Urteil des LG Dortmund vom 16.09.2010

LG Dortmund (kläger, treu und glauben, höhe, geschäftsbedingungen, rechnung, erhöhung, zeitpunkt, benachteiligung, lieferung, unwirksamkeit)

Landgericht Dortmund, 13 O 103/06 Kart.
Datum:
16.09.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
II. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 O 103/06 Kart.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.082,72 € (i.W.:
zweitausendzweiundachtzig 72/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 82,39 € seit dem
02.02.2006, aus 389,74 € seit dem 15.01.2007, aus 430,35 € seit dem
09.11.2007, aus 396,66 € seit dem 06.08.2008 und aus 783,58 € seit
dem 20.08.2009 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 18 % dem Kläger, zu 82 % der
Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d:
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Der Kläger wurde von der Beklagten bis zum Jahre 2010 mit Strom, Gas und Wasser
versorgt auf Grund vertraglicher Vereinbarung vom 08.07.1987, zu deren Wortlaut auf
Blatt 74 f d.A. Bezug genommen wird.
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Mit Schreiben vom 10.12.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie werde wegen
gestiegener Rohstoffbezugspreise die Erdgas- und Strompreise ab dem 01.02.2005
erhöhen. Der Kläger widersprach mit Schreiben vom 19.12.2004. Die Beklagte teilte mit
Schreiben vom 05.01.2005 mit, sie halte an der Erhöhung fest. Sie übersandte
Rechnung vom 01.07.2005 und zog den Rechnungsbetrag vom Konto des Klägers ein.
3
Die Beklagte erhöhte die Erdgaspreise erneut zum 01.07.2005. Der Kläger widersprach
4
dem mit Schreiben vom 23.09.2005. Er erhob im Januar 2006 Klage beim Amtsgericht
Münster, gerichtet auf Zahlung von 82,39 € nebst Zinsen und Feststellung der
Nichtberechtigung der Beklagten zur Erhöhung von Abschlagszahlungen unter
Berufung auf den gestiegenen Gaspreis. Das Verfahren wurde auf Zuständigkeitsrüge
der Beklagten am 11.07.2006 an die Kartellkammer verwiesen.
Die Beklagte erhöhte die Gaspreise erneut zum 01.10.2006. Der Kläger widersprach
dem mit Schreiben vom 17.10.2006. Er erweiterte die Zahlungsklage im Dezember 2006
und änderte den Feststellungsantrag.
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Die Beklagte senkte die Erdgaspreise zum 01.01.2007 und 01.04.2007 und erstellte
Jahresverbrauchsrechnung für den Kläger vom 06.07.2007. Der Kläger zahlte den
Rechnungsbetrag. Er erweiterte und änderte seine Klage erneut im November 2007. Die
Beklagte erhöhte die Gaspreise zum 01.12.2007 und 01.09.2008. Sie senkte sie zum
01.04.2009. Sie erstellte Jahresverbrauchsrechnung für den Kläger vom 22.07.2009, die
vom Kläger bezahlt wurde.
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Der Kläger erweiterte und änderte seine Klage erneut im August 2008 und im August
2009.
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Der Kläger vertrat zunächst die Auffassung, die Beklagte als Monopolist für die Region
N für die Lieferung von Haushaltsgas sei zur einseitigen Preiserhöhung nur nach
billigem Ermessen und bei Offenlegung einer nachvollziehbaren Kalkulation berechnet.
Er beruft sich nunmehr auf Unwirksamkeit der in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten enthaltenen Preisanpassungsklauseln wegen
unangemessener Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Kläger hält die
Feststellungsklage für zulässig. Zwar habe er Abschlagszahlungsanpassung
vornehmen können. Gerade eine solche habe er aber nicht gewollt, da er die
Preiserhöhung für unwirksam halte.
8
Der Kläger beantragt nunmehr,
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Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 82,39 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2005, 389,74 €
nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 20.07.2006, 430,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2007, 396,66 €
nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 22.07.2008 und 783,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2009 zu zahlen.
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Hinsichtlich des Feststellungsantrages erklärt er den Rechtsstreit in der Hauptsache für
erledigt.
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Die Beklagte schließt sich der Teilerledigungserklärung an und beantragt,
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die Klage im Übrigen abzuweisen.
