Urteil des LG Darmstadt vom 25.06.2008

LG Darmstadt: amputation, diabetes mellitus, operation, verschlechterung des gesundheitszustandes, wahrscheinlichkeit, einwilligung, anhörung, verdacht, patient, stationäre behandlung

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Gericht:
LG Darmstadt 5.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 T 368/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1901 Abs 2 S 1 BGB, § 1904
Abs 1 BGB
Betreuung: vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der
Beinamputation eines betreuten Hochrisikopatienten
Leitsatz
1. Bei der Amputation eines Beines im Unterschenkel handelt es sich um eine vom
Vormundschaftsgericht zu genehmigende Maßnahme i. S. d. § 1904 Abs. 1 BGB.
2. Da durch das Genehmigungserfordernis des § 1904 BGB eine Überprüfung des
Betreuerhandelns gewährleistet werden soll, folgt als oberstes Gebot, dass sich die
Entscheidung am Wohl des Betroffenen orientieren muss, da ein Betreuer nach § 1901
Abs. 2 Satz 1 BGB in seinem Handeln stets dem Wohl des Betroffenen verpflichtet ist.
Daneben sind auch Wünsche des Betroffenen zu berücksichtigen, soweit sie dem Wohl
des Betroffenen nicht zuwiderlaufen. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung die
Chancen und Risiken der ärztlichen Maßnahme unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen. Fehlt es an der Verhältnismäßigkeit
der Maßnahme in Bezug auf das zu erreichende Ziel, so ist die Genehmigung zu
versagen.
3. Zu den weiteren Voraussetzungen der Genehmigung einer ärztlichen Maßnahme
nach § 1904 BGB (hier: Amputation eines Unterschenkels)
Tenor
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts
Michelstadt vom 17.06.2008 abgeändert.
Der Antrag des Betreuers auf Genehmigung der Einwilligung in die Amputation des
linken Beines im Unterschenkel wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I. 1. Auf Anregung seiner beiden Söhne leitete das Amtsgericht Groß-Gerau im
März 1993 ein Betreuungsverfahren für den langjährig alkoholabhängigen
Betroffenen ein.
Die mit Beschluss vom 03.05.1993 eingerichtete Betreuung wurde zunächst von
dem Sohn des Betroffenen geführt. Seit 24.09.1998 ist statt des Sohnes der
weitere Beteiligte als Berufsbetreuer des Betroffenen tätig. Die - zuletzt am
17.06.2008 verlängerte - Betreuung umfasst derzeit den Aufgabenkreis
Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung
oder unterbringungsähnliche Maßnahmen, Vermögenssorge,
Wohnungsangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Heimen und Behörden.
Zur Vorgeschichte: Am 25.03.1993 musste der Betroffene erstmals einstweilen
untergebracht werden, nachdem er in völlig verwahrlostem Zustand in seiner
Wohnung aufgefunden worden war. Der Facharzt für Psychiatrie P. führte in seinem
Gutachten aus, dass der Betroffene zu Zeit, Ort und Person völlig desorientiert sei.
Es liege eine fortgeschrittene alkoholtoxisch bedingte Schädigung der peripheren
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Es liege eine fortgeschrittene alkoholtoxisch bedingte Schädigung der peripheren
und zentralen Nerven vor, sodass der Betroffene außer Stande sei, zu stehen oder
zu gehen.
In dem Arztbrief des ZSP R. über den Aufenthalt Ende März 1993 heißt es unter
anderem: „Diagnosen: Akuter Verwirrtheitszustand mit Verdacht auf beginnende
Wernicke- Enzephalopathie (verworrenes Zustandsbild, Stand und Gangataxie,
Augenmotilitätsstörungen) Anamnestisch bekannte langjährige
Alkoholabhängigkeit (süchtiger Trinker) bei gleichzeitigem Verdacht auf
langjährigen Schmerzmittelabusus. Resultierende multiple Folge- und
Begleiterkrankungen bei absolut verwahrlostem und reduzierten
Allgemeinzustand: Akute Atemdepression unklarer Genese Verdacht auf Zustand
nach gastrointestinaler Blutung Elektrolytentgleisung (exsikiertes, Hypokalämie)
Verdacht auf mediale Schenkelhalsfraktur Verdacht auf arteriovenöse
Verschlusskrankheit (mehr Etagentyp) Verdacht auf Hepatopathie Bestehender
Dekubitus (sakral und gluteal mit Nekrosenbildung) Verdacht auf kortikale und
subkortikale Hirnatrophie, Kleinhirnregression und Polyneuropathie. Bei der
Aufnahme befand sich Herr … in einem völlig verwahrlosten und reduzierten
Zustand, war unfähig zu stehen und zu gehen, der Patient wies multiple
Hämatome und Dekubiti am Körper auf, er war nicht in der Lage über sich und
seine Vorgeschichte differenzierte Angaben zu machen. Psychischer Befund bei
der Aufnahme: Zeitlich, örtlich und situativ desorientiert, zur Person orientiert.
