Urteil des LG Dortmund vom 12.07.2007

LG Dortmund: versicherungsnehmer, pfändung, haftpflichtversicherung, haftpflichtversicherer, einspruch, einziehung, gerichtsstandsvereinbarung, konfusion, anerkennung, versicherungsverhältnis

Landgericht Dortmund, 2 O 80/07
Datum:
12.07.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 80/07
Normen:
VVG § 153 Abs. 4 S. 1, AHB § 5 Nr. 2, 4
Leitsätze:
1. Der VR ist in der Haftpflichtversicherung von der Leistungspflicht frei,
wenn der obliegenheitsgebundene VN weder das gegen ihn im
Haftpflichtverhältnis eingeleitete Mahnverfahren anzeigt noch
Widerspruch gegen den Mahnbescheid einlegt, so dass ein
rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid gegen ihn ergeht.
2. Der Gläubiger des Haftpflichtanspruchs muss die Leistungsfreiheit
nach Pfändung und Überweisung des Versicherungsanspruchs gegen
sich gelten lassen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 62.604,62
€ der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des je-weils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger nimmt als angeblich Geschädigter aus einer behaupteten mangelhaften
Werkleistung des Versicherungsnehmers der Beklagten letztere auf Zahlung der
rechtskräftig titulierten Schadensersatzforderung in Anspruch, weil die Beklagte
Haftpflichtversicherer des angeblich mangelhaft arbeitenden Werkunternehmers bis
2001 war.
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Der Kläger will Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in S sein, welches 1998
modernisiert und umgebaut wurde. Das mit der Bauleitung beauftragte Ingenieurbüro
betraute eine Dachdeckerei GmbH in B mit der Ausführung der Dachabdichtungs- und
Zimmereiarbeiten. Die – inzwischen insolvente – GmbH beauftragte den SL Bauservice
T als Subunternehmer. Dieser unterhielt seinerzeit bei der Beklagten eine
Haftpflichtversicherung unter Geltung der AHB. Nach der Behauptung des Klägers soll
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der Versicherungsnehmer der Beklagten entgegen der Beauftragung die Dachfläche
des Hauses nicht in Etappen, sondern in einem Zug abgedeckt und mit Folie geschützt
haben, so dass ein starker Wind die zum Schutz aufgebrachte Plane losreißen konnte
und ein Wasserschaden durch Niederschlagswasser in Höhe von 62.604,62 €
entstanden sein soll. Wegen dieses witterungsbedingten Schadens nahm der Kläger
zunächst seine Gebäudeversicherung vor dem Landgericht K in Anspruch. Die Klage
wurde abgewiesen, weil ein bedingungsgemäßer Sturm durch den Kläger nicht
nachgewiesen werden konnte. Danach erwirkte der Kläger Mahn- und
Vollstreckungsbescheid gegen den Versicherungsnehmer der Beklagten in Höhe der
Klageforderung. Der Vollstreckungsbescheid ist rechtskräftig, da ein Einspruch gegen
den Vollstreckungsbescheid oder ein Widerspruch gegen den Mahnbescheid nicht
eingelegt wurde. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bergen
pfändete der Kläger sodann wegen des titulierten Anspruchs nebst Nebenforderungen
die angebliche Forderung des Versicherungsnehmers der Beklagten gegen die
Beklagte aus der Haftpflichtversicherung "auf Zahlung der Versicherungssumme" und
ließ sich diesen Anspruch zur Einziehung überweisen.
Nunmehr nimmt er die Beklagte aus der gepfändeten Forderung auf Zahlung in
Anspruch.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, an ihn 62.604,62 € nebst 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.01.2006 zuzüglich
vorgerichtlicher und zwangsvollstreckungsbezogener Rechtsanwaltsgebühren in
Höhe von 4.044,35 € sowie angefallene Gerichtsvollzieherkosten, Auskünfte sowie
Gerichtskosten in Höhe von 896,00 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet den Haftpflichtanspruch nach Grund und Höhe und wendet dessen
Verjährung ein. Als versicherungsrechtliche Einwändung nimmt sie Leistungsfreiheit
wegen Obliegenheitsverletzung in Anspruch, weil ihr Versicherungsnehmer weder die
Einleitung des Mahnverfahrens angezeigt noch Einspruch gegen den
Vollstreckungsbescheid oder Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt hat.
