Urteil des LG Dortmund vom 23.05.2007

LG Dortmund: eröffnung des verfahrens, kapitalabfindung, altersrente, auszahlung, deckung, versicherungsvertrag, härte, existenzminimum, unterhalt, anteil

Landgericht Dortmund, 9 T 10/07
Datum:
23.05.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 T 10/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 260 IK 36/06
Tenor:
Der Beschluss vom 06.12.2006 wird hinsichtlich der Entscheidung über
den Pfändungsschutzantrag wie folgt abgeändert.
Die Rentenzahlungen aufgrund des mit der Schweizer Rentenanstalt
geschlos-senen Rentenversicherungsvertrages, Vers.-Schein ######, in
Höhe von monat-lich 301,35 € sind dem Beteiligten zu 1) pfandfrei zu
belassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte zu 2).
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.616,20 € festgesetzt.
Gründe:
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I.
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Auf Antrag des Beteiligten zu 1) wurde am 30.03.2006 das Insolvenzverfahren über
dessen Vermögen eröffnet und die Beteiligte zu 2) zur Treuhänderin ernannt.
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Der Beteiligte zu 1) bezieht eine Altersrente der LVA (Vers.-Nr. ##########) von
gegenwärtig 502,50 € monatlich. Der Beteiligte zu 1) hatte zudem mit der
Schweizerischen Rentenanstalt einen Vertrag über eine private Rentenversicherung
geschlossen. Wegen des Inhalts der Vereinbarungen wird auf die Anlagen zum
Schriftsatz vom 26.02.2007 Bezug genommen. Der Beteiligte zu 1) erhält aufgrund
dieses Vertrages gegenwärtige monatliche Rentenzahlungen in Höhe von 301,35 €.
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Die Beteiligte zu 2) beabsichtigte, den Versicherungsvertrag zu beenden und die
Kapitalabfindung in Höhe von 14.629,47 € zur Masse zu ziehen.
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Mit Schriftsatz vom 24.05.2006 beantragte der Beteiligte zu 1), ihm bezüglich der
Altersrente der LVA und der privaten Rentenzahlung der Schweizerischen
Versicherungsanstalt Pfändungsschutz zu gewähren. Bei Auszahlung der
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Kapitalabfindung würden ihm keine ausreichenden Mittel zum Bestreiten des
Lebensunterhalts mehr zu Verfügung stehen. Beide Renten zusammen erreichten nicht
den Pfändungsfreibetrag. Zudem beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Die Beteiligte zu 2) beantragte die Zurückweisung des Pfändungsschutzantrags. Zur
Begründung führte sie aus, dass eine auf vertraglicher Grundlage gezahlte Rente zwar
Pfändungsschutz genieße, nicht ab der an die Stelle des Rentenanspruchs tretende
Anspruch auf Kapitalabfindung. Der vertraglich vereinbarte Ausschluss des
Kapitalwahlrechts binde nur den Beteiligten zu 1), nicht aber den Treuhänder, so dass
die Kapitalabfindung zur Masse gezogen werden könne. Die Versicherung sei auch zur
Auszahlung bereit.
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Durch Beschluss vom 06.12.2006 hat das Amtsgericht den Pfändungsschutzantrag und
den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen.
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Der Beteiligte zu 1) greift diesen Beschluss mit seiner sofortigen Beschwerde vom
02.01.2007 an, soweit Pfändungsschutz bezüglich der privaten Rente versagt worden
ist.
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Die Beteiligte zu 2) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
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Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und hat diese der Kammer zur
Entscheidung vorgelegt.
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II.
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Die gem. § 793 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
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Dem Beteiligten zu 1) ist hinsichtlich seiner Ansprüche aus dem mit der
Schweizerischen Rentenanstalt geschlossenen Rentenversicherungsvertrag
Pfändungsschutz zu gewähren.
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Zwar hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass auch die auf vertraglicher
Grundlage gezahlte Rente dem Pfändungsschutz nach § 850 b Abs. 1 ZPO unterfällt,
nicht jedoch der an die Stelle des Rentenanspruchs tretende Anspruch auf
Kapitalabfindung, den die Beteiligte zu 2) hier geltend zu machen beabsichtigt.
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Zu Recht hat das Amtsgericht daher Pfändungsschutz nach den §§ 36 Abs. 1 InsO, 850
ff. ZPO verneint.
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Im Insolvenzverfahren kann Pfändungsschutz aber auch gem. §§ 4 InsO, 765a ZPO
gewährt werden.
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Zwar wird die Anwendbarkeit des § 765a ZPO insbesondere im
Insolvenzeröffnungsverfahren in Rechtsprechung und Literatur streitig diskutiert (vgl.
dazu Uhlenbruck, InsO, § 4 Rdn. 38). Als problematisch wird dabei angesehen, dass
über § 765a ZPO eine im Insolvenzrecht nicht vorgesehene Abwägung von Schuldner-
und Gläubigerinteressen zu der Ablehnung der Eröffnung führen könnte, obwohl alle
insolvenzrechtlichen Voraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens gegeben sind.
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Hier geht es jedoch um die Feststellung der unpfändbaren Ansprüche und
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Gegenstände, bei der das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht tätig
wird (BGH, NZI 2004, 278). Der Insolvenzschuldner soll dabei im Wesentlichen so wie
der Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren gestellt werden. Aus diesem Grunde
ist die Anwendbarkeit des § 765a ZPO hier zu bejahen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Pfändungsschutz gem. § 765a ZPO liegen
hier vor.
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Die Kündigung des Rentenversicherungsvertrages und die Zuführung der
Kapitalabfindung zur Masse würde eine mit den guten Sitten nicht vereinbare unbillige
Härte für den Beteiligten zu 1) darstellen.
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Zwar ist hier zu berücksichtigen, dass die Gläubiger dann, wenn Kapitalabfindung in
Höhe von 14.629,47 € zur Masse gezogen würde, mit einer erheblichen Quotenzahlung
zu rechnen hätten, während sie ohne die Kapitalabfindung keinerlei Zahlungen
erwarten dürften. Jedoch würde das Existenzminimum des Beteiligten zu 1) bei
Einziehung der Kapitalabfindung, gefährdet. Der Beteiligte zu 1) verfügt über eine
monatliche Altersrente der LVA in Höhe von 502,50 €, die zur Deckung des
notwendigen Unterhalts nicht ausreicht. Zum notwendigen Unterhalt gehört hier
zumindest der nach dem Sozialhilferecht vorgesehene Regelsatz für den
Haushaltsvorstand in Höhe von 345 € sowie der von dem Beteiligte zu 1) zu zahlende
Anteil an den Mietkosten in Höhe von 280,50 €. Zu Deckung dieses notwendigen
Bedarfs ist der Beteiligte zu 1) auf die vertragliche Versicherungsrente angewiesen.
Ohne diese zusätzliche Rente wäre das Existenzminimum des Beteiligten zu 1) ohne
öffentliche Hilfe gefährdet. Dies stellt eine unzumutbare Härte dar. Aus diesem Grund ist
dem Beteiligten zu 1) in der Weise Pfändungsschutz zu gewähren, dass der
Versicherungsvertrag aufrecht erhalten wird, was die Auszahlung der Kapitalabfindung
ausschließt, und dem Beteiligten zu 1) die monatlichen Rentenzahlungen zu belassen
sind.
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Da der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde die Entscheidung über den
Pfändungsschutz bezüglich der LVA-Rente und die Ablehnung des
Prozesskostenhilfeantrags nicht angegriffen hat, war der angefochtene Beschluss
insoweit aufrecht zu erhalten.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 ZPO, 48 GKG.
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