Urteil des LG Dortmund vom 01.02.2007
LG Dortmund: hund, verwertung, deckung, subjektiv, anhörung, versicherungsnehmer, versicherer, strafverfahren, einziehung, haftpflichtversicherung
Landgericht Dortmund, 2 O 154/06
Datum:
01.02.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 154/06
Leitsätze:
Der VR wird in der Tierhalterhaftpflichtversicherung von der Leistung
frei, wenn der VN in der Schadenanzeige das durch seinen Hund
verursachte Schadenereignis falsch darstellt.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem
Streitwert von 15.000,00 € der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Der Kläger ist Eigentümer und Halter des Rottweilers B, für den er bei der Beklagten
eine Hundehalterhaftpflichtversicherung unter Geltung der AHB der Beklagten
genommen hat.
2
Am 13.03.2005 gegen Mitternacht fiel der Hund des Klägers die damals 68jährige
Geschädigte C an, die gerade ihre Mülltonne an den Fahrbahnrand der M-straße in C2
schob. Der Hund verbiss sich im linken Ellenbogen der Geschädigten, worauf diese zu
Boden fiel. Die Geschädigte zog sich eine herausgerissene, tiefe Riss-Bisswunde mit
teilweisem Gewebsverlust sowie sturzbedingt eine Verletzung der rechten Hand zu und
musste dieserhalb stationär im Krankenhaus C2 behandelt werden.
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Der Kläger zeigte der Beklagten den Schadenfall nach Erhalt eines
Anspruchsschreibens der Geschädigten zunächst mit Schreiben seiner seinerzeitigen
Bevollmächtigten, der Rechtsanwälte Weskamp pp., an und ließ folgenden
Schadenhergang schildern:
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"Richtig (...) ist, dass unser Mandant am 13.03.2005 gegen 23.45 Uhr mit dem bei
Ihnen versicherten Hund spazieren ging. Die Anspruchstellerin war gerade dabei,
Ihre Mülltonne an den Straßenrand zu fahren. Gerade in diesem Moment ging der
Mandant mit seinem Hund vorbei. Die Anspruchstellerin erschrak, ging zurück und
fiel zu Boden. Die Mülltonne lag auf ihr. Die Zeugin Frau W (...) hob die Mülltonne
auf und half der Frau auf. Auf Nachfrage erklärte die zuvor Gestürzte, es sei nicht so
viel passiert, es ginge schon in Ordnung. Vorsorglich wurde ihr mitgeteilt, dass eine
Haftpflichtversicherung bestehe. Gegebenenfalls solle man noch einmal in Kontakt
treten."
5
Mit Schadenanzeige vom 29.05.2005 schilderte der Kläger den Schadenhergang
sodann wie folgt:
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"Am 13.03.05 gegen 23.45 Uhr ging ich mit der oben genannten Zeugin mit meinem
Hund spazieren. Als ich in Höhe d. M-str. ### ankam, erblickte uns die geschädigte
Person, erschrak und fiel auf ihr Hinterteil."
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Wegen des weiteren Inhalts der Schadenanzeige vom 29.05.2005 wird auf deren bei
den Gerichtsakten befindliche Ablichtung (Bl. 44 f. d. A.) verwiesen.
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Die Beklagte erbat mit an die Rechtsanwälte X pp. gerichtetem Schreiben vom
20.06.2005 nach Erhalt einer telefonischen Aussage der Zeugin W Informationen über
den aktuellen Stand des wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung zum
Nachteil der Geschädigten C gegen den Kläger anhängigen Strafverfahrens und teilte
mit, dass man beabsichtige, eine Haftung dem Grunde nach zurückzuweisen.
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Mit Urteil vom 12.10.2005 verurteilte das Amtsgericht Kamen den Kläger nach
durchgeführter Beweisaufnahme wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer
Geldstrafe und ordnete die Einziehung des Hundes an. Seine hiergegen gerichtete
Berufung hatte teilweise Erfolg. Mit Urteil vom 12.04.2006 änderte die XV. kleine
Strafkammer des Landgerichts Dortmund das Urteil des Amtsgerichts Kamen im
Strafmaß ab und hob die Einziehung auf.
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Die Geschädigte C nahm den Kläger aus Anlass des Vorfalls vom 13.03.2005 ihrerseits
in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Dortmund auf Schadensersatz und
Schmerzensgeld in Anspruch.
