Urteil des LG Dortmund vom 21.11.2007
LG Dortmund: tatsächliche sachherrschaft, unterschlagung, betrug, kaufvertrag, einverständnis, gewahrsam, diebstahl, entwendung, eigentumsvorbehalt, meinung
Landgericht Dortmund, 22 O 96/07
Datum:
21.11.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
22. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 O 96/07
Normen:
AKB § 12
Leitsätze:
1. Der Verlust eines PKWs durch Betrug ist von der
Fahrzeugversicherung nicht gedeckt.
2. Gibt der Versicherungsnehmer seinen PKW an unter Aliasnamen
handelnde Personen gegen Übergabe eines ungedeckten Schecks
heraus nachdem er mit diesen einen Kaufvertrag geschlossen hat, ist
von einem nicht versicherten Betrug auszugehen.
3. Dies gilt auch bei der Vereinbarung eines Eigentumvorbehaltes.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Fahrzeugversicherung wegen des Verlustes
des versicherten Pkws in Anspruch.
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Er nahm bei der Beklagten eine Fahrzeugteil- und Vollversicherung mit einer
Selbstbeteiligung in Höhe von 150,00 € für seinen Pkw L (Kennzeichen ##--## ##),
Erstzulassung 05.02.2004. Wegen der Einzelheiten der dem Vertrag zugrundeliegenden
AKB wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 13.08.2007, Blatt 22 f. der
Akten, Bezug genommen.
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Der Kläger beabsichtigte Anfang 2007 den Pkw zu verkaufen und bot ihn im Internet und
in Zeitungsannoncen an. Daraufhin meldete sich am 15.03.2007 eine Person
telefonisch bei dem Kläger, die sich mit den Aliasnamen Prof. Dr. E vorstellte und
erklärte, den Pkw kaufen zu wollen. Der Kläger vereinbarte mit dem Anrufer einen
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Termin, zu dem für den Anrufer ein Herr S erscheinen sollte. Der Anrufer kündigte an,
dass dieser einen Barscheck übergeben würde.
Zu dem vereinbarten Termin, dem 17.03.2007, erschien dann eine Person, die sich mit
dem Aliasnamen "S" vorstellte. Man wurde handelseinig. Die Person hatte einen
vorbereiteten schriftlichen Kaufvertrag mitgebracht, der zum Teil bereits
maschinenschriftlich ausgefüllt war. Er wurde handschriftlich ergänzt und vom Kläger
unterzeichnet. Unter der Rubrik "besondere Vereinbarungen" findet sich der
maschinenschriftliche Eintrag: "Bezahlung erfolgt per Bar-Bankscheck, unwiderruflich
bestätigt". Der formularmäßig gestaltete Teil des Kaufvertrages beinhaltet die Klausel:
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"Eigentumsvorbehalt
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Das gekaufte Kraftfahrzeug nebst Zubehör bleibt so lange Eigentum
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des Verkäufers, bis sämtliche Verbindlichkeiten aus diesem Kaufvertrag vollständig
beglichen sind."
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Die Kaufvertragsparteien vereinbarten auch mündlich, dass der Eigentumsübergang
erst mit Einlösung und Gutschrift des dem Kläger von "Herrn S" überreichten
Barschecks erfolgen sollte.
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Der Kläger behauptet, der Scheck sei nicht gedeckt gewesen; die Einlösung des
Schecks sei gescheitert.
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Polizeiliche Ermittlungen blieben bislang ohne Ergebnis.
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Der Kläger sieht sich als Opfer eines Eingehungsbetruges. Soweit es sich um eine
Unterschlagung gehandelt habe, ist er der Auffassung, der Ausschluss nach § 12 I b
AKB greife nicht ein.
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Der Kläger behauptet den Wert des abhanden gekommenen Fahrzeuges mit 34.000,00
€ brutto.
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Der Kläger hat zunächst beantragt,
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1.
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.000,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.04.2007 zu zahlen,
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2.
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ferner, den Beklagten zu verurteilen, 1.085,04 € außergerichtliche Anwaltskosten
nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
31.07.2007 zu zahlen.
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Der Kläger beantragt nunmehr,
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1.
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 34.000,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.04.2007 zu zahlen,
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2.
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ferner, den Kläger von den außergerichtlichen Gebühren des Rechtsanwalts G
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in Höhe von 1.307,81 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, der Kläger sei ggf. sowohl Opfer eines Betruges als auch einer
Unterschlagung geworden. In beiden Fällen bestehe eine Erstattungspflicht nicht.