Kann jedoch keine gezielten Angaben über die Vorgeschichte machen, ein
differenziertes Explorationsgespräch ist nicht möglich. Der Patient ist bei
Aufnahme wach, bewusstseinsklar, nicht alkoholisiert, keine erkennbaren
Entzugssymptome. Im Laufe der Behandlung wirkt der Patient teilweise sediert,
teilweise verhangen, dann wieder klar (fluktuierende Bewusstseinslage).
Verwahrlostes Erscheinungsbild. Patient im Denken und Sprechen verlangsamt,
deutliche kognitive Funktionsstörungen in allen Bereichen, Wahngedanken und
Halluzinationen konnten bis zuletzt nicht sicher ausgeschlossen werden. Patient
wirkte teilweise abgelenkt und war auffällig suggestibel, optische und akustische
Halluzinationen fraglich. Der Patient wirkte insgesamt ratlos, hilflos, teilweise
misstrauisch, dann wieder freundlich zugewandt und mäßig kooperativ. Kein Anhalt
für depressives Syndrom.“
In dem Arztbrief des Stadtkrankenhauses R. über eine stationäre Behandlung vom
30.03.1993 bis 15.06.1993 wird ausgeführt: „Der Patient wurde am 30.03. mit dem
dringenden Verdacht auf eine offene Lungentuberkulose aus dem
Kreiskrankenhaus G. zu uns verlegt. Herr … selbst war nicht in der Lage
irgendwelche anamnestischen Angaben zu machen. Er war am 25.03. in einem
völlig verwahrlosten und reduzierten Zustand mit dem Verdacht auf eine Wernicke-
Encephalopathie bei chronischem Alkoholismus in das PKH R. eingewiesen worden,
von dem er aufgrund einer akuten Dyspnoe am 28.03. nach G. verlegt wurde.“
Am 15.06. 1993 wurde der Betroffene zur weiteren Behandlung des Korsakow-
Syndroms wieder in das Psychiatrische Krankenhaus R. verlegt. In seinem
Gutachten vom 19.10.1993 beschreibt der Facharzt P. den Betroffenen als völlig
hilflose und desorientierte Person. Bei ihm bestehe eine mehr als 30 Jahre
andauernde Alkoholerkrankung, die seit 10 Jahren fremdanamnestisch eine
exzessive Alkoholabhängigkeit erkennen lasse. Im Rahmen der
Alkoholabhängigkeit sei es zu multiplen Begleit- und Folgeerscheinungen
gekommen. Im Falle Entlassung aus dem ZSP werde er sich gefährdenden
Aspekten aussetzen, z.B. im Straßenverkehr, Brandgefahr in der eigenen
Wohnung, vernachlässigte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme. Das Amtsgericht
ordnete daraufhin am 27.10.1993 die Unterbringung des Betroffenen für 2 Jahre
an.
Am 03.11.1994 wurde der Betroffene in das Haus in B.-E. verlegt, wo er sich heute
noch befindet.
In seinem Gutachten vom 01.09.1998 diagnostizierte der Arzt für Neurologie und
Psychiatrie Dr. med. B. bei dem Betroffenen ein Korsakow-Syndrom mit
ausgeprägter Merkschwäche bis hin zur Desorientiertheit nach Wernicke-
Encephalopathie durch Alkoholkrankheit. Der Betroffene sei gehbehindert und
heimpflegebedürftig. Über den Sinn und die Notwendigkeit einer Betreuung könne
man sich mit ihm nicht unterhalten. Anlässlich seiner Anhörung durch den
Amtsrichter zeigte sich der Betroffene zeitlich und örtlich desorientiert und
glaubte, er sei der Betreuer seines Sohnes und nicht umgekehrt.
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2. Vom 31.03.2008 bis 17.04.2008 musste der Betroffene im Kreiskrankenhaus E.
stationär behandelt werden. In dem Arztbrief des Krankenhauses und einem
ausführlichen Bericht vom 05.05.2008 heißt es:
„Diagnosen: Urosepsis (Anm.d.GA: Infektion in den Harnorganen), Akutes
Nierenversagen, Hypokaliämie Chronisch-obstruktive Lungenkrankheit, Arterielle
Hypertonie , Sekundäre Thrombozytopenie Korsakow-Syndrom,Hirnorganisches
Psychosyndrom, Nicht infektiöse Gastroenteritis und Kolitis Periphere arterielle
Verschlusskrankheit, Stadium IV mit Gangrän, durch Arteriosklerose Verschluss
der arteria femoralis (= Beinarterie)Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus (ohne
Komplikationen), Inkontinenz, Bettlägerigkeit.
Aufnahmeanlass war, dass der Betroffene im Pflegeheim auf der Toilette kollabiert
war. Der Rettungsdienst maß deutlich zu niedrige Blutdruckwerte. Bei der
Klinikaufnahme war der Patient somnolent. Laborchemisch zeigten sich deutliche
Hinweise auf ein Nierenversagen mit Kreatin-Werten um 3 und Harnstoff-Werten
um 100 mg/dl. Da der Patient hier über eine progrediente Atemnot klagte und
laborchemisch am Folgetag auch noch eine Rhabdomyolyse (= Zerstörung von
Muskelgewebe) auffiel wurde er auf die Intensivstation verlegt. Dort besserte sich
sein Zustand. Während der weiteren Behandlung kam es zu einer Clostridium-
Infektion des Darmes. Die von dem Patienten geklagten Schmerzen in beiden
Beinen nahmen zu. Es wurde eine arterielle Verschlusskrankheit festgestellt.
