Urteil des LG Dortmund vom 12.03.1982

LG Dortmund: hund, haftung des tierhalters, mitverschulden, verjährung, eltern, gefährdungshaftung, verwirkung, kausalität, tierhalterhaftung, körperverletzung

Landgericht Dortmund, 3 O 543/81
Datum:
12.03.1982
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 543/81
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.041,73 DM
(i.W.: dreitausendeinundvierzig 73/100 Deutsche Mark) nebst 4 %
Zinsen seit dem 26. März 1981 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der
Klägerin 2/3 der künftig notwendigen Leistungen für die Versicherte
U wegen der am 4. November 1978 erlittenen Hundebiß-
verletzungen zu erstatten.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
4, Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.900,-- DM
vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Tierhalterin
2
einen nach § 1542 RVO übergegangenen Anspruch des
3
pflichtversicherten Kindes U geltend, und
4
zwar mit einem Zahlungs- und Feststellungsantrag.
5
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
6
Am 4. November 1978 übergab die Beklagte der damals noch
7
nicht ganz 8 Jahre alten U wieder: einmal den
8
ihrem damaligem Lebensgefährten C gehörenden und im
9
gemeinsamen Haushalt gehaltenen schwarzen Pudel namens
10
"B" zum Ausführen. Während dieses Ausführens wurde
11
Diana von einem schwarzen Hund namens B am Arm und
12
Oberschenkel gebissen. Infolge dieser Bisse wurde sie
13
vom 4. bis 24.11.1978 stationär im Krankenhaus und an-
14
schließend ambulant behandelt. Von den dadurch ent-
15
standenen und von ihr aufgewendeten Kosten von insgesamt
16
4.562,60 DM macht die Klägerin mit dem Bezahlungs- und Feststellungs-
17
antrag jeweils 2/3 geltend, weil die Beklagte in dem Recht-
18
streit des verletzten Kindes gegen sie - 4 0 176/79 LG Dortmund
19
im Vergleich vom 08.05.1980 vor dem OLG Hamm 2/3 der An-
20
Sprüche des Kindes anerkannt und insoweit die Zahlung über-
21
nommen hat.
22
Die Klägerin trägt vor, zu den Bißverletzungen durch den
23
auch von der Beklagten gehaltenen Pudel sei es dadurch
24
gekommen, daß ein griechischer Junge das Tier abgeleint
25
und auf Diana gehetzt habe. Den Feststellungsantrag be-
26
gründet die Klägerin mit ihrer Leistungspflicht für etwa
27
noch erforderliche Narbenkorrekturen.
28
Die Klägerin beantragt,
29
1 .) die Beklagte zur Zahlung von
30
3.041,73 DM nebst 4 % Zinsen
31
seit dem 26. März 1981 zu verurteilen;
32
2.) festzustellen, daß die Beklagte
33
verpflichtet sei, 2/3der jeweils zukünftigen
34
notwendigen Leistungen für die versicherte
35
U wegen der am
36
04.11.1973 erlittenen Hundebiß-
37
verletzungen zu erstatten.
38
Die Beklagte beantragt,
39
die Klage abzuweisen.
40
Sie hat nach der am 13.10.81 zugestellten Verfügung gemäß
41
§276 ZPO mit einer Stellungnahmefrist von weiteren 4 Wochen
42
zwar rechtzeitig ihre Verteidigungsabsicht angezeigt, jedoch
43
erstmals mit dem am 24.02.1982 bei Gericht eingegangenen
44
Schriftsatz zur Sache Stellung genommen.
45
Sie will nicht bestreiten, Halterin des Pudels gewesen zu
46
sein, stellt das aber in die Überprüfung des Gerichts. Sie
47
bestreitet sodann "die Kausalität zwischen der Übergabe
48
des Hundes an U und dem eingetretenen Schaden ", und
49
zwar mit der Begründung, daß der Hund nicht leichtfertig
50
an U übergeben worden sei. Sie, die Beklagte, sei von
51
der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter ausgegangen.
52
Das überlassen sei auch nicht Schadensursache. Es müsse
53
vielmehr von der ersten Schilderung U gegenüber den
54
Polizeibeamten in dem Ermittlungsverfahren -22 Js 3154/78
55
StA Dortmund- ausgegangen werden. Dort habe U die -un-
56
vollständig wiedergegebene- Darstellung des im Schriftsatz
57
vom 22.02.1982 auf Seite 3 ( Blatt 27 der Akten ) angeführten
58
Inhalts gegeben.
