Urteil des LG Dortmund vom 12.02.1997, 17 O 93/95
LG Dortmund (operation, behandlung, lege artis, höhe, eingriff, schmerzensgeld, bezug, gutachten, zeitpunkt, klinik)
- Entschieden
- 12.02.1997
- Schlagworte
- Operation, Behandlung, Lege artis, Höhe, Eingriff, Schmerzensgeld, Bezug, Gutachten, Zeitpunkt, Klinik
Landgericht Dortmund, 17 O 93/95
Datum: 12.02.1997
Gericht: Landgericht Dortmund
Spruchkörper: 17. Zivilkammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 17 O 93/95
Tenor: Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein
Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 DM - i. W.:
dreitausend Deutsche Mark - nebst 4 % Zinsen
seit dem 24. Januar 1996 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin
zu 92,5 % und der Beklagte zu 7,5 %.
Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 4.000,00 DM und für den
Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 4.200,00 DM vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d 1
Die am 24.12.1948 geborene Klägerin nimmt den Beklagten 2
wegen eines von ihr behaupteten Behandlungsfehlers im 3
Hinblick auf die Behandlung einer Epicondylitis humeri 4
ulnaris (Tennisarm) in Anspruch. 5
Wegen dieser Beschwerden befand sich die Klägerin ursprünglich 6
bei ihrer Hausärztin Dr. L in Behandlung. 7
Diese überwies die Klägerin an den Orthopäden Dr. 8
S, der seine Praxis im selben Haus wie der Beklagte 9
betrieb. Inwieweit Dr. S eine konservative 10
Behandlung des Krankheitsbildes der Klägerin 11
durchgeführt hat, ist zwischen den Parteien streitig. Am 12
18.11.1993 nahm der Beklagte einen operativen Eingriff 13
zur Behebung der Beschwerden der Klägerin vor. Auf der 14
chirurgischen Karteikarte des Beklagten ist unter diesem 15
Datum vermerkt: "Plexus; Kochsalzinfusion (35 min); 16
Epi OP re med; Denervation; Drainage; VB; Schiene an; 17
Ibu 600 mit." Bereits in der frühen nachoperativen Phase, als 18
der Arm mittels einer Gipsschiene ruhiggestellt war, 19
gab die Klägerin Schmerzen an, und zwar im Bereich des 20
Ellenbogens und des Unterarms. Der Beklagte nahm dar- 21
aufhin eine konservative Behandlung vor. Im Januar 1994 veranlaßte 22
er eine neurologische 23
Untersuchung einschließlich eines EMG. Der beauftragte 24
Neurologe Dr. C stellte bei seiner Untersuchung 25
fest, daß die Innenseite des rechten Ellenbogens 26
etwas geschwollen sei, Paresen sonst fehlten, 27
ebenfalls systematisierte Sensibilitätsstörungen. Der 28
Befund an den Gefäßen und Nerven sei unauffällig. Es 29
lägen keine Reflexauffälligkeiten vor. Unter Berücksichtigung 30
des EMG gab er folgende Beurteilung ab: 31
"Eine auffällig peripher-nervöse Läsion im Bereich des 32
P. Brachialis re. war nicht nachzuweisen, keine entzündlichen 33
Veränderungen, kein Engpaßsyndrom, kein Carpaltunnelsyndrom, 34
nur geringe Hinweise auf eine cervikaIes 35
Reizsyndrom." Die Behandlung durch den Beklagten 36
dauerte noch bis Ende Februar 1994. Anfang März 1994 37
stellte sich die Klägerin in der chirurgischen Ambulanz 38
des Knappschaftskrankenhauses in E vor. Dort 39
wurde ihr als Diagnose eine persistierende Schmerzsymptomatik 40
am rechten Ellenbogen und im rechten Arm bei 41
Zustand nach operativer Therapie einer Epicondylitis 42
humeri ulnaris rechts gestellt. Als Therapieempfehlung 43
wurde gegeben: Intensive Krankengymnastische Übungsbehandlung, 44
Lymphdrainage für den rechten Arm, Rezeptierung 45
einer Ellenborgenkompressionsmanschette. Schließlich 46
wurde die Klägerin vom 18.04. bis zum 23.04.1994 47
in der chirurgischen Klinik des Knappschaftskrankenhauses 48
