Urteil des LG Dortmund vom 25.11.2009

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Landgericht Dortmund, 4 S 47/09
Datum:
25.11.2009
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 S 47/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 426 C 8022/08
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts
Dortmund vom 20.04.2009 wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.144,87 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
22.04.2008 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
I.
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Die Parteien streiten über Ansprüche auf Zahlung von Mietwagenkosten. Der
Kunde der Klägerin X mietete anlässlich eines Verkehrsunfalls vom 22.02.2008 in
E ein Ersatzfahrzeug bei der Klägerin für die Zeit 25.02.2008 bis zum 11.03.2008
an. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Versicherungsnehmer der
Beklagten den Unfall alleine verschuldet hat. Nachdem die Beklagte
außergerichtlich auf die Rechnung vom 12.03.2008 in Höhe von 2.117,18 € einen
Betrag in Höhe von 829,43 € zahlte, streiten die Parteien über die Erstattung des
ausstehenden Betrages in Höhe von 1.287,75 €. Geltend macht die Klägerin
jedoch nur noch einen Betrag in Höhe von 1.144,87 €.
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Erstinstanzlich hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
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Sie beantragt,
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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Amtsgerichts Dortmund
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.144,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2008 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes kann auf den Tatbestand des
erstinstanzlichen Urteils sowie die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen werden.
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II.
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Die zulässige Berufung ist begründet.
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Über den bereits vorgerichtlich gezahlten Betrag hinaus steht der Klägerin gem. §§
7, 17, 18 StVG, 3 PflVG bzw. § 115 VVG ein Anspruch auf Ersatz weiterer
Mietwagenkosten in Höhe der beanspruchten 1.144,87 € aus abgetretenem Recht
zu.
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Die Einwendungen der Beklagten gegen die Aktivlegitimation der Klägerin greifen
nicht. Die Abtretungserklärung ist weder zu unbestimmt noch berechtigt sie die
Klägerin nicht zur gerichtlichen Geltendmachung des Schadens. Aus der
Abtretungserklärung geht eindeutig hervor, dass der Schadensersatzanspruch des
Geschädigten gegen die Beklagte bis zur Höhe der entstandenen und in Rechnung
gestellten Mietwagenkosten zur Sicherheit abgetreten wird. Hierdurch ist die
Klägerin auch legitimiert, den zur Sicherheit abgetretenen Anspruch im Klagewege
geltend zu machen.
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Die Abtretung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz
gemäß § 134 BGB nichtig. Denn die Abtretung dient nicht dazu, eine fremde
Rechtsangelegenheit zu verfolgen. Der Mieter bleibt ausweislich des Vertrages
grundsätzlich verpflichtet, seinen Schaden selbst geltend zu machen und damit
auch für die Erstattung der Mietwagenkosten zu sorgen. Übernimmt nun die
Klägerin die gerichtliche Geltendmachung der Mietwagenkosten, verfolgt sie damit
letztlich eigene Interessen und nicht die Interessen ihres Kunden.
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Die Klägerin hat auch Anspruch auf die weiteren Mietwagenkosten aus
abgetretenem Recht des Geschädigten X.
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Der Geschädigte kann nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als Herstellungsaufwand
Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich
vernünftig denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten
durfte. Die Kammer hat den erforderlichen Aufwand gemäß § 287 ZPO geschätzt.
Zur Ermittlung dieser Kosten stellt der sogenannte gewichtete Normaltarif und auch
das von der Kammer zugrunde gelegte arithmetische Mittel nach dem Schwacke-
Automietpreisspiegel für das jeweilige Postleitzahlengebiet des Geschädigten
einen geeigneten Anknüpfungspunkt dar.
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Die Kammer hat keine Zweifel, dass diese Schätzung von dem ihr zustehenden
Ermessensspielraum gedeckt ist. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass nicht alle
Gerichte den Schwacke-Automietpreisspiegel als Schätzgrundlage anwenden,
sondern dass sich andere Gerichte auf die Schätzung der Mietpreisermittlung durch
das Fraunhofer IAO stützen. Jedoch ist auch diese Tabelle nicht unumstritten.
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Die Kammer sieht sich nicht zu einer allgemeinen Marktforschung in der Lage,
gerade auch im Hinblick auf die Prozessflut von Fällen mit kleinsten Streitwerten.
Zudem hat die Erfahrung gezeigt, dass selbst die Einholung von
Sachverständigengutachten nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen kann. So
wie das Fraunhofer IAO auf die methodische Richtigkeit seiner Tabelle verweist,
wird gerade dies beispielsweise von Prof. Neidhardt/Prof. Kremer in Frage gestellt.
Dem einen wird eine Nähe zur Versicherungswirtschaft unterstellt, die anderen
streiten seit Jahren für die Schwacke-Liste. Auch in der Literatur sind die "Listen"
heftig umstritten.