59
Der dort geschilderte Vorgang falle nicht unter die Tier-
60
halterhaftung.
61
Im übrigen werde ausdrücklich bestritten, daß die Bisse von
62
ihrem Tier stammten.
63
Vorsorglich erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung
64
und den Einwand der Verwirkung.
65
Schließlich meint sie, U müsse sich als Ausfluß der
66
Schadensminderungspflicht während des Krankenhausaufenthaltes
67
die ersparten Unterhaltskosten ihrer Eltern anrechnen lassen.
68
Für den Feststellungsantrag fehlt nach Ansicht der Beklagten
69
das Feststellungsinteresse.
70
Entscheidungsgründe
71
Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche sind nach
72
§§ 1542 RVO, 833 BGB schlüssig und begründet. Das Fest-
73
stellungsinteresse ( § 256 ZPO ) ist gegeben.
74
Das Vorbringen der Beklagten ist , unabhängig von der
75
Frage der Nichtzulassung nach § 296 Abs. 1 ZPO, nicht ge-
76
eignet, den Vortrag der Klägerin zu erschüttern.
77
Die Beklagte ist Tierhalterin im Sinne von § 833 BGB.
78
Tierhalter ist, wer aus eigenem Interesse mit Besitzstellung
79
über die Betreuung und Existenz des Tieres entscheiden kann
80
( OLG Hamm, Versicherungsrecht, 63/1054 ). Ehepaare, die
81
gemeinsam ein Tier in der gemeinsamen Wohnung halten und
82
betreuen, sind beide Halter ( OLG Düsseldorf, Versicherungs-
83
recht 72/403 ). Gleiches gilt für die Partner einer freien
84
Lebensgemeinschaft, mag auch der Hund rechtlich nur einem
85
der beiden Partner gehören. Die Tierhaltereigenschaft wird
86
durch das tatsächliche Verhalten begründet und nicht
87
durch rechtliche Verhältnisse. Dieses tatsächliche Ver-
88
halten ist bei der Beklagten, die während der Abwesenheit
89
des Lebenspartners den Hund allein versorgt und über eine Aus-
90
händigung an Dritte entscheiden kann, gegeben.
91
Das bloße Bestreiten der Beklagten, daß der von ihr mit-gehaltene
92
Hund dem Kinde U die Bisse zugefügt habe, reicht zu
93
einem gehörigen Bestreiten jetzt nicht mehr aus. Denn es ist
94
unstreitig, daß ein schwarzer Hund Bißverursacher war.
95
Der von der Beklagten mitgehaltene Pudel hat eine schwarze
96
Farbe. Unstreitig ist ferner, daß dieser Pudel "B"
97
heißt. Unstreitig ist auch, daß die Beklagte in dem Hause
98
"auf der gegenüberliegenden Seite" wohnte, so wie U
99
es bei ihrer ersten polizeilichen Anhörung bekundet hatte.
100
Die weitere dort gemachte Angabe des Kindes, dass ein Junge sich
101
seinerzeit den Hund ausgeliehen habe, ist nach dem eigenen
102
Vorbringen der Beklagten falsch und trägt deutlich die Tendenz
103
etwaiges Mitverschulden oder eine Mitverursachung von vornherein
104
von sich abzuwenden. Denn die Beklagte selbst hat nie be-
105
stritten, an jenem Tage dem Kinde U den Hund zum Aus-
106
führen überlassen zu haben. Hinzu kommt, daß die Beklagte
107
an ihr eigenes vorprozessuales Vorbringen im Schriftsatz
108
ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 15.12.1978 ( Blatt 34 der
109
Beiakten 4 0 176/79 LG Dortmund ) gehalten werden muß.
110
Schließlich hat sie im Termin vom 16.11.79 in dem dortigen
111
Verfahren ( Blatt 37 der o.a. Beiakten ) nicht bestritten, daß
112
B U gebissen hat, wie die Gründe des dortigen
113
Urteils ( Blatt 38 a.a.O. ) ausweisen .
114
Hundebisse durch Aufhetzen seitens eines anderen Kindes
115
gehören, auch wenn das andere Kind den Hund zunächst ab-
116
leint, zu den typischen und zurechenbaren Tiergefahren
117
im Sinn von §§ 833 BGB, für die der Halter einzustehen
118
hat. Äußere Anreize auf Körper oder Sinne des Tieres
119
räumen die Haftung des Tierhalters für die Tiergefahr
120
regelmäßig nicht aus, wenn das Tier den Anreizen folgt.
