Urteil des LG Bonn vom 06.07.2005

LG Bonn: hengst, unerlaubte handlung, innenverhältnis, prozesskosten, unterricht, stute, anteil, gesundheit, nebenpflicht, gefährdung

Landgericht Bonn, 2 O 588/04
Datum:
06.07.2005
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 588/04
Schlagworte:
Haftung von Gesamtschuldnern bei Reitunfall
Normen:
§ 840 Abs. 3 BGB
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Klägerinnen machen Ansprüche aus Gesamtschuldnerausgleich nach einem
Reitunfall geltend, der sich am 23.04.1999 in E ereignete. Die Zeugin G war
Reitschülerin der Klägerin zu 1., deren Haftpflichtversicherer die Klägerin zu 2. ist. Der
Unterricht fand auf der 10 Jahre alten Haflingerstute "Ronja", einem Schulpferd, in der
Reithalle des S- Hofes statt. Die Klägerin zu 1. setzte Ronja ab Ende 1998 als
Schulpferd ein. Die Zeugin G nahm nicht zum ersten Mal Reitunterricht, sondern wurde
früher schon einmal unterrichtet.
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Als die am 23.04.1999 gehaltene Reitstunde fast zu Ende war, betrat die Beklagte zu 2.
in Begleitung des Beklagten zu 1. mit ihrem Hengst die Halle. Der Beklagte zu 1. war
der Pferdetrainer dieses Hengstes. Er begleitete die Beklagte zu 2. und wollte ihr beim
Training zuschauen, um nachher mit ihr darüber zu sprechen.
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Das weitere Geschehen ist streitig. Übereinstimmung besteht jedoch dahingehend, dass
die Pferde jeweils eine Hallenseite benutzten und dort im Zirkel geführt wurden.
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Ronja und der an der Longe geführte Hengst begegneten sich in der Halle. Die Stute
ging durch und galoppierte Richtung Bande. Dabei warf sie die Zeugin G ab, die sich
erheblich verletzte.
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Die Zeugin G erlangte vor dem Landgericht Koblenz (Az. 10 O 104/00) am 24.04.2001
ein Urteil gegenüber der Klägerin zu 1. und dem Beklagten zu 2. Die beiden wurden
unter teilweiser Klageabweisung gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Zeugin G
8.800,75 € nebst Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sie allen
Zukunftsschaden aus dem Reitunfall tragen müssen. Das Landgericht Koblenz nahm
eine Haftung der Klägerin zu 1. nach § 833 BGB und eine Haftung des Beklagten zu 2.
nach § 823 Abs. 1 BGB wegen unrichtiger Zusicherung der Ungefährlichkeit des
Hengstes an.
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Mit Schriftsatz vom 07.04.2000 (Bl. 33 d. Beiakte) verkündete die Klägerin zu 1. vor dem
Landgericht Koblenz dem Beklagten zu 2. den Streit. Ein Beitritt erfolgte nicht. Der
Schriftsatz enthielt die Klageerwiderung und folgende Passage: "Ich weise den
Streitverkündeten darauf hin, dass die Beklagte (hier: Klägerin zu 1.) für den Fall, dass
er dem Rechtsstreit nicht beitritt, im Falle des Unterliegens in diesem Rechtsstreit die
entsprechend an die Klägerin (hier: Zeugin G) zu zahlenden Beträge gegenüber ihm
geltend machen" wird.
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Die Klägerin zu 2. zahlte auf das Urteil des Landgerichts Koblenz hin 8.894,21 € (inkl.
Zinsen). Sie zahlte außerdem die der Klägerin zu 1. entstandenen Prozesskosten i.H.v.
637,48 €. Die Klägerin zu 1. wurde darüber hinaus von Sozialversicherungsträgern auf
eine Gesamtsumme von 18.308,13 € in Anspruch genommen (Barmer Ersatzkasse:
2.493,39 €, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte: 3.996,00 € und Bundesagentur
für Arbeit: 11.818,74 €). Die Klägerin zu 2. zahlte die entsprechenden Beträge für die
Klägerin zu 1. Sie nehmen die Beklagten wegen der Prozesskosten zu 50%, wegen der
übrigen Zahlungen in voller Höhe in Anspruch.