Wegen des Verdachts einer eitrigen Bronchitis wurde er zusätzlich antibiotisch
behandelt und im gebesserten Zustand in das Pflegeheim zurückverlegt.
Am 06.06.2008 wurde der Betroffene erneut in das Kreiskrankenhaus eingeliefert,
nachdem es zu einem Kollapszustand im Pflegeheim mit einer fraglichen
Bewusstlosigkeit gekommen war. Ursache hierfür war ein leichter Herzinfarkt. Am
13.06.2008 teilte der Betreuer dem Amtsgericht mit, dass der Betroffene
außerdem wegen einer ausgeprägten Nekrose am Fuß behandelt werde. Der
Betroffene sei zwar offensichtlich schmerzfrei. Trotz einer Behandlung seien nach
Auskunft der behandelnden Ärztin aber immer wieder Entzündungszeichen
festgestellt worden, was letztlich zum Tode führen könne. Eine Amputation bis zum
Oberschenkel sei daher medizinisch angezeigt.
Der Betroffene lehne zwar eine Amputation ab, könne aber die Tragweite seiner
Entscheidung krankheitsbedingt nicht erkennen. Der Betreuer erklärte, er willige in
den ärztlichen Eingriff ein, da ein weiteres Zuwarten den Eintritt einer
lebensbedrohliche Situation befürchten lasse und beantragte nach § 1904 BGB die
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Das Amtsgericht holte ein Sachverständigengutachten des Psychiaters Dr. B. ein,
der zu dem Ergebnis kommt, dass der Betroffene zweifelsfrei nicht geschäfts- oder
entscheidungsfähig sei. Der Betroffene gehe davon aus, das Schwarze an seinem
Bein heile ab und das Bein sei nicht krank. In einem weiteren Gutachten vom
16.06.2008 kommt der Chirurg W. zu dem Ergebnis, dass eine Amputation im
Oberschenkel aus chirurgischer Sicht angezeigt sei. Bei dem Betroffenen liege
eine arterielle Verschlusskrankheit Stadium 4 mit Gewebeuntergang des linken
Beines, ein Verschluss der linken Oberschenkelarterie, arterielle Hypertonie,
Diabetes mellitus, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, hirnorganisches
Psychosyndrom sowie Korsakow-Syndrom vor. Auf der linken Seite sei – was durch
die Kammer auch im Rahmen der persönlichen Anhörung des Betroffenen
festgestellt werden konnte - der seitliche Fuß ab der Mitte des Mittelfußes sowie
der innere Fuß ab Innenknöchel und in der Ferse mumifiziert und somit
abgestorben. Pulse seien in der linken Leiste und fußwärts davon nicht tastbar.
Außerdem sei bei der Laboruntersuchung eine Erhöhung des Entzündungswertes
CRP festgestellt worden. Aufgrund der mangelhaften Durchblutung des linken
Beines drohe eine Einschwemmung von Gewebeabbauprodukten und bei einem
Infekt eine Einschwemmung von Bakterien. Dies könne zu einer Einschränkung der
Nierenfunktion sowie evt. einer Funktionseinschränkung weiterer Organe mit
lebensbedrohlichem Verlauf führen. Der Fuß und auch der körperferne
Unterschenkel seien durch andere Maßnahmen, z.B. eine operative
Durchblutungsverbesserung, nicht mehr zu erhalten, zumal ein solcher Eingriff
eine ganz erhebliche Belastung des Patienten bedeuten würde und ebenfalls mit
Einschwemmung von Gewebeabbauprodukten sowie lebensbedrohlichen
postoperativen Verlauf einhergehen könnten. Es bestehe allerdings, auch aufgrund
der diversen Vorerkrankungen, ein hohes Risiko, an der geplanten
Oberschenkelamputation zu versterben.
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Im Rahmen der Anhörung durch das Amtsgericht 17.06.2008 erklärte der
Betroffene, dass er eine Amputation nicht wolle. Dies gelte auch, wenn er
anderenfalls sterben würde. Der anwesende Internist Dr. D. erklärte in diesem
Termin, dass aufgrund der bis zum Stumpf reichenden mangelhaften
Durchblutung eine Amputation in der Mitte des Oberschenkels notwendig werde.
Auch das rechte Bein zeige schon dunkle Stellen, sodass auch dort ein ähnlicher
Verlauf wie auf der linken Seite eintreten werde. Es stimme, dass die Operation mit
einem hohen Risiko verbunden sei, insbesondere auch aufgrund der
Herzerkrankung des Betroffenen. Massive Vergiftungserscheinungen durch das
Absterben des Gewebes seien allerdings bisher noch nicht festgestellt worden. Es
könne aber davon ausgegangen werden, dass an der Nahtstelle zwischen
gesundem und krankem Gewebe Bakterien vorhanden seien. Im Falle einer
Operation sei wahrscheinlich mit einer längeren Lebenserwartung des Betroffenen
zu rechnen, wobei dies allerdings nicht genau quantifiziert werden könne.