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Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt wurde, stellen die
Parteien wechselseitige Kostenanträge.
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Die Beklagte hält sich nach Ziff. 2.2.1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen über die
Lieferung von Erdgas in Verbindung mit § 4 AVBGasV und der ergänzenden Bedingung
zur AVBGasV für berechtigt zu Gaspreisänderungen. Sie behauptet, die
Gaspreissteigerungen beruhten ausschließlich auf gestiegenen Beschaffungs-kosten.
Diese seien noch nicht einmal in voller Höhe durch sie weitergegeben worden. Eine
Kompensation durch rückläufige Kosten der Gassparte in anderen Bereichen sei nicht
eingetreten, da die übrigen Kosten sich nicht nennenswert verändert hätten. Die
Beklagte behauptet zudem, der Kläger habe seit dem 01.04.2007 die Möglichkeit
gehabt, den Gaslieferanten zu wechseln. Mit dem stillschweigenden Gasfortbezug habe
er die streitigen Preiserhöhungen konkludent genehmigt. Es sei unnötige Förmelei, das
Energieversorgungsunternehmen zu einer Änderungskündigung zu zwingen, um
Preisänderungen durchzusetzen.
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Die Beklagte hält die Feststellungsanträge mangels Rechtsschutzbedürfnisses für
unzulässig. Die Beklagte ist der Auffassung, dass wegen der Möglichkeit, Abschläge
ohne Berücksichtigung der Preisänderung festsetzen zu lassen, die
Feststellungsanträge mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig gewesen sein.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist im Wesentlichen begründet.
19
Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung eines Betrages wie tenoriert verlangen
gemäß § 812 BGB. Er hat an die Beklagte für Gaslieferungen einen Betrag von 2.082,72
€ zu viel und damit ohne Rechtsgrund gezahlt. Die Parteien haben die von der
Beklagten ab 2005 in Rechnung gestellten Erdgaspreise nicht vereinbart. Die Beklagte
war auch nicht zur einseitigen Erhöhung der Gaspreise ab dem 01.01.2005 berechtigt.
20
Eine ausdrückliche Preisvereinbarung der Parteien im Hinblick auf die Gaspreise ab
dem 01.01.2005 liegt nicht vor. Der Kläger hat den Preiserhöhungsforderungen der
Beklagten widersprochen. Auch von einer konkludent erklärten Zustimmung oder
Genehmigung des Klägers zum Preiserhöhungsverlangen der Beklagten ist nicht
auszugehen. Angesichts des stets ausdrücklich erklärten Widerspruchs kommt der
Tatsache des weiteren Gasbezugs nicht der Erklärungswert einer konkludenten
Zustimmungserklärung zu. Gleiches gilt angesichts des erklärten Zahlungsvorbehaltes
für die ungekürzte Bezahlung der Rechnungen der Beklagten. Ob der Kläger ab dem
1.4.2007 den Gasanbieter wechseln konnte, ist in diesem Zusammenhang ohne
Relevanz. Es war nicht treuwidrig, wenn der Kläger am Vertrag festhielt. Die Beklagte
ihrerseits hätte von der Möglichkeit der Änderungskündigung Gebrauch machen
können.
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Die Beklagte war zur einseitigen Preiserhöhung nicht berechtigt. Eine
Preisanpassungsberechtigung zugunsten der Beklagten wurde vertraglich nicht
vereinbart. Es kann dabei dahinstehen, ob für den von den Parteien geschlossenen
Erdgassondervertrag die Preisanpassungsklausel der zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses geltenden Allgemeinen Geschäfts-bedingungen der Beklagten von
1983 oder die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten von März 1998
gelten. Beide Regelungen unterliegen als Preisnebenabrede der Inhaltskontrolle des
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§ 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Sie halten dieser Inhaltskontrolle nicht stand.
