Urteil des LG Dortmund vom 16.10.2009

LG Dortmund (zpo, schuldner, beschwerde, rechtsbehelf, höhe, erlass, begründung, unterkunftskosten, herabsetzung, betrag)

Landgericht Dortmund, 9 T 546/09
Datum:
16.10.2009
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 T 546/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Castrop-Rauxel, 2 M 554/09
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Gläubigerin.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 600 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Dem Schuldner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt U aus D
bewilligt.
Gründe:
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I.
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Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil
des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 05.01.2009 sowie aus dem
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Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 10.02.2009 (Az.:
12 C 309/08).
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Mit Schriftsatz vom 14.04.2009 beantragte die Gläubigerin beim Amtsgericht Castrop-
Rauxel den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Gepfändet
werden sollte dabei monatlich ein Betrag in Höhe von 30 € von den Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II, die der Schuldner von der W Kreis
Recklinghausen erhält. Der Schuldner bezieht die Regelleistung in Höhe von 351,00 €
zuzüglich 345,82 € für Unterkunft und Heizung.
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Die Gläubigerin hält § 850f Abs. 2 ZPO für anwendbar, da es sich bei der
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Hauptforderung um einen Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten
Handlung handele und auch die Verfahrenskosten und Zinsen von dem
Vollstreckungsprivileg erfasst würden. Die Pfändung von Sozialleistungen sei hier
möglich, da in den Leistungen nach dem SGB II auch Beträge für kleinere
Anschaffungen enthalten seien, die der Schuldner nicht zwingend zur Bestreitung des
notwendigen Unterhalts benötige. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Schriftsätze vom 06.05.2009 und 12.05.2009 verwiesen.
Durch Beschluss vom 03.06.2009 wies das Amtsgericht den Antrag auf Erlass eines
Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurück. Zur Begründung führte es aus, dass
der Schuldner hier lediglich Arbeitslosengeld nach dem SGB II in Höhe von 351,00 €
zuzüglich Unterkunftskosten erhalte. Die Leistungen seien damit ebenso hoch wie der
gem. § 17 Abs. 1 S. 2 SGB XII für unpfändbar erklärte Sozialhilfesatz. Das
Unterschreiten dieses Existenzminimums würde gegen die Menschenwürde und das
Sozialstaatsprinzip verstoßen.
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Gegen diesen Beschluss hat die Gläubigerin mit Schriftsatz vom 15.06.2009 Erinnerung
gem. § 766 ZPO eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihren bisherigen Vortrag und
führt weiter aus, dass ein Deliktsschuldner nicht schutzwürdig sei und so dem Interesse
des Deliktsgläubigers an der Durchsetzung seiner titulierten Forderung Vorrang
einzuräumen sei. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz vom
15.06.2009 Bezug genommen.
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Der Schuldner beantragt, den Rechtsbehelf zurückzuweisen.
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Das Amtsgericht hat den Rechtsbehelf als sofortige Beschwerde gem. § 793 ZPO
ausgelegt. Es hat der Beschwerde nicht abgeholfen und hat diese der Kammer zur
Entscheidung vorgelegt.
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II.
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Das Amtsgericht hat den Rechtsbehelf zu Recht als sofortige Beschwerde ausgelegt.
Wendet sich der Gläubiger gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erlass eines
Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, so ist die sofortige Beschwerde gem. § 793
ZPO der richtige Rechtsbehelf (Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 829 Rdn. 28).
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Die gem. § 793 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
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Das Amtsgericht hat mit zutreffender Begründung den Erlass eines Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze gem. § 850f
Abs. 2 ZPO abgelehnt.
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Es kann dabei dahin gestellt bleiben, ob es sich bei der Vollstreckungsforderung um
eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt und
ob die Nebenforderungen dieselbe Privilegierung erhalten.
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Die von der Gläubigerin begehrte Herabsetzung des Pfändungsfreibetrages nach § 850f
Abs. 2 ZPO ist hier nicht zulässig.