in E stationär behandelt. Laut OP-Bericht 49
vom 19.04.1994 wurde erneut eine "Denervierung des Epiconylus 50
ulnaris rechts" durchgeführt. Wegen des näheren 51
Inhaltes der Berichte des Knappschaftskrankenhauses vom 52
10.03., 09. und 10.05.1994 wird auf Blatt 16 - 20 d. 53
A. Bezug genommen. Auch nach dieser Operation klagte 54
die Klägerin weiterhin gegenüber ihrer Hausärztin über 55
Beschwerden am rechten Ellenbogen. 56
Die Klägerin behauptet, die vom Beklagten durchgeführte 57
Operation sei nicht indiziert gewesen. Er habe sich 58
vielmehr darüber ein Bild verschaffen müssen, ob eine 59
umfangreiche konservative Vorbehandlung ergebnislos 60
stattgefunden habe. Unter anderem wäre auch an eine 61
Schwingungstherapie mit dem Gerät Mora IV zu denken gewesen. 62
Der Beklagte habe darüber hinaus nicht abge- 63
klärt, welche Ursache das Leiden der Klägerin habe. Da 64
der Beklagte, so ihre Ansicht, die Operation nicht ausreichend 65
dokumentiert habe, trage er die Beweislast für 66
eine ordentlich ausgeführte Operation. Schließlich sei 67
sie auch zu keiner Zeit über die Chancen der Operation 68
aufgeklärt worden. Nach den Feststellungen der Gutachterkommission 69
habe die vom Beklagten durchgeführte Operation 70
lediglich eine Erfolgsquote von 80 %. Wenn sie 71
gewußt hätte, daß ein Versagerrisiko in Höhe von 20 % 72
bestehe, hätte sie sich nicht ambulant, sondern in einer 73
chirurgischen Klinik operieren lassen. Auch hätte 74
sie sich zuvor bei ihrer Hausärztin nach alternativen 75
Behandlungsmethoden erkundigt. 76
Sie habe seit den Operationen durchgehend krank und 77
von der Krankenkasse ausgesteuert und jetzt arbeitslos. 78
Ihr derzeitiges Arbeitslosengeld betrage monatlich 79
560,00 DM. Zuvor sei sie als Halbtagskraft bei der Firma 80
U als Verkäuferin beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit 81
habe sie nicht mehr ausüben können, da diese 82
mit dem Heben schwerer Lasten verbunden gewesen sei. 83
Der medizinische Dienst sei zu dem Ergebnis gekommen, 84
daß sie nunmehr berufsunfähig sei. Ihr Hausarzt habe 85
daher die Berufungsunfähigkeitsrente befürwortet. Ein 86
entsprechender Antrag sei gestellt. 87
Darüber hinaus habe sie ständig Schmerzen. Sie sei therapieresistent 88
geworden. Sämtliche Anwendungen, die 89
durchgeführt worden seien, hätten nicht gefruchtet. Sie 90
habe insbesondere starke Schmerzen beim Heben und beim 91
Liegen auf der Seite. Morgens wenn sie aufstehe verspüre sie oft Kribbeln 92
in den Fingern. Sie könne die Finger 93
vor Schmerzen dann nicht bewegen. Es dauere eine 94
ganze Zeit, bis sich dies eingespielt habe. Der Bewe- 95
gungsschmerz bleibe jedoch. Nach der Behandlung durch 96
den Beklagten habe es sich um andere Schmerzen als vorher 97
gehandelt. Diese seien auch stärker als vorher gewesen. 98
Aus diesem Grund halte sie ein Schmerzensgeld in 99
Höhe von 40.000,00 DM für angemessen. 100
Sie beantragt, 101
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmer- 102
zensgeld in Höhe von 40.000,00 DM nebst 4 % Zinsen 103
seit Zugang der Klage (24.01.1996) zu zahlen. 104
Der Beklagte beantragt, 105
die Klage abzuweisen. 106
Er behauptet, die Klägerin sei bereits bei ihren Hausärzten 107
Dr. L bzw. Dr. K intensiv konservativ 108
behandelt worden. Dr. S habe ebenfalls einen 109
Versuch der konservativen Behandlung unternommen. Dr. 110
S habe die Klägerin über die Notwendigkeit eines 111
operativen Eingriffs aufgeklärt und empfohlen, den 112
Eingriff durch den Beklagten vornehmen zu lassen. Der 113
Beklagte sei bei diesem Gespräch anwesend gewesen. Er 114
