Urteil des LG Dortmund vom 13.07.2000

LG Dortmund: eintritt des versicherungsfalls, wohnung, familie, gerüst, einbruchdiebstahl, entschädigung, kausalität, fahrlässigkeit, versicherer, vollstreckbarkeit

Landgericht Dortmund, 2 O 75/00
Datum:
13.07.2000
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2.Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 75/00
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
27.627,50 DM (i. W. siebenundzwanzig-
tausendsechshundertsiebenundzwanzig 50/100
Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen seit dem
29.03.2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen nach
einem Streitwert von 35.000,00 DM der Kläger
1/5 und die Beklagte 4/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für
den Kläger jedoch nur gegen Sicherheits-
leistung in Höhe von 33.000,00 DM.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Voll-
streckung der Beklagten durch Sicherheits-
leistung in Höhe von 700,00 DM abzuwenden,
wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Hausratver-
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sicherung unter Einschluss der VHB 84 für die von ihm
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und seiner Familie bewohnte Wohnung im 2. Obergeschoss
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des Hauses V-straße in E. Vereinbart war
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eine Versicherungssumme von 85.000,00 DM sowie eine
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Unterversicherungsverzichtsklausel.
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In die Wohnung des Klägers wurde am Sonntag, den
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12.09.1999, eingebrochen. Die Wohnung befindet sich in
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einem größeren Wohnblock mit einem großen Innenhof, in
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dem hohe Bäume stehen und der regelmäßig als Spiel-
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fläche für Kinder und Erholungsfläche für Erwachsene
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dient. Am 12.09.1999 stand in diesem Innenhof an der
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Hauswand ein Gerüst, dass über das zweite Obergeschoss
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hinausragte. Eine Ebene des Gerüstes befand sich un-
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mittelbar vor dem Fenster des Schlafzimmers des Klä-
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gers, das zum Innenhof hinaus liegt. Am 12.09.1999,
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einem schönen Sonnentag, verließ der Kläger mit seiner
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Familie gegen 14.00 Uhr die Wohnung. Das Schlafzimmer-
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fenster ließ er in Kippstellung offen, da das Fenster
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an Werktagen wegen des Lärms und Schmutzes geschlossen
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blieb. Die folgenden Stunden verbrachte die Familie am
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Möhnesee; sie kehrte erst gegen 21.30 Uhr zurück. Bei
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ihrer Rückkehr bemerkten der Kläger und seine Familie,
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dass zwischenzeitlich in die Wohnung eingebrochen wor-
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den war. Hierbei waren der bzw. die Täter über das Ge-
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rüst bis zum Schlafzimmerfenster geklettert und durch
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dieses Fenster in die Wohnung eingestiegen.
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Der Kläger meldete den Einbruch der Polizei sowie der
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Beklagten und reichte jeweils Stehlgutlisten ein. Ein
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Beauftragter der Beklagten ermittelte eine Schadens-
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summe in Höhe von 32.938,25 DM. Ferner stellte er eine
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Unterversicherung von 15 % fest und errechnete danach
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einen zu ersetzenden Schadensbetrag in Höhe von
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27.627,50 DM Diesen Betrag hat der Kläger nunmehr un-
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streitig gestellt.
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Die Beklagte lehnte eine Regulierung des Schadens
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schließlich mit der Begründung ab, der Kläger habe den
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Einbruch in seine Wohnung grob fahrlässig mitverur-
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sacht.
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Der Kläger meint, sich nicht grob fahrlässig verhalten
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zu haben.
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Er beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn
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35.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
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29.03.2000 zu zahlen.
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.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, sie sei leistungsfrei, da der Kläger den
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Schaden grob fahrlässig mitverursacht habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf
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den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
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Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist in Höhe des zugesprochenen Betrages be-
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gründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
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Der Kläger kann von der Beklagten aus dem zwischen den
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Parteien abgeschlossenen Hausratversicherungsvertrag in
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Verbindung mit §§ 1 VVG, 1, 5, 18 VHB 84 die Zahlung
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einer Entschädigung in Höhe von 27.627,50 DM verlangen.
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Denn mit dem Einbruch in die Wohnung des Klägers vom
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12.09.1999 ist der Versicherungsfall eingetreten.
