Urteil des LG Dortmund vom 17.12.2009

LG Dortmund (vvg, antragsteller, anzeigepflichtverletzung, versicherer, grad des verschuldens, verletzung der anzeigepflicht, rücktritt vom vertrag, abschluss des vertrages, kündigung, antrag)

Landgericht Dortmund, 2 O 399/09
Datum:
17.12.2009
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 399/09
Normen:
VVG § 19 Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen eines dem
Versicherer nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG aufgegebenen Hinweises über
die Folgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung
2. Eine Belehrung, die den Eindruck erweckt, dass nur bei Ausübung
des Rücktrittsrechts der Versicherungsschutz für Vergangenheit und
Zukunft verloren gehen kann und deshalb dem Antragsteller nicht vor
Augen führt, dass dieselbe Rechtsfolge auch durch eine rückwirkende
Einfügung eines Risikoausschlusses im Wege der Vertragsanpassung
eintreten kann, ist unrichtig und verwehrt dem Versicherer die Ausübung
der ihm in § 19 Abs. 2 bis 4 VVG eingeräumten Rechte.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien bestehende
Krankenversicherungsvertrag mit der Versicherungs-Nr.: ## nicht durch
Rücktritt und Kündigung der Beklagten vom 04.06.2009 beendet worden
ist sondern unverändert fortbesteht.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von bis zu
13.000,00 € die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in
gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin hat unter dem 10.09.2008 bei der Beklagten den Abschluss einer
Krankenversicherung beantragt. Die Gesundheitsfragen sind mit "Nein" beantwortet.
2
Unter dem 15.09.2008 nahm die Beklagte den Antrag an.
Als die Klägerin wegen ärztlicher Behandlung Leistungen aus der Krankenversicherung
beanspruchte, brachte die Beklagte in Erfahrung, dass die Klägerin bereits vor
Antragstellung einen Arzt aufgesucht hatte. Sie trat deshalb mit Schreiben vom
04.06.2009 vom Vertrag zurück mit der Begründung, dass die Klägerin bereits vor
Antragstellung wegen einer COPD (chronische Lungenerkrankung) und einer
Belastungsdyspnoe ärztlich behandelt worden war. Vorsorglich erklärte sie die
Kündigung des Vertrages.
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Die Klägerin behauptet, sie sei 2004 wegen psychovegetativer Belastung kurzfristig
kurzatmig gewesen. Deswegen habe der Arzt, den sie konsultiert habe, eine
Belastungsdyspnoe diagnostiziert. Eine chronische Lungenerkrankung habe sie nicht
gehabt, eine solche Diagnose sei ihr auch nicht genannt worden. Sie habe dem
Vermittler mitgeteilt, dass sie wegen kleinerer Erschöpfungszustände einmal behandelt
worden sei. Der Vermittler habe geäußert, dass kleinere Erkrankungen nicht anzugeben
seien.
4
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Krankenversicherungsvertrag
ungeachtet des Ausspruchs von Rücktritt und Kündigung fortbesteht.
5
Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass zwischen den Parteien bestehende
Krankenversicherungsvertrag mit der Versicherungs-Nr. ## nicht durch den
Rücktritt der Beklagten vom 04.06.2009 sowie der Vertragskündigung vom
04.06.2009 erloschen ist, sondern ungekündigt fortbesteht.
7
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
9
Sie hält an den vertragsauflösenden Gestaltungserklärungen fest, weil die Klägerin im
abgefragten Zeitraum in ärztlicher Behandlung war und die Behandlung im
Antragsformular nicht aufgeführt ist. Sie hält es für unerheblich, welche Beschwerden
der ärztlichen Konsultation zugrunde gelegen haben. Die von der Klägerin behauptete
Mitteilung an den Versicherungsvertreter bestreitet sie und bemängelt, dass die Klägerin
diese ihre Behauptung nicht unter Beweis gestellt habe.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
11
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
12
Die Klage ist begründet.
13
Das Feststellungsbegehren der Klägerin hat Erfolg, weil sich die Beklagte auf den
ausgesprochenen Rücktritt vom Vertrag und dessen Kündigung nicht berufen kann,
selbst wenn eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch die Klägerin
vorgelegen haben sollte.
