Urteil des LG Darmstadt vom 12.12.2008

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Gericht:
LG Darmstadt 9.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 Qs 573/08, 9 Qs
573/08 - 721 Js
26995/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 406e Abs 2 S 1 StPO, Art 1
Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art
14 Abs 1 GG
(Urheberrechtsverletzungen in Internet-Tauschbörsen:
Recht auf Akteneinsicht und Namhaftmachen des
Anschlussinhabers einer IP-Adresse)
Tenor
Die Anträge auf Gewährung von Akteneinsicht werden zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten der Verfahren und ihre Auslagen.
Gründe
I.
Interpreten "R ". Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.03.2008 zeigte sie gegenüber
der Staatsanwaltschaft Darmstadt das unberechtigte Zugänglichmachen dieses
Titels im Rahmen sog. Internet-Tauschbörsen an und stellte Strafantrag gegen
Unbekannt. Beigefügt war eine Datendokumentation, wonach der Titel zu
verschiedenen Zeiten über verschiedene IP-Adressen zum Herunterladen
angeboten worden war.
Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin Providerauskünfte zur Namhaftmachung des
Verwenders der jeweiligen IP-Adresse eingeholt, insgesamt 46 getrennte Verfahren
eingeleitet und diese sodann ohne weitere Ermittlungshandlungen gemäß § 153
StPO eingestellt.
In allen 46 Verfahren hat die Antragstellerin Akteneinsicht begehrt und, nach
Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft, mit Schriftsatz vom 14.10.2008 jeweils
um gerichtliche Entscheidung ersucht.
II.
zulässig. In der Sache haben sie jedoch keinen Erfolg.
Die Antragstellerin hat kein Recht auf Akteneinsicht, da diesem Begehren
überwiegende schutzwürdige Interessen der Beschuldigten bzw. der betroffenen
Anschlussinhaber entgegenstehen (§ 406e Abs. 2 Satz 1 StPO). Dieser
Ausschlussgrund gilt auch für die Antragstellerin als Nebenklageberechtigte im
Sinne der §§ 406e Abs. 1, 395 Abs. 2 Nr. 2, 374 Abs. 1 Nr. 8 StPO, §§ 106 ff. UrhG
(vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 406e Rn. 6).
Zwar kommt nach der Rechtsprechung der Kammer im Rahmen von
Ermittlungsverfahren wegen unberechtigten Zugänglichmachens urheberrechtlich
geschützter Werke durch Internet-Tauschbörsen grundsätzlich ein Einsichts- und
Auskunftsanspruch des verletzten Rechteinhabers in Betracht. Jedoch sind hier
nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles die Interessen der
Antragstellerin nachrangig.
Mit Beschluss vom 09.10.2008 (9 Qs 490/08) hat die Kammer entschieden, dass
zur Beurteilung überwiegend schutzwürdiger Interessen zunächst die
widerstreitenden Grundrechte der Beteiligten in Ansatz zu bringen sind. Während
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widerstreitenden Grundrechte der Beteiligten in Ansatz zu bringen sind. Während
sich die verletzten Rechteinhaber regelmäßig auf Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG und –
mit Blick auf das geistige Eigentum – auf Art. 14 Abs. 1 GG stützen können, ist auf
Seiten des Beschuldigten bzw. des betroffenen Anschlussinhabers dessen Recht
auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zu
beachten. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass es bei der
Namhaftmachung des Verwenders einer IP-Adresse lediglich um die Erhebung der
sog. Bestandsdaten und nicht der verfassungsrechtlich weitaus stärker
geschützten Verkehrsdaten geht. Zum anderen kann etwa die Stärke des
Tatverdachts von Bedeutung sein. Schließlich ist in Bedacht zu nehmen, dass ein
berechtigtes Interesse des Rechteinhabers an der Namhaftmachung des
Anschlussinhabers auch insofern möglich erscheint, als dieser – selbst ohne
schuldhafte Mitwirkung an dem Urheberrechtsverstoß – u.U. als Störer nach § 97
UrhG, § 1004 BGB haftet. Denn ein berechtigtes Interesse an der begehrten
Akteneinsicht kann sich auch aus bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen ergeben (s.
ferner BVerfG, NJW 2007, 1052 f. m.w.N.).
Die Kammer hält an dieser Rechtsprechung ausdrücklich fest und gibt überdies der
Staatsanwaltschaft zu bedenken, dass der alleinige Hinweis auf einen fehlenden
hinreichenden Tatverdacht – wie in der Einstellungsverfügung vom 10.06.2008 –
dann nicht überzeugen kann, wenn seitens der Strafverfolgungsbehörden gar
keine weitere Aufklärung betrieben, sondern das Verfahren aus
Opportunitätsgründen eingestellt wurde.