Mit Beschluss vom 17.06.2008 genehmigte das Amtsgericht Michelstadt die
Einwilligung des Betreuers in die Amputation „des linken Beines im Unterschenkel“
gemäß § 1904 Abs.1 BGB vormundschaftsgerichtlich.
3. Gegen den Beschluss hat der Verfahrenspfleger am 17.06.2008 Beschwerde
eingelegt. Das Todesrisiko bei der Operation liege bei 50%, was auch unter
Berücksichtigung der Chancen eines solchen Eingriffs deutlich zu hoch erscheine.
Hinzu komme, dass auch der rechte Fuß sich zu schwärzen beginne, sodass der
Eingriff, sofern der Betroffene ihn denn überlebe, mit Sicherheit nicht der letzte
dieser Art wäre. Es sei sicherlich fraglich, ob der Betroffene selbst die Tragweite
des Eingriffs zu erkennen vermöge. Er habe jedoch sowohl gegenüber den Ärzten,
als auch gegenüber dem Amtsrichter immer wieder, wenn auch nur in kurzen
Sätzen („Das bleibt dran“), klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht,
dass er eine solche Maßnahme ablehne, was nicht völlig unberücksichtigt bleiben
könne.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 19.06.2008 zunächst den Betreuer im Wege
der einstweiligen Anordnung angewiesen, von dem Beschluss des Amtsgerichts bis
zur Entscheidung der Kammer keinen Gebrauch zu machen.
Ferner hat die Kammer ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und
Psychotherapie Dr. med. M. eingeholt und den Betroffenen im Beisein der übrigen
Verfahrensbeteiligten am 24.06.2008 im Pflegeheim angehört.
Der Sachverständige Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 23.06.2008 ausgeführt:
„Bei meiner Untersuchung des Probanden am 20.06.2008 fand ich die
vorgenannten ärztlichen Schilderungen bestätigt. Herr … ist ein in vielerlei Hinsicht
vorgeschädigter und kranker Mann, der sehr eindeutig und mit einer
überzeugenden emotionalen Beteiligung sich gegen eine Operation aussprach.
Dass er in der Lage ist, die Details dieses Risikos, das tatsächliche Ausmaß der
Gegebenheiten klar einzuschätzen, ist aber nicht anzunehmen. Er ist nicht in der
Lage, die Gesamtsituation, in der er sich befindet, hinreichend vollständig zu
erfassen. Er ist selbst zur Person unvollständig orientiert. Die zeitliche Orientierung
ist schwerwiegend beeinträchtigt. Die situative Orientierung ist deutlich
beeinträchtigt. Das Gedächtnis ist schwer gestört. Dieser Zustand besteht
mindestens seit 1993. … So, wie ich Herrn … erlebt habe, ist seine „intuitive“
Einschätzung inhaltlich durchaus nicht „unvernünftig“. Sie ist es nur deshalb, weil
er nicht mehr in ausreichendem Maße seine Vernunft steuern und einsetzen kann.
Eine freie Willensbildung, ein bewusstes Abwägen und Erfassen einer hinreichenden
Anzahl der hier relevanten Fakten, ist ihm nicht mehr möglich. Das Korsakow-
Syndrom hat diese Fähigkeit auf Dauer zerstört.
Auch wenn die Grenze zur nicht mehr gegebenen Geschäftsfähigkeit eindeutig
überschritten ist, muss mit Blick auf die konkrete Bedeutung des bei ihm
auffallend klar vorhanden „natürlichen Willens“ aus psychopathologischer Sicht
darauf hingewiesen werden, dass die Fähigkeit, einen freien Willen zu bilden, bei
Herrn … nicht, wie beispielsweise bei einem Psychosepatienten von völlig
realitätsfremden Aspekten (z.B. einem Wahn) beeinträchtigt ist. Seine Störung
beruht darin, dass komplexe geistig/seelische Funktionen infolge von
Zelluntergängen im Gehirn zu unvollständig sind und er diese Defizite nicht
willentlich durch Mehrleistung ausgleichen kann. Anders als beispielsweise bei
einem Wahnkranken kommen hier, bei dem Versuch einen freien Willen zu bilden
(der dazu erforderlichen Abwägung) nicht neue irreale (z.B. wahnhafte)
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(der dazu erforderlichen Abwägung) nicht neue irreale (z.B. wahnhafte)
Gesichtspunkte hinzu, die das Gefüge der auch diesen Kranken möglichen
„Abwägung“ krankhaft überbauen und damit ins Irreale verformen. Bei Herrn …
fehlen einfach kognitive Funktionen. Dadurch ist das Erfassen der Gesamtsituation
unvollständig. Dennoch ist er in der Lage eine Operation als risikoreich zu
erkennen und basierend darauf seinen „natürlichen Willen“ in bemerkenswerter
Eindeutigkeit zu bilden. In Kenntnis seines Störungsbildes ist anzunehmen, dass er
dabei auf Reste seiner Lebenserfahrung zurückgreift.“
Im Rahmen der Anhörung des Betroffenen durch die Kammer am 24.06.2008 im
Pflegeheim hat der als sachverständiger Zeuge hinzugezogene Internist Dr. D.,
dass eine trockene Wundbehandlung der Gangrän möglich sei, allerdings ein sehr
hohes Infektionsrisiko bestehe. Eine lokale Infektion werde zu 99% kommen; ob es
allerdings zu einer schweren, nicht nur lokal begrenzten und ggf. tödlichen
Infektion komme, könne nicht vorhergesagt werden. Infektionen seien
grundsätzlich mit Antibiotika behandelbar, wobei es natürlich auch dann möglich
sei, dass diese nicht ansetzen oder es zu Re-Infektionen kommt. Das Risiko, bei
einer Amputation das infizierte Gewebe nicht vollständig zu entfernen, sei umso
großer, je mehr das Absterben des Gewebes sich fortsetze, da bei einer
Ausbreitung auf den Oberschenkel dann auch größere Gefäße befallen wären.
