Urteil des LG Dortmund vom 13.01.2006

LG Dortmund: verkehrsunfall, fahrzeug, haftpflichtversicherung, umkehrschluss, anmerkung, vergleich, ausnahmefall, anwaltsgebühr, mithaftung, eng

Landgericht Dortmund, 17 S 110/05
Datum:
13.01.2006
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
17. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 S 110/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Hamm, 17 C 75/05
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamm
vom 11.05.2005 (17 C 75/05) wird auf seine Kosten zurück gewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
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Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von restlichem Schadensersatz aus
Anlass eines Verkehrsunfalls, der sich am 10.11.2004 in I ereignete. Am Unfalltag
wurde das Fahrzeug des Klägers bei einem Parkmanöver durch das Fahrzeug der
Versicherungsnehmerin der Beklagten beschädigt. Das Fahrzeug des Klägers war
ordnungsgemäß abgestellt. Daraufhin beauftragte der Kläger seine
Prozessbevollmächtigten, welche mit Schreiben vom 23.11.2004 Reparaturkosten nach
dem Gutachten eines Sachverständigen, dessen Sachverständigenkosten, eine
Wertminderung gemäß dem Sachverständigengutachten und eine Auslagenpauschale
mit einem Gesamtbetrag von 1.720,58 € geltend machten. Weiter machten sie mit dem
vorgenannten Schreiben eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VVRVG nebst
Auslagenpauschale mit einem Betrag von insgesamt 223,76 € geltend. Ebenfalls am
23.11.2004 schrieb der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen an und wies auf die
Änderung des Schadensrechts und die Problematik der Erstattungsfähigkeit der
Mehrwertsteuer hin. Auch im Hinblick auf eine mögliche Forderung von Nutzungsausfall
für 3 Tage forderte er den Kläger auf, eine Reparaturdauerbescheinigung beizubringen.
Mit Schreiben vom 26.11.2004 rechnete die Beklagte den Schaden antragsgemäß ab,
mit Ausnahme der Rechtsanwaltsgebühren, welche sie nur in Höhe einer
Geschäftsgebühr von 0,9 nebst Auslagenpauschale zahlte. Mit der vorliegenden Klage
begehrt der Kläger die Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 61,71 €.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 61,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2004 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, dass dem Kläger ein Zahlungsanspruch nicht zustehe, da ihm
insoweit ein Schaden nicht entstanden sei. Die begehrten Rechtsanwaltskosten seien
zwar grundsätzlich erstattungsfähig, es könne aufgrund des unterdurchschnittlichen
Schwierigkeitsgrades und des unterdurchschnittlichen Umfangs der Sache unter
Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG lediglich eine 0,9 Gebühr verlangt werden.
Dies gelte für alle einfachen Verkehrsunfallmandate. Wegen der grundsätzlichen
Bedeutung der Sache ließ das Amtsgericht die Berufung zu.
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Gegen dieses Urteil richtet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er insbesondere
darauf hinweist, dass aus dem Gebührentatbestand des Nr. 2400 VVRVG hervorgehe,
dass es sich bei einem Gebührenwert von 1,3 um eine Schwellengebühr handele. Dies
bedeute, dass eine Gebühr von mindestens 1,3 immer anzusetzen sei; bei
umfangreicher oder schwieriger Tätigkeit könnten mehr als eine 1,3-fache Gebühr
gefordert werden. Auch mit verschiedenen Versicherungen seien mittlerweile
Gebührenvereinbarungen diesbezüglich getroffen worden, nach denen eine Gebühr von
1,5 bis zu 1,8 zu erstatten sei.
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Der Kläger beantragt nunmehr,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Zahlung von 61,71 €
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2004 zu verurteilen.
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Die Beklagte beantragt nunmehr,
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die Berufung zurückzuweisen.
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II.
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Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
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Ihm steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 61,71 € unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt zu. Ein Anspruch könnte allenfalls aus §§ 7 StVG, 3 Nr. 1
PflVG folgen. Die volle Haftung ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig
und bei der vorliegenden Sachlage auch unzweifelhaft anzunehmen. Die Beklagte hat
daher dem Kläger den entstanden Schaden zu ersetzen. Schaden in diesem Sinne sind
auch die von dem Kläger an seinen Prozessbevollmächtigten gezahlten
Rechtsanwaltsgebühren, sofern sie in dieser Höhe zu begleichen waren.
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Die Höhe der Geschäftsgebühr bestimmt sich seit der Reform des anwaltlichen
Vergütungsrechts zum 01.07.2004 nach § 14 RVG i. V. m. Nr. 2400 VVRVG. Der
Gebührenrahmen für eine Geschäftsgebühr ergibt sich aus Nr. 2400 VVRVG. Danach
beträgt die Geschäftsgebühr 0,5 - 2,5. Hieraus ergibt sich nach der Mittelwerttheorie eine
Mittelgebühr von 1,5. Zusätzlich wird eine Einschränkung dahingehend bestimmt, dass
eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit
umfangreich oder schwierig war (so genannte Schwellengebühr). Die Festlegung der
Gebühr richtet sich nach § 14 RVG. Danach bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im
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Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs, der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.
