Urteil des LG Dortmund vom 02.03.2007
LG Dortmund: unerlaubte handlung, örtliche zuständigkeit, anleger, juristische person, rückzahlung, rückgabe, luxemburg, einlage, kündigungsfrist, verlustanteil
Landgericht Dortmund, 3 O 161/06
Datum:
02.03.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 161/06
Tenor:
Die Beklagten zu 1) und zu 2) werden verurteilt,
als Gesamtschuldner an den Kläger 6.135,50 €
(i.W. sechstausendeinhundertfünfunddreißig 50/100 Euro)
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
14.06.2006 sowie 784,45 € zu zahlen, Zug um Zug
gegen Übertragung von 615 Aktien der L
an die Beklagten zu 1) und zu 2).
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten
als Gesamtschuldner nach einem Streitwert von
6.150,00 €.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft
mit Sitz in Luxemburg. Der Beklagte zu 1) ist Vorstandsvorsitzender der Beklagten zu 2).
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Am 07.04.2000 und 20.04.2000 übergab der Kläger in den Geschäftsräumen N-str. in E
dem Zeugen L2 2.000,00 DM und 10.000,00 DM. Der Inhalt der vorangegangenen
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dem Zeugen L2 2.000,00 DM und 10.000,00 DM. Der Inhalt der vorangegangenen
Gespräche ist streitig. L2 händigte dem Kläger einen Prospekt (Anlage K 2, Bl. 20 d.A.),
2 Zeichnungsscheine, die von dem Kläger und L2 unterschrieben worden waren, und 2
Aktienzertifikate über 2.000,00 DM und 10.000,00 DM (Anlage B 1) aus. Im Kopf und
neben der Unterschrift L2 ist die Beklagte zu 2) genannt. Auf der Rückseite der
Aktienzertifikate waren "Allgemeine Bedingungen der L bezüglich des
Beteiligungserwerbes" abgedruckt. Darin heißt es u.a. wie folgt:
".....
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7. Die Zertifikate werden jeweils im April des auf den Erwerb
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der Zertifikate folgenden Jahres gegen Aktien getauscht.
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.....
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9. Gibt der Anleger seine Zertifikate vor dem Tausch gegen
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Aktien an die Gesellschaft zurück, so wird dem Anleger
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sein eingezahltes Kapital zurückgezahlt. .....
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10. Die Rückgabe von Zertifikaten an die Gesellschaft ist nur
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wirksam, wenn sie der Gesellschaft mindestens 3 Monate
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vor der beabsichtigten Rückgabe schriftlich mitgeteilt wird.
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Nur in diesem Fall erfolgt eine Rückgewähr des eingezahlten Kapitals. .....
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15. Sämtliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Anleger und
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der L, Luxemburg, unterliegt
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luxemburgischen Recht. ....."
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Unter dem 01.06.2001 bestätigte der Kläger den Erhalt von 615 Aktien im Nennwert von
6.150,00 € (Anlage K 1, Bl. 19 d.A. und Anlage B 2). Im Jahr 2002 forderte der Kläger
die Beklagte zu 2) vergeblich zur Rückzahlung seiner Einlagen auf.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger im Wege des Schadensersatzes die
Rückzahlung seiner Leistungen.
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Er behauptet, der Beklagte zu 1) habe auf zahlreichen öffentlichen
Werbeveranstaltungen u.a. in L3, H und M erklärt, dass die Anlagesummen unter keinen
Umständen in Gefahr seien und die Anleger jeder Zeit ihr Geld zurück erhalten könnten.
Er habe den Mitarbeitern der Beklagten zu 2) die Anweisung erteilt, gegenüber
Anlageinteressenten dieselben unstreitig falschen Zusicherungen abzugeben. L2 habe
u.a. Folgendes gesagt:
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"Wir sind als L Gruppe von den deutschen Behörden
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legitimiert, Beteiligungen entgegenzunehmen, Informationen über
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die Beteiligung zu erteilen, Beteiligungsverträge abzuschließen und
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im Falle einer Kündigung der Beteiligung die Anlagesumme zurück-
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zuzahlen. ......
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Wenn sie heute ihr Geld anlegen, können sie es innerhalb einer
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Frist von 3 Monaten ab Rückforderung wieder abheben. Unsere
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Institution ist sicherer als alle staatlichen und privaten Banken. Sie
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sind an der ganzen L Gruppe weltweit beteiligt."
