Urteil des LG Dortmund vom 18.03.2010
LG Dortmund (kläger, fahrzeug, haftpflichtversicherung, auslegung, versicherungsnehmer, gebrauch, führer, schaden, fortbewegung, versicherungsschutz)
Landgericht Dortmund, 2 S 51/09
Datum:
18.03.2010
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 51/09
Leitsätze:
Zur Auslegung der sog. Benzinklausel in Ziff. 3.1 der Besonderen
Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung
(BBR).
Tenor:
Die Berufung gegen das am 19.10.2009 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt nach einem Streitwert von bis
zu 10.000,00 € der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Privathaftpflichtversicherung unter Geltung
der AHB und der Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die
Haftpflichtversicherung (BBR), aus der er die Beklagte auf Deckung in Anspruch nimmt.
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Am 05.03.2009 wollte der Kläger für sein Fahrzeug ein Ersatzteil bei dem geschädigten
C in dessen Kfz-Werkstatt kaufen. Dort stand der Ford Econoline Baujahr 1985 des
Geschädigten, der das Interesse des Klägers weckte. Auf seine Bitte hin erlaubte der
Geschädigte dem Kläger die Besichtigung des Fahrzeugs. Während der Geschädigte
das gewünschte Ersatzteil holte, öffnete der Kläger die Fahrertür des auf dem
Hallenboden aber innerhalb einer Hebebühne stehenden Ford und setzte sich hinein.
Er ließ mit dem im Zündschloss befindlichen Schlüssel den Motor an und stellte den
Hebel des Automatikgetriebes auf (wie er dachte) "N". Sodann entriegelte er die
Motorhabe und stieg aus, um sich den laufenden Motor anzuschauen. In diesem
Augenblick setzte sich das Fahrzeug rückwärts in Bewegung. Der sich seitlich neben
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dem Fahrzeug befindliche Kläger wurde zwischen Hebebühne und Autotür
festgeklemmt. Er griff in das Fahrzeug und stellte den Hebel des Automatikgetriebes auf
"P", so dass das Fahrzeug zum Stillstand kam. Durch einen Kontakt mit der Hebebühne
war am Ford ein Schaden an der Tür, am Kotflügel sowie an den Scharnieren
entstanden.
Der Kläger, der vom Geschädigten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird,
begehrt Deckung aus der Haftpflichtversicherung. Er vermutet, dass er den Hebel des
Automatikgetriebes statt wie beabsichtigt auf "N" auf "R" gestellt hat, weil er eine neue
Brille mit Gleitsichtgläsern getragen habe, an die er sich noch nicht gewöhnt hatte.
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Die Beklagte hat Deckung mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger als Führer
und (Fremd-)Besitzer des Ford gewesen sei, so dass der Leistungsausschluss nach A
3.1 BBR eingreife. Er hat die Auffassung vertreten, dass es auf den Willen von
Fortbewegungen des Fahrzeugs nicht ankomme, um als Führer eines Fahrzeugs im
Sinne der BBR zu gelten.
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Das Amtsgericht hat die Deckungsklage abgewiesen. Nachdem es den Kläger dazu
bewegt hat, statt der Feststellungsklage eine Leistungsklage zu erheben, hat es diese
wegen unzureichender Konkretisierung für unzulässig und unabhängig davon den
Anspruch für unbegründet gehalten, weil der Kläger den Schaden als Führer des
beschädigten Kraftfahrzeugs verursacht habe, so dass der Deckungsausschluss nach A
3.1 BBR eingreife.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er eine fehlerhafte
Auslegung des Risikoausschlusses rügt. Er hat nach Hinweis des Berufungsgerichts die
Klage wieder von einer Leistungsklage auf eine Feststellungsklage umgestellt und
begehrt nunmehr die Feststellung, dass die Beklagte ihm hinsichtlich der
Inanspruchnahme durch den geschädigten C wegen der Beschädigung des Ford
Econoline bedingungsgemäßen Versicherungsschutz zu gewähren hat.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und hält an ihrer Auffassung fest, dass
der Kläger den Schaden als Führer des Fahrzeugs bei dessen Gebrauch verursacht
habe, so dass der Deckungsausschluss eingreife.