Diese Einwändungen hält der Kläger für unerheblich, weil sie nur das Innenverhältnis
zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer beträfen, die ihm im Außenverhältnis
nicht entgegen gehalten werden könnten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch
gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des angeblich mangelhaft arbeitenden
Werkunternehmers jedenfalls deswegen nicht zu, weil sich die Beklagte zu Recht auf
Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung ihres Versicherungsnehmers berufen
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hat.
I.
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Das Gericht geht aufgrund der von den Parteien vorprozessual getroffenen
Gerichtsstandsvereinbarung von seiner Zuständigkeit aus, obwohl aus den vom
Landgericht Berlin aufgezeigten Gründen (NJW-RR 1997, 378) durchaus
Rechtsmissbräuchlichkeit der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung erwogen werden
kann, weil der gewählte Gerichtsstand keinen örtlichen Bezug zu der ausgetragenen
Rechtsstreitigkeit hat. Denn weder der Versicherungsnehmer, auf den abzustellen ist,
weil der Kläger aus dessen gepfändeten Versicherungsanspruch vorgeht, noch die
Beklagte haben ihren Sitz im Sprengel des angerufenen Gerichts.
14
II.
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Bedenken gegen die Begründetheit der Klage bestehen bereits deswegen, weil der
Kläger die angebliche Forderung des Versicherungsnehmers der Beklagten "auf
Zahlung der Versicherungssumme" gepfändet und sich hat überweisen lassen. Ein
solcher Zahlungsanspruch auf eine Versicherungssumme war aber gar nicht existent.
Denn grundsätzlich steht es dem Versicherer in der Haftpflichtversicherung frei, ob er
den geltend gemachten Haftpflichtanspruch erfüllen oder den Versuch einer Abwehr
unternehmen will, § 4 II Nr. 1 AHB. Der Versicherungsanspruch des
Versicherungsnehmers in der Haftpflichtversicherung geht deswegen auf Gewährung
bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes. Mit der Anerkennung oder rechtskräftigen
Feststellung des Haftpflichtanspruches konkretisiert sich der Deckungsanspruch auf
einen Freistellungsanspruch. Dieser Freistellungsanspruch bestand zum Zeitpunkt der
Ausbringung der Pfändung durch den Kläger, da der Haftpflichtanspruch gegen den
Versicherungsnehmer der Beklagten zuvor rechtskräftig durch Vollstreckungsbescheid
tituliert worden war. Richtigerweise hätte der Kläger diesen Freistellungsanspruch
pfänden müssen. Der angebliche Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen
die Beklagte als Haftpflichtversicherer konnte in der Hand des Versicherungsnehmers
erst entstehen, nachdem dieser die Haftpflichtforderung erfüllt hatte. Dazu ist es jedoch
überhaupt nicht gekommen. Vielmehr hätte sich – wie der Kläger im Ansatz richtig
erkennt – in seiner Hand durch Konfusion von Haftpflichtanspruch und wirksam
gepfändeten und zur Einziehung überwiesenen Freistellungsanspruch des
Versicherungsnehmers der Freistellungsanspruch in einen unmittelbaren
Zahlungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer verwandelt (BGH r+s 2007, 191;
OLG Saarbrücken VersR 2005, 395; Langheid VersR 2007, 865).
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Die Pfändung des nicht existierenden Anspruchs auf Zahlung der Versicherungssumme
käme deshalb als Grundlage für die Konfusion und den daraus entstehenden
Zahlungsanspruch gegen die Beklagte nur dann in Betracht, wenn die Pfändung der
angeblichen Forderung des Versicherungsnehmers gegen die Beklagte ausgelegt
werden könnte in die Pfändung des zu diesem Zeitpunkt bestehenden
Freistellungsanspruches gegen die Beklagte. Diese über den Wortsinn des
Pfändungsbeschlusses hinaus gehende Auslegung erscheint allenfalls dann möglich,
wenn mit den Angaben zum Deckungsverhältnis im Pfändungsbeschluss die
gepfändete Forderung hinreichend konkretisiert worden ist (vgl. Zöller/Stoiber, ZPO 26.
