Urteil des LG Bonn vom 23.07.2003
LG Bonn: dominikanische republik, höhere gewalt, kündigung, rückzahlung, rücktritt, beratung, pauschalierung, entschädigung, krankheit, beweislast
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Sachgebiet:
Landgericht Bonn, 5 S 76/03 LG Bonn
23.07.2003
Landgericht Bonn
5. Zivilkammer
Urteil
5 S 76/03 LG Bonn
Amtsgericht Bonn, 7 C 154/02
Kündigung wegen höherer Gewalt, Terroranschläge in den USA vom
11.09.2001
§ 651 j BGB
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bonn
vom 19.03.2003, 7 C 154/02, aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Abfassung eines
T a t b e s t a n d e s
wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO unter Verweis auf die tatsächlichen Feststellungen
im Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 19.03.2003 abgesehen.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag
weiter. Sie ist der Auffassung, dass der Klägerin kein Anspruch auf Rückzahlung von
Stornokosten zusteht. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlußberufung ihren vom
Amtsgericht nur in hälftiger Höhe zugesprochenen Klageantrag auf Rückzahlung der
Stornokosten in voller Höhe weiter.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die vom Amtsgericht zugelassene und auch im übrigen zulässige Berufung hat in der
Sache Erfolg, da ein Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der Stornokosten nicht
besteht.
Zwar ist es der Klägerin grundsätzlich nicht verwehrt, Rückzahlung der Stornogebühren zu
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verlangen, obwohl sie diese zunächst gezahlt hat, da die bloße Zahlung nicht als
deklaratorisches Schuldanerkenntnis zu bewerten ist (vgl. Sprau in: Palandt, BGB, 61. Aufl.
2002, § 781 Rn. 8).
Ein Rückzahlungsanspruch der Klägerin aus §§ 651 e Abs. 3 Satz 1, 651 j Abs. 2 Satz 1
BGB ist jedoch nicht begründet, weil die Beklagte zu Recht Stornogebühren gegenüber der
Klägerin geltend gemacht hat. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin handelte es
sich bei ihrer Erklärung, die gebuchte Reise in die Dominikanische Republik im Hinblick
auf die Anschläge in den USA vom 11.09.2001 nicht antreten zu wollen, um einen Rücktritt
vor Reisebeginn i.S.d. § 651 i BGB und nicht um eine Kündigung wegen höherer Gewalt
i.S.d. § 651 j BGB.
Dies gilt allerdings nicht etwa deshalb, weil die Klägerin in ihrem vorgerichtlichen
Schreiben vom 26.11.2001 zunächst allein die Krankheit eines Reiseteilnehmers als Grund
angegeben hat, denn es wäre der Klägerin grundsätzlich nicht verwehrt, ihre Kündigung
nachträglich auf höhere Gewalt zu stützen. Wenn ein entsprechender Kündigungsgrund
objektiv vorliegt, ist ein Vertrauensschutz des Reiseveranstalters hinsichtlich der Angaben
in der Kündigungserklärung nicht geboten. Abgesehen davon stellte die Krankheit der
Klägerin unbestritten gerade eine psychische und physische Reaktion auf die
Terroranschläge dar.
Eine Kündigung wegen höherer Gewalt war jedoch nicht gerechtfertigt. Zwar handelte es
sich bei den Anschlägen vom 11.09.2001 um höhere Gewalt. Als höhere Gewalt
anzusehen ist ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammengang
aufweisendes, auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht
abwendbares Ereignis (BGHZ 102, 224; vgl. Führich, Reiserecht, 2. Aufl. 1995 m.w.N.).
Diese Voraussetzung ist bei Terrorakten ohne weiteres gegeben (vgl. Tempel, NJW 1998,
1827, 1828). Eine Kündigung des Reisevertrages nach § 651 j BGB ist jedoch daran
geknüpft, dass infolge der höheren Gewalt die konkrete geplante Reise (Aufenthalt vor Ort
sowie An- und Abreise) erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird (vgl. Kaller,
Reiserecht, 1999, Rn. 399; Tempel, NJW 1998, 1827 ff.). Ob erhebliche Auswirkungen auf
die Reise zu befürchten sind, ist nach dem Kenntnisstand vor Reiseantritt (vgl. BGHZ 109,
224, 226) aus der Sicht eines normalen Durchschnittsreisenden zu beurteilen. Das Gericht
ist bei der Feststellung nicht an die Äußerungen Dritter, z.B. des Auswärtigen Amtes,
gebunden (vgl. Tempel, NJW 1998, 1827, 1830). Diese haben allerdings eine gewisse
Indizwirkung.