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Die Klägerinnen behaupten, die Klägerin zu 1. habe Ronja beim Eintreten der
Beklagten mit dem Hengst in die Halle an das Halfter genommen und die Beklagte zu 2.
gefragt, ob der Hengst ruhig und folgsam sei. Dies sei von beiden Beklagten bejaht
worden. Die Zeugin G habe zudem selbst auf ihre Unsicherheit hingewiesen. Der
Hengst dürfe nicht galoppieren, weil Ronja sonst ebenfalls zum Galopp veranlasst
werden könnte. Diese Gangart beherrsche sie aber nicht. Auf die beschwichtigenden
Worte der Beklagten habe die Klägerin zu 1. sodann die Mitbenutzung der Halle
gestattet. Die Halle sei nämlich eigentlich – wie für Reitstunden üblich – für die Klägerin
zu 1. reserviert gewesen. Als sich die beiden Tiere begegneten, habe der Hengst
plötzlich gebockt und Ronja erschreckt.
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Die Klägerinnen sind der Ansicht, im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleiches nach §
426 Abs. 1 und 2 BGB müsse die Klägerin zu 1. ganz von der Haftung freigestellt
werden.
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Sie beantragen mit der am 29.12.2004 zugestellten Klage,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
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1. an die Klägerin zu 2. 27.521,08 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszins ab dem 30.12.2004 zu zahlen,
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2. die Klägerinnen von allen weiteren Ansprüchen aus dem Reitunfall der G,
vom 23.04.1999 auf dem Gestüt S in E freizustellen, die diese selbst und
Sozialversicherungsträger (aus übergegangenem Recht) gegenüber den
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Klägern geltend machen werden.
Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behaupten, die Ursache für den Unfall sei jedenfalls nicht vom Hengst
ausgegangen. Entweder sei Ronja durch ein Geräusch von außen oder durch eine
Bewegung der Zeugin G zum Bocken verleitet worden. Sowohl die Klägerin zu 1. als
auch das Pferd Ronja seien nicht ausreichend ausgebildet gewesen. Es sei bei der
Klägerin zu 1. in der Vergangenheit bereits häufiger zu Reitunfällen gekommen. Ronja
habe an die Longe genommen werden müssen. Der damals vierjährige Hengst der
Beklagten zu 2. sei ein gut erzogenes Turnierpferd, das noch nie irgendwelche
Auffälligkeiten gezeigt habe; das ist von den Klägerinnen unwidersprochen geblieben.
Die Altersangabe bestreiten sie mit Nichtwissen.
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Die Beklagten behaupten, die gemeinsame Hallennutzung sei nicht durch eine Weisung
des Hofbesitzers ausgeschlossen gewesen.
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Die Beklagten sind der Ansicht, dass eine Nebeninterventionswirkung aus dem
Vorprozess gegenüber dem Beklagten zu 1. nicht eintreten könne. Zum einen erfülle die
Streitverkündungsschrift nicht die Mindestvorgaben. Es fehle sowohl an der Angabe des
Streitverkündungsgrundes als auch des -anspruches. Zum anderen sei die
Parteivernehmung der Zeugin G zu Unrecht erfolgt, weil der Beklagte zu 1. nicht
zugestimmt habe.
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Wegen des Vorbringens im Übrigen wird auf die beiderseitigen Schriftsätze mit den
dazu gehörenden Anlagen sowie die Erklärungen der Parteien in der mündlichen
Verhandlung verwiesen. Die Akte Landgericht Koblenz, 10 O 104/00 , war zu
Informationszwecken beigezogen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin G. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.06.2005 (Bl.
64 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
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Die Klägerinnen haben gegenüber den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von
27.521,08 € aus § 426 Abs. 1 und Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 833, 823 Abs. 1 BGB, die
Klägerin zu 2. i.V.m. § 67 VVG.
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Zwar sind die Klägerin zu 1. und die Beklagten der Zeugin G gegenüber als
Gesamtschuldner zum Ersatz des durch den Reitunfall am 23.04.1999 entstandenen
Schadens verpflichtet. Im Innenverhältnis haftet die Klägerin zu 1. jedoch alleine.