121
Die Grenze ist lediglich dort zu ziehen, wo ein Tier
122
nicht mehr selbsttätig handelt, oder wo es unter menschlicher
123
Leitung lediglich dem Willen des Leiters gehorcht. ( vgl.
124
hierzu BGH NJW 52/1329 ). Ein solcher Fall liegt nicht
125
vor, wenn ein Junge aus Übermut den Hund von der Leine
126
löst, die ein Mädchen hält, und den Hund dann auf das
127
Mädchen hetzt. Denn ein solcher Junge ist nicht "Leiter"
128
des Tieres im Sinne der Rechtsprechung.
129
Die weiteren Ausführungen der Beklagten sind für die
130
Entscheidung des Rechtstreits unerheblich. Auf ihr
131
mangelndes Verschulden kommt es nicht an, weil die
132
Tierhalterhaftung eine Gefährdungshaftung ist.
133
Die Tatsache der Übergabe an das Kind U beseitigt
134
weder die Gefährdungshaftung, noch hat sie etwas mit
135
der Kausalität zu tun. Die Übergabe zum Ausführen ist
136
weder eine Leihe noch ein Aufsichtsvertrag im Sinne von
137
§ 834 BGB, sondern von beiden Seiten eine Gefälligkeits-
138
handlung ohne rechtliche Bindungswirkung und Bindungs-
139
willen.
140
Ein Mitverschulden des Kindes nach § 254 Abs. 1 BGB in
141
Verbindung mit § 828 Abs. 2 BGB ist selbst dann nicht er-
142
sichtlich, wenn sie den Hund dem griechischen Jungen frei-
143
willig überlassen haben sollte. Sie brauchte jedenfalls im
144
Sinne einer zurechenbaren Veräntwortlichkeit nach § 828 Abs.2
145
BGB, nicht damit zu rechnen, daß der Junge dann den Hund auf
146
sie hetzte und daß das ansonsten friedliche Tier nun ausgerechnet
147
sie selbst, die es kennt, beißt. Im übrigen wäre mit der
148
Verminderung der Ansprüche auf 2/3 einem -hier nicht gege-
149
benen- Mitverschulden mehr als ausreichend Rechnung ge-
150
tragen worden.
151
Die Einrede der Verjährung greift nicht durch ( § 852 BGB ),
152
weil die Klage schon am 13. Oktober 1981 zugestellt worden
153
ist, die Verjährung aber frühestens am 04.11.1978 beginnen
154
und am 04.11.1981 ablaufen konnte.
155
Für den Einwand der Verwirkung fehlt es an jeglichem Sach-
156
vortrag.
157
Die Höhe ist nicht bestritten worden.
158
Eine Anrechnung der ersparte Eigenaufwendungen aus dem Ge-
159
sichtspunkt der Vorteilsausgleichung kommt nach Ansicht der
160
Kammer nicht in Betracht. Das Kind U ist vermögenslos
161
und hat keine eigenen Aufwendungen für den eigenen Unter-
162
halt. Es konnte folglich auch keine eigenen Ersparnisse
163
machen. Der vom OLG Celle ( NJW 69/1765 ff. ) vertretenen
164
Ansicht einer Anrechenbarkeit kann nicht gefolgt werden.
165
Das OLG geht von einem nicht zutreffenden Ausgangsargument
166
aus. Es berücksichtigt nicht, daß es sich hier um Unter-
167
haltsleistungen Dritter handelt. Solche Leistungen Dritter
168
sollen in der Regel einem Schädiger nicht zugute kommen.
169
Dann kann aber auch ein Ersparnis Dritter nicht zur Vorteils-
170
ausgleichung herangezogen werden. Geschädigter infolge
171
der Körperverletzung ist und bleibt das Kind. Die Eltern
172
als Unterhaltsverpflichtete sind allenfalls mittelbar Ge-
173
schädigte, die keinen eigenen Anspruch gegen die Schädiger
174
haben.
175
Das Feststellungsinteresse ist gegeben, weil für die
176
künftige Beseitigung von Bißnarben eine schon jetzt be-
177
gründete Pflicht der Klägerin besteht, die dazu erforder-
178
lichen Kosten zu begleichen. Da Narben verblieben sind,
179
ist von der Beklagten nicht bestritten worden. Damit hat
180
die Klägerin nicht nur ein Interesse an der Feststellung,
181
sondern auch eine sachliche Berechtigung, denn der Anspruch
182
nach § 1542 RVO geht bereits mit der gegenseitigen oder
183
künftigen Leistungspflicht des Versicherungsträgers über.
184
Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1,
185
BGB gerechtfertigt.
186
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
187