Grundsätzlich könne die geplante Operation jedoch auch zu einem späteren
Zeitpunkt durchgeführt werden, da unabhängig davon, wie groß der abgestorbene
Teil des Fußes/Beines sei, in jedem Fall der gesamte Unterschenkel und ein Teil
des Oberschenkels amputiert werden müsse. Die Risiken einer Operation seien
erheblich. Es sei eine Vollnarkose verbunden mit künstlicher Beatmung nötig. Ob
der Betroffene angesichts seiner geschädigten Lunge (Nikotinmissbrauch,
mehrere Lungenentzündungen) danach wieder selbständig atme oder künstlich
beatmet werden müsse, sei nicht vorhersehbar. Angesichts mehrerer Herzinfarkte
und Arteriosklerose bestehe außerdem ein mittleres bis hohes Risiko, dass er an
einem erneuten Herzinfarkt sterbe. Auch ein Nierenversagen oder ein
Hirnversagen angesichts des schlecht durchbluteten Gehirns seien nicht
unwahrscheinlich. Der Betroffene sei insgesamt ohne Zweifel ein
Hochrisikopatient. Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Operation nicht überlebt,
liege bei 30%-60%, wobei 30% eher noch zu niedrig angesetzt sei. Selbst bei
einem ansonsten relativ gesunden Patienten bestehe bei einer derartigen
Amputation ein Todesrisiko von 10-25%. Wenn der Betroffene nicht versterbe, so
werde es mit einiger Wahrscheinlichkeit zumindest zu Komplikationen kommen,
beispielsweise dass der Betroffene nicht mehr schlucken könne oder künstlich
beatmet werden müsse. Eine komplikationslose Operation sei zwar möglich, die
Wahrscheinlichkeit sei aber gering. In jedem Fall werde die Rekonvaleszenz
mindestens 2 Monate dauern. Es seien Schmerzen, z.B. in Form von
Phantomschmerz zu erwarten. Zunächst werde der Betroffene im Falle einer
Amputation jedenfalls mehr Schmerzen als jetzt haben. Die Gabe von
Schmerzmitteln sei zumindest in hohen Dosen sei in diesem Fall äußerst
problematisch, da der Betroffene davon müde werde und es zu weitern
Komplikationen kommen könne, z.B. den Verlust des Schluckreizes. Nur wenn die
Amputation optimal verlaufe, habe er eine Chance auf ein besseres Leben. Die
Chancen hierfür sieht Dr. D. allerdings als äußerst gering an. Wenn es zu
Komplikationen komme, so sei die Lebensqualität des Betroffenen als deutlich
gemindert im Vergleich zum jetzigen Zustand einzuschätzen. Eine konkrete
Lebenserwartung im Falle des Unterlassens einer Amputation könne nicht
abgegeben werden. Angesichts der Vorschäden, auch an anderen Organen, werde
der Betroffene sicher keine 20 Jahre mehr leben. Dass er nur noch 2-3 Jahre leben
wird, könne man in dieser Bestimmtheit aber nicht sagen.
Der Betroffene hat die Frage, ob das Bein ab solle, auch im Rahmen der Anhörung
mit einem entschlossen „Nein“ beantwortet. Dies gelte auch, wenn er anderenfalls
sterben würde.
II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem die
Einwilligung des Betreuers in die Amputation genehmigt wurde, ist zulässig. Gegen
die Erteilung einer Genehmigung nach § 1904 Abs.1 BGB ist das Rechtsmittel der
unbefristeten (einfachen) Beschwerde statthaft (Bieg/Jaschinski in jurisPK-BGB, 3.
Auflage, § 1904 Rn.88). Das Beschwerderecht des Betroffenen folgt aus § 20 FGG.
Das Rechtsmittel ist auch begründet, da eine Genehmigung der Einwilligung des
Betreuers in die Amputation bei Abwägung aller für und gegen diese Maßnahme
sprechenden Umstände derzeit nicht in Betracht kommt.
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1. Bei der Amputation des linken Beines handelt es sich um eine
genehmigungsbedürftige Maßnahme im Sinne des § 1904 Abs.1 BGB.
a) Gemäß dieser Norm bedarf die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung
des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht,
dass der Betroffene auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und
länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.
