Urteil des LG Bonn vom 12.07.2006

LG Bonn: fahrzeug, werkstatt, abrechnung, reparaturkosten, firma, bereicherung, hersteller, gewährleistung, wartung, wirtschaftlichkeit

Landgericht Bonn, 5 S 72/06
Datum:
12.07.2006
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 72/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 13 C 15/05
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.03.2006 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Bonn - 13 C 15/05 - abgeändert und die Beklagte
verurteilt, an die Klägerin 858,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit dem 24.12.2004 zu
zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
I.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf restlichen Schadensersatz aus einem
Verkehrsunfall in Höhe von 858,64 € in Anspruch.
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Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen
ausgeführt: Zwar könne der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug grundsätzlich in
einer Fachwerkstatt seiner Wahl und seines Vertrauens reparieren lassen. Dieser
Grundsatz gelte aber nur begrenzt. Rechne der Geschädigte fiktiv ab, so würden die
Erwägungen, die bei einer tatsächlich durchgeführten Reparatur zugunsten der Wahl
einer markengebundenen Werkstatt maßgebend seien, nicht gelte. Dem Geschädigten
solle nämlich nicht zugemutet werden, weiter zuzuwarten, ohne sein Fahrzeug durch
eine schnelle Reparatur wieder in vollem Umfang nutzen zu können. Diese Erwägung
komme bei einer fiktiven Abrechnung nicht zum Tragen. Wie der Sachverständige in
seinem Gutachten ausgeführt habe, wäre die Reparatur durch die von der Beklagten
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nachgewiesenen Werkstätten mit ihren Stundensätzen ebenso fachgerecht. Darüber
hinaus habe die Klägerin noch Verbringungskosten in Ansatz gebracht, die bei anderen
Werkstätten nicht anfallen würden. Für das Schadensereignis solle der Geschädigte
zwar entschädigt, aber nicht bereichert werden. Indem die Klägerin das beschädigte
Fahrzeug in Zahlung gegeben habe und die Sätze der Fachwerkstatt bei der
Inzahlungnahme zugrunde gelegt worden seien, habe er sein neues Fahrzeug
entsprechend günstiger erhalten. Dies könne nicht zu Lasten der Versicherung und
damit der Versichertengemeinschaft gehen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese ihren erstinstanzlichen
Zahlungsantrag vollumfänglich weiter verfolgt. Sie macht geltend: Auch wenn der
Geschädigte das verunfallte Fahrzeug in der Fachwerkstatt seines Vertrauens in
Zahlung gebe, anstelle es dort reparieren zu lassen, sei ihm kein weiteres Zuwarten
zuzumuten, sondern die Möglichkeit zu geben, schnell wieder ein Fahrzeug nutzen zu
können. Ferner sei bei der vorliegend vorgenommenen Abrechnungsweise keine
Bereicherung eingetreten. Denn bei dem Preis für die Inzahlungnahme seien
selbstverständlich die bei einer Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten
berücksichtigt worden. Sofern nicht der Reparaturwert einer Fachwerkstatt bei der
Schadensberechnung zugrunde gelegt werde, stehe es dem Geschädigten nicht mehr
frei, mit einer Fachwerkstatt eine Abwicklung zu den dort üblichen Bedingungen
vorzunehmen. Im übrigen habe das Amtsgericht die Entscheidung des BGH in NJW
2003, 2086 unberücksichtigt gelassen, wonach für die Schadensberechnung die
Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt unabhängig davon
zugrunde zu legen seien, ob einer Reparatur tatsächlich durchgeführt oder fiktiv
abgerechnet werde. Auch die Verbringungskosten gehörten zur fiktiven
Schadensabrechnung, da solche von der Fachwerkstatt in Rechnung gestellt würden.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden
Instanzen gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Urkunden und
Unterlagen sowie den Inhalt des am 21.03.2006 verkündeten Urteils des Amtsgerichts
Bonn ergänzend Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Berufung ist begründet.
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Der Klägerin steht aufgrund des Verkehrsunfalls vom 13.11.2004 über den von der
Beklagten bereits regulierten Betrag von 15.292,02 € hinaus ein weiterer
Schadensersatzanspruch in Höhe von 858,64 € aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG zu.
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Dass die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Unfallgegners der Klägerin
gegenüber für die Folgen des Unfallereignisses in vollem Umfang einzustehen hat, ist
unstreitig. Uneinigkeit besteht zwischen den Parteien nur darüber, ob die Beklagte bei
der von der Klägerin vorgenommenen Abrechnung auf Gutachtenbasis auch zum Ersatz
der in dem Gutachten des Dipl.-Ing. K ausgewiesenen Arbeitskosten für Karosserie- und
Lackierarbeiten, denen die Stundenverrechnungssätze der Firma G von 92, -- € pro
Stunde (9,20 €/AW) zugrunde liegen, sowie der Verbringungskosten verpflichtet ist.