14
I.
15
Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien findet, da der
Krankenversicherungsvertrag nach dem 31.12.2007 abgeschlossen worden ist, das
VVG 2008 Anwendung (Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 VVG- Reformgesetz vom 23.11.2007,
Bundesgesetzblatt I S. 2631).
16
II.
17
Es kann dahinstehen, ob Rücktritts- und (hilfsweise) Kündigungserklärung der
Beklagten berechtigt waren, weil die Klägerin bei Beantwortung der Gesundheitsfragen
im Antrag vom 10.09.2008 ihre vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt hat. Zweifel daran
bestehen deswegen, weil die Klägerin bestreitet, unter einer chronischen
Lungenerkrankung gelitten zu haben und behauptet, dass sie die einmalige ärztliche
Konsultation im abgefragten Zeitraum dem Versicherungsvertreter mitgeteilt habe.
Danach hätte sie nach der Auge-Ohr-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die
ihren gesetzlichen Niederschlag in § 70 Satz 1 VVG gefunden hat, ihre vorvertragliche
Anzeigepflicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Klägerin nicht
gehalten, diese ihre Behauptung zu beweisen. Da sich die Beklagte auf eine
Anzeigepflichtverletzung beruft, obliegt ihr der Beweis, dass die Klägerin eine solche
Obliegenheitsverletzung begangen hat, § 69 Abs. 3 Satz 2 VVG. Obwohl das Gericht die
Beklagte ausdrücklich durch Verfügung vom 26.10.2009 auf diese Vorschrift
hingewiesen hat, durch die die vom Bundesgerichtshof im Rahmen der Auge-Ohr-
Rechtsprechung vorgenommene Beweislastverteilung (vgl. nur BGH VersR 2009, 529)
kodifiziert worden ist, hat die Beklagte sich auf ein schlichtes Bestreiten der Behauptung
der Klägerin beschränkt, ohne ihrerseits Beweis für die Unrichtigkeit dieser Behauptung
und damit eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin anzutreten.
18
III.
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Unabhängig von einer möglichen Berechtigung für Rücktritt und Kündigung des
Krankenversicherungsvertrages stehen der Beklagten diese Rechte deswegen nicht zu,
weil sie die Klägerin nicht durch gesonderte Mitteilung in zutreffender Art und Weise auf
die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat, § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG.
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Der im Antragsformular enthaltene Hinweis auf die Folgen einer
Anzeigepflichtverletzung entspricht weder in formeller noch in materieller Hinsicht den
Erfordernissen des Gesetzes.
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Der Versicherungsantrag vom 10.09.2006 besteht aus insgesamt sechs Seiten. Auf der
ersten Seite befinden sich Angaben zur versicherten Person und zum versicherten Tarif.
Seite 2 des Antrages enthält in der ersten Hälfte Erklärungen des Antragstellers für die
zu versichernde Person und in der zweiten Hälfte die ersten Gesundheitsfragen. Diese
setzen sich auf der gesamten dritten Seite des Antrages fort.
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Die vierte Seite des Antrages beginnt mit dem fettgedruckten "Hinweis auf die Folgen
einer Anzeigepflichtverletzung". Darunter befindet sich im Normaldruck und auch in
sonst verwendeter Schriftgröße und Darstellungsform folgender Text des Hinweises:
23
"Die von Ihnen in diesem Antrag verlangten Angaben sind für den
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Vertragsschluss erheblich; ihre Angaben müssen daher wahrheitsgemäß und
vollständig sein. Wenn Sie diese Anzeigepflicht verletzen, kann der Versicherer
unter den Voraussetzungen des Versicherungsvertragsgesetzes abgestuft nach
dem Grad ihres Verschuldens den Vertrag anpassen, den Vertrag unter
Einhaltung einer Monatsfrist kündigen oder vom Vertrag zurücktreten. Im letzteren
Fall verlieren sie mit sofortiger Wirkung ihren Versicherungsschutz; ist bereits ein
Versicherungsfall eingetreten, ist der Versicherer nur dann zur Leistung
verpflichtet, wenn die Anzeigepflichtverletzung weder arglistig erfolgt ist noch
einen Umstand betrifft, der für den Eintritt oder die Feststellung des
Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der
Leistungspflicht ursächlich ist. Lassen sie sich bei Abschluss des Vertrages durch
eine andere Person vertreten, werden sowohl ihre eigene Kenntnis und Arglist als
auch die Kenntnis und Arglist ihres Vertreter berücksichtigt."