Wenn der Betreute selbst einwilligungsfähig ist – hierfür kommt es nicht auf seine
Geschäftsfähigkeit an, sondern auf seine natürliche Einsichtsfähigkeit in Bezug auf
die konkrete zur Entscheidung stehende medizinische Maßnahme – so hat sein
Wille Vorrang, d.h. die Entscheidung liegt allein bei dem Betreuten (Palandt-
Diedrichsen, 67. Auflage, § 1904 Rn.2 m.w.N.). Bei fehlender natürlicher
Einsichtsfähigkeit des Betroffenen ist der Betreuer für die Erteilung der Einwilligung
berufen.
b) Nach diesen Grundsätzen handelt es hier um eine der Einwilligung des
Betreuers unterliegende und vom Vormundschaftsgericht zu genehmigende
Maßnahme i.S.d. § 1904 Abs.1 BGB.
aa) Das Risiko, im Rahmen der geplanten Amputation des linken Beines zu
sterben, liegt nach den sachverständigen Angaben des Internisten Dr. D., an
deren Richtigkeit die Kammer keine Zweifel hat, bei 30-60%. Selbst wenn der
Betroffene den Eingriff überleben sollte, besteht die begründete Gefahr, dass er
aufgrund von Komplikationen erhebliche gesundheitliche Schäden erleidet, z.B.
künstlich beatmet werden muss, seinen Schluckreiz verliert oder dauerhaft unter
erheblichen Schmerzen leidet.
bb) Die Einwilligung zur Amputation obliegt hier dem Betreuer, da der Betroffene
selbst keine natürliche Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der angestrebten Maßnahme
besitzt. Er ist nicht mehr in der Lage, unter Abwägung aller hierfür relevanten
Umstände eine Entscheidung zu treffen. Die Kammer schließt sich insoweit den im
Sachverhalt wiedergegebenen, überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen Dr. M. in seinem Gutachten vom 23.06.2008 an, wonach der
Betroffene zweifelsfrei nicht in der Lage ist, die Chancen und Risiken einer
Operation sowie die für oder gegen einen Eingriff sprechenden Gesichtspunkte
unter Berücksichtigung der Gesamtsituation, in der er sich befindet, hinreichend
vollständig zu erfassen. Er ist zeitlich, örtlich und situativ nur unzureichend
orientiert, wobei dieser Zustand bereits mindestens seit 1993 andauert. Eine freie
Willensbildung, ein bewusstes Abwägen und Erfassen einer hinreichenden Anzahl
der hier relevanten Fakten, ist ihm nicht mehr möglich. Das Korsakow-Syndrom
hat diese Fähigkeit auf Dauer zerstört. Komplexe geistig/seelische Funktionen sind
infolge von Zelluntergängen im Gehirn zu unvollständig, um eine Abwägung für
oder gegen den Eingriff zu treffen. Diese Ausführungen des Sachverständigen Dr.
M. decken sich insoweit mit den zitierten Ausführungen diverser früherer
Gutachter, der übrigen Verfahrensbeteiligten sowie mit dem durch die drei
Mitglieder der Kammer im Rahmen der Anhörung des Betroffenen gewonnenen
Eindrucks.
2. Die Voraussetzungen der nach § 1904 Abs.1 BGB erforderlichen Genehmigung
sind hier nicht gegeben.
a) Die Norm des § 1904 BGB enthält selbst keine Regelung, nach welchen Kriterien
eine vom Betreuer beantragte Maßnahme zu genehmigen ist. Da jedoch durch
das Genehmigungserfordernis eine Überprüfung des Betreuerhandelns
gewährleistet werden soll, folgt als oberstes Gebot, dass sich die Entscheidung am
Wohl des Betroffenen orientieren muss (OLG Hamm, FGPrax 1997, 64-65). Dies
ergibt sich schon aus § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach der Betreuer in seinem
Handeln für den Betreuten dessen Wohl verpflichtet ist. Die Einschätzung des
Betreuers, der seine Einwilligung als dem Wohl des Betreuten dienend beurteilt,
unterliegt im Genehmigungsverfahren der vollen gerichtlichen Kontrolle
(Bieg/Jaschinski in jurisPK-BGB, 3. Auflage, § 1904 Rn.70-71). Daneben sind auch
Wünsche des Betroffenen zu berücksichtigen, soweit sie dem Wohl des Betreuten
nicht zuwiderlaufen (§ 1901 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die Entscheidung des Gerichts
muss sich deshalb auch daran orientieren, inwieweit der Betroffene sich selbst
hinsichtlich der Behandlung äußert oder früher einmal geäußert hat. Das Gericht
hat die Chancen und Risiken der ärztlichen Maßnahme unter Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen. Fehlt es an der
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Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen. Fehlt es an der
Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in Bezug auf das zu erreichende Ziel, so ist
die Genehmigung zu versagen.