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Gem. § 850f Abs. 2 ZPO kann das Gericht zwar auf Antrag des Gläubigers den
Pfändungsfreibetrag ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehenen
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Beschränkungen bestimmen. Allerdings ist dem Schuldner auch nach § 850f Abs. 2
ZPO so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt benötigt.
Die begehrte Herabsetzung des Pfändungsfreibetrages um 30 € würde hier dazu führen,
dass der notwendige Unterhalt des Schuldners nicht mehr gedeckt wäre.
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Der Betrag des notwendigen Unterhalts entspricht dem des notwendigen Lebensbedarfs
im Sinne des Dritten und Elften Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
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Der notwendige Unterhalt umfasst dabei den gesamten Lebensbedarf des Schuldners.
Er umfasst insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat,
Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, zu denen in vertretbarem
Umfang auch ein kleines Taschengeld sowie Ausgaben zur Aufrechterhaltung der
Beziehung zur Umwelt und zur Teilnahme am kulturellen Leben gehören (§ 27 Abs. 1
SGB XII).
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Dieser Lebensbedarf wird durch den Regelsatz und die Unterkunftskosten abgedeckt.
Seit dem 01.07.2009 beträgt der Regelsatz gem. § 28 SGB XII für den
Haushaltsvorstand und Alleinstehende 359,00 €, bis zum 30.06.2009 waren es 351,00
€.
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Der notwendige Bedarf des Schuldners setzt sich hier aus dem Regelsatz in Höhe von
359,00 € (351,00 €) und den angemessenen Unterkunftskosten zusammen.
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Die Leistungen der W Kreis Recklinghausen decken exakt diesen notwendigen Bedarf.
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Danach verbleibt kein pfändbarer Betrag.
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Soweit die Gläubigern geltend macht, dass in dem Regelsatz auch Beträge für kleinere
Anschaffungen enthalten seien, die ein Schuldner nicht zwingend benötige und die
deshalb pfändbar seien, vermag die Kammer diese Auffassung nicht zu teilen.
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Zwar wird in der Rechtsprechung zum Teil vertreten, dass der Regelsatz so bemessen
sei, dass ein Schuldner auch in der Lage sei, kleinere Ratenzahlungen zu erbringen.
Diese Beträge seien dann entbehrlich und damit pfändbar, ohne dass es zu einer
Gefährdung des notwendigen Unterhalts komme (AG Wuppertal, Beschluss vom
07.05.2007, Az.: 44 M 12295/06; AG Dresden, Beschluss vom 16.04.2008, Az.: 582 M
5865/08; AG Karlsruhe, Beschluss vom 09.07.2007, 9 M 24041/07).
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Jedoch hat der Gesetzgeber mit § 27 SGB XII und bei der Bestimmung der Regelsätze
zum Ausdruck gebracht, dass zum Existenzminimum gerade auch kleinere Beträge für
Anschaffungen, Informationen über das Tagesgeschehen, Beziehungen zur Umwelt und
zur Teilnahme am kulturellen Leben gehören. Zum Erhalt eines menschenwürdigen
Daseins sind dem Hilfebedürftigen bescheidene Mittel für ein freies, selbstbestimmtes
und selbstgestaltetes Leben zu belassen (AG Hannover, Beschluss vom 11.04.2006,
Az.: 705 M 55174/06).
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Ein Herabsetzen des Pfändungsfreibetrages würde zu einer Unterschreitung des
menschenwürdigen Existenzminimums führen und gegen das Sozialstaatsprinzip
verstoßen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 3 ZPO, 48 GKG.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der bisher höchstrichterlich nicht geklärten
Frage, ob vom Regelsatz des Arbeitslosengeldes II noch kleine Beträge pfändbar sind,
wird nach § 574 ZPO die Rechtsbeschwerde zugelassen.
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