Daneben beruft sich die Beklagte auf Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG. Soweit der
Kläger demgegenüber geltend macht, die Beklagte habe auf diesen Einwand mit
Schreiben von November 2006 verzichtet (vgl. auch § 12 I. (3) AKB), ist sie der Meinung,
der Verzicht habe sich nicht auf Fälle grobfahrlässiger Ermöglichung eines Diebstahls
bezogen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist bereits nach dem Sachvortrag des Klägers nicht begründet. Ein
Versicherungsfall gemäß § 12 AKB liegt nicht vor. Die Fahrzeugversicherung umfasst
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nach § 12 Nr. 1 Zif. I b (AKB) den Verlust des Fahrzeuges durch Entwendung,
insbesondere Diebstahl und Unterschlagung. Nicht versichert ist der Verlust des
Fahrzeuges durch Betrug (BGH VersR 1975, 225; OLG Hamm VersR 1985, 490; OLG
Düsseldorf VersR 2001, 1551). Die Auslegung der AKB ergibt, dass unter einem
Diebstahl - in der
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Rechts- wie in der Alltagssprache – der Bruch fremden und die Begründung neuen
Gewahrsams zu verstehen ist (OLG Saarbrücken RuS 2007, 314 (315)). Dabei genügt
der Bruch von Mitgewahrsam. Ein Gewahrsamsbruch setzt allerdings immer voraus,
dass die tatsächliche Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers gegen oder
ohne den Willen ihres Inhabers aufgehoben oder beeinträchtigt wird. Ein Einverständnis
mit dem von dem Täter erstrebten oder erlangten Gewahrsam schließt eine Wegnahme
aus. Das gilt auch dann, wenn dieses Einverständnis durch Täuschung erlangt worden
ist (BGH St 18, 221; BGH VersR 1975, 225; OLG Saarbrücken a.a.O.).
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Hieraus folgt, dass nicht eine versicherte Entwendung vorlag, sondern ein nicht
versicherter Betrug. Denn der Kläger übertrug den tatsächlichen Gewahrsam an dem
Pkw dem "Herrn S" täuschungsbedingt freiwillig. Dem Auftreten der handelnden
Personen unter Aliasnamen kann zwanglos entnommen werden, dass von vornherein
beabsichtigt war, in den Besitz des Pkw zu gelangen, ohne den Kaufpreis zu entrichten.
Etwas anderes würde sich auch nicht ergeben, soweit man noch die theoretische
Möglichkeit in Betracht zieht, der Pkw sei nicht betrügerisch erlangt, sondern später
unterschlagen worden. Denn wenn nach dem objektiven Geschehensablauf eine
betrügerische Erlangung jedenfalls ernstlich in Betracht kommt, so ist es Sache des
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Anspruchstellers, diese Möglichkeit auszuräumen (OLG Jena VersR 1999, 305; OLG
Hamm NJOZ 2006, 1216). Dies ist ihm vorliegend nicht möglich.
Das Vorliegen eines Diebstahls im Sinne der Versicherungsbedingungen folgt auch
nicht aus dem zwischen den Kaufvertragsparteien vereinbarten Eigentumsvorbehalt.
Richtig ist allerdings, dass ein "Trickdiebstahl" vorliegt, wenn der Gewahrsamsinhaber
nur Teile seiner Sachherrschaft freigibt, so dass lediglich eine Lockerung des
Gewahrsams vorliegt, welcher immer noch "gebrochen" werden muss (BGH VersR
1975, 225; OLG Saarbrücken a.a.O.). Da der Begriff des Gewahrsams jedoch rein
tatsächlich zu
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verstehen ist, kann das durch die Vereinbarung des Eigentumsvorbehaltes begründete
Rechtsverhältnis einen Gewahrsamsrest nicht begründen (BGH St 18, 221; OLG
Saarbrücken a.a.O.).
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Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Annahme einer Unterschlagung nicht
vor. Denn wenn die Täter den Pkw betrügerisch erlangten, sind (etwaige) nachträgliche
Äußerungen des Herrschaftswillens tatbestandlich bedeutungslos (BGH St 14, 38; 18,
221 (224)).
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Nach alledem kam es auf die weitere zwischen den Parteien streitige Frage, ob die
Beklagte gemäß § 61 VVG leistungsfrei geworden ist, nicht mehr an.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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