und offensichtlich die Situation begriff, ebenfalls
festzustellen waren. Angesichts des Umstandes, dass sich die Bedeutung ihrer
Beobachtung des Besuchers I² in der Küche der Zeugin mit Sicherheit nicht erschloss,
ist eine absichtliche Falschaussage – erst recht zum Nachteil des Angeklagten - in
diesem Punkt auszuschließen. Danach stehen die Angaben der Zeugin bei ihren
früheren Vernehmungen in offensichtlichem Widerspruch zur Einlassung des
Angeklagten. Wenn, was auch der Angeklagte angegeben hat, beide Schüsse gefallen
waren, bevor die Zeugin das Schlafzimmer verließ, und die Zeugin den Zeugen I² auf
oder am Klappbett in der Küche sah, ist dies mit der Angabe des Angeklagten, er sei bei
der Abgabe des Schusses auf I von I² angestoßen worden, der aus dem Wohnzimmer
gelaufen und nicht zurückgekommen sei, keinesfalls zu vereinbaren.
59
Die Kammer hat weiter die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte auf beide
Brüder schoss, um sie mindestens schwer zu verletzen und dadurch außer Gefecht zu
setzen, wobei er wusste, dass dies tödlich für seine Opfer ausgehen könne und er diese
Folge mindestens in Kauf nahm. Der Angeklagte befand sich bei der Abgabe beider
Schüsse –schon nach seiner eigenen Einlassung bei der polizeilichen und
haftrichterlichen Vernehmung und erst recht nach den an anderer Stelle noch zu
begründenden Feststellungen – in unbedrängter Lage und nicht in einer dynamischen
Kampfsituation. Der Abstand zwischen der Mündung des Laufs und dem jeweils
getroffenen Körperteil betrug im Falle des Zeugen I² höchstens 60 cm und im Falle des I
sogar höchstens 40 cm, wie die Verlesung des bereits erwähnten Gutachtens des ORR
N4 vom 12.5.2006, der die ihm übersandten Kleidungsstücke mit den Schusslöchern
sorgfältig auf Schmauchrückstände untersucht und auch zu Vergleichszwecken
unterschiedliche Materialproben unter Verwendung von Patronen mit vergleichbarem
Zündsatz und der Originalwaffe beschossen hat, ergeben hat.
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Angesichts dessen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte, der
im Umgang mit Waffen erfahren ist und in seinen Vernehmungen durch die Polizei und
den Haftrichter lediglich in Bezug auf I² angegeben hat, dass der Schuss fehlgegangen
sei, und zum Grund dafür gar nichts gesagt hat, willentlich auf den Unterbauch des I²
und auf die Brust des I schoss. Dass ein Schuss in den Unterleib mit aufsteigendem
61
Schusskanal in Richtung Bauch bzw. ein Schuss in die Brust wegen der empfindlichen
und lebenswichtigen Organe und Blutgefäße in der Brusthöhle und im Bauchbereich zu
schwersten Verletzungen und ohne weiteres auch zum Tode führen kann, ist so
offensichtlich, dass für die Kammer auch außer Zweifel steht, dass dies dem
Angeklagten, der auch nicht etwa aufgrund des für ihn nicht ungewöhnlichen
Alkoholkonsums in seinen kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt war, bewusst war. Die
Kammer ist auch sicher, dass der Angeklagte seine Opfer mit einer schweren
Verletzung unmittelbar außer Gefecht setzen wollte, weil er, was sich in dieser Situation
aufdrängte, anderenfalls trotz der Waffe – unabhängig davon, ob sich darin noch
Patronen befanden – Vergeltungsaktionen der verletzten Opfer gegen seinen Leib und
sein Leben befürchten musste. Dass der Angeklagte auch den möglichen Tod seiner
Opfer mindestens in Kauf nahm, steht für die Kammer auch deshalb fest, weil kein
Umstand ersichtlich ist, aufgrund dessen der Angeklagte darauf hätte vertrauen können,
dass es nicht zu einem solchen tödlichen Ausgang komme. Der Schilderung, dass er
sich zuvor gefühlt habe, als ob er im nächsten Moment kratzen und beißen könne und
dass er den Männern am liebsten den Hals umgedreht hätte, hat die Kammer lediglich
bestätigende Bedeutung beigemessen.
