Urteil des LG Dortmund vom 30.09.2010

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Landgericht Dortmund, 4 S 48/10
Datum:
30.09.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 S 48/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 431 C 6658/09
Schlagworte:
Unfallersatztarif
Normen:
BGB § 249
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgericht Dortmund
vom 22.01.2010 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, 374,89 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.06.2009 an die
Firma D, vertreten durch den Geschäftsführer T, sowie weitere
außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 43,32 € an die
Prozessbevollmächtigten des Klägers zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Gründe
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I.
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO
abgesehen.
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II.
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Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls vom 09.01.2009 in
Dortmund gemäß §§ 7, 17 StVG, 823 BGB, 115, 116 VVG Anspruch auf Zahlung
weiteren Schadensersatzes in Form von Mietwagenkosten.
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Die Beklagte haftet unstreitig in vollem Umfang für sämtliche Schäden, die dem Kläger
aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls entstanden sind. Zwischen den
Parteien stehen lediglich noch anteilige Mietwagenkosten im Streit. Die Firma D in E
berechnete dem Kläger unter dem 19.01.2009 einschließlich Mehrwertsteuer einen
Betrag von 640,15 €. Hierauf zahlte die Beklagte 265,26 €. Von dem eingeklagten
Differenzbetrag in Höhe von 374,89 € hat das Amtsgericht 213,01 € zugesprochen, im
Übrigen die Klage abgewiesen und insoweit die Berufung zugelassen.
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Die von dem Amtsgericht vorgenommene Schätzung des Schadens war abzuändern, da
diese teilweise mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht in Einklang steht
und im Übrigen eine Abänderung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
geboten ist. Es handelt sich nicht nur um eine Ermessensentscheidung in einem
Einzelfall. Wegen der Vielzahl an gleichgelagerten Fällen ist eine Vereinheitlichung der
Schadensschätzung im Landgerichtsbezirk angezeigt. Gerade auch dies ist nach § 511
Abs. 2 Nr. 2 ZPO Sinn und Zweck einer Berufungszulassung, die das Amtsgericht
gewählt hat.
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Der Geschädigte kann nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz
derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig
denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten durfte.
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Das Amtsgericht hat bei seiner Schätzung den für das Jahr 2009 herausgegebene
Schwacke-Automietpreisspiegel zugrunde gelegt und aufgrund der über 20 Jahre
währenden Marktbeobachtung des entscheidenden Richters einen Abzug von 25 %
vorgenommen. Zugrunde gelegt worden sind dabei die Beträge des Nenngebietes mit
der Postleitzahl 441. Einen Aufschlag von 20% für die Unfallsituation ist abgelehnt
worden.
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Die Kammer hat den erforderlichen Aufwand gemäß § 287 ZPO entsprechend ihrer
gefestigten Rechtsprechung geschätzt. Zur Ermittlung dieser Kosten stellen der
sogenannte gewichtete Normaltarif und auch das von der Kammer zugrunde gelegte
arithmetische Mittel nach dem Schwacke-Automietpreisspiegel für das jeweilige
Postleitzahlengebiet des Geschädigten einen geeigneten Anknüpfungspunkt dar.
Soweit die Beklagte eingewandt hat, dass die Schadensschätzung nicht nach dem
Schwacke-Automietpreisspiegel, sondern nach der Preistabelle des Fraunhofer –
Instituts vorzunehmen sei, hält die Kammer an ihrer Rechtsprechung weiterhin fest.
Insoweit wird auf die unter www.nrwe.de veröffentlichten Entscheidungen, u.a. 4 S 72/09
Bezug genommen. Auch der Bundesgerichtshof hat wiederholt die Heranziehung des
Schwacke-Automietpreisspiegel gebilligt; vgl. BGH Urteil vom 09.03.2010, Az. VI ZR
6/09.
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Nicht zu beanstanden ist daher, dass das erstinstanzliche Urteil den Schwacke-
Automietpreisspiegel für das Jahr 2009 bei der Schadensschätzung heranzieht und
nicht auf den Mietpreisspiegel des Jahres 2008 abstellt und einen 2 % igen Aufschlag
hierauf gewährt wird. Insoweit ist auch die Kammer dazu übergegangen, den für das
jeweilige Jahr gültigen Mietpreisspiegel, in dem der Verkehrsunfall und damit die
Anmietung des Ersatzfahrzeugs durch den Geschädigten stattgefunden haben,
heranzuziehen.