habe die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt kennengelernt 115
und untersucht. Er habe an der Klägerin eine Operation 116
nach Hohmann in typischer Weise vorgenommen, wobei 117
er eine circuläre Denervation in einem Abstand von 118
einem Zentimeter von der Epicondylenspitze durchgeführt 119
habe. Dieser Eingriff sei lege artis erfolgt. Die Kläge- 120
rin sei darüber hinaus anläßlich des gemeinsamen Gespräches 121
mit Dr. S und dem Beklagten eingehend 122
durch Dr. S aufgeklärt worden. Dieser habe der 123
Klägerin erläutert, daß in ihrem Fall eine Operation 124
angezeigt sei, daß diese aber nicht mit Gewißheit, wohl 125
aber am ehestens zum Erfolg führe. Die Klägerin sei 126
darüber hinaus auf die Risiken des Eingriffs, unter anderem 127
einen Bewegungsverlust im Ellenbogengelenk - Versteifung 128
- und Nervenschäden hingewiesen worden. 129
Gleichwohl habe sie sich ausdrücklich mit dem Eingriff 130
einverstanden erklärt. Eine stationäre Operation wäre 131
ihr von der Krankenkasse nicht erstattet worden. Darüber 132
hinaus bestreitet der Beklagte die geltend gemachten 133
Schäden und eine entsprechende Verursachung durch 134
seine Behandlung. 135
Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einholung eines 136
fachchirurgischen Gutachtens des Dr. med. L2, 137
Direktor der Unfall- und chirurgischen Klinik i. R. in 138
E. Auf das Gutachten vom 15.04.1996, BI. 85 ff. 139
d. A., wird Bezug genommen. Der Sachverständige hat 140
sein Gutachten im Kammertermin vom 12.02.1997 ergänzt 141
und erläutert. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll 142
Bl. 134 ff d.A. Bezug genommen. 143
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e : 144
Die Klage hat nur zu einem geringen Umfang Erfolg. Die Klägerin 145
hat lediglich in Höhe von 3.000,00 DM einen Anspruch 146
auf Schmerzensgeld gegen den Beklagten aus § 847 BGB. 147
Dem Beklagten ist ein Behandlungsfehler unterlaufen. 148
Die von ihm am 18.11.1993 durchgeführte Operation zur 149
Behebung der Epicondylitis war zu diesem Zeitpunkt noch 150
nicht indiziert. Die Klägerin war zwar schon seit mehreren 151
Jahren wegen einer degenerativen Veränderung im 152
HWS-Bereich in Behandlung, unter anderem bei dem Beklagten 153
und seinem damaligen Kollegen Dr. S, mit 154
dem er eine Praxisgemeinschaft betrieb. Die von der 155
Klägerin aber nunmehr neu beklagten akuten Beschwerden 156
hätten einer längeren konservativen Vorbehandlung be- 157
durft, als es tatsächlich geschehen ist. Die Klägerin 158
war lediglich eine Woche lang bei ihrer Hausärztin in 159
Behandlung. Hiernach wurde sie an Dr. S überwiesen. 160
Aus der orthopädischen Karteikarte von Dr. S 161
läßt sich unter anderem entnehmen, daß die Klägerin 162
seit dem 13.04.1992 in dessen Behandlung stand, 163
offenbar wegen degenerativer Veränderungen im Bereich 164
der Wirbelsäule. Am 13.10.1992 wurden Röntgenaufnahmen 165
der Wirbelsäule angefertigt. Dieser Behandlungszyklus 166
endete am 24.10.1992. Hinweise auf eine spezielle Behandlung 167
des Ellenbogengelenks liegen in dieser Behandlungszeit 168
nicht vor. Aus der Verordnung von Diclophenac 169
ist zu entnehmen, daß eine antirheumatische medikamentöse 170
Behandlung vorgenommen wurde. Am 12. November 1993 171
wurde ein Injektion mit einem kortisonhaltigen Medikament 172
am rechten medialen Epicondylus gesetzt. Am 173
13.11.1993 wurde ein Befund über den medialen Epiconcylus 174
eingetragen und danach vermerkt, daß dieser eventuell 175
zu operieren sei. Am 15.11.1993 wurde ein Arbeitsunfähigkeit 176