Als der Angeklagte auf I² und I schoss, handelte er zur Überzeugung der Kammer nicht ,
um sein Hausrecht durchzusetzen und ein sofortiges Verlassen der Wohnung unter
Waffengewalt zu erzwingen. Auch wenn es ihm zuvor – auch noch bei Abgabe des
Warnschusses – darum gegangen war, seine inzwischen unerwünschten Besucher
loszuwerden, um weitere Beleidigungen seiner Partnerin zu unterbinden, so spielte das
Hausrecht zum Zeitpunkt, als er sich entschloss, auf die Brüder zu schießen, keine
Rolle mehr für ihn. Dafür spricht schon, dass er entschlossen war, die Männer so schwer
zu verletzen, dass sie außer Gefecht gesetzt sein würden, wobei er sogar ihren Tod in
Kauf nahm und dabei – das steht für die Kammer angesichts der Augenfälligkeit einer
solchen Folge lebensgefährdender Schüsse in die Brust bzw. den Unterbauch außer
Zweifel – auch eine unmittelbare Immobilität der Brüder für möglich hielt, was mit einer
Vorstellung, jemanden zum sofortigen Verlassen der Wohnung zu zwingen, schon kaum
vereinbar erscheint. Der Angeklagte handelte vielmehr aus Zorn über die Kränkungen
und Demütigungen seiner Partnerin, die er auch als Kränkung und Demütigung seiner
eigenen Person empfunden hatte, und in der Absicht, I² und I dieses Verhalten
heimzuzahlen und sich deswegen an ihnen zu rächen, wobei sein Zorn durch den
Umstand, dass er nicht einmal mit dem Warnschuss Eindruck gemacht hatte, noch
einmal gesteigert worden war. Dass ihn diese Motivation antrieb, ergibt sich nach der
Überzeugung der Kammer nicht nur daraus, dass die Beleidigungen der Zeugin H durch
I² und I auch unter Berücksichtigung des sicherlich nicht als hochstehend zu
bezeichnenden sozialen Umfeldes der Beteiligten von Gewicht waren und auch bei
einem weniger empfindlichen Mann als dem Angeklagten aggressive Reaktionen
auszulösen geeignet waren, sondern entscheidend aus den Äußerungen des
Angeklagten selbst bei der Exploration durch die Sachverständige und in seinem zum
Ende des Abschnitts III wiedergegebenen Schreiben vom 02.04.06 an die Zeugin H und
vom 10.05.2006 an den Zeugen T.
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Aus diesen Ausführungen ergibt sich zur Überzeugung der Kammer in aller Deutlichkeit,
dass der Angeklagte auf I² und I schoss, um ihnen ihr vorheriges Verhalten zu vergelten
und sich an ihnen zu rächen. Insbesondere gilt dies für das an seine Partnerin gerichtete
Schreiben vom 2.4.2006, in dem der Angeklagte – nach den Gesamtumständen zur
Überzeugung der Kammer ehrlich gemeint – ausdrücklich geäußert hat, dass er die ihr –
seiner Partnerin – zugefügten Beleidigungen nicht verziehen habe und dass er selbst für
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den Fall, dass sie – die Brüder – die Wohnung verlassen hätten, es ihnen in irgendeiner
Weise zurückgezahlt hätte.