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II.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
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Im Ergebnis zutreffend hat das Amtsgericht entschieden, dass die Beklagte dem Kläger
aus der bestehenden Haftpflichtversicherung keine Deckung wegen der
Inanspruchnahme durch den geschädigten C aus Anlass der Beschädigung des Ford
Econoline gewähren muss, weil der Versicherungsfall vom Deckungsschutz der
Haftpflichtversicherung ausgenommen worden ist. Denn nach Ziffer 3.1 BBR ist nicht
versichert u.a. die gesetzliche Haftpflicht des Führers eines Kraftfahrzeugs wegen
Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht werden. Diese
sogenannte Benzinklausel ist nicht anders auszulegen als Versicherungsbedingungen
im Allgemeinen, nämlich so, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese
Bestimmung bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter
Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt
es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne
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versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an.
Als Ausschlussklausel ist Ziffer 3.1 BBR grundsätzlich eng und nicht weiter auszulegen,
als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten
Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht
nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm
diese hinreichend verdeutlicht werden.
Dies zugrunde legend wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen, dass
durch Ziffer 3.1 BBR ein Risiko aus dem Bereich der Privathaftpflichtversicherung
ausgenommen wird, das typischerweise dem Risikobereich der Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung zuzuordnen ist. Deshalb wird der durchschnittliche
Versicherungsschutz für das mit dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verbundene Risiko
typischerweise nicht in der Privathaftpflichtversicherung, sondern in der Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung erwarten. Insoweit erkennt der Versicherungsnehmer, dass mit
der hier in Rede stehenden Klausel grundsätzlich vom Versicherungsschutz in der
Privathaftpflichtversicherung ausgenommen werden soll, was als typisches
Kraftfahrzeuggebrauchsrisiko in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung versicherbar
ist. Damit sollen einerseits Doppelversicherungen, andererseits aber auch
Deckungslücken vermieden werden.
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Allerdings bedeutet dieses Verständnis der Benzinklausel in den BBR der
Privathaftpflichtversicherungen nicht, dass der Versicherungsnehmer wegen dieses
auch ihm erkennbaren Zusammenhangs zur Auslegung des Risikoausschlusses auf
Bedingungswerke zurückgreifen müsste, die in der Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung Verwendung finden. Denn diese Bedingungswerke muss der
Versicherungsnehmer nicht kennen. Ziffer 3.1 BBR verweist weder auf Klauseln in der
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung noch wird dem Versicherungsnehmer sonst deren
Inhalt zur Kenntnis gebracht. Die Klausel in Ziffer 3.1 BBR ist demgemäß aus sich
heraus nach ihrem dem Versicherungsnehmer erkennbaren Sinn und Zweck
auszulegen. Das gilt selbst dann, wenn die Begriffe Fahrzeugführer und
Fahrzeuggebrauch in den Bedingungen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
wegen des dort zu beachtenden Zusammenhangs anders auszulegen sein sollen als in
Ziffer 3.1 BBR (BGH VersR 2007, 388 = NJW-RR 2007, 464). Mit dieser seine frühere
Rechtsprechung zur Auslegung der Benzinklausel abändernden Entscheidung hat der
Bundesgerichtshof klargestellt, dass bei der Auslegung des Ausschlusstatbestandes
nicht auf die in einem anderen Bedingungswerk gebräuchliche Verwendung eines
identischen Begriffs zurückgegriffen werden kann. Deshalb spielt es bei der Auslegung
von Ziffer 3.1 BBR keine Rolle mehr, ob es in Einzelfällen zur
Deckungsüberschneidungen kommen kann (Schimikowski jurisPR-VersR 2/2007
Anmerkung 1; Lücke VK 2007, 39).
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III.
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Bei einem von diesen Auslegungsgrundsätzen geprägten Verständnis der
Benzinklausel ist mithin zu entscheiden, ob der Kläger Führer eines Kraftfahrzeugs war
und der Schaden durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs verursacht worden ist.
