Urteil des LG Dortmund vom 28.08.2008

LG Dortmund: versicherungsnehmer, treu und glauben, versicherungsbeginn, vorläufige deckung, sanktion, versicherer, versicherungsprämie, versicherungsvertrag, datum, einfluss

Landgericht Dortmund, 2 S 16/08
Datum:
28.08.2008
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 16/08
Leitsätze:
Zur Wirksamkeit einer Tarifbestimmung in der Fahrzeugversicherung,
die im Versicherungsfall bei Überschreitung der im Versicherungsantrag
genannten jährlichen Fahrleistung - unter Berücksichtigung des
Zeitraums zwischen Versicherungsbeginn und Schadentag - eine
Verdoppelung der Selbstbeteiligung vorsieht.
Tenor:
Unter Abänderung des am 08.02.2008 verkündeten Urteils
des Amtsgerichts Dortmund wird die Beklagte verurteilt, an
die Klägerin 1.155,30 € (in Worten: eintausendeinhundertfünfund-fünfzig
30/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.06.2007 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits nach einem
Streitwert von 1.000,00 €.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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I.
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Die Klägerin beantragte am 06.04.2006 bei der Beklagten den Abschluss einer
Kraftfahrtversicherung für den Pkw BMW ##-## ###, die eine Fahrzeugvollversicherung
mit einer Selbstbeteiligung von 1.000,00 € umfaßte. Im Antrag gab die Klägerin die
jährliche Fahrleistung mit 15.000 km und den Tachostand mit 118.000 km an. Die
Beklagte fertigte am 26.05.2006 den Versicherungsschein aus. Danach liegen dem
Vertrag der Antrag und die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung
(AKB) sowie die Tarifbestimmungen für die Kraftfahrtversicherung (TB) zugrunde. In
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Ziffer 13 e der Tarifbestimmungen heißt es unter der Überschrift "Erhöhte
Selbstbeteiligung im Schadenfall".
1. Besteht für einen Pkw eine Fahrzeugversicherung, so wird eine bestehende
Selbstbeteiligung im Schadenfall verdoppelt, bzw. wenn eine
Fahrzeugversicherung ohne Selbstbeteiligung besteht, die
Entschädigungsleistung um einen Betrag von 300,00 € gekürzt, wenn
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a) im Schadenfall festgestellt wird, dass die vom Versicherungsnehmer im Antrag
genannte jährliche Fahrleistung – unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen
Versicherungsbeginn und Schadentag – um mehr als 25 % überschritten wurde oder ..."
Die Klägerin nahm die Beklagte wegen Schäden aufgrund eines Unfalls vom
26.05.2007 in Anspruch. Die Klägerin bat in der Folgezeit um Auszahlung des durch
Gutachten ermittelten Reparaturkostenaufwand von 2.957,52 € netto unter Abzug der
Selbstbeteiligung von 1.000,00 €. Die Beklagte rechnete mit Schreiben vom 05.06.2007
unter Abzug der doppelten Selbstbeteiligung, nämlich 2.000,00 €, ab, da der Pkw der
Klägerin die im Antrag angegebene jährliche Fahrleistung von 15.000 km unter
Berücksichtigung des Zeitraums zwischen Antragstellung und Unfalltag um mehr als 25
% überschritten habe. Mit Schreiben vom 15.06.2007 forderten die
Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte zur Zahlung von 1.000,00 € bis zum
22.06.2007 auf. Dieser Betrag und die vorgerichtlichen Anwaltskosten sind
Klagegegenstand.
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Die Klägerin hat vorgetragen, die Tarifbestimmung in Ziffer 13 e sei eine überraschende
versteckte Strafklausel und daher nach § 305 c Abs. 1 BGB unwirksam. Der
Versicherungsnehmer dürfe davon ausgehen, 15.000 km in einem Vertragsjahr
zurücklegen zu dürfen, gleichgültig ob zu Beginn oder zu Ende des Jahres.
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Die Beklagte hat vorgetragen, die Klausel sei weder überraschend noch ungewöhnlich.
Die Kilometer seien für das Antragsdatum 21.04.2006 zutreffend berechnet worden.
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Das Amtsgericht hat die Klage im schriftlichen Verfahren abgewiesen, da die Klausel
nicht überraschend sei. Vom Versicherungsnehmer sei zu erwarten, dass er die Klausel
zur Kenntnis nehme. Durch die höhere Fahrleistung bestehe ein höheres Risiko.