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So bestehen hinsichtlich der Tabelle des Fraunhofer IAO Bedenken, ob nicht ein
zu kleines Marktsegment abgefragt worden ist. Die Internetrecherche mit 75.000
Erhebungen ist bei den 6 größten Anbietern erfolgt. Die telefonische Erhebung mit
10.000 Befragungen erfolgte immerhin auch zu 54 % bei den größten Anbietern.
Während Richter (VersR 2009, 1438) in seiner Stellungnahme dem keine
besondere Bewandtnis beimisst, weil die großen Anbieter ohnehin 60% des
Marktanteils stellen sollen, wird gerade diese Art der Erhebung kritisiert, vgl. Prof.
Neidhardt/Prof. Kremer, Schätzgrundlage des Mietwagen-Normaltarifs vom
6.11.2008 und beispielsweise Heinrichs, zfs 2009, 187.
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Die Kammer teilt diese Bedenken. Dabei geht es nicht nur um das Problem, ob
vielleicht in ländlichen Regionen der Internetbuchung Grenzen gesetzt sind. Auch
im Ballungsbereich Dortmund ist eine Preisabfrage und Buchung über das Internet
in den von der Kammer verhandelten Fällen nicht üblich. Abgesehen davon, dass
nicht allen Geschädigten ein Internetzugang offensteht, wird dieser, selbst wenn
vorhanden, oft nicht so selbstverständlich genutzt, wie die Tabellen dies glauben
machen. In der Unfallsituation suchen die Geschädigten meistens die
Autowerkstätten ihres Vertrauens auf und fragen dort nach der Möglichkeit einer
Anmietung oder deren Vermittlung. Die Kammer ist deshalb vornehmlich mit
verschiedenen mittelständigen Autovermietungsunternehmen oder
Autowerkstätten, die eine Vermietung vornehmen, befasst. Dass diese mit anderen
Preisen und Verfügbarkeiten kalkulieren müssen als bundesweit tätige
Großanbieter, liegt auf der Hand. Gleichwohl können diese Preise angemessen
sein. Die Kammer hat den Eindruck, dass die Tabelle des Fraunhofer IAO dem
nicht ausreichend Rechnung trägt.
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Die Mietwagenkosten werden auch nur nach zweistelligen anstatt nach
dreistelligen Postleitzahlengebieten beurteilt, was zu Ungenauigkeiten bei der
Erfassung von regionalen Preisen führt. Die Kammer kann in ihrem Einzugsgebiet,
einem Ballungsgebiet, gerade auch bei der Schwacke-Liste deutliche
Unterschiede zwischen den dreistelligen Postleitzahlengebieten feststellen, die in
der Tabelle des Fraunhofer IAO unberücksichtigt sind.
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Zudem wird bei der Tabelle des Fraunhofer IAO eine Vorbuchzeit von einer Woche
vorausgesetzt, was der Unfallsituation nicht gerecht wird. So räumt auch Richter
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(VersR a.a.O.) ein, dass bei zeitnaher Anmietung ein Aufschlag erforderlich ist.
Schließlich wird die Kammer immer wieder damit konfrontiert, dass schlicht die
Preise der Fraunhofer Tabelle mit der Endkalkulation verglichen wird, die die
Kammer nach der Schwacke-Liste zuzüglich der dort aufgeführten Nebenkosten
vornimmt. Dabei sind von dem Fraunhofer IAO die Preise für Aufschläge und
Zuschläge nicht erhoben worden und wären ebenfalls zu berücksichtigen.
Lediglich die Vollkasko-Versicherung ist mit einem ganz erheblichen Selbstbehalt
einkalkuliert.
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Die Kammer sieht daher keinen Grund, in Abweichung ihrer bisherigen
Rechtsprechung als Vergleichsgrundlage den Schwacke-Automietpreisspiegel
nicht mehr anzuwenden. Insbesondere ist es nicht geboten, gar noch eine dritte
Schätzbasis in Höhe etwa des Mittelwertes zwischen dem Schwacke-
Automietpreisspiegel und der Tabelle des Fraunhofer IAO einzuführen.
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Auch die Tatsache, dass in den Verfahren oft günstigere im Internet recherchierte
Angebote vorgelegt werden, begründen keine Zweifel an der Rechtsprechung. Die
Kammer legt bei ihrer Schätzung das arithmetische Mittel zugrunde. Dies beinhaltet
zwangsläufig, dass es auch günstigere Preise geben kann. Der Schwacke-
Automietpreisspiegel deckt eine erhebliche Bandbreite an unterschiedlichen
Preisen ab, u.a. auch sehr günstige Preise. Der Mittelwert scheint der Kammer die
Preisdifferenzen am besten abzudecken.