Aufl. § 829 Rn. 9).
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III.
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Letztlich kann die Entscheidung der zu Ziffer II aufgeworfenen Frage offen bleiben, weil
die Beklagte jedenfalls wegen Verletzung von Obliegenheiten durch den
Versicherungsnehmer der Beklagten leistungsfrei geworden ist. Entgegen der
Auffassung des Klägers muss er die Leistungsfreiheit, die sich aus dem
Versicherungsverhältnis ergibt, gegen sich gelten lassen, weil er den
Versicherungsanspruch gegen die Beklagte gepfändet hat und aus diesem gegen die
Beklagte vorgeht.
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Unstreitig hat der Versicherungsnehmer der Beklagten gegen die Obliegenheiten aus §
153 Abs. 4 Satz 1 VVG und § 5 Nr. 2 AHB verstoßen, weil er das gegen ihn eingeleitet
Mahnverfahren der Beklagten nicht angezeigt hat. Ebenfalls ist unstreitig, dass der
Versicherungsnehmer der Beklagten gegen die Obliegenheit aus § 5 Nr. 4 AHB
verstoßen hat, auch ohne Weisung des Versicherers Widerspruch gegen den
Mahnbescheid oder jedenfalls Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zu
erheben. Gemäß § 6 AHB ist die Beklagte deswegen von ihrer Leistungspflicht frei
geworden. Die vorsätzliche Verletzung der genannten Obliegenheiten wird gemäß § 6
AHB vermutet (BGH v. 16.5.2007 –IV ZR 101/04-). Die so genannte
Relevanzrechtssprechung des Bundesgerichtshofes greift nicht ein, da die
Obliegenheitsverletzung nicht folgenlos geblieben ist. Durch die unterlassenen
Anzeigen und Maßnahmen wurde es der Beklagten verwehrt, ihre Dispositionsbefugnis
über das Haftpflichtverhältnis wahrzunehmen und auf den Haftpflichtprozess Einfluss zu
nehmen.
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Der Kläger hat nicht vorgetragen und solches ist auch aus dem Akteninhalt nicht
ersichtlich, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten zum Zeitpunkt der Einleitung
des Mahnverfahrens nicht mehr obliegenheitsgebunden gewesen wäre. Davon wäre
auszugehen, wenn die Beklagte bereits zuvor Deckung gegenüber ihrem
Versicherungsnehmer abgelehnt hätte, weil die Obliegenheiten dazu dienen, dem
erfüllungsbereiten Versicherer die Prüfung seiner Leistungspflicht zu ermöglichen und
zu erleichtern. Dessen bedarf er nach endgültiger Leistungsablehnung nicht mehr (BGH
VersR 1992, 345). Einer Deckungsverweigerung stünde die Verweigerung der Erfüllung
des Haftpflichtanspruches nicht gleich, weil der Versicherer damit seiner vertraglich
übernommenen Verpflichtungen nachkommt, den Haftpflichtanspruch abzuwehren und
insoweit seinem Versicherungsnehmer Deckung zu gewähren.
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Nicht mehr obliegenheitsgebunden wäre der Versicherungsnehmer der Beklagten
allerdings auch dann, wenn sich die Beklagte nach Anzeige des Versicherungsfalles
nicht rechzeitig unmissverständlich erklärt hätte, ob sie den bedingungsgemäßen
Rechtsschutz gewähren will (BGH r+s 2007, 191). Auch hierzu hat weder der Kläger
etwas vorgetragen noch ist aus den Akten ersichtlich, dass sich die Beklagte in dieser
Weise vertragswidrig gegenüber ihrem Versicherungsnehmer verhalten habe könnte.
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Somit musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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