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Soweit das erstinstanzliche Gericht jedoch einen Wochentarif für das
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Postleitzahlengebiet 441 bei der vorgenommenen Schadensschätzung zugrunde gelegt
hat, war dies durch die Berufungskammer abzuändern. Abzustellen ist auf die
Postleitzahl des Wohnsitzes des Geschädigten, es sei denn die Anmietung muss
unfallbedingt fern vom Wohnort stattfinden. Abzustellen ist daher auf das
Postleitzahlengebiet 442.
Die Kammer hat ebenfalls eine Anmietdauer von 6 Tagen zugrunde gelegt, auch wenn
an den Übergabetagen das Fahrzeug nur den halben Tag genutzt worden ist. Die
Kammer hat noch keine Abrechnung von anderen Mietwagenunternehmen gesehen, bei
denen in einer solchen Situation nur halbe Tage berechnet worden wären. Der Kläger
ist hier schon kostensparend vorgegangen, indem er nach dem Unfall am Freitag erst
am folgenden Montag ein Fahrzeug angemietet hat.
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Was die Schadensschätzung des Amtsgerichts und den Abzug von 25 % angeht, so
mag die Schätzung im Ergebnis denen anderer Gerichte entsprechen. Die einen
orientieren sich ausschließlich an dem Schwacke-Automietpreisspiegel, andere an der
Mietpreisermittlung durch das Fraunhofer IAO, wieder andere wählen einen
Zwischenbetrag. Die Geschädigten laufen "Gefahr" bei jedem Richter des gleichen
Amtsgerichts einen anderen Schadensbetrag zugesprochen zu erhalten, und zwar
mittlerweile in einer erheblichen Spannbreite. Der 11. Zivilkammer des Hauses ist
zuzustimmen, dass diese nicht wünschenswert sein kann. § 511 ZPO sieht daher
ausdrücklich eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung vor.
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Die Kammer verweist auf die in den veröffentlichten Urteilen aufgezeigten
Gesichtspunkte die für eine Anwendung des Schwacke-Automietpreisspiegels sprechen
und betont nochmals, dass es bei der Frage, ob eine Schadensforderung berechtigt ist
auf den verständigen, wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen in der
Unfallsituation ankommt. Es ist nicht Sache der Gerichte einen Marktpreis festzusetzen.
Die Diskussion über die Preise hat sich verselbständigt, ohne dass der Blick auf den
Geschädigten beachtet wird. Wenn ein Geschädigter ein Mietwagenunternehmen
aufsucht und dieses erklärt, dass es in etwa in der Höhe des derzeit geltenden
Schwacke-Automietpreisspiegels abrechnet, dann brauchen diesem Kunden keine
Bedenken gegen die Höhe kommen. Er darf diesen Preis akzeptieren, so wie auch der
Bundesgerichtshof die Preise nach dem Schwacke-Automietpreisspiegel nicht
beanstandet hat. Eine Situation, wie in der Anfangszeit der geänderten Rechtsprechung
zum Unfallersatztarif, als die Preise 100% über den Listenpreisen lagen, besteht nicht
mehr.
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Die Kammer hält auch an ihrer bestehenden Rechtsprechung fest, dass zur Schätzung
der erforderlichen Mietwagenkosten ein Aufschlag von 20 % auf die Tarife nach dem
Schwacke-Automietpreisspiegel vorzunehmen ist. Der Bundesgerichtshof hat
wiederholt entschieden, dass auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in
Betracht kommt und nach § 287 ZPO vom Tatrichter geschätzt werden kann.