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Bereits mit Schreiben vom 20.10.2005 hatte die Beklagte gegenüber dem Kläger unter
Berufung auf eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit wegen einer unzutreffenden
Schilderung des Schadenshergangs durch den Kläger Deckung versagt.
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Dem trat der Kläger mit Schreiben seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom
03.11.2005 entgegen. Er verwies darauf, den Hergang des Ereignisses vom 13.03.2005
so wie subjektiv wahrgenommen geschildert zu haben.
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Die Beklagte hielt mit Schreiben vom 29.12.2005 an ihrer
Versicherungsschutzversagung fest und erklärte sich zugleich bereit, im Falle des
Obsiegens des Klägers im Deckungsprozess die Zahlung eines Betrages in Höhe von
3.000,00 € an die Geschädigte C im Vergleichswege gegen sich gelten zu lassen.
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Mit seiner Klage begehrt der Kläger, die Beklagte aus Anlass des Vorfalls vom
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13.03.2005 zur Deckung zu verpflichten. Er vertritt die Ansicht, die Beklagte berufe sich
zu Unrecht auf Leistungsfreiheit. Hierzu behauptet er, er habe der Beklagten den
Sachverhalt so geschildert, wie er ihn subjektiv wahrgenommen habe. Er habe nicht
mitbekommen, dass sein Hund die Geschädigte gebissen habe und zunächst gedacht,
dass sich das Tier erschrocken habe, weil gerade die Geschädigte auf den Gehsteig
gekommen sei. Er sei davon ausgegangen, dass sein Hund die Mülltonne
angesprungen habe und dabei die Geschädigte zu Fall gekommen sei. Ferner sei er
davon ausgegangen, dass es zu Bissverletzungen der Geschädigten nicht gekommen
sein könne, da der Hund ein Halti getragen haben, welches Bissverletzungen
verhindere. Er habe nicht gewusst und nicht vorhergesehen, dass das Tier
möglicherweise durch die Kraftanstrengung des Springens das Halti gelockert habe.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, ihm Versicherungsschutz hinsichtlich des
Schadenfalles vom 13./14.03.2005 hinsichtlich der von seinem Hund B
gegenüber der Geschädigten C verursachten Schäden zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie lehnt Deckung wie vorprozessual unter Hinweis auf Obliegenheitsverletzungen ab.
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Die Kammer hat den Kläger angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf
die Sitzungsniederschrift vom 01.02.2007 (Bl. 60 d. A.) Bezug genommen.
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Die Akten 4 Cs 246 Js 842/05 (379/05) – Staatsanwaltschaft Dortmund / Amtsgericht
Kamen – waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Aus ihnen
hat die Kammer mit Zustimmung der Beklagten die protokollierte Zeugenaussage der
Zeugin C in der Hauptverhandlung des Amtsgerichts Kamen vom 12.10.2005 (Bl. 50 ff.
BA) zu Beweiszwecken verwertet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen
verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht der klageweise verfolgte Deckungsanspruch aus Anlass des
Schadensereignisses vom 13.03.2005 nicht aus §§ 1, 149 ff. VVG zu. Die Beklagte ist
gemäß § 6 AHB i. V. m. § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG leistungsfrei geworden ist, da der Kläger
seine Aufklärungsobliegenheit aus § 5 Nr. 3 S. 2 AHB verletzt hat.
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1.)
27
Nach § 5 Nr. 3 S. 2 AHB ist der Versicherungsnehmer u. a. verpflichtet, dem Versicherer
wahrheitsgemäße Schadensberichte zu erstatten sowie alle Tatumstände, welche auf
den Schadenfall Bezug haben, mitzuteilen. Falsche Angaben des
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Versicherungsnehmers zu der Vorgeschichte und zum Hergang eines Unfalls stellen
danach eine Obliegenheitsverletzung dar (vgl. OLG Hamm, r+s 1990, 408; OLG Köln,
Urteil vom 14.02.2006 – 9 U 3/05).
Gegen diese Obliegenheit hat der Kläger verstoßen, indem er in seiner
Schadenanzeige vom 29.05.2005, welche inhaltlich im Wesentlichen mit den
Ausführungen seiner vormaligen Prozessbevollmächtigten in deren Schreiben vom
30.03.2005 übereinstimmt, einen unzutreffenden Schadenshergang geschildert hat. Der
Kläger hat in seiner Schadenanzeige gegenüber der Beklagten erklärt, dass die
Geschädigte C allein durch den Anblick des Rottweilers B erschrocken und – ohne
weitere Veranlassung – zu Sturz gekommen sei.