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1.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Geschädigte grundsätzlich
Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden
Reparaturkosten unabhängig davon, ob er den Wagen tatsächlich voll, minderwertig
oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. BGH NJW 2003, 2086). Der Umstand, dass
die Klägerin das Fahrzeug selbst nicht hat reparieren lassen, sondern bei Anschaffung
eines Ersatzfahrzeugs in Zahlung gegeben hat, führt als solcher also nicht dazu, dass
bei der Schadensabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen
Fachwerkstatt nicht zugrunde gelegt werden dürfen.
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Jedoch ist der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht
gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der
Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung
aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Dabei genügt aber im Allgemeinen, dass
er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten
Sachverständigengutachtens berechnet, sofern dieses Gutachten hinreichend
ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom
Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden. Denn bei
dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs
im Rahmen von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift
aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des
Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (vgl. BGH
NJW 2003, 2086, 2087). Vorliegend bestreiten die Beklagten nicht, dass die von dem
Dipl.-Ing. K im Schadensgutachten vom 26.11.2004 zugrunde gelegten
Stundenverrechnungssätze den bei einer Reparatur in einer markengebundenen
Fachwerkstatt anfallenden Lohnkosten entsprechen. Auch nach den Feststellungen des
Dipl.-Ing. U wurde der von Dipl.-Ing. K zugrunde gelegte Verrechnungssatz zum
Beurteilungszeitpunkt von einer autorisierten Fachwerkstatt für entsprechende Arbeiten
berechnet und war ortsüblich sowie angemessen. Jedoch hat die Beklagte die Klägerin
im Rahmen ihrer Schadensabrechnung mit Schreiben vom 09.12.2004 darauf
hingewiesen, dass die Stundenverrechnungssätze der nächsten Bruderhilfe-
Partnerwerkstätten niedriger seien und dieser zugleich eine Liste der nächstgelegenen -
nicht markengebundenen - Fachwerkstätten nebst Anschrift übermittelt. Da der
Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und
gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auch nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs auf diese verweisen lassen muss (vgl. BGH, a.a.O.), fragt sich, ob
die Klägerin im Falle der Durchführung der Reparatur unter
Schadensminderungsgesichtspunkten verpflichtet gewesen wäre, sich auf eine der ihr
von der Beklagten bekannt gegebenen Werkstätten verweisen zu lassen und deshalb
auch bei Abrechnung auf Gutachterbasis nur die niedrigeren Verrechnungssätze der
regionalen Fachwerkstätten von 80, -- € in Ansatz bringen kann. Dies wird in der
Rechtsprechung zum Teil unter Hinweis darauf verneint, die Mitarbeiter einer
markengebundenen Werkstatt seien auf die Reparatur von Fahrzeugen der
entsprechenden Marke spezialisiert und verfügten insoweit über größere
Werkstatterfahrung, (vgl. LG Trier, Urteil vom 20.09.2005, 1 S 112/05, BeckRS: 2006 Nr.
02543; AG Aachen, Urteil vom 14.06.2005, 5 C 81/05, BeckRS: 2005 Nr. 09994); zudem
besäßen sie Konstruktionspläne, Original-Ersatzteile und Spezialwerkzeug. Da dies in
einer freien Werkstatt nicht ohne weiteres gewährleistet sei, könne das Fehlerrisiko im
Rahmen einer Reparatur in der markengebundenen Werkstatt geringer sein (vgl. LG
Trier, a.a.O.). Jedenfalls bei höherwertigen Fahrzeugen spiele der Aspekt von
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Wartungs- und Reparaturarbeiten in einer Hersteller-Vertragswerkstatt auch beim
Wiederverkaufswert eine Rolle und wirke sich insoweit auf den merkantilen Minderwert
aus (vgl. LG Trier, a.a.O.). Zudem würde dem Geschädigten ansonsten die Möglichkeit
der Schadensbehebung in eigener Regie beschnitten (vgl. Rixecker in: Geigelt, Der
Haftpflichtprozess, 24. Aufl., S. 83 Rdnr. 33).