Dass I² und I nicht mit einem Angriff des Angeklagten gegen Leib und Leben rechneten,
als sie sich schlafen legten bzw. wieder einschliefen, dass beide schliefen, als der
Angeklagte auf I² schoss und dass I allenfalls im Begriff aufzuwachen, aber nicht wach
und handlungsfähig war, als der Angeklagte auf ihn schoss, ergibt sich für die Kammer
aus folgendem:
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Für die Arglosigkeit der beiden Brüder spricht bereits entscheidend, dass sich alle drei
Männer in Anwesenheit des Angeklagten und trotz seines Widerspruchs schlafen
legten. Hätten sie einen Angriff des Angeklagten gegen sich erwartet oder auch nur für
möglich gehalten, so hätten sie sich gehütet, sich derart zu verhalten, sondern hätten es
mindestens vorgezogen, abwechselnd zu schlafen. Trotz ihrer Beleidigungen zuvor
mussten sie nicht damit rechnen, dass der Angeklagte sie im Schlaf angriff und haben
dies zur Überzeugung der Kammer auch nicht getan. Denn sie kannten den
Angeklagten bereits länger und verstanden sich mit ihm gut, wie sich bereits aus den
vom Angeklagten geschilderten Kontakten ergibt. Auch wenn es während dieses
Besuchs ab Samstagmorgen Spannungen gegeben hatte, sie mitbekommen hatten,
dass ihr Besuch inzwischen unerwünscht war, und sie andererseits die Partnerin des
Angeklagten an diesem Sonntagmorgen immer wieder grob beleidigt hatten, so hatte
sich der Angeklagte doch darauf beschränkt, als Reaktion auf ihr Verhalten die Anrufe
gegen 8.00 Uhr zu tätigen und nach dem Weggang des Zeugen T der Absicht der
Besucher, sich vor ihrem Aufbruch noch einmal schlafen zu legen, zu widersprechen.
Dass er mit fortschreitender Zeit bis aufs Blut gereizt war, hatte er sich äußerlich nicht
anmerken lassen.
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Danach ist für die Überzeugungsbildung der Kammer ohne Bedeutung, dass der Zeuge
I², nachdem er mehrere Fragen zum Geschehen am Sonntagmorgen unter Berufung auf
das Auskunftsverweigerungsrecht nicht beantwortet und dann erklärt hat, dass er keine
weiteren Fragen zum Vorgeschehen am Sonntag in der Wohnung beantworten werde,
sich dazu, ob er solche Beleidigungen getätigt und mit einem Angriff des Angeklagten
als Reaktion darauf gerechnet habe, nicht geäußert hat.
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Dass I auch nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben rechnete, falls er nach dem
Warnschuss kurz aufgewacht war und geäußert hatte, der Angeklagte könne ihm in den
"Arsch" schießen, steht für die Kammer außer Zweifel. Dafür spricht nicht nur schon der
Inhalt der Äußerung, sondern entscheidend, dass I sich ohne weiteres dazu entschloss,
liegen zu bleiben und weiterzuschlafen.
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Die drei Männer schliefen auch schon eine Zeitlang, als der Angeklagte durch die Wand
schoss. Die entgegenstehende Behauptung des Angeklagten, I² und I hätten sich nach
dem Weggang der Zeugen T trotz seines Widerspruchs schlafen gelegt und hätten etwa
10 bis 15 Minuten gelegen, aber noch nicht geschlafen, als er geschossen habe, ist
unrichtig. Die Zeugin T² hat insoweit bekundet, dass sie gegen 10.00 Uhr gefahren und
bei ihrer Rückkehr nach 20 bis 30 Minuten Fahrt die Kirchglocken zur Messe um 10.30
Uhr gehört hätten, weshalb sie den Zeitpunkt der Rückkehr genau wisse. Da
andererseits feststeht, auch in Übereinstimmung mit der Einlassung des Angeklagten,
dass der Warnschuss eine Viertelstunde vor den weiteren Schüssen abgegeben wurde
und die anschließende Alarmierung der Polizei um 13.29 Uhr erfolgte, so ergibt sich
daraus, dass nach dem Weggang der Eheleute T etwa 3 Stunden verstrichen, bis der
68
Angeklagte in die Wand schoss. Angesichts dessen, dass der Angeklagte für diesen
Zeitraum, mit Ausnahme des Vorfalls, bei dem seine Freundin aus der Küche gewiesen
wurde, keinerlei Aktionen bzw. Interaktion geschildert hat, ist die Kammer davon
überzeugt, dass die Besucher längere Zeit auf den Schlafstätten lagen und auch
schliefen, wie dies auch die Zeugen I² und N² angegeben haben. Dem Einwand des
Verteidigers, I² und I hätten aufgrund des vorherigen Genusses von Kokain bzw.