Bei Ausübung des Ermessens muss der Rechtsanwalt die allgemeinen Grundsätze der
Ausübung nach § 315 Abs. 2 BGB beachten, wobei er die für seine
Ermessensausübung vorgenommenen Erwägungen darlegen muss (vgl.
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Auflage, § 14 Rdnrn. 4 ff.).
Ermessen bedeutet, dass der Rechtsanwalt einen Entscheidungsspielraum hat. Was
billigem Ermessen entspricht, ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien
und des in vergleichbaren Fällen Üblichen festzustellen. Dabei kann bei der
Feststellung des billigen Ermessens nur negativ abgegrenzt werden, d. h. es ist zu
fragen, ob eine Unbilligkeit vorliegt. Dies ist nicht anhand fester Kriterien eindeutig
feststellbar. Teilweise wird Unbilligkeit angenommen, wenn eine Abweichung vom
Mittelwert vorliegt, teilweise wird auf Abweichungen von der Mittelgebühr in
Prozentsätzen zwischen 20 % und 10 % abgestellt. Einigkeit besteht insoweit, dass die
Bestimmung unbillig ist, wenn die Abweichung im Interesse der Gebührengerechtigkeit
nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. LG Bochum NJOZ 2005, 3716 m. w. N.).
Nur wenn der Anwalt seine Gebühr in einer sachfremden, nicht nachvollziehbaren
Weise berechnet hat, kann das Gericht in das grundsätzlich dem Anwalt vorgehaltene
Bestimmungsrecht eingreifen und die Berechnung zum Nachteil des Anwalts korrigieren
(vgl. Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, § 14
RVG Rdnrn. 44 ff.).
Zu der Frage, in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen
angemessen ist, werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Nach einer Meinung wird
vom Vorliegen einer Regelgebühr ausgegangen, die zwischen 0,8 und 1,0 eingeordnet
wird. Teilweise wird für die üblichen Schadensregulierungen lediglich eine Gebühr von
1,0 als angemessen angesehen (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, RVG, § 14
Rdnr. 101, AG Gronau, JurBüro 2005, 194). Auch das Landgericht Coburg hat für eine
unterdurchschnittlich schwierige und unterdurchschnittlich umfangreiche Angelegenheit
eine Geschäftsgebühr von über 1,0 als nicht gerechtfertigt angesehen (vgl. LG Coburg,
Urteil vom 06.05.2005, Az. 32 S 25/05). Überwiegend wird mittlerweile wohl die
Auffassung vertreten, dass bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall die
Schwellengebühr von 1,3 gefordert werden kann (AG Singen NJOZ 2005, 1694, AG
Brilon NJOZ 2005, 2285, AG Frankenthal LSK 2005, 23061, AG Ingolstadt, LSK 2005,
23046, AG Gelsenkirchen NZV 2005, 325, AG Karlsruhe NZV 2005, 326, AG Greifswald
NJOZ 2005, 1696, AG Hamburg NJOZ 2005, 2903).
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Teilweise wird eine Regelgebühr von 1,3 auch für die Verkehrsunfallabwicklung bei
zügiger Regulierung als angemessen erachtet (vgl. AG Hof NJOZ 2005, 1636, AG
Gießen NJOZ 2005, 1230). Differenzierend wird vom Amtsgericht Duisburg-Hamborn
(NJW-Spezial 2005, 114) und vom Amtsgericht Arnstadt (NZV 2005, 484) vertreten,
dass bei einfachen Verkehrsunfallmandaten nur eine 0,9 Gebühr zu berechnen sei.