Ob diese Erwägungen durchgreifen, kann im Streitfall dahin gestellt bleiben. Denn die
Beklagte ist nach Auffassung der Kammer jedenfalls aufgrund der besonderen
Umstände des Streitfalles zum Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt
anfallenden Lohnkosten verpflichtet. Wie sich aus dem Gutachten des Dipl.-Ing. K ergibt,
war das verunfallte Fahrzeug erstmals am 27.02.2004 zum Verkehr zugelassen worden
und hatte keinen Vorbesitzer. Es handelte sich mithin um ein zum Unfallzeitpunkt noch
nicht 9 Monate altes Neufahrzeug, das noch der Herstellergarantie unterfiel. Da die
Hersteller die Garantiezusage aber regelmäßig von einer Wartung und Reparatur des
Fahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt abhängig machen, war der
Klägerin bereits aus Gründen des Erhalts der Herstellergarantie eine Reparatur in einer
freien Werkstatt nicht zuzumuten; eine solche würde im Streitfall keine – wirtschaftlich -
gleichwertige Reparaturmöglichkeit darstellen. Dies gilt unabhängig davon, ob die von
der Beklagten benannten Werkstätten ihrerseits eine dreijährige Garantie für alle
ausgeführten Arbeiten übernehmen. Denn die Klägerin musste sich weder auf einen
weiteren Vertragspartner verweisen lassen noch das Risiko eingehen, dass bei einem
eventuell auftretenden Folgeschaden Streit darüber entsteht, ob dieser der
Herstellergarantie oder den werkvertraglichen Gewährleistung der Reparaturwerkstatt
unterfällt. Hätte die Klägerin demnach die Reparatur des Fahrzeugs in einer
markengebundenen Fachwerkstatt durchführen lassen dürfen, so darf sie deren
Stundenverrechnungssätze auch bei - fiktiver - Abrechnung auf Gutachtenbasis
zugrunde legen. Denn das konkrete Verhalten des Geschädigten - hier: die
Inzahlunggabe des unreparierten Fahrzeugs - beeinflusst die Schadenshöhe nicht,
solange die Schadensberechnung das Gebot der Wirtschaftlichkeit und das Verbot der
Bereicherung beachtet (vgl. BGH NJW 2003, 2086, 2088).
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Auch die Verbringungskosten, d.h. die Kosten, die durch den Transport des Pkw von der
Werkstatt in eine Lackiererei entstehen, zählen nach Auffassung der Kammer jedenfalls
dann zu den zu ersetzenden fiktiven Reparaturkosten, wenn für den Geschädigten nicht
die Möglichkeit besteht, die Reparatur in einer Fachwerkstatt mit eigener Lackiererei
durchführen zu lassen (vgl. OLG Düsseldorf NZV 2002, 87, 88; OLG Dresden, Urteil vom
13.01.2001, 13 U 600/01; LG Gera, Urteil vom 28.09.1999, 10 S 311/99, zitiert nach juris,
LS; LG Wiesbaden, Urteil vom 07.06.2000, 10 S 81/99, zitiert nach juris, LS; Oetker in:
Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 249 Rdnr. 350; generell für die
Erstattungsfähigkeit fiktiver Verbringungskosten: Wortmann NZV 1999, 503 ff; streitig:
Übersicht zum Meinungsstand bei Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl.,
§ 249 Rdnr. 350). Wie bereits ausgeführt, berührt das konkrete Verhalten des
Geschädigten den Geldersatzanspruch nicht. Dieser muss die Schadensersatzleistung
nicht zur Herstellung der Sache verwenden. Auch bei fiktiver Abrechnung auf
Gutachtenbasis sind daher alle erforderlichen Reparaturkosten zu ersetzen. Hierzu
gehören auch die Verbringungskosten, jedenfalls wenn für den Geschädigten nicht die
Möglichkeit besteht, die Reparatur in einer Fachwerkstatt mit eigener Lackiererei
durchführen zu lassen. Dass die regionale W-Vertretung am Sitz der Klägerin, die Firma
G GmbH in C, bei der die Klägerin, wie oben dargelegt, die Reparatur hätte durchführen
lassen dürfen, Lackierarbeiten in einer eigenen Lackiererei ausführt, behauptet auch die
Beklagte nicht. Vielmehr werden von dieser nach den Feststellungen des
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Sachverständigen Dipl.-Ing. U im Gutachten vom 13.06.2005 (S. 6 = Bl. 51 d.A.)
entsprechende Verbringungskosten berechnet.
Soweit die Beklagte in ihrem Abrechnungsschreiben vom 09.12.2004 (Bl. 39 d.A.) die
Ersatzteilsumme um 1.020,28 € wegen so genannter UPE-Aufschläge gekürzt hat, ist
dies nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U im Gutachten vom
13.06.2005 (S. 6 = Bl. 51 d.A.) nicht sachgerecht, da Dipl.-Ing. K im Schadensgutachten
vom 26.11.2004 einen Ersatzteil-Preisaufschlag nicht einkalkuliert hat.
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2.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
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3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.
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Von der Zulassung der Revision sieht die Kammer ab, weil die Rechtssache weder
grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert
(§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO), sondern es sich im Streitfall um eine
Einzelfallentscheidung handelt.
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Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 858,64 €
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