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Ohne diese Zusagen hätte sich der Kläger nicht an der Beklagten zu 2) beteiligt.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn
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einen Betrag in Höhe von 6.150,00 € nebst 5 % Zinsen über
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dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie 784,45 €
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außergerichtliche Mahnkosten zu zahlen, Zug um Zug
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gegen Rückgabe der Vertragsunterlagen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreiten die von dem Kläger behaupteten Zusagen und berufen sich auf die
Einrede der Verjährung.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L4, L2 und N2. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom
26.01.2007, Bl. 123 bis 132 d.A. Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die internationale und die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund folgt aus
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet
eines Mitgliedsstaates hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende
Ereignis eingetreten ist, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine
gleichgestellte Handlung Streitgegenstand ist. Gesellschaften und juristische Personen
haben ihren "Wohnsitz" an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre
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Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 60 EuGVVO). Der
satzungsmäßige Sitz der Beklagten zu 2) befindet sich ebenso wie der Wohnsitz des
Beklagten zu 1) in Luxemburg, also im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates.
Streitgegenstand ist eine unerlaubte Handlung, die in Dortmund begangen sein soll.
Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf
Schadensersatz in Höhe von 12.000,00 DM = 6.135,50 € gemäß § 826 BGB.
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Nach Art. 40 EGBGB unterliegen Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht des
Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Der Verletzte kann das Recht des
Staates wählen, in dem der Erfolg eingetreten ist. Sowohl der Handlungs- als auch der
Erfolgsort liegen nach dem Vortrag des Klägers in Dortmund. Es gilt demnach
deutsches Recht.
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Eine juristische Person – hier die Beklagte zu 2) – haftet grundsätzlich gemäß § 31 BGB
für vorsätzliche Falschinformationen ihrer Organe – hier
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des Beklagten zu 1) – gegenüber dem Anleger gemäß § 826 BGB (BGH NJW 2005,
2450). Die dabei als Schadensausgleich gemäß § 249 BGB vorrangig geschuldete
Naturalrestitution ist nicht durch die besonderen aktienrechtlichen
Gläubigerschutzvorschriften über das Verbot der Einlagenrückgewähr und das Verbot
des Erwerbs eigener Aktien begrenzt oder gar ausgeschlossen. Der
Kapitalschutzgedanke muss bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach §
826 BGB zurücktreten. Zudem ist die Tatsache, dass es im Rahmen des gebotenen
Schadensausgleichs zu einer Übernahme eigener Aktien durch die Gesellschaft
kommen kann, lediglich Folge der Besonderheiten der kapitalmarktrechtlichen
Naturalrestitution und als solche von der ersatzpflichtigen Gesellschaft hinzunehmen.
Während die eigentliche Belastung des Vermögens der Gesellschaft durch die Pflicht
zur Erstattung des von den Anlegern aufgewendeten Kaufpreises stattfindet, beruht die
Verpflichtung des Geschädigten, die etwa noch in seinem Besitz befindlichen Aktien
Zug um Zug an den am Erwerb nicht beteiligten Schädiger herausgeben zu müssen, vor
allem darauf, dass ihm aus Anlass der Schädigung kein über den Ersatz des Schadens
hinausgehender Vorteil ("Bereicherungsverbot") verbleiben soll. Haben die
geschädigten Anleger etwa die Aktien schon (wieder) veräußert, so findet aus
demselben Grund bei der Schadensabwicklung eine wertmäßige Anrechnung des aus
dem Verkauf der Aktien erlangten Kaufpreises statt. Auch unter Wertungsaspekten wäre
eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Fallkonstellationen – Schadensersatz
bei zwischenzeitlichem Verkauf der Aktien, Ausschluss des Ersatzes bei deren
Vorhandensein – nicht gerechtfertigt – zumal der nur in der zweiten Variante auftretende
Gesichtspunkt des Erwerbs eigener Aktien mehr oder minder zufällig ist und im Übrigen
durch den getäuschten Anleger durch jederzeit zulässigen Verkauf der Aktien
vermieden werden kann.