Amphetaminen auf keinen Fall binnen 10 bis 15 Minuten einschlafen können, ist schon
entgegenzuhalten, dass die vom Verteidiger zugrunde gelegte Einlassung des
Angeklagten zum Zeitraum zwischen der Verabschiedung der Zeugen T und der
Abgabe des Warnschusses, wie vorstehend dargelegt worden ist, schon sachlich nicht
zutrifft. Die auszugsweise Verlesung des rechtsmedizinischen Gutachtens des Priv.
Doz. Dr. A vom 06.01.06 hat im übrigen ergeben, dass die dem Zeugen I² im
Krankenhaus entnommene zweite Blutprobe ein Kokainabbauprodukt enthielt. Der
hierzu ergänzend vernommene Sachverständige Dr. S² hat unter Darlegung im
einzelnen ausgeführt, dass die Einnahme des Kokains wohl schon längere Zeit zuvor
und möglicherweise schon in der Nacht erfolgt sei, weil lediglich das Abbauprodukt
nachgewiesen worden sei. Es sei prinzipiell nicht möglich, wissenschaftlich begründete
Aussagen zu machen, ob und wann nach dem Genuss von Alkohol und Kokain dem
Betreffenden das Einschlafen möglich sei. Die Reaktion auf den Konsum hänge sehr
von der Konstitution des Betreffenden im Einnahmezeitpunkt und einer Reihe anderer
Faktoren ab, so dass ihm eine Festlegung nicht möglich sei. Die Kammer hat gleichwohl
der Anregung des Verteidigers folgend ein toxikologisches Gutachten des Instituts für
Rechtsmedizin D vom 29.06.06 den Getöteten betreffend eingeholt, das zum Ergebnis
hatte, dass in Mageninhalt, Urin, Blut und Leber keine Rauschgifte bzw. relevante
Arzneimittel nachgewiesen wurden. Die Einwendungen des Verteidigers greifen danach
nicht durch.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Geschehens, von der Abgabe des Warnschusses bis
zum Schießen auf I² und I, ist die Kammer im wesentlichen der Aussage des Zeugen N²
hierzu gefolgt. Der Zeuge hat – mit fortschreitender Befragung in seiner Erinnerung
immer sicherer werdend – bekundet, dass er überraschend durch einen Schuss wach
geworden sei. Der Angeklagte habe mit der Pistole in der Hand im Sessel auf der
gegenüberliegenden Seite des Tisches gesessen. Er habe damit geprahlt, dass er ein
Loch in die Wand geschossen habe. I² auf dem Klappbett in der Küche und I auf der
Schlafcouch hätten allenfalls die Augen aufgemacht, hätten aber sofort
weitergeschlafen. Auch I habe nichts gesagt. Auf seine Frage an den Angeklagten, was
er mache, habe dieser erwidert, dass er das gleich sehen werde. Er - der Zeuge - sei
gleich aufgestanden. Er habe das Loch in der Wand gesehen. Der Angeklagte habe ihm
eine Frist – er meine, es sei eine halbe Stunde gewesen, er könne aber auch gesagt
haben "bis halb" – genannt, binnen derer die anderen aufstehen sollten. Wenn sie bis
dahin nicht aufgestanden seien, werde er die anderen abknallen. Wenn er – der Zeuge
– keine Schwierigkeiten haben wolle, solle er lieber verschwinden. Er habe das nicht
ernst genommen. Er sei ins Bad gegangen und habe sich anschließend zur
Schlafcouch zurückbegeben. Er wisse nicht, ob er dann die ganze Zeit wachgeblieben
sei. Er habe den Angeklagten dann zur Küche gehen und dort schießen sehen, wobei er
ihm – dem Zeugen – die Körperseite zugewendet habe. Der Angeklagte habe zuvor mit
der Waffe auf I² gezielt. I² habe gelegen, als ob er schlafe. Der Angeklagte habe vorher
nichts gesagt. I² sei – er könne das nicht beschreiben – mit dem Bett zusammengerollt.
