Urteil des LG Dortmund vom 30.05.2008

LG Dortmund: gemeinschaftspraxis, auflösung der gesellschaft, gesellschafter, goodwill, zahnarztpraxis, wirtschaftsprüfer, steuerberater, vertrauensverhältnis, realisierung, verfälschen

Landgericht Dortmund, 3 O 50/07
Datum:
30.05.2008
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 50/07
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.689,00 € (i.W.:
einunddreißigtausendsechshundertneunundachtzig Euro) nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz von 15.844,50 €
seit dem 31.03.2004 und von weiteren 15.844,50 € seit dem 01.06.2004
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 72 % und der
Beklagte 28 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Unter dem 11.03.1991 schlossen die Parteien einen schriftlichen "Sozietätsvertrag", der
die gemeinsame Ausübung der kassenärztlichen und privatärztlichen Tätigkeit als
Zahnärzte in einer Gemeinschaftspraxis einschließlich eines zahntechnischen Labors
zum Gegenstand hatte. Der Kläger zahlte an den Beklagten 400.000,00 DM und der
Beklagte brachte die von ihm in gemieteten Räumen (Mietvertrag vom 29.09.1988, Blatt
43 und 44 der Akten) in I, X- Straße ## betriebene Zahnarztpraxis ein. Der
Sozietätsvertrag vom 11.03.1991 (Blatt 14 – 21) enthält u.a. folgende Regelungen:
2
"§ 15 Fortführung der Praxis nach Auflösung der Gesellschaft...
3
Der ausscheidende Gesellschafter bzw. seine Erben sind von dem
verbleibendem Gesellschafter in barem Geld abzufinden. Die Höhe der Abfindung
ist nach Maßgabe einer zum Stichtag des Ausscheidens aufzustellenden
Auseinandersetzungsbilanz zu ermitteln. Der Wert der Praxis (ideell und
materiell) sind von einem unabhängigen Sachverständigen zu ermitteln,...
4
§ 16 Wettbewerbsverbot
5
§ 16 Wettbewerbsverbot
5
1. Kein Gesellschafter darf sich nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft
innerhalb eines Umkreises von 5 Kilometern um den Geschäftssitz als Zahnarzt
niederlassen oder an einer zahnärztlichen Praxisgemeinschaft beteiligen.
2. Dieses Verbot gilt für die Dauer von fünf Jahren."
6
7
Der Kläger kündigte den "Sozietätsvertrag" zum 31.12.2003 und betreibt seitdem eine
Zahnarztpraxis in I M-weg ####. Vor dem Ausscheiden des Klägers aus der
Gemeinschaftspraxis beliefen sich die abrechnungsfähigen Fallzahlungen auf 3.015
(2002) und 3.256 (2003) und danach auf 1.499 (2004) und 1.429 (2005), Einzelheiten
Blatt 34 der Akten.
8
Die Parteien beauftragten den Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Z mit der Erstellung
einer Auseinandersetzungsbilanz. In seinem Gutachten vom 31.08.2006 (Hülle Blatt 22)
ermittelte Z einen Praxiswert in Höhe von 204.300,00 €, einen Abfindungsbetrag
zugunsten des Klägers in Höhe von 10.320,00 € (Kapitalkonto T) + 102.150,00 € (50 %
des Praxiswertes) + 25.250,00 € Zinsen = 137.720,00 € abzüglich 39.257,75 € (50 %
des Darlehens U). Mit Schreiben vom 27.12.2006 (Blatt 23/24) teilte Z dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass ein Ausgleich der Kapitalkonten
erforderlich sei und dem Kläger daraus 24.722,21 € zustünden.
9
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger sein Abfindungsguthaben, das er wie
folgt berechnet:
10
137.720,00 € (Gutachten Z ) – 10.320,00 € (Vermeidung einer Doppelberechnung) +
24.722,21 € (Ausgleich der Kapitalkonten) – 39.257,75 € (U-Darlehen) = 112.864,46 €.
11
Der Kläger beantragt,
12
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 112.864,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten seit dem 16.12.2006 zu zahlen.
13
Der Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Der Beklagte rügt die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und erhebt folgende
Einwendungen:
16
Ein ideeller Wert (Goodwill) der Praxis sei nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger
gegen das Wettbewerbsverbot, über dessen Wirksamkeit die Parteien streiten,
verstoßen habe. Der Beklagte behauptet, die Entfernung der Praxisräume betrage
weniger als 4 km (Der Kläger gesteht 4,2 km zu). Zahlreiche Patienten der
Gemeinschaftspraxis habe der Kläger nach seinem Ausscheiden aus der
Gemeinschaftspraxis weiterbehandelt.
17
Der Kläger habe in den Jahren 2002 und 2003 Fremdlaborkosten in Auftrag gegeben,
die 70.000,00 € höher gewesen seien, als die von dem Beklagten in Auftrag gegebenen
Fremdlaborkosten, die auch im eigenen Labor hätten erledigt werden können. Dadurch
seien Gewinne in Höhe von 50 % mithin 35.000,00 € an der Gemeinschaftspraxis
vorbeigeleitet worden.
