Urteil des LG Dortmund vom 28.10.1992
LG Dortmund (verhältnis zu, kreuzung, höhe, schmerzensgeld, verschulden, verkehr, krankenhaus, unfall, zahlung, fahrrad)
Landgericht Dortmund, 21 O 290/92
Datum:
28.10.1992
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
21. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 O 290/92
Tenor:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner
an die Klägerin 1.760,00 DM
(i. B. eintausendsiebenhundertundsechzig
Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen seit
dem 8. Juli 1992 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen
die Klägerin zu 77 % und die Beklagten
zu 23 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 2.500,00 DM vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Erstattung eines
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Haushaltsführungsschadens in Höhe von 3.185,44 DM sowie die
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Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens
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4.500,00 DM aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am
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21. Dezember 1991 gegen 10.15 Uhr in I, im Bereich der
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Kreuzung "L- Straße/C-straße" ereignete
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und an dem die damals 71jährige KIägerin mit ihrem Fahrrad
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und der Beklagte zu 1.) mit seinem bei der Beklagten zu 2.)
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haftpflichtversicherten Pkw Marke Ford Granada, amtliches
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Kennzeichen ###-## ##, beteiligt waren.
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Am Unfalltage befuhr die KIägerin mit ihrem Fahrrad die
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L- Straße in Richtung X-straße und näherte
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sich der Kreuzung "L-Straße/C-straße",
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dort galt die Vorfahrtsregelung "Rechts vor links". Zur
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gleichen Zeit fuhr der Beklagte zu 1.) mit seinem Pkw aus der
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Sicht der Klägerin von rechts kommend auf die Kreuzung zu und
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hielt dort an, um sich zu vergewissern, ob aus seiner Blickrichtung
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gesehen von rechts bevorrechtigter Verkehr kam. Da
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die Klägerin aufgrund des Anhaltens des Beklagten zu 1.)
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annahm, dieser werde sie vorbeilassen, fuhr sie, ohne vorher
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angehalten zu haben, mit ihrem Fahrrad in den Kreuzungsbereich
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hinein. Als sie sich fast in Höhe des Wagens des
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Beklagten zu 1.) befand, fuhr dieser plötzlich an; vor dem
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Anfahren hatte der Beklagte zu 1.) lediglich nach rechts
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geschaut und sich nicht auch vergewissert, ob von links Verkehr
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kam. Trotz einer sofort eingeleiteten Vollbremsung
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konnte der Beklagte zu 1.) nicht mehr verhindern, daß es zu
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einer Kollision kam; dabei wurde die Klägerin am rechten
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Unterschenkel getroffen und stürzte zu Boden.
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Nach dem Unfall wurde die Klägerin in das Evangelische
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Krankenhaus in I eingeliefert, wo sie bis zum 10. Januar
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1992 verblieb. Bei dem Zusammenstoß erlitt die Klägerin neben
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Schürf- und Kratzwunden auch eine Unterschenkelprellung. In
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der Folgezeit bildete sich im Bereich des rechten Unterschenkels
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ein Hämatom, daß am 3. Januar 1992 operativ entfernt
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wurde. Nach der Operation trat im Hämatombereich ein
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etwa 5-Mark großes Geschwür auf. Dieses war auch noch zum
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Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin aus dem Krankenhaus
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vorhanden, so daß sie danach ambulant weiterbehandelt werden
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mußte. In dieser Zeit trat bei der Klägerin eine deutliche
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Gehbehinderung auf. Bis zum 7. März 1992 wurde sie arbeitsunfähig
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krank geschrieben. Endgültig abgeschlossen war der
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Heilungsverlauf erst im April 1992.
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Die Klägerin ist der Ansicht,
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die Beklagten seien aus dem Unfallereignis dem Grunde nach
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mindestens zu 80 %eintrittspflichtig. Dem Beklagten zu 1.)
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sei ein grobes Fehlverhalten anzulasten, da er nicht auf den
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von links kommenden Verkehr geachtet habe.
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Die Klägerin, die ein mit einem Einfamilien-Haus bebautes
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Hausgrundstück zu versorgen habe , habe in der Zeit. vom
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21. Dezember 1991 bis 7. März 1992 keinerlei Tätigkeiten im
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Haushalt ausführen können. Der Schaden der Klägerin sei insoweit
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mit täglich 50,00 DM zu beziffern. Wegen der in Betracht
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zu ziehenden Mithaftung der Klägerin werde von der Gesamt~
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summe von 3.800,00 DM nur ein Betrag von 3.185,44 DM geltend
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gemacht.
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Angesichts der Verletzungsfolgen sei ein Schmerzensgeld von
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mindestens 4.500,00 DM angemessen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
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an sie 3.185,44 DM zu zahlen sowie ein
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angemessenes Schmerzensgeld bei einer Haftungsquote
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zu Lasten der Beklagten in Höhe von 80 %,
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jeweils nebst 4 %Zinsen seit dem 8. Juli 1992.
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Die Beklagten bestellen den Antrag,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten erwidern,
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sie seien schon dem Grunde nach nicht zum Schadensersatz
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verpflichtet. Der Unfall sei allein auf eine Vorfahrtsverletzung
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der Klägerin zurückzuführen. Angesichts dieses groben
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Verschuldens komme auch eine Haftung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt
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der Betriebsgefahr nicht in Betracht.