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Dass diese Darstellung unzutreffend ist, steht fest. Der Kläger hat in seiner Anhörung im
Termin am 01.02.2007 selbst eingeräumt, dass entgegen seinen ursprünglichen
Angaben gegenüber der Beklagten und im gegen ihn anhängigen Strafverfahren sein
Hund die Geschädigte C angesprungen und umgeworfen habe. Allerdings will er
zunächst nicht bemerkt haben, dass der Rottweiler die Geschädigte C auch gebissen
hat. Selbst wenn man die Angaben des Klägers im Termin am 01.02.2007 als zutreffend
unterstellt, hat der Kläger seine in den AHB statuierten Aufklärungsobliegenheiten
gegenüber der Beklagten verletzt, indem er ihr einen Schadenhergang schilderte, der
nichts mit dem tatsächlichen Geschehensablauf gemein hatte.
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Zudem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Kläger auch die erlittene
Bissverletzung der Geschädigten C nicht entgangen ist. Zu Recht hat bereits das
Amtsgericht Kamen die gegenteilige Einlassung des Klägers als Schutzbehauptung
gewertet. Die Zeugin C hat im Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Kamen
am 12.10.2005 bekundet, dass ihr Pullover durch den Biss des Hundes des Klägers
zerrissen sei und der Kläger selbst sie noch unmittelbar nach dem Schadenfall darauf
hingewiesen habe, dass dies seine Versicherung übernehmen würde. Dem Kläger war
folglich bewusst, dass sein Hund zugebissen hatte, da durch einen Sturz der
Geschädigten auf ihr Hinterteil – wie von ihm geschildert – nicht ihr Pullover hätte
zerreißen können, was keiner vertieften Erörterung bedarf.
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Einer neuerlichen Vernehmung der Zeugin C bedurfte es nicht. Die Beklagte, zu deren
Beweislast die Obliegenheitsverletzung durch den Kläger steht, hat einer Verwertung
der Niederschrift über ihre frühere Vernehmung im Wege des Urkundsbeweises
zugestimmt. Eine solche Verwertung ist auch dann statthaft, wenn die Gegenpartei ihr
widerspricht, da die Führung des Urkundsbeweises grundsätzlich nicht des
Einverständnisses der Gegenpartei bedarf. Der Beweisgegner kann sich daher nicht
darauf beschränken, der Verwertung von Strafakten zu widersprechen; er muss sich
vielmehr, will er die erneute Vernehmung des Zeugen im Zivilprozess erreichen, zum
Gegenbeweis auf diesen Zeugen berufen (vgl. BGH, VersR 1970, 322).
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2.)
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Leistungsfreiheit der Beklagten bei Verletzung der Aufklärungsobliegenheit durch den
Kläger ist zwischen den Parteien in § 6 AHB vereinbart, wobei der Kläger die
gesetzliche Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 S. 1 VVG nicht zur Überzeugung der
Kammer widerlegt hat. Die entschuldigende Angabe des Klägers, er habe die
Schadenanzeige lediglich falsch formuliert, ist auch angesichts der zuvor durch seine
damaligen Prozessbevollmächtigten abgegebenen Schilderung und seines
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Aussageverhaltens im Strafverfahren unplausibel und überzeugt nicht.
3.)
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Auch die von der sog. Relevanz-Rechtsprechung entwickelten weiteren
Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit des Versicherers sind gegeben (vgl. dazu
nur Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rn. 51 ff. m. w. N.):
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Unzutreffende Angaben des Versicherungsnehmers zum Schadenhergang sind im
Rahmen der Haftpflichtversicherung generell geeignet, die Interessen des Versicherers
ernsthaft zu gefährden. Das Verschulden des Klägers ist erheblich; es handelt sich nicht
bloß um ein Fehlverhalten, welches auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer
leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis
aufbringen müsste. Der Kläger war auch durch die auf dem Anzeigeformular unmittelbar
über seiner Unterschrift abgedruckten – sachlich richtigen und durch Fettdruck
hervorgehobenen – Belehrungen ausreichend auf die Folgen vorsätzlich falscher
Angaben hingewiesen worden.
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Nach alledem war die Klage mit der sich aus § 91 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge
abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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