Nach den Besonderheiten der vorliegenden Fälle und der jeweils zu treffenden
Einzelfallabwägung müssen hier jedoch die Interessen der Antragstellerin hinter
den schutzwürdigen Belangen der Beschuldigten bzw. der Anschlussinhaber
zurücktreten, da sich die Aufdeckung ihrer Identität im Wege der Akteneinsicht als
unverhältnismäßig darstellt. Während der vorgenannten Kammerentscheidung das
Zugänglichmachen von 620 Audio-Dateien im Rahmen einer mehrstündigen
Session eines einzigen Beschuldigten zu Grunde lag, geht es vorliegend jeweils nur
um das Bereithalten einer Musikdatei – unabhängig voneinander – durch mehrere
Beschuldigte. Insoweit handelt es sich jeweils um bagatellartige
Rechtsverletzungen, was nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zu
einem Vorrang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen
führt, auch wenn dieses seinerseits nicht im Kern berührt ist.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann eine Bagatelltat nicht deshalb
verneint werden, weil die Rechtsverstöße in ihrer Häufung zu erheblichen
Umsatzeinbußen führten oder die massenhafte Nutzung der Tauschbörsen für die
Musikbranche insgesamt zu einem existenzbedrohenden Problem werde. Zur
Beurteilung der Frage, ob eine Bagatelltat vorliegt, ist keine betriebs- oder
volkswirtschaftliche Perspektive einzunehmen. Maßgeblich ist die individuelle
Verfehlung im konkreten Einzelfall, der jeweils für sich genommen zu bewerten ist,
da die Rechtsverletzungen anderer Nutzer dem jeweiligen Beschuldigten nicht
zugerechnet werden können. Eine mittäterschaftliche Begehung liegt hier fern.
Insoweit handelt es sich um allenfalls geringfügige Verstöße, was sich im Rahmen
der Abwägung widerstreitender Interessen zu Lasten der Antragstellerin auswirkt.
Es mag auch dahinstehen, ob – wie die Antragstellerin meint – die allgemeine
Lebenserfahrung dafür spricht, dass der jeweilige Nutzer die Installation der File-
Sharing-Software nicht nur einmalig zur Bereitstellung eines einzelnen Werkes
vornimmt. Jedenfalls streitet keine Vermutung dafür, dass er mehrere Werke der
zum Download angeboten hat. Nur insoweit kann sie aber
berechtigte Interessen geltend machen und darauf ein Akteneinsichtsrecht
stützen.
Weiterhin kann unentschieden bleiben, ob Akteneinsicht allein bei
Rechtsverletzungen von "gewerblichem Ausmaß" im Sinne des § 101 UrhG n.F. zu
gewähren ist (vgl. dazu Beschl. der Kammer v. 09.10.2008 – 9 Qs 490/08; zur
Auslegung dieses Begriffes nunmehr noch OLG Zweibrücken, Beschl. v.
27.10.2008 – 3 W 184/08). Lediglich der Klarstellung halber sei angemerkt, dass es
– entgegen der Annahme der Antragstellerin – nicht um ein Wertungskriterium im
Rahmen der und der von Urheberrechtsverletzungen geht.
Vielmehr betrifft dies die Frage, ob allein in solchen Fällen ein
des Verletzten besteht. Inwieweit § 101 UrhG Ausfluss einer gesetzgeberischen
Wertentscheidung ist, die als einschränkendes Kriterium bei der Auslegung des §
406e StPO Berücksichtigung finden muss, bedarf wiederum keiner Klärung. Denn
schon nach der eingangs vorgenommenen Interessenabwägung – selbst unter
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schon nach der eingangs vorgenommenen Interessenabwägung – selbst unter
Außerachtlassung des § 101 UrhG – sind die schutzwürdigen Interessen der
Beschuldigten bzw. der Anschlussinhaber aufgrund der evidenten
Bagatellhaftigkeit der jeweiligen Tatvorwürfe als vorrangig anzusehen.
Aus den vorgenannten Gründen scheidet zugleich eine bloße Auskunftserteilung
aus, weil auch hiermit die Aufdeckung der Identität der jeweiligen Anschlussinhaber
verbunden wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 406e Abs. 4 Satz 2, 161a Abs. 3 Satz 3, 473
Abs. 1 Satz 1 StPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 406e Abs. 4 Satz 2, 161a Abs. 3 Satz 4
StPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.