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Die Beklagte zu 2. haftet gegenüber der Zeugin G als Halterin des Hengstes nach § 833
S. 1 BGB. Nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugin G geht die Kammer davon
aus, dass der Hengst der Beklagten zu 2. durch eine Bewegung das Scheuen der Stute
Ronja zumindest mitverursacht hat. Die Einlassung der Beklagten zu 2., wonach ihr
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Hengst nicht gebockt habe, hat keine ernstlichen Zweifel an der Aussage der Zeugin
wecken können. Die Schilderungen der Zeugin waren lebhaft und es war erkennbar,
dass sie sich in die damalige Situation noch gut hinein versetzen konnte. An die
wesentlichen Momente hatte sie noch Erinnerungen. Angesichts ihrer Sorge, sie könne
auf dem Pferd Schwierigkeiten bekommen, besaß die Zeugin auch eine erhöhte
Wahrnehmungsbereitschaft.
In der Bewegung des Hengstes hat sich auch eine typische Tiergefahr geäußert.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 2. das Pferd für ihre Erwerbstätigkeit benötigt
und nur nach § 833 S. 2 BGB haften würde, sind nicht ersichtlich.
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Die Annahme einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB kommt für die Beklagte zu 2.
daneben nicht in Betracht. Eine unerlaubte Handlung scheidet bereits deswegen aus,
weil die Beklagte zu 2. selbst nach dem klägerischen Vortrag nur gesagt haben soll, der
Hengst sei ein ruhiges Tier, von dem für die Reitschülerin keine Gefahr ausgehe. Es ist
von den Klägerinnen jedoch nicht dargelegt und bewiesen worden, dass die Beklagte
zu 2. hier bewusst oder fahrlässig die Unwahrheit gesagt hat. Im Gegenteil ist
unwidersprochen geblieben, dass es sich bei dem Hengst um ein Turnierpferd handelt.
Bei einem solchen Tier ist davon auszugehen, dass es eine gewisse Erfahrung mit
Stresssituationen besitzt.
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Allerdings tritt die Haftung der Beklagten zu 2. im Innenverhältnis gemäß § 840 Abs. 3
BGB hinter die Haftung der Klägerin zu 1. zurück. Die Norm sieht als anderweitige
Bestimmung i.S.v. § 426 Abs. 1 BGB, wonach Gesamtschuldner im Innenverhältnis
grundsätzlich zu gleichen Teilen haften, eine abweichende Verteilung der
Haftungsquoten vor. Nach § 840 Abs. 3 BGB ist derjenige Gesamtschuldner, der nur aus
Gefährdung oder vermutetem Verschulden haftet, im Innenverhältnis demjenigen
Gesamtschuldner, dem feststehendes Verschulden zur Last fällt, nicht zum Ausgleich
verpflichtet.
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Zwischen der Klägerin zu 1. und dem Beklagten zu 2. besteht ein solches
Stufenverhältnis. Die Klägerin zu 1. haftet der Zeugin G gegenüber nicht nur, wie vom
Landgericht Koblenz angenommen, nach § 833 BGB. Sie ist auch verantwortlich aus
positiver Forderungsverletzung des mit der Zeugin abgeschlossenen
Reitlehrervertrages. Die Klägerin zu 1. traf jedenfalls die Nebenpflicht, sich bei
Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Körper, Gesundheit und
sonstige Rechtsgüter der Zeugin G nicht verletzt werden (vgl. BGH, NJW 1983, 2814).
Der Reitunterricht musste entsprechend gestaltet werden. Der Klägerin zu 1. war der
Ausbildungsstand der Zeugin G bekannt. Sie wusste insbesondere davon, dass diese
die Gangart Galopp nicht beherrschte und demzufolge unsicher war. Es oblag ihr, die
nötigen Sicherungen vorzunehmen, vgl. dazu unten.
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Die Kammer ist zur Annahme der vertraglichen Haftung der Klägerin zu 1. nicht durch
die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Koblenz gehindert. Dort wurde über das
Bestehen vertraglicher Ansprüche der Zeugin G keine Entscheidung getroffen. Eine
solche Entscheidung war nicht auch nicht nötig, weil die Klage bereits unter den
Voraussetzungen der geringere Anforderungen stellenden Tierhalterhaftung begründet
war.