Im zweiten Drittel der Seite 4 des Antrags befinden sich unter einer fettgedruckten
Überschrift in Normalschrift Ausführungen zu einer Leistungsstaffel.
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Im letzten Drittel der vierten Seite des Antrages sind wiederum unter einer fettgedruckten
Überschrift in kleinerer als Normalschrift Angaben zum Beitragseinzug und zur
Leistungsauszahlung enthalten.
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Seite 5 des Antrages enthält im oberen Teil die von der Klägerin unterzeichnete
Empfangsbestätigung über die mit dem Versicherungsantrag übergebenen Unterlagen
wie Produktinformationsblatt und Versicherungsbedingungen. Im unteren Teil der
Seite 5 befinden sich in Fettdruck die Schlusserklärungen mit dem Hinweis auf die dem
Antrag beigefügten Erklärungen, u. a. die Erklärung zur Entbindung von der
Schweigepflicht und die Einwilligung nach dem Bundesdatenschutzgesetz. Unterhalt
dieser Schlusserklärungen befindet sich die Unterschriftsleiste mit Ort, Datum und den
Unterschriften der Klägerin und des Vermittlers.
27
Dem Antrag angehängt sind auf Seite 6 die Erklärungen des Antragstellers, die
insbesondere die Entbindung von der Schweigepflicht und die Einwilligung nach dem
Bundesdatenschutzgesetz enthalten.
28
Schließlich enthält ein Beiblatt zum Antrag auf die Krankenversicherung vom
10.09.2008 die Erklärung des Vermittlers über die Erstellung einer
Beratungsdokumentation und deren Aushändigung an die Klägerin sowie die von der
Klägerin unterschriebene Bestätigung, diese Dokumentation der Beratung enthalten zu
haben.
29
1. Der durch § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG erstmals geforderte Hinweis auf die Folgen einer
Anzeigepflichtverletzung erfüllt so, wie er der Klägerin im Antrag vom 10.09.2008 erteilt
worden ist, bereits in formeller Hinsicht nicht den Anforderungen des Gesetzes. Denn
das Gesetz schreibt ausdrücklich eine "gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen
einer Anzeigepflichtverletzung" vor. Der der Klägerin von der Beklagten erteilte Hinweis
ist zwar in Textform, aber nicht durch die geforderte gesonderte Mitteilung erfolgt.
30
Allerdings werden in der Kommentarliteratur zum neuen VVG die Erfordernisse, die an
eine gesonderte Mitteilung im Sinne des Gesetzes zu stellen sind, unterschiedlich
beurteilt.
31
a) Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass eine gesonderte Mitteilung voraussetzt,
dass dem Antragsteller neben dem eigentlichen Fragenkatalog ein weiteres Schriftstück
zugeht, in dem ausschließlich die erforderliche Belehrung enthalten ist (Rolfs in Bruck-
Möller, VVG, 9. Aufl. 2009, § 19 Rn. 115; Reusch, VersR 2007, 1313; Neuhaus, R + S
2008, 45, 52; derselbe in Voit-Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl. 2009,
M Rn. 66). Folgt man dieser Auffassung, wird die der Klägerin erteilte Belehrung schon
wegen fehlender Erteilung auf einem gesonderten nur die Belehrung enthaltendem
Schriftstück der gesetzlichen Form nicht gerecht, da die Beklagte die Belehrung zum
integralen Bestandteil ihres Antragsformulars gemacht hat.
32
b)
33
Ein anderer Teil der Literatur lässt es in formaler Hinsicht ausreichen, wenn die
Belehrung durch einen etwa in Schrifttype und/oder –farbe hervorstechenden Hinweis
erteilt wird, ohne dass diese auf einem separaten Schriftstück enthalten sein muss
(Knappmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch 2. Aufl.