Er – der Zeuge – sei schockiert gewesen und sofort zur Küche gegangen. Der
Angeklagte sei an ihm vorbei zurück ins Wohnzimmer gegangen. I habe sich auf der
Couch gedreht, aber nicht aufgerichtet. Der Angeklagte habe sich an die Schlafcouch
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gestellt, mit der Waffe einen Moment auf I gezielt und dann geschossen. Gesagt habe er
nichts dabei. Danach habe der Angeklagte ihn aufgefordert, mit den beiden zu
verschwinden. Er habe ihm – dem Zeugen – außerdem etwas in der Art gesagt, dass er
– der Zeuge – damit nichts zu tun habe. Als der Angeklagte geschossen habe, seien I²
und er noch in der Küche gewesen.
Der Zeuge I² hat u.a. bekundet, von einem Warnschuss habe er nichts mitbekommen. Er
sei durch einen Knall und seine Verletzung wach geworden. Er habe den Angeklagten
neben seinem Klappbett stehen sehen und er habe Feuer gesehen und insgesamt zwei
Schüsse gehört. Er sei zweimal getroffen worden und habe schließlich auch zwei
Wunden. Er sei vom Klappbett gefallen. Davon, dass der Angeklagte auf seinen Bruder
geschossen habe, habe er nichts mitbekommen. Er habe erst im Krankenhaus von
dessen Tod erfahren.
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Die Aussagen der Zeugen N² und I² – des letzteren, soweit er überhaupt etwas
mitbekommen hat und mit Ausnahme seiner irrigen Vorstellung, von zwei Schüssen
getroffen worden zu sein – sind der Kammer glaubhaft erschienen. Die Aussage des
Zeugen N² ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Das gilt auch hinsichtlich seiner
Angabe, dass er geglaubt habe, der Angeklagte mache einen Scherz, und dessen
Aufforderung nicht ernst genommen habe. Es ist vorstehend bereits einmal ausgeführt
worden, dass der Angeklagte seinen Zorn zuvor nicht zu erkennen gegeben, sondern
sich unauffällig verhalten hatte. Wenn die Spannung zwischen den Brüdern und dem
Angeklagten und seiner Partnerin dem Zeugen auch nicht verborgen geblieben sein
kann, so hatte er mit dieser Auseinandersetzung doch nichts zu tun, sondern wurde im
weiteren Verlauf davon ausdrücklich ausgenommen. Außerdem waren seit dem
Weggang der Zeugen T 3 Stunden vergangen. Auch insoweit ist der Kammer
entscheidend erschienen, dass der Zeuge N² sich nicht anders verhielt als vorher.
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Für die grundsätzliche Richtigkeit seiner Schilderung spricht auch, dass die Einlassung
des Angeklagten in mehreren Punkten Ungereimtheiten aufweist, die Rückschlüsse
darauf zulassen, dass die Aussage des Zeugen im Kern richtig ist. So fällt
beispielsweise auf, dass der Angeklagte keinerlei Reaktion der Beteiligten, die nach
seiner Behauptung doch wach waren, auf das Holen und Halten der Waffe vor dem
Warnschuss geschildert hat. Der Angeklagte hat sich nach seiner eigenen Angabe nach
der Abgabe des Warnschusses lediglich mit dem Zeugen N² unterhalten, aber nur eine
einzige Äußerung des I behauptet und überhaupt keine Reaktion des I² genannt. Wenn
die anderen wach gewesen wären, so wäre zu erwarten gewesen, dass sich der
Angeklagte direkt an I² und I gewandt hätte, um die es ihm schließlich ging. Gegen die
Richtigkeit der Aussage des Zeugen N² spricht umgekehrt nicht, dass die Kammer für
möglich hält, dass I kurz aufwachte und äußerte, dass der Angeklagte ihn ruhig in den
"Arsch" schießen könne, denn insoweit erscheint möglich, dass die Äußerung erfolgte,
als der Zeuge N² zum Bad ging.