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Mit der Berufungsbegründung ergänzt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches
Vorbringen. Der Versicherungsnehmer könne davon ausgehen, dass er frei entscheiden
könne, wann er die Kilometerlaufleistung von 15.000 km innerhalb eines Jahres in
Anspruch nehme, da es im Versicherungsschein unter Risikobeschreibung heiße:
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"Fahrzeugart Pkw... – jährliche Fahrleistung bis 15.000 km". Ansonsten hätten kürzere
Zeitabschnitte vereinbart werden müssen. Im Versicherungsvertrag sei außerdem nicht
festgehalten, dass sich der Selbstbehalt verdoppeln werde und dass eine tägliche
Laufleistung vereinbart worden sei. Die Regelung sei mehrdeutig.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des am 08.02.2008 verkündeten Urteils des Amtsgerichts
Dortmund die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.155,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.06.2007 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie meint, dass die Klausel nicht ungewöhnlich sei und auch andere Versicherer
derartige Abzüge vornehmen. Die Auslegung der Klausel sei eindeutig festzulegen.
Eine Höchstleistung könne nur bei einem nach Datum bestimmten Stichtag geregelt
werden.
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II.
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Die zulässige Berufung ist begründet.
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Der Klägerin steht aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 1 VVG ein
weiterer Zahlungsanspruch in Höhe von 1.000,00 € gegen die Beklagte zu. Die von der
Beklagten verwendete Klausel Ziffer 13 e (1) a) der Tarifbestimmungen ist gemäß §§
305 c, 307 BGB in mehrfacher Hinsicht unwirksam. Die Klausel ist sowohl überraschend
wie auch mehrdeutig für den Versicherungsnehmer.
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1. Das Überraschungsmoment folgt allerdings nicht –wie die Klägerin meint- bereits
daraus, dass die Überschreitung einer vereinbarten Jahreskilometerleistung nachteilige
Folgen für den Versicherungsnehmer nach sich ziehen kann. Denn da die zugrunde
gelegte Fahrleistung mit Prämienvorteilen korrespondiert, muss der
Versicherungsnehmer damit rechnen, dass eine Änderung der Bemessungsgrundlagen
für die Prämienberechnung durch eine Erhöhung des Risikos infolge einer erhöhten
Fahrleistung zu einer Kompensation zu Gunsten des Versicherers und der durch diesen
vertretenen Versichertengemeinschaft führt. Darin vermag das Gericht grds. auch keine
unbillige Sanktion zu erblicken, da es ansonsten jedem Versicherungsnehmer risikolos
möglich wäre, zu Lasten der Versichertengemeinschaft bei Antragstellung
unangemessene niedrige Jahreskilometerangaben zu machen, um eine möglichst
niedrige Versicherungsprämie zahlen zu müssen.
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Als überraschend i.S.v. § 305c BGB wertet das Gericht jedoch die Anknüpfung der
Folgen einer Überschreitung der zugrunde gelegten jährlichen Fahrleistung an den
Umfang der Leistungspflicht des Versicherers, da bei Abschluss der Versicherung die
Höhe der Jahreskilometerlaufleistung keinen Einfluss auf die Versicherungsleistung,
sondern auf die Versicherungsprämie hat. Denn nach § 305c BGB sind überraschend
Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen –zu denen auch die Versicherungs-
und Tarifbedingungen der Beklagten zählen-, die objektiv ungewöhnlich sind und ein
Überraschungsmoment enthalten. Danach braucht der Versicherungsnehmer nicht
damit zu rechnen, dass eine Überschreitung der angegebenen jährlichen Fahrleistung
Einfluss auf die Leistungspflicht des Versicherers haben soll, obwohl bei Antragstellung
diesem Kriterium Bedeutung nur für die Prämiengestaltung zugemessen wird. Damit
wäre die Höhe der Versicherungsprämie nach Auffassung des Gerichts ein
sachgerechter Anknüpfungspunkt, um auf eine Überschreitung der angegebenen
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Jahreskilometerleistung zu reagieren. Das Gericht lässt ausdrücklich dahinstehen, ob
die Beklagten nicht mit der Anknüpfung an die Leistungsfreiheit gegen §§ 15 a, 34 a
VVG i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 25 VVG verstößt, wenn es sich bei der Vereinbarung zur
Einhaltung eines bestimmten Fahrleistung bzw. bei der Überschreitung der vereinbarten
Laufleistung inhaltlich um eine verhüllte Obliegenheit oder eine Gefahrerhöhung
handelt, weil für diese Tatbestände die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit an
halbzwingende Voraussetzungen geknüpft ist, von denen die Beklagte mit der von ihr
verwendeten Tarifklausel zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht.
2. Zudem enthält die Klausel eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der
Versicherungsnehmer und benachteiligt die Klägerin dadurch unangemessen, § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB. So wie die Sanktion auf ein Überschreiten der angegebenen
Jahreslaufleistung im vorliegenden Fall ausgestaltet ist, muss der
Versicherungsnehmer, im konkreten Fall auch die Klägerin, einen höheren Nachteil
hinnehmen, wenn der Versicherer ein geringeres Risiko trägt, während der Nachteil für
den Versicherungsnehmer geringer ist, wenn der Versicherer ein höheres Risiko
genommen hat. Denn eine -auch hohe- Selbstbeteiligung verdoppelt sich, obwohl das
Risiko für den Versicherer mit der Höhe der Selbstbeteiligung sinkt, während bei einer
Vertragsgestaltung ohne Selbstbeteiligung die Leistungsfreiheit des Versicherers auf
einen Betrag von 300 € beschränkt ist, obwohl sein Risiko von Beginn an wegen der
unbeschränkten Leistungspflicht höher gewesen ist, als bei Vereinbarung einer die
Leistungspflicht eingrenzenden Selbstbeteiligung. Diese Gestaltung ist nicht
verständlich und konnte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung vom
Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch nicht plausibel erläutert werden.