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Dieser Aufschlag kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte mitten des
Nachts oder an einem Sonn- oder Feiertag in einen Unfall verwickelt wird. Dies sind die
wenigstens Fälle. Für diese Fälle hätte es der Weiterentwicklung der umfangreichen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bis hin zu dem gebilligten pauschalen
Aufschlag nicht bedurft. Auch den in jüngster Zeit entschiedenen Fällen lagen keine
derartigen "Notsituationen" zugrunde. Die Kammer verweist auf das Urteil des
Bundesgerichtshofes vom 19.01.2001, AZ. VI ZR 112/09. Die Anmietung erfolgte 5 Tage
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nach dem Unfall. In dem Urteil vom 02.20.2010, AZ. VI ZR 7/09 erfolgte die Anmietung
sogar 11 Tage nach dem Unfall. Auch in diesen Urteilen wird gebilligt, dass auch die
Vorfinanzierungssituation rechtfertigen kann, einen erhöhten Tarif in Anspruch zu
nehmen. Der Geschädigte ist von sich aus nicht gehalten, zu seiner finanziellen
Situation vorzutragen (BGH a.a.O.). Die Kammer hat in ihren Urteilen bereits mehrfach
darauf hingewiesen, dass die Geschädigten durch die Vorfinanzierung der
Reparaturkosten oft finanziell stark belastet sind. Die Regulierung durch die Versicherer
findet oft erst nach Wochen statt. Insbesondere wertet das Amtsgericht nicht
ausreichend, dass der Geschädigte nicht sämtliche Leistungen des erhöhten Tarifs in
Anspruch genommen haben muss. Es genügt, dass spezifische Leistungen des
Vermieters allgemein den Mehrpreis rechtfertigen und von dem Geschädigten einen Teil
davon in Anspruch genommen werden durfte (BGH a.a.O.)
Der nachfolgend ermittelte Vergleich zeigt, dass dem Kläger kein überhöhter Tarif in
Rechnung gestellt worden ist, sondern die Kosten im Rahmen des Üblichen lagen.
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Die Kammer ist bei der Ermittlung der erforderlichen Kosten zudem von einem Fahrzeug
der Mietwagenklasse 4 ausgegangen. Es handelte sich – sowohl bei dem verunfallten
Fahrzeug des Klägers als auch bei dem Mietwagen – um einen Opel Astra, der nach
den Angaben im Vorwort der Schwacke – Mietpreistabelle in die Wagenklasse 4 fällt.
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Die Kammer sieht allerdings mangels konkreter Angaben des Klägers keinen Raum für
die Geltendmachung von Kosten für das An- und Abholen des Fahrzeuges, da der
Kläger nach eigenen Angaben dies an der Reparaturwerkstatt angemietet hat. Dass das
Fahrzeug zunächst dorthin verbracht werden musste, wurde nicht behauptet.
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Dem Kläger stehen unter Berücksichtigung dieser Umstände nach folgender
Vergleichsberechnung und Schätzung gemäß § 287 ZPO folgende Mietwagenkosten im
Wege des Schadensersatzes als erforderliche Kosten zu:
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Mietwagenkosten nach Gruppe 4 und PLZ – Gebiet 442 entsprechend des Schwacke –
Mietpreisspiegels für 2009:
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Anzahl Preis Summe
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3-Tage 2 266,47 532,94 €
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abzgl. 10 % Eigenersparnis 0,10 -53,29 €
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479,65 €
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zzgl. 20 % Aufschlag 0,2 95,93 €
29
575,58 €
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zzgl.Nebenkosten
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Vollkasko
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Anzahl Preis Summe
33
3-Tage 2 66,85 133,70 €
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Gesamtanspruch 709,28 €
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gezahlt -265,26 €
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Restanspruch 444,02 €
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Hieraus folgt, dass die von der Mietwagenfirma in Rechnung gestellte Gesamtsumme
von 640,15 € nicht zu hoch bemessen ist, sondern sich sogar unterhalb der Grenze
einer möglichen Schadensschätzung nach § 287 ZPO bewegen.
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Auf die Berufung des Klägers war das erstinstanzliche Urteil demzufolge abzuändern
und die Beklagte zur Zahlung weiteren Schadensersatzes in tenoriertem Umfang sowie
anteiliger außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren zu verurteilen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die vorliegende
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des
Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert. Der Bundesgerichtshof hat zu den entschiedenen Fragen
bereits umfangreich Stellung bezogen.
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