Urteil des LG Dortmund vom 09.08.2007

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Landgericht Dortmund, 11 T 66/07
Datum:
09.08.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 T 66/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Iserlohn, 49 C 1/07
Schlagworte:
Anhängigkeit; Anwendung des neuen Verfahrensrechts
Normen:
WEG § 62
Leitsätze:
Auf Wohnungseingentumsverfahren, die im Laufe des 1.7.2007 durch
Einreichung einer Klageschrift anhängig werden, ist abweichend vom
Gesetzeswortlaut das neue Verfahrensrecht des durch Art. 1 und 2 des
Gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 370) geänderten III. Teils des
Wohnungseigentumsgesetzes anzuwenden.
Tenor:
wird die Beschwerde der Kläger vom 19.7.2007 gegen den Beschluss
des Amtsgerichts Iserlohn vom 11.7.2007 (49 C 1/07) als unbegründet
zurückgewiesen.
Gründe:
1
Mit der Beschwerde richten sich die Kläger gegen die vorläufige Wertfestsetzung durch
das Amtsgericht hinsichtlich der von ihnen angekündigten Anträge. Entgegen der
Auffassung des Amtsgerichts ist die Beschwerde zulässig, denn sie richtet sich gegen
die vorläufige Wertfestsetzung, nach der die einzuzahlenden Gebühren berechnet
werden. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 GKG soll die Klage erst nach Zahlung der Gebühren
zugestellt werden. Dies spricht der angefochtene Beschluss zwar nicht explizit aus. Dies
hat aber auf die Zulässigkeit des Beschwerdeverfahrens gemäß § 67 Abs. 1 S. 1 GKG
keinen Einfluss, wenn sich aus der Begleitverfügung ergibt, dass das Verfahren erst
nach Zahlung des Vorschusses weiter betrieben werden soll (vgl. Hartmann,
Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, § 67 GKG, Anm. 3 A). Das Amtsgericht hat verfügt, dass
die Akte erst nach Vorschusseingang wieder vorgelegt werden soll, spätestens nach 6
Monaten, wobei dann erfahrungsgemäß das Weglegen der Akte verfügt wird (§ 7 Ziffer 3
e AktO).
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Die zulässige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Gegen die Höhe der
Wertfestsetzung ist aufgrund der Angaben in den angekündigten Anträgen zumindest
derzeit nichts zu erinnern. Mit der Beschwerde haben die Kläger ihre Angaben insoweit
auch nicht präzisiert. Zu Recht hat das Amtsgericht keinen vorläufigen Geschäftswert
nach § 48 Abs. 3 S. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes in der vor dem 1.7.2007
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geltenden Fassung mehr festgesetzt.
Nach der Übergangsvorschrift des § 62 WEG – neu – sind bei am 1.7.2007 anhängigen
Verfahren die aufgehobenen Verfahrensvorschriften in der bis zum 30.6.2007 geltenden
Fassung des Wohnungseigentumsgesetzes anzuwenden. Ein Verfahren wird mit
Einreichung der Antrags- bzw. Klageschrift bei Gericht anhängig (Zöller – Greger, ZPO,
26. Aufl., § 253 Rn. 4; Musielak – Foerste, ZPO, 5. Aufl., § 253 Rn. 11). Nach dem
Wortlaut der Vorschrift des § 62 WEG wäre damit auch ein Verfahren, das erst im Laufe
des 1.7.2007 anhängig wird, noch nach dem Verfahrensrecht des FGG zu entscheiden.
Der mögliche Wortsinn einer Vorschrift bildet die Grenze bei der Auslegung der Gesetze
(Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 163). Da der
Begriff der Anhängigkeit im besonderen juristischen Sprachgebrauch festgelegt ist, wäre
eine Auslegung, die die Anwendbarkeit des neuen Rechts auf Verfahren beschränken
würde, die vor dem 1.7.2007 anhängig geworden sind, nicht mit dem möglichen
Wortsinn zu vereinbaren. Eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Anwendung des
Gesetzes kann aber durch den Sinn und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt sein (BGH
NJW 2003, 290). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Gesetzesregel nach
ihrem möglichen Wortsinn auf einen zu entscheidenden Sachverhalt anwendbar ist, auf
diesen aber nach ihrem Sinn und Zweck nicht passt. Es liegt dann eine verdeckte Lücke
vor, die durch Hinzufügung der sinngemäß geforderten Einschränkung im Wege
teleologischer Reduktion zu schließen ist (Larenz / Canaris, aaO, S. 210). Sinn und
Zweck der Übergangsregelung des § 62 WEG ist es, dass die Erstreckung der
Vorschriften der Zivilprozessordnung auf die Verfahren in Wohnungseigentumssachen
die bereits anhängigen Verfahren, die nach dem Gesetz über die Angelegenheiten der
Freiwilligen Gerichtsbarkeit verfahrenstechnisch behandelt wurden, nicht berühren soll,
um Kollisionen aus der Anwendung verschiedener Prozessrechte zu vermeiden. Dies
ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (vgl. insoweit die Begründung im
Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 9.3.2006, BT-Drucks. 16/887, insoweit
unverändert angenommen durch Gesetzbeschluss des Deutschen Bundestages vom
26.1.2007, BT-Drucks. 47/07). Die gefundene Gesetzesformulierung wird diesem Willen
des Gesetzgebers nicht gerecht; der Gesetzgeber hat die Bedeutung des juristischen
Fachbegriffs der Anhängigkeit nicht in seiner vollen Tragweite erkannt.
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Zu einer Kollision verschiedener Verfahrensrechte kann es aber nicht kommen, wenn
ein Verfahren erst am 1.7.2007 anhängig wird, da in solchen Fällen von vornherein die
Regeln der Zivilprozessordnung und des Gerichtskostengesetzes Anwendung finden.
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Eine Kostenentscheidung war nach § 67 Abs. 1 S. 2, 66 Abs. 8 GKG nicht veranlasst.
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