bis zum 18.11.1993 bestätigt und die 177
Diagnose einer Epicondylitis medialis rechts eingetragen 178
und eine Oberarmgipsschiene angelegt. Diese konservativen 179
Maßnahmen sind für eine Indikationsstellung einer 180
operativen Behandlung der Epicondylitis bei der 181
Klägerin nicht ausreichend gewesen. Dies hat der Sachverständige 182
Dr. L sowohl in seinem schriftlichen 183
Gutachten als auch nach der Prüfung der Behandlungsun- 184
terlagen der Hausärztin in seiner mündlichen Anhörung 185
vor der Kammer am 15.02. 1997 überzeugend und nachvollziehbar 186
dargelegt. 187
Ebenso glaubhaft hat der Sachverständige dargelegt, daß 188
eine Kausalität zwischen der Operation und den heute noch 189
beklagten Schmerzen nicht festzustellen sei. Die Schmerzen, 190
unter denen die Klägerin noch heute leidet, sind vielmehr 191
auf deren Grunderkrankung im Halswirbelsäulenbereich 192
zurückzuführen. Dies kann, so hat der Sachverständige 193
im Termin vor der Kammer ausgeführt, insbesondere 194
deshalb festgestellt werden, weil trotz der umfangreichen 195
Nachoperation im Knappschaftskrankenhaus in 196
E das Beschwerdebild bei der Klägerin nahezu unverändert 197
geblieben ist. 198
Da lediglich der operative Eingriff selbst überflüssig 199
war und keine weiteren negativen Folgen hierauf beruhen, 200
konnte nur dieser Eingriff selbst als Ansatzpunkt 201
für ein Schmerzensgeld herangezogen werden. Hierzu hat 202
der Sachverständige ausgeführt, daß es sich um einen 203
relativ geringfügigen Eingriff von ca. 30 Minuten Dauer 204
gehandelt hat, der intraoperativ mit einem gewissen Druck- 205
schmerz verbunden ist und dessen Wundschmerz nach 1 - 2 206
Tagen abgeheilt ist. 207
Unter Berücksichtigung dieser Umstände hält die Kammer 208
ein Schmerzensgeld für die überflüssig ausgeführte Operation 209
in Höhe von 3.000,00 DM für angemessen. Dabei 210
spielt es keine Rolle, ob es sich im Nachhinein möglicherweise 211
herausgestellt hätte, daß eine konservative 212
Behandlung ebenso erfolglos geblieben wäre und dann eine 213
Operation indiziert gewesen wäre, da dies nicht den 214
Umstand berührt, daß jedenfalls die Operation zum tat- 215
sächlichen durchgeführten Zeitpunkt nicht hätte vorgenommen 216
werden dürfen. 217
Ein weitergehendes Schmerzensgeld kann die Klägerin 218
nicht fordern. Insoweit kann bereits kein Behandlungsfehler 219
des Beklagten festgestellt werden. Der Sachverständige 220
Dr. L2 hat festgestellt, daß die Operation 221
selbst nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt 222
worden ist. Allein aus dem mangelnden Erfolg der 223
Operation kann auf einen ärztlichen Kunstfehler nicht 224
geschlossen werden. Die Versagerquote bei einer entsprechenden 225
Operation liegt immerhin bei 20 %. Soweit 226
die Klägerin nunmehr behauptet, daß es bei der Operation 227
durch den Beklagten zu einer Verletzung des Nervus 228
ulnaris gekommen ist, hat der Sachverständige in seiner 229
mündlichen Anhörung ergänzend ausgeführt, daß dem Beklagten 230
eine solche Verletzung nicht unterlaufen sei. 231
Zum einen stimme das von der Klägerin dargestellte Beschwerdebild 232
mit einer solchen Verletzung nicht überein. 233
Im übrigen könne dieser Nerv ohne weiteres frei- 234
präpariert werden und liege nicht unmittelbar im eigentlichen 235
Operationsbereich. Dies hat der Sachverständig 236
glaubhaft und anschaulich anhand eines entsprechenden 237
medizinischen Atlanten dargelegt. 238
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 und 291 BGB. 239
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 und 709 ZPO. 240