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3. Schließlich ist die Tarifklausel in Ziff. 3e auch unklar und benachteiligt die Klägerin
dadurch unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Versicherungsrechtliche
Vertragsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so
auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger
Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren
Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit
eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und
damit auch auf seine Interessen an (BGH r+s 2008, 25; OLG Hamm NJOZ 2006, 282).
Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender von allgemeinen
Versicherungsbedingungen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten,
Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar
darzustellen, insbesondere müssen Nachteile und Belastungen so weit erkennbar
werden, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH NJW 2006, 2545;
VersR 2005,639). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Klausel in
mehrfacher Hinsicht unklar. Bereits der verwendete Begriff des Versicherungsbeginns
ist nicht eindeutig. Es könnte der technische Versicherungsbeginn, der materielle
Versicherungsbeginn oder der formelle Versicherungsbeginn gemeint sein. Je nach
dem ist auch unklar, welche Kilometerleistung bereits bei Versicherungsbeginn vorlag,
da die im Antrag angegebene Fahrleistung von 118.000 km bei Versicherungsbeginn
bereits erheblich überschritten sein könnte. Unklar ist ferner, ob mit der Versicherung
eine vom Hauptversicherungsvertrag verselbständigte (OLG Saarbrücken r+s 2006,
274) vorläufige Deckung, wie sie in der Kraftfahrzeugversicherung häufig vereinbart
wird, oder der endgültige Versicherungsvertrag gemeint sein soll. Auch davon hängt ab,
von welcher Ausgangslaufleistung auszugehen ist. Weiter ist unklar, inwieweit bei
einem Unfall im ersten Versicherungsjahr die Regelung Anwendung finden kann. So
wird der Versicherungsnehmer im Unklaren gelassen, ob die Regelung Anwendung
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findet, wenn er beispielsweise 7 Monate nach Versicherungsbeginn bereits 14.000 km
bei einer vereinbarten Fahrleistung von jährlich 15.000 km zurückgelegt hat. Aus
diesem Gesichtspunkt ist auch in den Folgejahren mit Hilfe der Klausel eine
Überschreitung der jährlichen Fahrleistung von 15.000 km, die um 25 % überschritten
werden darf, nicht eindeutig festzustellen, da ungeregelt bleibt, ob der
Versicherungsnehmer ein Unterschreiten der angegebenen Fahrleistung im ersten Jahr
im folgenden Jahr mit einer höheren Fahrleistung folgenlos ausgleichen darf oder ob ihn
die Sanktion auch treffen soll, wenn er im Schnitt der Jahre die angegeben Fahrleistung
nicht um mehr als 25% überschreitet, dies aber in einzelnen Jahren durchaus der Fall
war. Diese Unklarheiten werden auch in der eigenen Berechnung der Beklagten
deutlich. Danach soll die Klägerin nach 404 Tagen 24.688 km gefahren sein und daher
die vereinbarte jährliche Fahrleistung überschritten haben. Dies erschließt sich dem
verständigen Versicherungsnehmer nicht. Denn er kann ausgehend von der Angabe im
Versicherungsschein, dass seine jährliche Fahrleistung 15.000 km betrage, zumindest
annehmen, dass es ihm vorbehalten bleibt, wann im Jahr er seine vereinbarte jährliche
Fahrleistung erbringt. Nach der im Versicherungsschein niedergelegten Vereinbarung
ist es ihm sogar unbenommen, im ersten Monat eines Jahres 2/3 der jährlichen
Fahrleistung zu absolvieren und in den restlichen 11 Monaten des Jahres lediglich 1/3.
Diese Vereinbarung steht im Widerspruch zu der oben genannten Klausel, da dort der
Zeitraum zwischen Versicherungsbeginn und Schadentag für die Ermittlung der
jährlichen Fahrleistung maßgeblich sein soll. Im Übrigen ist die Klausel dann auch
ungeeignet, eine Überschreitung der jährlichen Fahrleistung festzustellen. Die Klägerin
weist in diesem Zusammenhang zu Recht daraufhin, dass die Beklagte die Fahrleistung
in Monatsfahrleistungen hätte aufteilen müssen, wenn sie auch schon bei Unfällen zu
Beginn eines Versicherungsjahres die Überschreitung der Fahrleistung mit einer
Sanktion belegen will.
Der Anspruch auf Erstattung der vorprozessualen Anwaltskosten folgt aus Verzug. Der
Zinsanspruch beruht auf § 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen
aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO.
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