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Das Organ der juristischen Person, also der Beklagte zu 1), haftet nach § 826 BGB
gesamtschuldnerisch mit der juristischen Person, also der Beklagten zu 2), auf
Schadensersatz gemäß § 826 BGB, wenn er veranlasst oder bewusst nicht verhindert
hat, dass Anleger getäuscht werden. Dies gilt auch dann, wenn das Organ der
juristischen Person mit den betreffenden Anlegern keinen unmittelbaren Kontakt hatte
und lediglich versäumt hat, seine Mitarbeiter zur richtigen und vollständigen Aufklärung
der Kunden anzuhalten (BGH NJW 1993, 257, 1988, 2000, 882).
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zweifelsfrei fest, dass der Zeuge L2
Angestellter der Beklagten zu 1) war, dass er den Kläger vor der Übergabe der
12.000,00 DM ohne Unterscheidung zwischen Zertifikat und Aktien die jederzeitige
Rückzahlung der geleisteten Einlagen entsprechend dem Gewinn oder Verlustanteil
des Klägers nach 3-monatiger Kündigungsfrist ausdrücklich zusagte und dass ihm der
Beklagte zu 1) dies zuvor so erläutert hat. Diese Feststellungen beruhen auf der
glaubhaften Aussage des Zeugen L2. Das Gericht hatte keine Zweifel an der Wahrheit
der Aussage des Zeugen. Seine Aussage wird durch die glaubhaften Aussagen der
Zeugen L4 und N2 bestätigt. Objektive Anhaltspunkte, die gegen die Wahrheit der
Aussage des Zeugen L2 sprechen, waren weder ersichtlich noch dargelegt. Er hatte
keinerlei Veranlassung, zu Lasten der Beklagten die Unwahrheit zu sagen.
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Die Zusage der Rückzahlung der Einlage ohne Differenzierung zwischen Zertifikat und
Aktie war unstreitig falsch, denn die Rückzahlung war unstreitig nur bis zum Tausch der
Zertifikate in Aktien möglich. Dies hat L2 dem Kläger nicht gesagt und der Beklagte zu
1) hat L2 nicht entsprechend geschult. Der Beklagte zu 1) handelte vorsätzlich, weil ihm
als Vorstand der Beklagten zu 2) der Unterschied zwischen Zertifikat und Aktien
bekannt war.
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Ein Aufklärungsmangel, im vorliegenden Fall die Täuschung über die jederzeitige
Rückzahlbarkeit der Einlage entsprechend dem Gewinn oder Verlustanteil des Klägers
nach 3-monatiger Kündigungsfrist begründet die widerlegbare Vermutung, dass der
Kunde, also der Kläger, von dem Geschäft bei ordnungsgemäßer Aufklärung
abgesehen hätte, der Schaden also nicht eingetreten wäre (Palandt, § 280 Rn. 53 e)
m.w.N.). Tatsachen, die gegen diese Vermutung sprechen, haben die
darlegungsbelasteten Beklagten nicht vorgetragen.
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Dahinstehen kann, ob die Aktien den von dem Kläger unstreitig gezahlten Betrag in
Höhe von 12.000,00 DM wert waren, denn bereits der Eingriff in die persönliche
Entscheidungsfreiheit stellt einen Schaden dar, denn Schaden ist nicht nur jede
nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede
Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer
ungewollten Verpflichtung (BGH NJW 2005, S. 1579 u. 2450). Der Kläger kann daher
den Ersatz seiner Zahlungen (unstreitig 12.000,00 DM) gegen Übertragung der Anteile
verlangen (Palandt, § 311 Rn. 57, § 826 Rn. 15, Vor § 823 Rn. 17).
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Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Nach Art. 229 § 6 Abs. 1
EGBGB richtet sich der Beginn der Verjährung für die Zeit vor dem 01.01.2002 nach
dem bis dahin geltenden Recht, also § 852 BGB a.F. Danach setzt der
Verjährungsbeginn sowohl nach dem alten Recht (vgl. dazu Palandt, 58. Aufl., § 852
Rn. 4), als auch nach neuem Recht (§ 199 BGB) die Kenntnis von den
anspruchsbegründenden Tatsachen voraus. Dazu fehlt konkreter Vortrag der Beklagten,
worauf sie in der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2006 ausdrücklich hingewiesen
worden sind.
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Die Entscheidung über die Nebenforderungen (Zinsen und vorgerichtliche
Anwaltskosten) folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB, die Kostenentscheidung aus § 92 Abs.
2 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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