2009, § 14 Rn. 8; Härle in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum
Versicherungsvertragsrecht, § 19 VVG Rn. 130; Schimikowski in HK-VVG, § 19 Rn. 32;
derselbe R + S 2009, 353, 356; Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 3. Aufl. 2009, S.
54; Leverenz, VersR 2007, 1313; Grote/Schneider, Betriebsberater 2007, 2689).
34
c)
35
Die unter a) wiedergegebenen Autoren können für ihre Auffassung in Anspruch
nehmen, dass der Gesetzgeber selbst in der Begründung zu § 7 Abs. 1 VVG, der in
Satz 3 2. Halbsatz ebenfalls eine gesonderte Erklärung fordert, ausdrücklich ein
gesondertes Schriftstück als Wirksamkeitsvoraussetzung in die im Gesetz geforderte
Erklärung verlangt. Dies könnte dafür sprechen, dass auch die in § 19 Abs. 5 Satz 1
VVG geforderte gesonderte Mitteilung nur auf einem Extrablatt gemacht werden kann.
Dennoch hält das erkennende Gericht die unter b) dargestellte Auffassung für
vorzugswürdig. Nicht formale Kriterien sollten darüber entscheiden, ob dem Gesetz
Genüge getan ist, sondern materiell- rechtliche Erwägungen, die berücksichtigen, ob mit
dem erteilten Hinweis der Sinn und Zweck des Gesetzes erfüllt wird. Der Gesetzgeber
verfolgt mit der Schaffung der Hinweispflicht den Schutz des Versicherungsnehmers
(amtliche Begründung, BT-Drucks. 16/3945, S. 65/66). Die damit beabsichtigte
Warnfunktion zugunsten des Antragstellers kann nach Auffassung des Gerichts nicht nur
dann erreicht werden, wenn der notwendige Hinweis auf die Rechtsfolgen der
Antragspflichtverletzung in einem Extrablatt oder –Dokument ohne jeden weiteren
textlichen Zusatz enthalten ist. Nach den Erfahrungen des Gerichts mit anderweitigen
Belehrungserfordernissen etwa im Rahmen der so genannten Relevanzrechtsprechung
bei der Belehrung des Versicherungsnehmers über die möglichen Folgen einer nach
dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit kann der vom Gesetz vorgesehene
Schutzzweck genauso gut, wenn nicht gar besser erreicht werden, wenn dem
Antragsteller die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung im räumlichen Zusammenhang
mit den Antragsfragen in einer hervorstechenden Art und Weise so zur Kenntnis
gebracht werden, dass er sie bei der Beantwortung der Fragen und/oder der
Unterzeichnung des Antrages nicht überlesen kann (Knappmann, a.a.O., Rn. 8;
Schimikowski, a.a.O., Rn. 32 sowie R + S 2009, 353, 356).