Z.B. bei einer medikamentöser Behandlung ist die Genehmigung zu versagen,
wenn die Nebenwirkungen so schwerwiegend sind, dass sie auch durch den
Behandlungserfolg nicht mehr aufgewogen werden. Das Ziel einer „bloßen“
Schmerzlinderung kann dabei allerdings die Durchführung der Maßnahme u.U.
gebieten (Bieg/Jaschinski, a.a.O., Rn. 73).
b) Bei einer Abwägung der hier für und gegen eine Amputation sprechenden
Gesichtspunkte war die Genehmigung nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit - unter Berücksichtigung der vom Betroffenen artikulierten
Ablehnung der Maßnahme - zu versagen. aa) Ausweislich der nachvollziehbaren
und überzeugenden Ausführungen des Internisten Dr. D. ist aus ärztlicher Sicht
auch eine trockene Wundbehandlung der Gangrän anstelle einer Amputation
möglich; diese – vom psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. bestätigte und
engagiert favorisierte – Alternative lässt die Feststellung der Verhältnismäßigkeit
der im Raum stehenden Amputation des linken Beines ( einschließlich des
Oberschenkels ) derzeit nicht zu.
Zwar verliert der Betroffene in der Zukunft in dem fortschreitenden Prozess der
Gangrän ebenfalls seinen Fuß, sowie dann den Unter- und Oberschenkel, in dem
diese Körperteile absterben („mumifiziert“) und sich zerbröselnd ablösen lassen.
Auch drohen dem Betroffenen in diesem Fall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
Infektionen durch die Einschwemmung von Bakterien im Grenzbereich zwischen
gesundem und abgestorbenem Gewebe des linken Beines. Grundsätzlich können
derartige Infektionen jedoch durch die Gabe von Antibiotika erfolgreich behandelt
werden. Der Pflegeleiter des Pflegeheims hat im Rahmen der Anhörung auch
mitgeteilt, dass die durch das absterbende Gewebe erschwerte Behandlung,
sachgerechte Pflege sowie Fortbewegung/Motivation des Betroffenen aus
derzeitiger Sicht noch gewährleistet werden könne; im Rahmen der ärztlichen
Betreuung des Betroffenen könnten jederzeit weitere ärztlich notwendige (Pflege-)
Maßnahmen ergriffen bzw. die Notwendigkeit der Verlegung in ein anderes, ggf.
besser geeignetes Heim erkannt werden.
Ob es tatsächlich zu einer schweren, nicht nur lokal begrenzten und
gegebenenfalls tödlichen Infektion kommt, kann nicht zudem derzeit nicht mit
hinreichender Sicherheit festgestellt werden.
bb) Eine konkrete – unverhältnismäßig verkürzte - Lebenserwartung im Falle des
Unterlassens einer Amputation kann ebenfalls derzeit nicht prognostiziert werden.
Dass der Betroffene aufgrund einer durch die Gangrän verursachten
Folgeerkrankung mit ziemlicher Sicherheit binnen 4-12 Monaten versterben wird,
wie dies wohl ursprünglich gegenüber dem Betreuer geäußert worden und Anlass
seiner Antragstellung war, konnte der sachverständige Zeuge Dr. D. aber nicht
(mehr) bestätigen. Selbst auf einen Zeitraum von 2-3 Jahren wollte er sich im
Rahmen der Anhörung durch die Kammer nicht festlegen, wobei er anderseits
allein aufgrund der multiplen Vorschäden diverser Organe des Betroffenen dessen
Versterben auch in näherer Zukunft nicht ausschließen wollte und nur allgemein
ihm keine allzu hohe Lebenserwartung mehr diagnostizierte.
Sicherlich ist es möglich, dass sich die Lebensqualität und -erwartung des
Betroffenen bei einem erfolgreichen Verlauf der Amputation mit besonders
günstigem Heilungsverlauf, problemloser Abheilung der Amputationswunde,
ausbleibendem Phantomschmerz und verhältnismäßig rasch abklingender
postoperative Schmerzen verbessert. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jedoch
aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen der Kammer jedoch äußerst gering.
Die vielfältigen, erheblichen Risiken der Amputation sind hier bei dem Betroffenen
aber angesichts seiner Vorschädigungen („Hochrisikopatient“) ausschlaggebend.
Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Operation nicht überlebt, beträgt 30%-60%.
Angesichts mehrerer Herzinfarkte und Arteriosklerose besteht bei ihm ein zu
hohes Risiko, dass er bereits an einem erneuten Herzinfarkt verstirbt. Auch ein
Nieren- oder Hirnversagen ist angesichts des schlecht durchbluteten Gehirns nicht
unwahrscheinlich. Selbst wenn der Betroffene den Eingriff überleben sollte, wird es
höchstwahrscheinlich zu erheblichen Komplikationen kommen. Da die Operation
unter Vollnarkose durchgeführt werden muss, ist es fraglich, ob der Betroffene
angesichts seiner vorgeschädigten Lunge danach wieder selbständig atmen kann
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angesichts seiner vorgeschädigten Lunge danach wieder selbständig atmen kann
oder dauerhaft künstlich beatmet und in diesem Falle ggf. durch eine PEG-
Magensonde ernährt werden muss. Hinzu kommen in jedem Fall eine
Rekonvaleszenzzeit von mindestens 2 Monaten und voraussichtlich das Auftreten
nicht unerheblicher Schmerzen, z.B. in Form von Phantomschmerz. Dabei stellt
sich die Gabe von morphinhaltigen Schmerzmitteln bei seiner geschädigten Leber
und Niere als weiterer Risikofaktor dar, so dass es auch hierdurch zu weiteren, den
Betroffenen zumindest in seiner Lebensqualität erheblich beeinträchtigenden
Komplikationen kommen kann. Bei dieser Sachlage kommt die hier vom Betreuer
beantragte Genehmigung nach § 1904 BGB mangels fehlender
Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht.