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a)
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Aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist Führer eines
Kraftfahrzeugs – wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat – derjenige, der
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eigenverantwortlich die Verrichtungen ausübt, die erforderlich sind, damit die
bestimmungsgemäßen Triebkräfte des Fahrzeugs auf dieses zur Fortbewegung
einwirken (BGH NJW 1963, 43; OLG Hamm VersR 1988, 457). Danach hat der Kläger
das Fahrzeug geführt. Er hat den Zündschlüssel betätigt, um den Motor anzulassen und
anschließend den Wahlhebel des Automatikgetriebes betätigt und damit die
bestimmungsgemäßen Triebkräfte des Fahrzeugs in Gang gesetzt, so dass dieses sich
in Bewegung setzen konnte. Das erkennende Gericht stimmt mit der zitierten
Entscheidung des OLG Hamm insoweit überein, dass die Fortbewegung nicht Zweck
der Ingebrauchnahme des Fahrzeugs sein muss. Es genügt vielmehr, wenn die zur
Fortbewegung erforderlichen Triebkräfte des Fahrzeugs in Gang gesetzt und das
Fahrzeug deshalb bewegt wird. Genau das hat der Kläger bewirkt, auch wenn er die
Fortbewegung des Fahrzeugs nur versehentlich bewirkt hat, weil er den Wahlhebel des
Automatikgetriebes statt in die Stellung "N" in Position "R" gesetzt hat. Die
Entscheidung des Landgerichts Hildesheim in VersR 2002, 750, wonach als Fahrer
eines Kraftfahrzeugs nicht angesehen werden kann, wer ein Fahrzeug in Bewegung
setzt, ohne dass die von ihm dazu vorgenommene Handlung auch subjektiv auf die
Fortbewegung des Fahrzeugs gerichtet ist, steht der hier vertretenen Auslegung von
Ziffer 3.1 BBR schon deswegen nicht entgegen, weil das Landgericht Hildesheim sich
zur Auslegung der AKB geäußert hat und nach den oben dargelegten
Auslegungsgrundsätzen die Bestimmungen der AKB für die Auslegung der BBR ohne
Bedeutung sind. Im Übrigen kann für den vorliegenden Fall nicht verkannt werden, dass
der Kläger insoweit auf die Fortbewegungen des Fahrzeugs Einfluss genommen hat, als
er diese wieder beendet hat, indem er den Wahlhebel des Automatikgetriebes auf "P"
gestellt hat, um die Fahrt des Fahrzeugs zu beenden. Für das Gericht besteht kein
Zweifel, dass derjenige, der den Motor startet, einen Gang anlegt, so dass sich das
Fahrzeug in Bewegung setzt und die Fahrt des Fahrzeugs wieder stoppt, indem er eine
die Triebkräfte aussetzende Funktion des Fahrzeugs in Anspruch nimmt, auch als
Führer eines Fahrzeugs angesehen werden muss, mag er auch die Fortbewegungen
des Fahrzeugs nur irrtümlich veranlasst haben.
b)
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Der Schaden ist auch durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs verursacht worden, wie
es Ziffer 3.1 BBR erfordert. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn sich eine Gefahr
verwirklicht, die gerade dem Fahrzeuggebrauch eigen ist, diesem selbst und unmittelbar
zuzurechnen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gefahr von der Art des
Fahrzeuggebrauchs oder aber beim Gebrauch vom Fahrzeug selbst ausgeht.
Entscheidend ist aus der Sicht des verständigen Versicherungsnehmers vielmehr, dass
der Anwendungsbereich der Klausel dann und nur dann eröffnet sein soll, wenn sich ein
Gebrauchsrisiko gerade des Kraftfahrzeugs verwirklicht und zu einem Schaden geführt
hat (BGH VersR 2007, 388 = NJW-RR 2007, 464 unter II 1 b). Deshalb verwirklicht sich
kein Gebrauchsrisiko des Fahrzeugs, wenn nicht dieses selbst, sondern ein nicht zum
Fahrzeug gehörender Gegenstand benutzt wird wie z.B. ein Heizlüfter (BGH a.a.O.) oder
eine Funkfernbedienung, mit der das Garagentor geöffnet wird, das ein nebenstehendes
Fahrzeug beschädigt, weil sich nicht das spezifische Gebrauchsrisiko des Fahrzeugs,
sondern dasjenige des Garagentores verwirklicht (a.A. LG Saarbrücken r+s 2005, 415).
Zu den Gebrauchsrisiken eines Fahrzeugs gehören jedenfalls diejenigen Gefahren, die
sich aus der Bewegung des Fahrzeugs selbst ergeben. Eine solche Gefahr hat sich im
vorliegenden Rechtsstreit verwirklicht, weil der Schaden durch die Bewegung des
Fahrzeugs selbst verursacht worden ist, so dass sich die dem Gebrauch des Fahrzeugs
eigene Gefahr realisiert hat.
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IV.
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Da mithin das Schadensereignis nicht in den Deckungsbereich der
Privathaftpflichtversicherung fällt, von diesem vielmehr durch Ziffer 3.1 BBR
ausgenommen ist, konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, so dass sie
mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen war.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 und 713
ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.
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