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Auch die Haftung des Beklagten zu 1. tritt im Verhältnis der Gesamtschuldner
zueinander gegenüber derjenigen der Klägerin zu 1. zurück. Dies folgt zwar nicht aus §
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840 Abs. 3 BGB. Zwischen den beiden besteht kein von der Norm vorausgesetztes
Stufenverhältnis. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Koblenz ist der
Beklagte zu 1. der Zeugin G ebenfalls aus Verschuldenshaftung
schadensersatzpflichtig. Auf die Frage, ob die in jenem Prozess seitens der Klägerin zu
1. gegenüber dem Beklagten zu 1. erfolgte Streitverkündung wirksam ist, kommt es
wegen der Rechtskraftwirkung nicht an. Wie das Landgericht Koblenz insofern bindend
angenommen hat, haftet der Beklagte zu 1. für seine Angabe, bei dem Hengst der
Beklagten zu 2. handele es sich um ein ruhiges Tier, das ohne Bedenken während der
Reitstunde der Zeugin G an der Longe geführt werden könne, nach § 823 Abs. 1 BGB. §
840 Abs. 3 BGB ist im Verhältnis zweier wegen feststehenden Verschuldens haftender
Gesamtschuldner nicht anwendbar.
Die Verteilung der Haftungsquoten richtet sich bei Schadensersatzansprüchen nach §
254 BGB, der ebenfalls eine anderweitige Bestimmung i.S. der allgemeinen Regel des
§ 426 Abs. 1 BGB darstellt (vgl. BGH, NJW 1972, 1802). Die hierbei vorzunehmende
Abwägung des Maßes der beiderseitigen Verursachungsanteile und des beiderseitigen
Verschuldens führt zu einer Alleinhaftung der Klägerin zu 1.
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Der Anteil der Klägerin zu 1. an der Verursachung des Reitunfalls überwiegt denjenigen
des Beklagten zu 1. deutlich. Die Klägerin zu 1. hatte als Reitlehrerin die unmittelbare
Geschehensherrschaft. Sie konnte entscheiden, ob die Zeugin G mit dem anderen Pferd
zusammen die Halle weiter benutzen sollte. Sie konnte ggfls. das Anlegen der Longe
anordnen, den Unterricht vorzeitig beenden oder den Beklagten die Mitnutzung der
Halle untersagen. Sie konnte auch anordnen, welcher Art die von der Zeugin G
durchzuführenden Reitübungen sein sollten. Der Beklagte zu 1. dagegen begleitete nur
die Beklagte zu 2. Er selber hatte keine Verfügungsgewalt über den Hengst. Sein Anteil
an der Verursachung des Unfalls ist vergleichsweise so gering, dass es gerechtfertigt
ist, im Rahmen der Abwägung die Klägerin zu 1. allein haften zu lassen.
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Die Betrachtung des Maßes des beiderseitigen Verschuldens bestätigt dieses
Abwägungsergebnis. Die Klägerin trifft ein höherer Verschuldensgrad. Ein solcher kann
die Haftung wegen geringeren Verschuldens ganz zurücktreten lassen (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl. 2005, § 254 Rdnr. 61).
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Wie bereits bei der Beklagten zu 2. ausgeführt, ist nicht erwiesen, dass der Hengst der
Beklagten zu 2. in der Vergangenheit häufiger als unzuverlässiges und unruhiges Pferd
aufgefallen wäre, von dem ein gewisses Risiko ausgeht, das der Beklagte zu 1. bewusst
verschwiegen hätte. Auch das Landgericht Koblenz hat insoweit keine bindenden
Feststellungen getroffen. Demgegenüber wusste die Klägerin zu 1. von den
Reitfähigkeiten und der Angst der Zeugin G. Als Reitlehrerin traf sie die besondere
Pflicht, auf die Unversehrtheit der Rechtsgüter ihrer Schülerin zu achten (s. bereits
oben). Sie hätte auch bei Zusicherungen der Beklagten, der Hengst sei zuverlässig, die
Reitstunde nicht ohne weitere Sicherungen durchführen dürfen.
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Für den Feststellungsantrag zu 2. besteht wegen des möglichen Eintritts von
Zukunftsschäden zwar das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
Jedoch ist der Antrag entsprechend den obigen Ausführungen unbegründet. Die
Beklagten sind den Klägerinnen nicht zum Ersatz der durch die Inanspruchnahme durch
die Zeugin G noch entstehenden Aufwendungen verpflichtet.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 und S.
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2 ZPO.
Streitwert: 29.521,08 €
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