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Die Beklagte ist auch nicht wegen einer grob fahrlässi-
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gen Verursachung des Einbruchdiebstahls durch den Klä-
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ger gemäß § 9 Ziff. 1 Lit. a VHB 84 leistungsfrei. Da-
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bei kann dahinstehen, ob der Kläger dadurch grob fahr-
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lässig handelte, dass er das Schlafzimmerfenster seiner
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Wohnung während einer Abwesenheit von 7 1/2 Stunden in
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Kippstellung offen stehen ließ, obwohl vor dem Schlaf-
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zimmerfenster an der Hauswand ein Gerüst stand, über
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das das Fenster ohne größere Probleme erreichbar war.
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Zweifel hiergegen bestehen, da sich das Gerüst in einem
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Innenhof befand, in dem sich regelmäßig Personen auf-
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halten, für die das Fenster jederzeit einsehbar war. Es
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erscheint fraglich, ob der Kläger mit der Möglichkeit
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eines Einstiegs von Tätern in seine Wohnung über das
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Gerüst durch das Schlafzimmerfenster in dieser
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Situation rechnen musste, da das Erreichen des Fensters
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über das Gerüst einen erheblichen, auch zeitlichen,
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Aufwand erforderte, der mit einem deutlichen Ent-
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deckungsrisiko verbunden war, und da auch mögliche
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Täter im fraglichen Zeitraum jederzeit damit rechnen
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mussten, dass Personen den Innenhof des Wohngebäudes
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betreten würden.
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Letztlich konnte diese Frage jedoch offenbleiben, da es
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zumindest an einer Kausalität eines eventuell grob
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fahrlässigen Verhaltens für den erfolgten Einbruchdieb-
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stahl fehlt. Denn das Verhalten des Klägers wäre allen-
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falls aufgrund der Dauer der Abwesenheit von
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7 1/2 Stunden als grob fahrlässig zu qualifizieren, wäh-
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rend bei einer kürzeren Abwesenheit von beispielsweise
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einer halben Stunde es unzweifelhaft nicht als grob
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fahrlässig anzusehen wäre, in der gegebenen Situation
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das Schlafzimmerfenster in Kippstellung offenstehen zu
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lassen. In diesem Fall ist eine Ursächlichkeit der gro-
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ben Fahrlässigkeit für den erfolgten Einbruchdiebstahl,
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mithin den Eintritt des Versicherungsfalls, aber nur
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gegeben, wenn der Einbruch nicht zu einer Zeit er-
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folgte, zu der die Kippstellung des Fensters noch nicht
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als grob fahrlässig zu qualifizieren war (vgl. OLG
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Hamm, r+ s 1996, 66 ff.; 1997, 338 f.; ZfS 1999, 438;
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Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. 1998, § 9 VHB 84 Rn. 9).
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Demgemäß muss der Versicherer zum Nachweis der Ursäch-
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lichkeit eines grob fahrlässigen Verhaltens des Ver-
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sicherungsnehmers bei einer solchen Sachlage darlegen
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und beweisen, dass die Tat nicht unmittelbar nach Ver-
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lassen der Wohnung durch den Versicherungsnehmer son-
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dern zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Kipp-
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stellung des Fensters, durch das die Täter in die Woh-
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nung eindrangen, als grob fahrlässig einzustufen war.
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Fehlt es hieran, ist die Kausalität eines grob fahr-
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lässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers nicht
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festzustellen (so auch OLG Hamm, a.a.O.; Prölss/Martin,
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a.a.O.).
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Vorliegend konnte die Beklagte keine Angaben zum Zeit-
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punkt des Einbruchdiebstahls machen, so dass nicht aus-
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geschlossen ist, dass der Einbruch schon unmittelbar,
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nachdem der Kläger und seine Familie die Wohnung ver-
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lassen hatten, erfolgte. Demgemäß kann eine Ursächlich-
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keit eines (möglicherweise) grob fahrlässigen Verhal-
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tens des Klägers für den Einbruchdiebstahl nicht fest-
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gestellt werden, so dass die Beklagte nicht gemäß § 9
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Ziff. 1 Lit. a VHB 84 leistungsfrei ist und der Kläger
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eine Entschädigung für die entwendeten Gegenstände ent-
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sprechend den abgeschlossenen Bedingungen beanspruchen
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kann.
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Die zu erstattende Entschädigungssumme beläuft sich auf
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27.627,50 DM, nachdem der Kläger diesen von der Beklag-
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ten ermittelten Betrag nunmehr unstreitig gestellt hat.
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Die weitergehende Klage war abzuweisen.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1
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BGB.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1
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Satz 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
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beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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