Ein gefährlicher Heileingriff kann nach § 1904 BGB nur dann als verhältnismäßig
und genehmigungsfähig angesehen werden, wenn die Vorteile einer hoch
riskanten Heilungsmaßnahme bzw. Operation zumindest überwiegen. Dies wird
z.B. in den Fällen zu bejahen sein, bei denen ansonsten mit hoher
Wahrscheinlichkeit kurzfristig ein Versterben oder eine erhebliche
Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist und mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest keine Verschlechterung der
verbleibenden Lebensqualität zu besorgen ist.
Beide Voraussetzungen können aber hier bei der beantragten Amputation nicht
bejaht werden.
cc) Hinzu kommt, dass die Amputation auch zu einem späteren Zeitpunkt noch
durchgeführt werden kann, falls sich neue Gesichtspunkte ergeben sollten, auch
wenn sich das Risiko, bei einer Amputation das infizierte Gewebe nicht vollständig
zu entfernen sich mit dem Fortschreiten der Erkrankung sicherlich erhöhen würde.
Unabhängig davon, wie groß der befallene Teil des Beines ist, wäre aber in jedem
Fall sowohl jetzt, als auch zu einem späteren Zeitpunkt eine Amputation in der
Mitte des Oberschenkels notwendig.
dd) Nicht entscheidend ist deshalb vorliegend, dass auch der Betroffene geäußert
hat, das Bein solle „dran bleiben“. Sinngemäße Äußerungen der Ablehnung der
Maßnahme hat der Betroffene stereotyp bisher gegenüber Ärzten, Richtern und
den übrigen Verfahrensbeteiligten gemacht; „intuitiv“ - so der psychiatrische
Sachverständige - lehnt er den Eingriff strikt ab. Auch wenn diese Ablehnung nicht
auf einem freien Willen beruht und es dem Betroffenen an der notwendigen
Einsichtsfähigkeit fehlt, so sind doch seine ihm noch möglichen, in Bezug auf die
Frage der Amputation seines Beines noch zielgerichteten Antworten („ Bein soll
dran bleiben“) als sein verbliebener natürlicher Wille als Teil seines
Selbstbestimmungsrechts zumindest im Rahmen der Abwägung mit zu
berücksichtigen (vgl. hierzu auch Schwab in Münchener Kommentar zum BGB,
4.Auflage, Rn.40) . Dies gilt nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M.
gerade bei dem Betroffenen, der an einem Korsakow-Syndrom leidet. Anders als
bei einem Wahnkranken kommen bei seinem Versuch einen Willen zu bilden nicht
neue irreale (z.B. wahnhafte) Gesichtspunkte hinzu, die das Gefüge der
„Abwägung“ krankhaft überbauen und damit ins Irreale verformen. Vielmehr
fehlen bei dem Betroffenen einfach kognitive Funktionen, die das Erfassen der
Gesamtsituation unvollständig machen. Dennoch erscheint er nach den
Ausführungen des Sachverständigen und dem Ergebnis der Anhörung durch die
Kammer - trotz fehlender Möglichkeit, die wesentlichen Kriterien für eine Abwägung
zu sammeln und zu verarbeiten - in der Lage, aufgrund seiner verbliebenen
kognitiven Fähigkeiten ( „Reste seiner Lebenserfahrung“) die Amputation als für
ihn nicht akzeptabel zu erkennen und basierend darauf seine Antwort als eigene,
ablehnende Entscheidung als „natürlichen Willen“ wiederholt zu bilden.
Im Ergebnis stehen somit auf der einen Seite im Falle einer vom Betroffenen
abgelehnten Amputation die relativ geringe Wahrscheinlichkeit einer verbesserten
Lebensqualität und die vage, nicht konkret zu beziffernde Möglichkeit auf ein
längeres Leben. Auf der anderen Seite besteht ein hohes Risiko, dass der
Betroffene bereits während der Operation verstirbt. Falls er den Eingriff überlebt,
wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit unter nicht unerheblichen Schmerzen leiden
und sich aufgrund von Komplikationen seine Lebensqualität erheblich vermindern.
In einem solchen Fall erscheint es nicht geboten, einen denkbaren
lebensverlängernden Erfolg um den Preis eines erheblichen Risikos der
Leidensvermehrung zu erkaufen (vgl. auch AG Nidda, BtPrax 2007, 187). Die
Entscheidung ergeht gemäß § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei. Für eine
Entscheidung gem. § 13 a FGG Abs. 1 Satz 2 FGG bestand keine Veranlassung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.