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Ob in diesem Zusammenhang zu fordern ist, dass der Hinweis den Antragsteller zeitlich
vor der Beantwortung der Gefahrfragen erreichen muss, mithin im Text vor diesen zu
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stehen hat und es nicht ausreichen würde, wenn der Antragsteller den belehrenden
Hinweis erst mit der Unterzeichnung des Antrags zur Kenntnis nimmt (Knappmann,
a.a.O., Rn. 8; zustimmend Schimikowski, R + S 2009, 353, 356), erscheint dem Gericht
durchaus fraglich. Nach den Erfahrungen des Gerichts aus zahlreichen
Beweisaufnahmen zum Vorwurf einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung wird
dem Antragsteller das Antragsformular in aller Regel vor Beantwortung der
Gesundheitsfragen nicht ausgehändigt. Vielmehr bringt der Versicherungsvermittler dem
Antragsteller die Gesundheitsfragen durch Verlesung der Fragen nahe und übernimmt
selbst die Ausfüllung des Antrags. Dem Antragsteller wird das vom Vermittler
ausgefüllte Formular zur (Durchsicht und) Unterschrift vorgelegt. Bei diesem
Verfahrensablauf wird eine Kenntnisnahme des Hinweises durch den Antragsteller
besser gewährleistet, wenn sich die Belehrung zumindest auch unmittelbar vor oder
unter der Unterschriftsleiste befindet, weil dies der Bereich des Antragsformulars ist, den
der Antragsteller bei der notwenigen Unterzeichnung des Antrages nicht übersehen
kann. Würden sich die Hinweise lediglich vor den Antragsfragen befinden, wäre bei den
häufig mehrseitigen Antragsformularen nicht gewährleistet, dass sie vom Antragsteller
zur Kenntnis genommen werden, da erfahrungsgemäß längst nicht jeder Antragsteller
die Eintragungen des Vermittlers bei den verlangten Antworten zu den
Gesundheitsfragen kontrolliert und deshalb die Warnhinwiese all zu leicht übersehen
kann. Deshalb hat es die Rechtsprechung bislang auch ausreichen lassen, wenn bei
der bereits oben erwähnten Belehrung über die Rechtsfolgen einer nach dem
Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit sich der entsprechende Hinweis in
hervorstechender Form bei der Unterschriftsleiste befindet. Damit wird auch der
gesetzgeberischen Intention hinreichend Rechnung getragen. Der Gesetzgeber hat in
der Begründung zu § 19 Abs. 5 VVG ausgeführt, dass die Belehrung so rechtzeitig vor
Vertragsschluss erfolgen muss, dass der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht
noch erfüllen kann (BT-Drucks. 16/3945 S. 66). Diesem Gebot des Gesetzgebers kommt
der Versicherer nach, wenn er den Hinweis in der gebotenen Deutlichkeit bei der
Unterschriftsleiste platziert. Dass der Antragsteller in die Verlegenheit kommen kann,
zuvor beantwortete Gesundheitsfragen korrigieren zu müssen, weil ihm die Bedeutung
der wahrheitsgemäßen Beantwortung erst bei der Unterschrift unter den Antrag durch
den dort befindlichen Warnhinweis deutlich vor Augen geführt worden ist (Bedenken in
dieser Hinsicht bei Knappmann, a.a.O., Rn. 8), erscheint dem Gericht hinnehmbar, da
sich der Antragsteller durch eine falsche Beantwortung der Fragen selbst in diese für ihn
möglicherweise unangenehme Situation gebracht hat.
Dies berücksichtigend erfüllt die Belehrung der Beklagten nicht die formellen
Anforderungen, die an einen gesetzmäßigen Hinweis zu stellen sind, worauf das
Gericht ebenfalls bereits mit Verfügung vom 26.10.2009 hingewiesen hat. Denn die
Belehrung befindet sich inmitten des Antragsformulars, weder vor den
Gesundheitsfragen noch bei der Unterschriftsleiste. Es besteht die konkrete Gefahr,
dass sie vom Antragsteller überhaupt nicht wahrgenommen wird, auch deshalb, weil sie
sich vom übrigen Text auf Seite 4 des Antragsformulares nicht abhebt. Der Hinweis
befindet sich auf Seite 4 des Antragsformulares neben weiteren Hinweisen zur
Leistungsstaffel sowie zum Beitragseinzug und zur Leistungsauszahlung. Sämtliche
Informationen sind in der (etwa) gleichen Art und Weise gestaltet, mit einer
fettgedruckten Überschrift sowie mit einem in Normalschrift dargestellten Text. Der
Hinweis auf die Folgen einer Anzeigenpflichtverletzung ist dadurch in keiner Weise
hervorgehoben worden und sticht aus den übrigen Informationen nicht hervor. Damit
erhält der Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung dieselbe Wertigkeit wie
die übrigen Informationen auf Seite 4 des Antragsformulars. Ihm wird nach der äußeren
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Gestaltung nicht die besondere Bedeutung beigemessen, die ihm zur Erfüllung seiner
Warnfunktion zukommen muss. Dass die Beklagte den Hinweis deutlicher hätte
gestalten können, zeigt sie selbst bei der Unterschriftsleiste, wo sie in deutlich
hervorstechendem Fettdruck die Schlusserklärung direkt über der Unterschriftsleistung
platziert hat, die sich im Wesentlichen mit der Entbindung von der Schweigepflicht und
der Einwilligung nach dem Bundesdatenschutzgesetz verhalten. Auch diese
Informationen sind wichtig, entbinden aber den Versicherer nicht von der Verpflichtung,
den Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung ebenfalls in markanter und
hervorstechender Darstellung dem Antragsteller nahe zu bringen.