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Die Klägerin habe aufgrund ihres Alters und unfallunabhängiger Vorerkrankungen
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ohnehin keine Haushaltsleistungen erbringen
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können. Allenfalls sei der Ausfall im Bereich der Haushaltsführung
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nur teilweise als unfallbedingt anzusehen. Die Unfallbedingtheit
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habe aber keinesfalls bis zum 7. März 1992 fortgedauert.
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Ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld komme schon deshalb
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nicht in Betracht, weil es an einem Verschulden des
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Beklagten zu 1.) fehle. In jedem Fall sei das verlangte
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Schmerzensgeld jedoch völlig überhöht.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf
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das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 28. Oktober 1992
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sowie auf die beiderseitigen Schriftsätze verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist nur zu einem Teil begründet.
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Was den Haushaltsführungsschaden angeht, so steht der
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Klägerin gegen die Beklagten nach den §§ 7 Abs. 1 StVG, 3
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Nr. 1 PflVG ein Anspruch auf Zahlung von 760,00 DM zu.
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Die gemäß § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung führt zu
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dem Ergebnis, daß die Beklagten 1/3 des unfallbedingten
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materiellen Schadens der Klägerin zu ersetzen haben.
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Den Beklagten zu 1.) trifft insofern ein Verschulden am Zustandekommen
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des Verkehrsunfalls, als er nach dem Anhalten an
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der Kreuzung nicht nach links schaute, bevor er mit seinem
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Pkw wieder anfuhr. Dazu wäre der Beklagte zu 1.) trotz der
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Vorfahrtsregelung "Rechts vor links" jedoch verpflichtet
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gewesen. Nach dem Anhalten an der Kreuzung mußte er damit
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rechnen, daß aufgrund seines Verhaltens bei einem aus seiner
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Sicht von links kommenden Wartepflichtigen der Eindruck entstehen
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könnte, ihm würde durch den Beklagten zu 1.) das Vorfahrtsrecht
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eingeräumt. Dementsprechend war er auch gehalten,
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vor dem Anfahren auch einen Blick nach links zu werfen (vgl.
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dazu BGH NJW 1958, Seite 259; OLG Saarbrücken VM 1982,
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Seite 4).
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Die Klägerin hat dadurch in schuldhafter Weise zur Entstehung
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des Verkehrsunfalls beigetragen, daß sie fahrlässig das Vorfahrtsrecht
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des Beklagten zu 1.) verletzt hat. Für ein
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solches Verschulden spricht bereits der Beweis des ersten
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Anscheins. Umstände, die diesen erschüttern würden, sind
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nicht ersichtlich. Insbesondere durfte die Klägerin nicht
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darauf vertrauen, daß der Beklagte zu 1.) auf sein Vorfahrtsrecht
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verzichten würde. Einen solchen Verzicht darf der
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Wartepflichtige nur dann annehmen, wenn der Vorfahrtsberechtigte
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ihn unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat.
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Dafür reicht nicht aus, daß der Berechtigte kurz an einer
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Kreuzung anhält. Vielmehr ist darüber hinaus eine Geste des
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Berechtigen erforderlich, die eindeutig erkennen läßt, daß er
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den Wartepflichtigen vorbeilassen will (vgl. dazu KG DAR
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1973, Seite 157; OLG Saarbrücken VM 1982, Seite 4).
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Die Kammer hält eine Schadensteilung im Verhältnis zu 2/3 zu
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1/3 zu Lasten der Klägerin für angemessen. Deren Vorfahrtsverletzung
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wiegt schwerer als das Verschulden des Beklagten
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zu 1.) und die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs.
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Gemäß § 287 ZPO ist der Haushaltsführungsschaden der Klägerin
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auf insgesamt 2.280,00 DM zu schätzen. Aufgrund der von der
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Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste geht die Kammer davon
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aus, daß die Klägerin wegen der bei dem Unfall erlittenen
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Verletzungen an 76 Tagen nicht in der Lage war, ihren Haushalt
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zu versorgen, da sie sich zunächst im Krankenhaus befand
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und nach der Entlassung bis zum 7. März 1992 arbeitsunfähig
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krank geschrieben war. Die tägliche Arbeitsleistung der
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Klägerin im Haushalt bewertet das Gericht mit 30,00 DM. Die
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Annahme eines höheren Betrages ist nicht gerechtfertigt, da
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die Klägerin aufgrund ihres Alters und unfallunabhängiger
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Vorerkrankungen ohnehin in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt war
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und sie zudem für einen weitergehenden Haushaltsführungsschaden
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nichts vorgetragen hat.
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Bei einer Schadenssumme von 2.280,00 DM und einer Haftungsquote
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der Beklagten von 1/3 verbleibt ein der Klägerin
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insoweit zuzusprechender Betrag von 760,00 DM.
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Weiterhin sind die Beklagten nach den §§ 823, 847 BGB, 3 Nr. 1
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PflVG verpflichtet, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von
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1.000,00 DM zu zahlen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes
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hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, daß sich die
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Klägerin während eines dreiwöchigen stationären Krankenhausaufenthaltes
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einer Operation unterziehen mußte und sie in-
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folge der im Laufe des Heilungsprozesses eingetretenen
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Komplikationen bis zum 7. März 1992 arbeitsunfähig war. Auf
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der anderen Seite kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben,
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daß die Klägerin ein mit einer Quote von 2/3 zu bewertendes
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Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem § 286 Abs. 1 und 288
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Abs. 1 Satz 1 BGB.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1 Satz 1
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und 709 Satz 1 ZPO.
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