Urteil des LG Dortmund vom 11.08.2005

LG Dortmund: todesfallleistung, depression, versicherungsnehmer, kausalität, arbeitsunfall, sicherheitsleistung, leistungsausschluss, gebrechen, unfallversicherung, gesundheit

Landgericht Dortmund, 2 O 375/03
Datum:
11.08.2005
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 375/03
Normen:
AUB 95 § 2 Abs.IV, § 7 Abs.VI
Leitsätze:
§ 2 Abs. IV AUB 95 - Leistungsausschluss infolge psychischer
Reaktionen, Todesfalleistung, Bergungskosten auf die Todesfalleistung
nach § 7 Abs. VI AUB 95
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.646,79 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 06.09.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen 4/5 die Beklagte
und 1/5 die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizu-
treibenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht
die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin ist Bezugsberechtigte aus einer von ihrem Ehemann abgeschlossenen
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Unfallversicherung, der die AUB 95 zugrunde liegen. Am 03.05.2001 schied der
Ehemann durch Freitod aus dem Leben. Bereits zuvor hatte der Ehemann am
24.10.2000 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem er sich eine Kopfverletzung zuzog.
Die Klägerin behauptet, der Arbeitsunfall und eine darauf beruhende Depression seien
zumindest mitursächlich für den Freitod ihres Ehemannes gewesen. Sie macht mit der
Klage die vereinbarte Todesfallsumme gem. § 7 VI AUB sowie die versicherten
Bergungskosten gemäß BB Bergungskosten 91 geltend.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.231,80 € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz ab 06.09.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist darauf, dass zum Zeitpunkt des Unfalls vom 24.10.2000 eine
Todesfallleistung von 13.000,00 DM versichert war. Sie bestreit diese Kausalität
zwischen dem Unfall vom 24.10.2000 und dem Freitod und behauptet, den Freitod unter
den Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 2 IV AUB. Diesen
Leistungsausschluss will sie auch auf die geltend gemachten Ansprüche angewendet
wissen. Schließlich macht sie Verfristung der Klage wegen Versäumung der
Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG geltend.
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Das Gericht hat Beweis erhoben über die behauptete Ursächlichkeit zwischen dem
Unfall vom 24.10.2000 und dem Freitod des Ehemannes der Klägerin. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen F2
vom 16.03.2004 sowie der ergänzenden Stellungnahmen zu diesem Gutachten vom
11.05.2004, 26.10.2004 sowie 08.04.2005, wegen der weiteren Einzelheiten des
Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen geführten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die Klägerin kann als Bezugsberechtigte aus der zwischen ihrem verstorbenen
Ehemann und der Beklagten abgeschlossenen Unfallversicherung die vereinbarte
Todesfallsumme verlangen, da der Tod ihres Ehemannes binnen eines Jahres nach
dem Unfall vom 24.10.2000 eingetreten ist und der Unfall für den Tod ursächlich war.
Der Höhe nach besteht der Anspruch in Höhe von 13.000,00 DM oder 6.646,79 €, da für
den Anspruch die im Zeitpunkt des Unfalles vom 24.10.2000 vereinbarte
Todesfallleistung in Höhe von 13.000,00 DM maßgeblich ist und nicht – wie die
Klägerin meint – die im Zeitpunk des Freitodes vom 03.05.2001 maßgebliche
Todesfallleistung in Höhe von 14.000,00 DM.
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1)
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Die Beklagte ist verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Todesfallleistung an die
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bezugsberechtigte Klägerin auszuzahlen, weil der Tod ihres Ehemannes binnen eines
Jahres nach dem Unfall vom 24.10.2000 eingetreten und nach dem Gutachten des
Sachverständigen F2 auf den Unfall vom 24.10.2000 zurückzuführen ist. Damit sind die
Voraussetzungen von § 7 VI AUB 95 erfüllt, wonach der Anspruch auf Leistung nach der
für den Tod vereinbarten Summe entsteht, wenn der Unfall innerhalb eines Jahres zum
Tode führt. Die danach erforderliche Kausalität zwischen Unfall und Tod hat der
Sachverständige bejahen können, nachdem er Einblick in das Obduktionsgutachten F
vom 15.02.2005 nehmen konnte. Denn danach hat der Ehemann der Klägerin durch den
Unfall vom 24.10.2000 nicht nur eine Schädelprellung, sondern eine strukturelle
Hirngewebsläsion erlitten, die zweifelsfrei auf das Unfallgeschehen vom 24.10.2000
zurückzuführen ist. Diese Hirngewebsläsion hat zu einer erhöhten Suizidgefahr beim
Kläger geführt, die sich letztendlich verwirklich hat. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen war der Unfall vom 24.10.2000 sicherlich nicht die alleinige und
zwangsläufige Ursache des Freitodes, er hat aber eine Kette von Risikoerhöhungen in
Gang gesetzt, die letztendlich im Suizid endete. Damit hat der Sachverständige die
Kausalität zwischen Unfall und Tod bejaht, so dass die Voraussetzungen von § 7 VI
AUB vorliegen. Dem steht nicht entgegen, dass für den Freitod nicht nur die
unfallbedingte Depression, sondern auch unfallunabhängige Umstände wie die
berufliche Situation des Verstorbenen maßgeblich gewesen sein mögen und der
Sachverständige sich außer Stande gesehen hat, die insgesamt zusammenwirkenden
Ursachen quantitativ voneinander abzugrenzen. Denn für § 7 VI AUB reicht jede
Mitursächlichkeit aus, die vom Sachverständigen bejaht worden ist.