2. Auch inhaltlich stimmt der der Klägerin erteilte Hinweis auf die Folgen einer
Anzeigenpflichtverletzung nicht mit den gesetzlichen Anforderungen überein.
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a)
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Inhaltlich fordert § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG eine nicht nur zutreffende, sondern auch unter
Berücksichtigung der Warnfunktion des Hinweises möglichst umfassende,
unmissverständliche und aus dem Verständnis des Versicherungsnehmers eindeutige
Belehrung (Knappmann, a.a.O. Rn. 9; Rolfs in Bruck/Möller a.a.O. Rn. 116). Danach
reicht es sicherlich nicht aus, wenn der Versicherer den geforderten Hinweis auf die
Folgen einer Anzeigepflichtverletzung auf die Darstellung seiner eigenen Rechte
beschränkt, mag damit auch dem Wortlaut des Gesetzes Genüge getan sein. Um seiner
Warnfunktion gerecht werden zu können, muss der Hinweis auch die den
Versicherungsnehmer möglicherweise treffenden Folgen enthalten, die diesem bei einer
Ausübung der Rechte des Versicherers drohen. Dazu hält es das Gericht für
erforderlich, dass der Hinweis einerseits die dem Versicherer nach dem Grad des
Verschuldens des Versicherungsnehmers eingeräumten Gestaltungsrechte (Rücktritt,
Kündigung und Vertragsanpassung) erwähnt. Eine Bezugnahme auf eine
Anfechtungsmöglichkeit bei arglistiger Täuschung ist nicht erforderlich (schadet aber
auch nicht), weil § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG nur die in § 19 Abs. 2 bis Abs. 4 VVG
eingeräumten Rechte erwähnt, nicht aber die in § 22 VVG geregelte Arglistanfechtung
und zudem der arglistig Handelnde nicht schutzwürdig ist und deshalb auf eine
Warnung durch den Versicherer nicht hoffen darf. Zum anderen müssen die dem VN
nachteiligen Folgen der Ausübung von Rücktritts-, Kündigungs- oder
Vertragsanpassungsrecht aufgezeigt werden, dass es insbesondere möglich ist, dass
der Versicherungsnehmer bei einem Versicherungsfall schutzlos sein und er den
Versicherungsschutz sogar rückwirkend verlieren kann.
41
Ob der Hinweis darüber hinaus auch enthalten muss, unter welchen Voraussetzungen
im Einzelnen dem Versicherer die Gestaltungsrechte zustehen (so Knappmann, a.a.O.,
Rn. 9), erscheint dem Gericht durchaus zweifelhaft, da der Gesetzeswortlaut lediglich
den Hinweis auf die Folgen der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung gebietet und
die Widergabe der vollständigen Gesetzessystematik mit seiner eher verwirrenden
Komplexität den Versicherungsnehmer eher überfordert, als dass er ihn in transparenter
Weise vor den Gefahren einer Obliegenheitsverletzung warnt (Marlow/Spuhl, a.a.O.,
S. 55; Schimikowski, R + S 2009, 353, 356). Dies gilt um so mehr in der
Krankenversicherung, für die sich die Voraussetzungen einer Kündigung wegen
Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nach einer Gesetzänderung in § 194
Abs. 1 Satz 3 VVG ab dem 01.01.2009 im Jahre 2008 anders darstellen als nach dem
31.12.2008. Bei Antragstellung im Jahre 2008 müsste der Versicherer dann auch diese
Unterschiede noch in den Hinweis aufnehmen. Das Gericht hält es für ausgeschlossen,
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dass dies noch in einer für den Antragsteller verständlichen Art und Weise gestaltet
werden konnte.