18
1998 sei mit dem Vermieter der Praxisräume eine Mieterhöhung von unstreitig 856,75 €
vereinbart worden, weil der Kläger einen langfristigen Vertrag habe abschließen wollen.
Der Beklagte begehrt den Ersatz der Mieterhöhung, die er seit Januar 2004 zahlt und
zwar in Höhe von 39 Monate x 438,05 € = 17.083,95 €.
19
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des
Sachverständigen Dipl.-Kaufmann E. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme
wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 14. Februar 2008
verwiesen.
20
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21
Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
22
Die Klage ist nicht nach § 1032 ZPO unzulässig, weil die Schiedsgerichtsvereinbarung
der Parteien nach § 1027 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. unwirksam ist. Danach muss die
Schiedsgerichtsvereinbarung in einer besonderen Vertragsurkunde getrennt vom
Hauptvertrag geschlossen werden. Dies war vorliegend unstreitig nicht der Fall. Nach
Artikel 4 SchiedsVfg beurteilt sich die Wirksamkeit nach altem Recht, weil der
vorliegende Vertrag vor dem Inkrafttreten der neuen Regelungen (01.01.1998)
geschlossen worden ist (Zöller, vor § 1025 Rdnr. 11).
23
Der Kläger hat gegen den Beklagten nach § 15 Abs. 3 des Sozietätsvertrages vom
11.03.1991 einen Abfindungsanspruch in Höhe von 31.689,00 €.
24
Nach § 15 Abs. 3 des Sozietätsvertrages ist der verbleibende Gesellschafter mithin der
Beklagte verpflichtet, dem ausscheidenden Gesellschafter mithin den Kläger
abzufinden. Die Höhe der Abfindung soll sich nach § 15 Abs. 3 des Sozietätsvertrages
nach der Auseinandersetzungsbilanz richten, die von einem unabhängigen
Sachverständigen zu ermitteln ist. Das von dem Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Z
ermittelte Abfindungsguthaben kann der Kläger jedoch nicht verlangen.
25
Entsprechend § 319 Abs. 1 BGB ist das Schiedsgutachten eines Dritten für die Parteien
nicht verbindlich, wenn es offenbar unrichtig ist. Eine derartige Unrichtigkeit liegt vor,
wenn sich einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter – sei es auch erst nach
eingehender Prüfung – offensichtliche Fehler der Leistungsbestimmung aufdrängen, die
das Gesamtergebnis verfälschen (Palandt § 319 Rdnr. 4 und 5, BGH NJW 2001, 3775
(3777)). Maßgebend ist allein das Ergebnis. Fehler in der Bewertung sind daher
unschädlich, wenn sie durch andere gegenteilige Fehler ausgeglichen werden.
26
Das Ergebnis des von Z ermittelten Abfindungsguthabens des Klägers ist offensichtlich
falsch. Nach dem überzeugenden und nachvollziehbaren Gutachten des
Sachverständigen E vom 14. Februar 2008, auf das zur Vermeidung von
Wiederholungen voll inhaltlich Bezug genommen wird beläuft sich das
Abfindungsguthaben ohne Berücksichtigung des ideellen Wertes der
27
Abfindungsguthaben ohne Berücksichtigung des ideellen Wertes der
Gemeinschaftspraxis auf 31.689,00 € (insbesondere Seiten 12 – 16, 52, 53, 59 des
Gutachtens). Insoweit hat keine Partei Einwendungen gegen das Gutachten des
Sachverständigen erhoben.
Ein Zahlungsanspruch auf Ersatz des Goodwills der Gemeinschaftspraxis steht dem
Kläger nicht zu. Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit des
vereinbarten Wettbewerbsverbotes.
28
Wenn das Wettbewerbsverbot unwirksam sein sollte, ist der ideelle Wert der Praxis
entgegen dem Gutachten des Sachverständigen E denknotwendig mit Null anzusetzen
(BGH NJW 1994, 796, NJW 2000, 2584, OLG Celle NZG 2002, 862). Wenn das
vereinbarte Wettbewerbsverbot unwirksam ist, dann darf jeder der Partner das von ihm
zu seinen Patienten aufgebaute Vertrauensverhältnis in der Weise für sich wirtschaftlich
nutzbar machen, dass er die ärztliche Betreuung dieser Patienten auch nach der
Auflösung der Gemeinschaft fortsetzt. Die starke Personengebundenheit der
Patientenbetreuung lässt in diesem Fall keinen nachhaltig wirkenden Goodwill
entstehen.
29
Der Kläger, der seine neue Zahnarztpraxis in nichtübermäßig großer Entfernung zur
ursprünglichen Gemeinschaftspraxis betreibt, kann im Falle der Unwirksamkeit des
Wettbewerbsverbotes mangels Wettbewerbsverbotes die ihm zustehenden Anteile am
Goodwill ohne weiteres dadurch realisieren, dass er seine bisherigen Patienten in der
neuen Praxis weiterbehandelt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob sich
diese Möglichkeit tatsächlich verwirklicht hat. Denn der Goodwill bezieht sich auf
Ertragserwartungen und steht daher ohnehin unter der stets ungewissen Prämisse
künftiger Realisierung (OLG Celle NZG 2002, 864).
