Urteil des LG Dortmund vom 14.01.2010

LG Dortmund (höhe, bandscheibenvorfall, gesundheitsschädigung, unfall, versuch, zpo, einwirkung, ursache, schwere, invalidität)

Landgericht Dortmund, 2 O 71/09
Datum:
14.01.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 71/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 11.452,93
€ die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in
gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB
88. Sie nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Invaliditätsleistung in Anspruch, weil sie
am 22.04.2008 bei dem Versuch, ein 15 bis 20 kg schweres Sieb aufzufangen, eine
Gewichtsverlagerung vorgenommen hat, die nach ihrer Behauptung zu einem
Bandscheibenprolaps L5/S1 geführt hat. Wegen darauf beruhender dauerhafter
Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule mit Schmerzausstrahlung in die Beine
behauptet sie eine unfallbedingte Invalidität von 20 % und macht die aus einer
Versicherungssumme von 57.264,69 € berechnete Invaliditätsleistung nebst
vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.452,93 € nebst Zinsen
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in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2008
zu zahlen,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche
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Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 15.12.2008 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie sieht in dem vorgetragenen Geschehen keinen bedingungsgemäßen Unfall und rügt
das Fehlen der formellen Anspruchsvoraussetzungen. Hilfsweise bestreitet sie eine
unfallbedingte Invalidität und macht die überwiegende Mitwirkung degenerativer
Veränderungen geltend.
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Das Gericht hat zu der behaupteten überwiegenden Ursächlichkeit des vorgetragenen
Geschehensablaufes für den entstandenen Bandscheibenvorfall ein schriftliches
Sachverständigengutachten eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf das Gutachten des Sachverständigen L vom 06.09.2009, wegen der weiteren
Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen
ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer
Invaliditätsleistung aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung aus
Anlass des Geschehens vom 22.04.2008 zu, weil sie einen bedingungsgemäßen Unfall
nicht bewiesen hat.
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Nach § 1 Abs. 3 der vereinbarten AUB 88 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte
durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis)
unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Zusätzlich bestimmt § 2 Abs. 3 (2) für
Bandscheibenschäden, dass für solche Versicherungsschutz nur besteht, wenn ein
unter den Vertrag fallendes Unfallereignis die überwiegende Ursache darstellt, wofür
den Versicherten die Beweislast trifft. Die Klägerin hat schon nicht bewiesen, dass sie
einen versicherten Unfall erlitten hat. Dabei kann dahinstehen, ob der von der Klägerin
geschilderte Geschehensablauf die Voraussetzungen eines Unfallereignisses nach § 1
Abs. 3 AUB 88 erfüllt, weil es sich bei dem Versuch, das relativ schwere Sieb
aufzufangen, um ein von der Klägerin nicht beherrschbares und in Bezug auf die
dadurch verursachte Gesundheitsschädigung unfreiwilliges Geschehen handelt. Diese
Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn eine vom Willen des Versicherten
getragene und gesteuerte Eigenbewegung zu einer plötzlichen Einwirkung von außen
führt, weil die anfänglich willensgesteuerte Eigenbewegung in ihrem weiteren Verlauf
nicht mehr gezielt und beherrschbar gewesen ist, so dass Eigenbewegung und äußere
Einwirkung zusammengetroffen sind, wobei die äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss
auf die veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung genommen hat (vgl.
BGH VersR 2009, 492 = NJW-RR 2009, 679 = R+S 2009, 161). Jedenfalls hat der
vorgetragene Geschehensablauf, selbst wenn er ein bedingungsgemäßes
Unfallereignis darstellen sollte, nicht zu einer Gesundheitsschädigung geführt. Die
Kausalität zwischen dem (hier unterstellten) Unfallereignis und der
Gesundheitsschädigung ist von der versicherten Person mit dem Beweismaß des § 286
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ZPO zu beweisen. Dieser Beweis ist der Klägerin nicht gelungen. Denn der
Sachverständige hat in dem vom Gericht beauftragten schriftlichen
Sachverständigengutachten ausgeführt, dass nicht der Versuch, das relativ schwere
Sieb aufzufangen, für den Bandscheibenvorfall verantwortlich war, sondern ein
Verschleißleiden an der Wirbelsäule der Klägerin. Für das Gericht nachvollziehbar und
mit der Erfahrung des Gerichts in vergleichbaren Fällen übereinstimmend hat der
Sachverständige dazu ausgeführt, dass bereits zweifelhaft ist, ob die Kräfte, die beim
Auffangversuch in der Drehbewegung des Körpers auf diesen eingewirkt haben,
ausreichend waren, um isoliert die Etage L5/S1 zu erreichen, in denen der
Bandscheibenvorfall stattgefunden hat. Zudem hat der Sachverständige in der
Behandlungsdokumentation keine klassischen Begleiterscheinungen eines
posttraumatischen Bandscheibenvorfalles wie Beschwerden in deutlicher Form,
Lähmungen und sofort einsetzender Arbeitsunfähigkeit gefunden. So war die Klägerin
nicht bereits am 22.04.2008, sondern erst ab dem 24.04.2008 arbeitsunfähig krank
geschrieben. Die Zweifel des Sachverständigen hinsichtlich einer traumatischen
Verursachung des Bandscheibenvorfalles sind bestärkt worden durch die degenerativen
Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule der Klägerin, die durch die bildgebenden
Befunde nachgewiesen worden sind. Schließlich hat sich der Bandscheibenvorfall in
einer Etage ereignet, die einer der am meisten beanspruchten Bereiche der unteren
Lendenwirbelsäule entspricht, welche regelmäßig von degenerativen
Bandscheibenvorfällen betroffen ist.
Mithin ist die degenerative Verursachung des beklagten Bandscheibenvorfalles die
zumindest wahrscheinlichere Ursache gegenüber einer traumatischen Verursachung,
so dass der Klägerin der Beweis eines durch den Unfallversicherungsvertrag gedeckten
Unfalles, der – wie gesagt – eine durch ein Unfallereignis verursachte (Primär-)
Schädigung voraussetzt, nicht gelungen.
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Die Klage musste somit mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung beruht
auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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