Preisanpassungsklauseln sind entgegen Treu und Glauben unangemessen
benachteiligend für den Kunden gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie nur ein
Recht zur Preiserhöhung bei Bezugskostensteigerung vorsehen, aber keine
Verpflichtung, bei gesunkenen Bestehungskosten den Preis zu senken. Hierdurch
werden Risiken und Chancen einer Veränderung der Gasbezugskosten zwischen den
Vertragsparteien ungleich verteilt und dem Energieversorgungsunternehmen die
Möglichkeit einer ungerechtfertigten Erhöhung der Gewinnspanne verschafft (BGH,
Urteil vom 28.10.2009, NJW 2010, Seite 993 (994)). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Beide von der Beklagten verwendeten Preisanpassungsklauseln enthalten nicht die
ausdrückliche und eindeutige Verpflichtung, gefallene Gasbezugskosten nach gleichen
Maßstäben wie gestiegene Kosten Rechnung zu tragen.
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Es liegt auch keine eine unangemessene Benachteiligung ausschließende
unveränderte Übernahme des Preisänderungsrechts nach § 4 AVBGasV vor. Die
Bindung des allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen hat zur Folge, dass das
Preisänderungsrecht mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung
Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt
einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden
ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen (BGH,
a.a.O., S. 995). Diesen Anforderungen werden die von der Beklagten verwendeten
Preisanpassungsklauseln nicht gerecht.
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Die unangemessene Benachteiligung der Kunden wird nicht durch Einräumung eines
Rechts zur Lösung vom Vertrag ausgeglichen. Durch die Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten wird den Kunden ein vor Wirksamwerden der
Preisänderung greifendes Sonderkündigungsrecht nicht eingeräumt.
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Die AVBGasV und die ergänzenden Bedingungen zur AVBGasV sind auch nicht qua
zur Verweisung zum Vertragsinhalt geworden. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Beklagten enthalten jeweils eine eigenständige Vereinbarung zur Preisanpassung,
die sich als abschließende Regelung darstellt. Nach Ziff. 5.2 kommt eine ergänzende
oder für den Fall der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel hilfsweise Anwendung
von § 4 AVBGasV nicht in Betracht.
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Eine analoge Anwendbarkeit der Vorschriften von § 4 AVBGasV und eine solche im
Wege der Vertragsanpassung oder ergänzenden Vertragsauslegung scheidet ebenfalls
aus. Die Voraussetzungen hierfür – Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und
einseitige Verschiebung des Vertragsgefüges zugunsten des Kunden (BGH, a.a.O., S.
997) – liegen nicht vor. Das Vertragsverhältnis war für die Beklagte zum Ablauf der
Mindestvertragslaufzeit von 1 Jahr und der ebenfalls einjährigen
Vertragsverlängerungszeit kündbar. Die Bindung an den vertraglich vereinbarten Preis
bis zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung führt für sie zu keinem zumutbaren Ergebnis.
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Die Zahlungsklage ist bis auf den Zinsanspruch auch in voller Höhe begründet. Der
klägerischen Berechnung der Klageforderung auf der Grundlage der bis zum
01.01.2005 geltenden Preisen ist zu folgen. Sie geht aus von den von der Beklagten
angegebenen Verbrauchsmengen. Die Beanstandung der Beklagten insoweit ist durch
Korrektur des Vorbringens im klägerischen Schriftsatz vom 07.11.2009 erledigt. Ob die
von der Beklagten behauptete Differenz bei der Summe der gezahlten Abschläge
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besteht, kann dahinstehen, da sich eine solche nur zugunsten des Klägers auswirken
würde.
Der Kläger kann Verzinsung verlangen gemäß §§ 286, 288, 291 BGB, aber nur in
tenoriertem Umfang. Für Verzug vor den im Tenor angegebenen Zeitpunkten wird nichts
vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 II, 91 a ZPO. Der Kläger hat die Kosten des
Verfahrens zu tragen, soweit der Rechtsstreit überein-stimmend teilweise für erledigt
erklärt wurde. Die jeweils klageändernd geltend gemachten Feststellungsanträge waren
von Anfang an mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Kläger konnte die
Höhe der von ihm zu erbringenden Abschlagszahlungen selbst festlegen, dies auch im
Hinblick auf den von ihm selbst errechneten Zahlungsbetrag. Für eine klageweise
Feststellung bestand angesichts dessen keine Notwendigkeit. Die Frage der
Berechtigung der Beklagten zur Gaspreiserhöhung wurde im Rahmen der
Leistungsklage geklärt. Sie musste nicht erneut im Hinblick auf die Abschlagszahlungen
problematisiert werden.
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