Erst Recht erscheint dem Gericht ein Hinweis entbehrlich, dass ein Rücktritt wegen § 21
Abs. 2 VVG nicht notwendig die Leistungsfreiheit zur Folge haben muss (so aber Rolfs
in Bruck/Möller, a.a.O., Rn. 118). Denn der Sinn und Zweck der Hinweispflicht besteht
im Schutz des Versicherungsnehmers vor den ihm nachteiligen Folgen einer
Anzeigenpflichtverletzung (amtliche Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/3945
S. 45/66) und nicht darin, ihn auf einen möglichen Erhalt seiner Ansprüche trotz
Verletzung der Anzeigepflicht aufmerksam zu machen.
43
b)
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Gemessen an alldem wird der Hinweis der Beklagten auch in materieller Hinsicht den
gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht. Auch darauf hat das Gericht die Beklagte mit
Verfügung vom 26.10.2008 hingewiesen. Denn die Beklagte belehrt den Antragsteller
dahingehen, dass er "im letzeren Fall" mithin bei einem vom Versicherer
ausgesprochenen Rücktritt mit sofortiger Wirkung seinen Versicherungsschutz verliert,
unter Umständen auch dann, wenn bereits ein Versicherungsfall eingetreten ist. Dieser
Teil des Hinweises ist einerseits für sich allein betrachtet zwar richtig, andererseits aber
unvollständig und irreführend. Denn er erweckt den Eindruck, dass nur bei Erklärung
eines Rücktritts der Versicherungsschutz für Zukunft und Vergangenheit entfallen kann.
§ 19 Abs. 4 Satz 2 VVG erlaubt indes die rückwirkende Einfügung eines
Risikoausschlusses im Wege der Vertragsanpassung, was ebenfalls zum Verlust des
Versicherungsschutzes für einen eingetretenen oder zukünftigen Versicherungsfall
führen kann. § 194 Abs. 1 Satz 3 VVG ordnet für die Krankenversicherung (sowohl für
den im Jahre 2008 geltenden Rechtszustand, als auch für denjenigen, der nach dem
31.12.2008 Gültigkeit beansprucht) lediglich bei schuldloser Anzeigepflichtverletzung
die Unanwendbarkeit von § 19 Abs. 4 VVG an, während dem Versicherer das Recht zur
rückwirkenden Einführung eines Risikoausschlusses im Wege der Vertragsanpassung
selbst bei leicht fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung erhalten bleibt (amtliche
Begründung, BT-Drucks. 16/3945 S. 111). Diese Rechtsfolge vorenthält die Belehrung
der Beklagten. Sie ist damit unvollständig, irreführend und im Ergebnis unzureichend
(ebenso Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 55).
45
c)
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Die falsche Belehrung hat nach § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG zur Konsequenz, dass der
Beklagten Rücktritts- und Kündigungsrecht nicht zustanden und der
Krankenversicherungsvertrag mit der Klägerin demnach unverändert fortbesteht, was
auf den entsprechenden Antrag der Klägerin hin festzustellen war. Dabei kann offen
bleiben, ob eine (zutreffende) Belehrung bei Arglist des Antragstellers entbehrlich ist (so
Schimikowski HK-VVG, a.a.O., Rn. 32 unter Bezug auf die amtliche Begründung zu § 28
Abs. 4 VVG in BT-Drucks. 16/3945 S. 69; anderer Ansicht Knappmann, a.a.O., Rn. 12).
Denn die Beklagte hat nichts vorgetragen, was auf ein mögliches arglistiges
Verhaltender Klägerin hindeuten könnte. Ebenso kann offen bleiben, ob die hilfsweise
erklärte Kündigung überhaupt zulässig war, weil nach § 206 VVG in der Fassung des
Jahres 2009, dem Jahr, in dem die Kündigung ausgesprochen worden ist, jede
Kündigung einer Krankenversicherung, die die Voraussetzung einer Pflichtversicherung
erfüllt, durch den Versicherer ausgeschlossen ist.
47
IV.
48
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit und deren Abwendung auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
49