30
Angesichts der unstreitigen Reduzierung der Fallzahlen der ehemaligen
Gemeinschaftspraxis um etwa 50 % spricht zudem alles dafür, dass sich die Möglichkeit
der Patientenmitnahme zum großen Teil verwirklicht hat.
31
Dieses Ergebnis führt auch nicht etwa faktisch zu einer – gegen § 723 Abs. 3 BGB
verstoßenden – unvertretbaren Kündigungsbeschränkung. Denn eine
Abfindungsregelung, die einen Freiberufler auf die Mitnahme seiner Klientel beschränkt,
ist nicht zu beanstanden (BGH NJW 1994, 796 ff.). Es ist vielmehr im Regelfall als
angemessene Art der Auseinandersetzung der in Form einer BGB-Gesellschaft
betriebenen Gemeinschaftspraxis von Ärzten anzusehen, wenn die Sachwerte geteilt
werden und die Mitnahme von Patienten rechtlich nicht beschränkt wird.
32
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger beim Eintritt in
die Praxis 400.000,00 DM an den Beklagten gezahlt hat. Denn durch diese Zahlung hat
er nicht nur den hälftigen Anteil an den materiellen Praxiswerten erworben, sondern
auch die Möglichkeit erhalten, sofort am – vom Beklagten allein geschaffenen – ideellen
Praxiswert und am Gewinn zu partizipieren. Überdies liegen zwischen Eintritt und
Ausscheiden des Klägers in bzw. aus der Gemeinschaftspraxis mehr als 12 Jahre, so
dass sich die Zahlung durch die Teilhabe des Klägers am Gewinn der Praxis quasi
verbraucht hat, jedenfalls aber nicht mehr Grundlage einer nun etwa vom Beklagten zu
leistenden Abfindungszahlung sein kann.
33
Festzuhalten bleibt damit, dass dem Kläger aus Rechtsgründen kein Zahlungsanspruch
hinsichtlich des Goodwills der Gemeinschaftspraxis zusteht, wenn das vereinbarte
34
Wettbewerbsverbot unwirksam ist.
Aber auch dann, wenn das Wettbewerbsverbot wirksam sein sollte, ist der ideelle Wert
der Praxis im vorliegenden Fall in der Auseinandersetzungsbilanz mit Null anzusetzen,
weil sich der Kläger nicht an das Wettbewerbsverbot gehalten hat. Seine neuen
Praxisräume liegen unstreitig weniger als 5 Kilometer vor den Räumen der früheren
Gemeinschaftspraxis entfernt. Der Kläger hat sich damit über das vereinbarte
Wettbewerbsverbot hinweggesetzt und sich damit vereinbarungswidrig die Möglichkeit
verschafft, seine ehemaligen Patienten der Gemeinschaftspraxis weiter zu behandeln.
Ob und inwieweit sich diese Möglichkeit tatsächlich verwirklicht hat spielt für die
Entscheidung nach dem oben Gesagten keine entscheidende Rolle. Entscheidend ist
allein, dass der Partner des ausgeschiedenen Gesellschafters vor einer
vertragswidrigen mithin illoyalen Verwertung der Erfolge der gemeinsamen Arbeit und
vor einer doppelten Inanspruchnahme (nämlich einmal durch die Beteiligung an dem in
die Zahlung des Abfindungsguthabens einbezogenen Goodwills und zum anderen
durch die Mitnahme der Patienten) zu stützen ist (BGH NJW 2005, 3061, NJW 2000,
2584).
35
Festzuhalten bleibt damit, dass der Kläger keinen Zahlungsanspruch auf Ersatz des
Goodwills hat, weil ihm der Goodwill wirtschaftlich bereits dadurch zugeflossen ist, dass
er von der Möglichkeit – sei es vertragesgemäß oder vertragswidrig – Gebrauch
gemacht hat, die von ihm in der Gemeinschaftspraxis behandelten Patienten weiter zu
behandeln.
36
Unerheblich ist der Einwand des Beklagten zu den Fremdlaborkosten, denn der Kläger
war aus keinem Rechtsgrund verpflichtet, das Eigenlabor in Anspruch zu nehmen, wenn
er mit der Leistung des eigenen Zahntechnikers aus welchen Gründen auch immer nicht
zufrieden war.
37
Unerheblich ist schließlich auch, dass der Beklagte seit dem 01.01.2004 die
vereinbarte, erhöhte Miete allein weiterzahlt, denn er betreibt in den gemieteten
Geschäftsräumen weiterhin die Zahnarztpraxis und muss daher auch im Innenverhältnis
der Parteien allein die damit verbundenen Kosten tragen.
38
Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus den §§ 286, 288 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 Satz 3
des Sozietätsvertrages.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige
Unterliegen der Parteien. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt
aus § 709 ZPO.
40