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Die Kammer ist der Auffassung, dass die Bemessung der Gebühr für durchschnittliche
Verkehrsunfälle mit 1,3 grundsätzlich nicht unbillig ist, wobei aber auf die Umstände des
Einzelfalles abzustellen ist. Die anwaltliche Tätigkeit der Schadensabwicklung bei
einem normalen Verkehrsunfall steht im Hinblick auf den Leistungsumfang
grundsätzlich eine durchschnittliche Angelegenheit dar. Die Bearbeitung einer
Unfallsache erfordert in der Regel für den Rechtsanwalt eine Vielzahl von
Arbeitsschritten und umfassende Rechtskenntnisse. Zunächst muss er mit dem
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Mandanten den Unfallhergang erörtern, anschließend erfolgen Erörterungen zur
Schadenshöhe, die gegebenenfalls Überlegungen zur Anmietung eines
Ersatzfahrzeugs oder der Geltendmachung eines Nutzungsausfalls einschließen. Die
Würdigung hat dann unter Berücksichtigung der Grundsätze des Schadensrechts zu
erfolgen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Schadensrecht eine komplexe
Rechtsmaterie ist, zu der insbesondere eine umfangreiche Rechtssprechung vorhanden
ist, die es zu beachten gilt. Nach der Geltendmachung der Schadenspositionen
gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung erfolgt in der Regel noch die
Überwachung der Schadensregulierung der Versicherung. Der bereits für einen
durchschnittlichen Verkehrsunfall erforderliche Zeitaufwand rechtfertigt den Ansatz der
Schwellengebühr von 1,3. Bei der Einordnung ist zu berücksichtigen, dass die
Bearbeitung von Verkehrsunfallsachen in der Regel schwieriger ist als die
Geltendmachung einer einfachen vertraglichen Forderung. Entscheidend für die
Beurteilung ist, ob die Bearbeitung eines Verkehrsunfalls im Vergleich mit anderen
Sachen einen einfachen Fall darstellt.
Insoweit sind im Hinblick auf alle Sachbereiche aber auch einfachere Fälle denkbar, bei
denen ein geringerer Gebührensatz als 1,3 in Betracht kommen kann. Da aus der
Regelung des § 14 RVG eindeutig hervorgeht, dass die gekappte Mittelgebühr als
Regelgebühr 1,3 beträgt, diese jedoch nur dann anfällt, wenn sowohl Umfang und
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit von durchschnittlicher Natur sind, folgt daraus
im Umkehrschluss, dass bei einer unterdurchschnittlichen Anwaltstätigkeit der
gesetzliche Gebührenrahmen von 0,5 - 1,3 ausgeschöpft werden muss (Schacht,
Anmerkung zum Urteil des AG Arnstadt vom 07.04.2005, NZV 2005, 485). Ein
unterdurchschnittlicher Fall ist dann anzunehmen, wenn es sich eindeutig um einen
Ausnahmefall handelt. Dies kommt jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in
Betracht. Zu denken ist insbesondere an die Fälle, in denen der Schadensgrund und die
Schadenshöhe unstreitig sind und eine umgehende Regulierung im Umfang des
geltend gemachten Schadens durch die Haftpflichtversicherung erfolgt (LG Bochum
aaO). Dass die Anwälte mit den Versicherungen teilweise Gebührenvereinbarungen
geschlossen haben, kann für die Bewertung der Schwierigkeit und des Umfangs der
Sache nach § 14 RVG keine Bedeutung erlangen.
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Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe war die vom Prozessbevollmächtigten des
Klägers getroffene Bestimmung der Geschäftsgebühr von 1,3 unbillig und daher
unverbindlich (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Entsprechend den Ausführungen des
Amtsgerichts ist hier von einem sehr einfach gelagerten, nicht streitigen Fall der
Schadensregulierung auszugehen. Die für die Abwicklung dieses Verkehrsunfalls
erforderliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers rechtfertigt nicht die
Annahme eines Durchschnittsfalls. Es handelte sich bei dem Unfall um einen einfach
gelagerten Fall, bei dem die Haftung dem Grunde nach unstreitig war. Eine Mithaftung
des Klägers war unter keinem Gesichtspunkt denkbar. Auch im Hinblick auf die
Schadenshöhe ergaben sich keine Differenzen. Der Schaden wurde - abgesehen von
der hier noch streitigen Anwaltsgebühr - umgehend in voller Höhe auf das erste
Schreiben des Prozessbevollmächtigten beglichen. Der für den
Prozessbevollmächtigten des Klägers bestehende Erörterungsbedarf mit dem Kläger
erstreckte sich damit ausschließlich auf die Standardprobleme des Schadensrechts.
Dies gilt auch, obwohl die Voraussetzungen des Nutzungsausfalls erörtert wurden,
zumal dieser letztlich nicht geltend gemacht wurde. Unter Berücksichtigung des
Tätigkeitsaufwandes und der Schwierigkeit der Angelegenheit handelt es sich hier um
einen weit unterdurchschnittlichen Fall. Vorliegend erscheint allenfalls eine
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Geschäftsgebühr von 0,9 nach Nr. 2400 VVRVG angemessen. Wie die Kammer bereits
dargelegt hat, kann dies jedoch nicht verallgemeinert werden, sondern ist für jeden
Einzelfall zu entscheiden.
Aufgrund der unbilligen Gebührenbestimmung war der Kläger gegenüber seinem
Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der Gebühren über den bereits von der Beklagten
beglichenen Betrag hinaus nicht verpflichtet, so dass ihm auch insoweit kein
erstattungsfähiger Schaden entstanden ist.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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