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Hinsichtlich der günstigen Online-Angebote ist auch zu berücksichtigen, dass
diese zumeist den Stand eines erst weit nach dem Verkehrsunfall recherchierten
Angebots wiedergeben und nicht eingeschätzt werden kann, ob im Einzelfall an
dem betreffenden Tag Restfahrzeuge besonders günstig angeboten werden, die
am Unfalltag zu diesem Preis nicht zu erhalten gewesen wären. Es ist dabei auch
zu beachten, dass der Kunde nicht den günstigsten Preis, sondern einen
angemessenen Mietpreis wählen muss, wobei die Kammer das arithmetische Mittel
der Schwacke-Liste für entsprechend angemessen hält.
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Die Kammer hält auch weiterhin daran fest, dass zur Abgeltung der besonderen
Unfallsituation ein Aufschlag von 20% auf den so ermittelten Normaltarif
gerechtfertigt ist, um die Besonderheiten der Kosten und Risiken des
Unfallersatzgeschäfts im Vergleich zu einer normalen Autovermietung abdecken zu
können. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass vergleichbar dem Sachverhalt in
dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 11.03.2008 auch hier ein Ersatzfahrzeug
nicht am Unfalltag, sondern erst drei Tage später angemietet worden ist. Eine Eil-
oder Notsituation ist nicht zu sehen. Allerdings bietet der Unfallersatztarif für den
Geschädigten Vorteile, die er in Anspruch nehmen darf. Die oft erheblichen
Mietwagenkosten werden ihm kreditiert. Da die Kreditlinie auch bei
Kreditkarteninhabern zumeist begrenzt ist und oft gleichzeitig Unfallschäden an
dem Fahrzeug selbst zu reparieren und vorzufinanzieren sind, weil die
Abwicklungen mit den Versicherungen mehrere Wochen in Anspruch nehmen,
handelt es sich um einen erheblichen Vorteil. Außerdem ist die
Haftungsbeschränkung bei einem Fahrzeug zum Unfallersatztarif eine günstigere.
Üblicherweise hat ein Geschädigter keine Möglichkeit, seinen Schaden
vorfinanzieren zu lassen. Wenn es aber diese Möglichkeit gibt und sich die Kosten
in angemessenem Rahmen halten, darf er diese Möglichkeit in Anspruch nehmen.
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Bei der Höhe des Zuschlags hat die Kammer auch zur Vereinheitlichung der
Rechtsprechung nicht unterschieden, ob nur diese Leistungen erbracht oder
weitere Leistungen aus einer Notsituation heraus genutzt werden.
Es besteht grundsätzlich auch ein Anspruch auf Erstattung von Kosten für die
Zustellung und Abholung eines Mietwagens. Bei der Zustellung und Abholung des
Mietfahrzeugs handelt es sich um nach der Nebenkostentabelle zum Schwacke -
Automietpreisspiegel dem Grunde nach erstattungsfähige Zusatzleistungen. Ein
Unfallbeteiligter darf grundsätzlich diesen besonderen Service in Anspruch
nehmen.
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Nach Auffassung der Kammer sind auch die Zusatzkosten für die in Rechnung
gestellten Winterreifen von der Beklagten zu ersetzen. Die Kammer verkennt dabei
nicht, dass die Ausstattung mit Winterreifen gesetzlich vorgeschrieben ist.
Allerdings hat die von der Klägerin eingereichte tabellarische Aufstellung der
Kosten unterschiedlicher Mietwagenanbieter (Bl. 67 ff d.A.) gezeigt, dass auch die
sog. "großen" Mietwagenfirmen Kosten für Winterbereifung in Rechnung stellen.
Aus diesem Grunde ist ein Ersatz dieser Kosten als generell übliche Kosten
ebenfalls gerechtfertigt.
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Damit ergibt sich vorliegend folgende Berechnung:
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Mietwagenkosten
nach Gruppe 4
16 Tage
Postleitzahlengebiet 524
Anzahl
Preis
Summe
WochenT
2
585,94
1171,88
3-Tage
Tagestarif
2
97,4
194,8
insgesamt
1366,68
abzgl. 10 % Eigenersparnis
0,1
-136,668
1230,012
Allgemeiner Aufschlag
20%
Aufschlag
0,2
246,0024
Zwischenergebnis
1476,0144
Nebenkosten
Vollkaskoschutz
Anzahl
Preis
Summe
WochenT
2
142,7
285,4
3-Tage
Tagestarif
2
22,01
44,02
insgesamt
329,42
Weitere Nebenkosten
Preis ZU
Winterreifen
16
12,18
194,88
32
Tage
Preis
Zustellen/Abholen
2
22,97
45,94
Summe Nebenkosen
570,24
Ersatzanspruch
2046,25 €
gezahlt
-829,43 €
Anspruch
1216,82 €
Der geltend gemachte Betrag von 1.144,87 € ist damit berechtigt.
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Die Zinsforderung ab dem 22.04.2008 folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 710 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die vorliegende
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des
Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung
des Revisionsgerichts erfordert.
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