72
Die Aussage des Zeugen weist schließlich im Vergleich mit dem Inhalt seiner
damaligen Beschuldigtenvernehmung keine Abweichungen im Kerngeschehen auf, die
nicht mit Verblassen der Erinnerung erklärbar wären. Auch die Aussage des Zeugen I²
zum Verletzungsgeschehen erscheint der Kammer glaubhaft. Sie ist insbesondere
deshalb plausibel, weil nachzuvollziehen ist, dass der Zeuge aufgrund seiner
Verletzung von dem Geschehen nur wenig mitbekommen hat. Danach hat die Kammer
dem Zeugen insoweit Glauben geschenkt, als er bekundet hat, durch einen Knall und
die Verletzung wach geworden zu sein.
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Bei dieser Würdigung der Aussagen der Zeugen N² und I² hat die Kammer nicht
verkannt, dass beide Zeugen zum Eintreiben des Restbetrages beim Zeugen L³ und
zum Vortatgeschehen am Sonntag teils unrichtige Angaben gemacht, teils die Auskünfte
verweigert und teils Ausflüchte vorgebracht haben.
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Angesichts der für die Richtigkeit der Angaben zum Kerngeschehen sprechenden
Umstände hat die Kammer dem jedoch kein entscheidendes Gewicht beigemessen.
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I² und I waren, weil sie nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben rechneten, als sie
sich schlafen legten, in der konkreten Tatsituation hilflos dem Angriff des Angeklagten
ausgesetzt.
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Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte dies in der konkreten
Tatsituation zur Begehung der Tat auch ausnutzen wollte, indem er schnell
nacheinander gegen beide vorging, damit nicht etwa das zweite Opfer erwachte und
sich wehren oder flüchten konnte.
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Angesichts dessen, dass sich auch dies zur Verwirklichung des Tatgeschehens ohne
weiteres aufdrängte, und der Angeklagte auch dementsprechend handelte, steht dies für
die Kammer auch dann außer Zweifel, falls sich der Angeklagte erst unmittelbar vor
Ablauf der Frist entschloss, die Pistole gegen die beiden Männer einzusetzen.
78
Die Kammer ist schließlich aufgrund der Gesamtumstände und aufgrund des Umstands,
dass sich der Angeklagte bei den polizeilichen Vernehmungen darauf selbst nicht
berufen hat, der Überzeugung, dass der Angeklagte den möglicherweise todbringenden
Einsatz der Waffe nicht für erlaubt hielt.
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Die Feststellungen zur Todesursache betr. I beruhen auf den Ausführungen des hierzu
als Sachverständigen vernommenen Arztes für Rechtsmedizin Dr. A.
80
Die Feststellungen bzgl. der Verletzung des Zeugen I² und zu seiner stationären
Behandlung beruhen auf den Ausführungen des als Sachverständigen vernommenen
Oberarztes A², der auf Nachfrage nachvollziehbar dargelegt hat, dass es nur dem Zufall
zuzuschreiben und als Glück des Zeugen zu bezeichnen sei, dass das Geschoss nicht
das Geschlechtsteil, große Gefäße im Becken, deren Zerreißen ein schnelles Verbluten
des Getroffenen zur Folge haben könne, oder die Wirbelsäule getroffen habe.
81
V.