Eine konkrete Beeinträchtigung der geplanten Reise in die Dominikanische Republik war
nach diesem Maßstab nach Auffassung der Kammer nicht zu befürchten. Unstreitig war
keine Warnung oder negative Empfehlung des Auswärtigen Amtes bezüglich des
Reiselandes ausgesprochen worden. Soweit im Zusammenhang mit den Anschlägen vom
11.09.2001 weitere Drohungen mit Terroranschlägen, auch mit Flugzeugen,
ausgesprochen worden waren, bezogen diese sich auf US-amerikanische Einrichtungen.
Eine Zwischenlandung auf einem US-amerikanischen Flughafen oder eine über das
Gebiet der USA führende Flugroute waren unstreitig nicht vorgesehen. Es gibt es keine
konkreten Anhaltspunkte, dass gerade die Dominikanische Republik bzw. Flüge dorthin
besonders gefährdet waren. Auch wenn zum Zeitpunkt der Kündigung der NATO-
Bündnisfall festgestellt worden war, eine objektiv erhöhte Kriegsgefahr für die USA bzw.
die gesamte westliche Welt bestand, und das Auswärtige Amt darauf hinwies, dass
"weltweit die Gefahr von Terrorakten besteht", so ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass
die von der Klägerin geplante Reise von diesen Gefahren besonders und in erheblicherem
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Maße als andere Reisen mit Flugzeugen betroffen war.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Reise bereits knapp zwei Wochen nach
den Anschlägen vom 11.09.2001 stattfinden sollte.
Es handelte sich daher um einen vor Reisebeginn jederzeit zulässigen Rücktritt gemäß §
651 i BGB mit der Folge, dass zwar der Anspruch des Reiseveranstalters auf den
Reisepreis entfällt (§ 651 i Abs. 2 Satz 1 BGB), jedoch eine Entschädigung nach § 651 i
Abs. 2 Satz 2 BGB geschuldet wird. Eine Pauschalierung, wie sie hier von der Beklagten
vorgenommen wurde, ist nach § 651 i Abs. 3 BGB grundsätzlich zulässig, so dass
entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin keine konkreten Kosten nachgewiesen
werden müssen. Eine Pauschalierung setzt voraus, dass die für gewöhnlich ersparten
Aufwendungen und der durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich
mögliche Erwerb berücksichtigt werden. Die Beklagte hat der ihr insoweit obliegenden
Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit der Entschädigung genügt. Eine
Pauschale von 50 % bei Rücktritt 9 Tage vor geplantem Reisebeginn begegnet nach
Auffassung der Kammer keinen Bedenken, da eine anderweitige Verwendungsmöglichkeit
angesichts der kurzen Frist unwahrscheinlich ist (vgl. Seiler in: Ermann, BGB, 10. Aufl., §
651 i Rn. 7). Bei der Bemessung der Pauschale muß nicht mindernd berücksichtigt werden,
ob eine Buchung - wie hier - erst kurz vor dem geplanten Reiseantritt erfolgt, denn dass der
Reiseveranstalter ein gewisses Kontingent an Plätzen für last-minute-Angebote bereithält,
läßt nicht den Rückschluß zu, dass auch alle diese Plätze vergeben werden.
Auch ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in der geltend gemachten Höhe wegen
fehlerhafter Beratung hinsichtlich der Rückerstattung der Stornokosten durch die
Reiserücktrittsversicherung ist nicht gegeben. Es kann dahin stehen, ob die Klägerin
sorgfaltswidrig fehlerhaft beraten wurde und dies von der Beklagten zu verantworten ist.
Jedenfalls wäre der Schaden auch bei inhaltlich zutreffender Beratung entstanden, denn
aus dem Vortrag der Klägerin läßt sich entnehmen, dass sie in jedem Fall die Reise nicht
angetreten und somit die Stornokosten geschuldet hätte.
Die zulässige Anschlußberufung hat daher in der Sache keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10 in entsprechender Anwendung,
711, 713 ZPO.
Es bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.
Streitwert der Berufungsinstanz: 997,02 EUR
(Berufung: 498,51 EUR; Anschlußberufung: 498,51 EUR ; §§ 14 I 1, 19 II, I 1 GKG)