2)
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch der Klägerin nicht nach § 2 IV
AUB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift fallen nicht unter dem
Versicherungsschutz krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen. Die
Anwendung dieser Vorschrift auf den Anspruch der Klägerin scheitert aus zwei
Gründen.
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Zum einen fällt die beim Kläger durch den Unfall vom 24.10.2000 ausgelöste
Depression nicht unter die in § 2 IV AUB genannten psychischen Reaktionen. Denn der
Ausschluss erfasst keine krankhaften Störungen der Psyche, die Manifestationen
physischer, organischer Schädigungen vor allem des zentralen Nervensystems sind
(BGH VersR 2004, 1449). Um eine solche Manifestation einer organischen Schädigung
handelt es sich jedoch bei der Depression, die sich als Folge der bei dem Unfall vom
24.10.2000 erlittenen Hirngewebsläsion entwickelt hat, wie vom Sachverständigen
festgestellt wurde.
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Zum anderen ist die Kammer der Auffassung, dass der Ausschlussgrund des § 2 IV
AUB auf die Todesfallleistung keine Anwendung findet. Denn nach dieser
Vertragsbestimmung fallen nur krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen
unter den Ausschluss, während der Tod vom Versicherungsnehmer nicht als krankhafte
Störung verstanden wird. Versicherungsbedingungen sind nach ständiger
Rechtsprechung so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer
bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des
erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die
Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche
Spezialkenntnisse an. Es ist nicht maßgeblich, was sich der Verwender der
Bedingungen bei ihrer Abfassung vorgestellt hat. Die Entstehungsgeschichte der
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Bedingungen, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, hat bei der
Auslegung außer Betracht zu bleiben (BGH VersR 2003, 1163). Nach diesen
Auslegungskriterien wird ein Versicherungsnehmer den Tod nicht unter eine krankhafte
Störung subsumieren. Denn der Tod ist keine Störung (der Gesundheit) und erst recht
nicht krankhaft, da eine Krankheit nach den Verständnismöglichkeiten eines
durchschnittlichen Versicherungsnehmers Leben voraussetzt und eine Störung in der
Gesundheit nicht mit dem Tode gleich zu setzen ist, der das Ende des Lebens bedeutet.
3)
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Die Klägerin braucht sich keine Kürzung der Leistung nach § 8 AUB gefallen zu lassen,
wonach die mindestens 25 %ige Mitwirkung von unfallunabhängigen Krankheiten oder
Gebrechen bei der Höhe der Leistung zu berücksichtigen ist. Denn bei denjenigen
Faktoren, die neben der unfallbedingten Depression für den Freitod des Ehemannes der
Klägerin verantwortlich waren, handelte es sich um soziale Umstände und nicht um
Krankheiten oder Gebrechen. Es kommt somit nicht mehr darauf an, ob die Beklagte
beweisen muss, dass diese unfallunabhängigen Ursachen einen Anteil von mindestens
25 % am Tode des Ehemannes der Klägerin erreicht haben, oder ob bei einer Kürzung
der Todesfallleistung nach § 8 AUB stets eine Halbierung der Versicherungssumme
vorzunehmen ist (so OLG Frankfurt NJW-RR 1990, 1368).
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4)
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Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach § 12 Abs. 3 VVG ausgeschlossen. Denn die 6-
monatige Ausschlussfrist lief bis zu. 01.09.2002. Die Klägerin hat den Mahnbescheid
bereits am 21.08.2002 beantragt, der dann am 03.09.2002 erlassen und der Beklagten
am 06.09.2002 zugestellt wurde.
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5)
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Bergungskosten in Höhe der vereinbarten Summe von 3.000,00 DM gemäß BB
Bergungskosten 91 kann die Klägerin hingegen nicht verlangen. Nach dem eindeutigen
Wortlaut der Bedingungen hat die Beklagte nur entstandene notwendige
Bergungskosten bis zu 3.000,00 DM zu ersetzen. Solche Bergungskosten hat die
Klägerin jedoch nicht nachgewiesen. Die von ihr eingereichte Rechnung betrifft keine
Bergungs-, sondern Beerdigungskosten, die nicht versichert sind. Auch die Kosten für
die Überführung des Leichnams vom
versicherten Kosten, da dazu nur die Überführungskosten vom Unfallort vom letzten
Wohnsitz gehören. Insoweit unterlag die Klage der Abweisung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit und deren Abwendung auf §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 ZPO.
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