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Rechtliche Würdigung und Schuldfähigkeit
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Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den Tatbestand des Mordes
gem. § 211 StGB unter Verwirklichung des Mordmerkmals ‚Heimtücke’ zum Nachteil
des I und tatmehrheitlich (§53 StGB) den der gefährlichen Körperverletzung mittels einer
Waffe und lebensgefährdender Behandlung gem. §§ 224 Abs.1 Nr.2 und 5, 223 StGB
zum Nachteil des Zeugen I² verwirklicht. Bezüglich des Mordmerkmals kann dabei
dahinstehen, ob einer in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen normativen
Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Fälle berechtigter Arglosigkeit zu folgen
ist. Denn die Brüder mussten, als sie sich schlafen legten oder auch bezüglich des I im
Falle kurzen Erwachens und Weiterschlafens nicht mit einem Angriff gegen Leib und
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Leben während des Schlafs rechnen.
Hinsichtlich der zweiten Tat handelte der Angeklagte zwar auch mit – bedingtem –
Tötungsvorsatz. Von diesem Versuch ist er jedoch strafbefreiend zurückgetreten, was
die Verwirklichung des Tatbestandes der gefährlichen Körperverletzung unberührt lässt.
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Der Angeklagte handelte in beiden Fällen rechtswidrig.
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Zwar war eine andauernde Rechtsgutverletzung, nämlich eine Missachtung seines
Hausrechts, seitens des Zeugen I² und des I gegeben, gegen die ihm grundsätzlich ein
Notwehrrecht zustand. Der Angeklagte handelte aber nicht zur Verteidigung dieses
Rechtsguts, sondern zur Vergeltung der seiner Partnerin zugefügten Beleidigungen,
also nicht mit Verteidigungswillen.
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Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, inwieweit diese Beleidigungen ein ihm
zustehendes Rechtsgut verletzt hatten bzw. inwieweit er zur Nothilfe berechtigt gewesen
war. Zum Zeitpunkt seines Handelns waren diese Angriffe abgeschlossen. Ihre
Wiederholung stand angesichts dessen, dass I² und I schliefen, auch nicht unmittelbar
bevor. Auf Notwehr kann sich der Angeklagte nicht berufen.
88
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten war bezüglich beider Taten
uneingeschränkt gegeben. Unrechtseinsichts- und Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten waren zum Zeitpunkt der Taten weder aufgehoben noch erheblich
vermindert i.S. der §§ 20,21 StGB.
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Die Kammer hat hierzu die Fachärztin für Psychiatrie und Pschyotherapie Fr. Dr. N³ als
Sachverständige vernommen, die den Angeklagten bereits während des
Ermittlungsverfahrens am 28.11.2005 und 08.12.2005 exploriert und an der
Hauptverhandlung teilgenommen hat, als der Angeklagte sich zu Beginn des
Verfahrens umfassend zur Sache geäußert hat.
90
Die Sachverständige hat im einzelnen ausgeführt, dass der Angeklagte keine zeitstabile
krankhafte seelische Störung aufweise. Er leide weder unter einer endogenen Psychose
noch unter einer hirnorganischen oder anderen psychischen Erkrankung. Insbesondere
sei auch eine hirntraumatische Folge aufgrund des geschilderten Überfalls im Jahre
2002, bei dem er einen Schlag gegen den Kopf erhalten habe, auszuschließen. Der
psychische Befund sei bei beiden Untersuchungen regelrecht gewesen. Das von ihr
eingeholte testpsychologische Zusatzgutachten, das den Angeklagten als negativ,
unzufrieden, leicht kränkbar, dominant-aggressiv bei geringer Frustrationstoleranz
beschreibe, habe keinen Anlass zu weiterer Aufklärung gegeben. Hinweise auf das
Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit hätten sich bei der
Untersuchung nicht ergeben, so dass auch eine solche auszuschließen sei. Die
Voraussetzungen für die Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung lägen
ebenfalls nicht vor. Wenn der Vorwurf zutreffe, habe der Angeklagte die Tatsituation
aktiv und dem Tatentschluss entsprechend gestaltet. Er habe keine
Erinnerungsstörungen geltend gemacht. Seine Introspektionsfähigkeit sei erhalten
gewesen. Sie habe auch keine situativen Wahrnehmungsstörungen gefunden. Der
Angeklagte habe sich mit der Situation im Rahmen des Tatgeschehens durchgängig
reflexiv auseinandergesetzt. Schließlich sei es auch nicht zu einer anschließenden
schweren Erschütterung bzw. einem stuporösen Zustand gekommen.
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Zur aktuellen Intoxikation während der Tat sei zu sagen, dass der Angeklagte seit
langem kontrollierten Alkoholmissbrauch betriebe, der jedoch nicht zur Entwicklung
einer Abhängigkeit geführt habe.
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Die sich bei Rückrechnung ergebende Alkoholkonzentration im Bereich von 1,5 o/oo
habe bei dem alkoholgewöhnten Angeklagten allenfalls zu einer leichten Enthemmung
geführt. Eine relevante Wechselwirkung zwischen dem konsumierten Alkohol und den
Medikamenten gegen Bluthochdruck und Grippe sei angesichts der vorhandenen
komplexen Erinnerung an den Ablauf des Tatgeschehens und des Fehlens von
Störungen im Gefühlsleben während des Tatvorgeschehens und Tatgeschehens
auszuschließen. Es liege danach kein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vor.
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Diesen im einzelnen auch weiter begründeten Ausführungen hat sich die Kammer nach
eigener Prüfung in vollem Umfang angeschlossen.
94
VI.
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Strafzumessung
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Wegen des Mordes an I hat der Angeklagte die lebenslange Freiheitsstrafe, die § 211
Abs.1 StGB grundsätzlich als einzige Sanktion für erwachsene voll verantwortliche
Täter vorsieht, als Einzelstrafe verwirkt.
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Angesichts dessen, dass die Besucher schliefen und mit ihrem anschließenden
Aufbruch nach Polen zu rechnen war, befand sich der Angeklagte auch nicht in einer
notstandsnahen, ausweglosen Situation, die ein ausnahmsweises Absehen vom
gesetzlichen Strafrahmen ermöglichte.
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Bei der Strafzumessung bezüglich der Tat zum Nachteil des Zeugen I² hat sich die
Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:
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Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er strafrechtlich, wenn auch
wegen Taten geringeren Gewichts, bereits in Erscheinung getreten ist. Der Angeklagte
hat den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in zwei Varianten, nämlich mittels
einer Waffe und mittels einer lebensgefährdenden Behandlung, verwirklicht. Er ist weiter
dafür verantwortlich, dass der Zeuge I² eine größere Narbe zurückbehalten hat, bzgl.
derer auch ein Risiko späterer Komplikationen besteht.
100
Zugunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er sich – bei lebensnaher
Betrachtung – selbst gestellt und ein Teilgeständnis abgelegt hat. Er ist durch
Untersuchungshaft beeindruckt und Erstverbüßer.
101
Ganz erheblich hatte sich zu seinen Gunsten auszuwirken, dass ihn die Kränkungen
und Demütigungen gegenüber seiner Partnerin zur Tat veranlasst haben. Eine leichte
alkoholische Enthemmung ist nicht auszuschließen. Bei Abwägung aller
Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt sich kein solches Übergewicht der
schuldmindernden Faktoren, dass eine Einordnung als minder schwerer Fall in Betracht
käme.
102
Die Kammer hat unter Zugrundelegung des Normalstrafrahmens nach Abwägung aller
für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände auf eine Freiheitsstrafe von
103
vier Jahren
104
als Einzelstrafe erkannt.
105
Beide Einzelstrafen waren gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf
106
lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
107
zurückzuführen.
108
Eine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gem. § 57 a Abs.1 Nr. 2 StGB
kam vorliegend nicht in Betracht, weil die schuldsteigernden Umstände durch
schuldmindernde Umstände von erheblichem Gewicht ausgeglichen werden.
109
VII.
110
Kostenentscheidung
111
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 472 StPO.
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