Urteil des LG Bonn vom 28.11.2005

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Landgericht Bonn, 6 T 346/05
Datum:
28.11.2005
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 T 346/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 99 IK 136/05
Schlagworte:
Insolvenz, Steuererstattung, Freibeträge, Arbeitseinkommen
Normen:
§ 765 a) ZPO
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Arbeitseinkommen, das pfändungsfrei gewesen wäre, wären den
Abzugsbeträgen des späteren Einkommensteuerbescheides
entsprechende Freibeträge auf der Lohnsteuerkarte eingetragen
gewesen, unterliegt zwar in der Gestalt der nachträglichen
Steuererstattung grundsätzlich dem Insolvenzbeschlag, ist auf Antrag
nach § 765 a) ZPO aber freizugeben.
Tenor:
Im Wege der einstweiligen Anordnung nach §§ 765a Abs. 1 Satz 2, 732
Abs. 2 ZPO wird angeordnet, dass der
Einkommensteuererstattungsbetrag aus dem
Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes T vom 29.09.2005 zu
Steuernummer 2..... nach Vereinnahmung durch den Treuhänder vor
rechtskräftiger Entscheidung über den Freigabeantrag des Schuldners
vom 01.09.2005 nicht verwertet werden darf, vielmehr in
ungeschmälerter Höhe zur etwaigen Auszahlung an den Schuldner
vorzuhalten ist.
Auf die sofortige Beschwerde werden der angefochtene Beschluss vom
31.10.2005 und die Nichtabhilfeverfügung des Amtsgerichts vom
23.11.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung über den
Freigabeantrag des Schuldners und die Kosten des
Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e:
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I.
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Mit seinem Freigabeantrag und seiner sofortigen Beschwerde macht der Schuldner
geltend, er benötige den Einkommensteuererstattungsbetrag für Unterhaltszwecke für
seine Familie, wobei er Verwendungszwecke im Einzelnen darstellt, diese jedoch nicht
beziffert.
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Das Amtsgericht stellt in der angefochtenen Entscheidung in Verbindung mit der
Nichtabhilfeverfügung im wesentlichen darauf ab, eine Freigabe könne nur im Rahmen
des als Ausnahmevorschrift sehr restriktiv auszulegenden § 765a ZPO erfolgen. Eine
Härte in diesem Sinne liege nicht vor, zudem sei zunächst das schutzwürdige
Gläubigerinteresse in jedem Falle voll zu würdigen. Der Vortrag zum Bedarf sei
pauschal und könne nicht zu Lasten der Gläubiger zur Freigabe führen.
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II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat zumindest vorläufigen Erfolg.
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Im Ansatzpunkt zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass der
Steuererstattungsanspruch der Insolvenzbeschlagnahme unterliegt und eine Freigabe
nach § 765a ZPO zu beurteilen ist. Es ist auch das Gläubigerinteresse zu
berücksichtigen, dies jedoch im Rahmen der nach § 765a ZPO vorzunehmenden
Abwägung, wonach die Freigabe dann zu erfolgen hat, wenn die Nichtfreigabe unter
voller Würdigung des Gläubigerinteresses für den Schuldner zu einer besonderen Härte
führt, die mit den guten Sitten nicht mehr zu vereinbaren ist.
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Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der
Einkommensteuererstattungsanspruch hier auf die Erstattung von Steuern gerichtet ist,
die aus Arbeitseinkommen bezahlt worden sind. Wesentlicher Grund für die
Steuererstattung ist, wie sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergibt, die
Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen für vier Kinder, für die der Schuldner kein
Kindergeld oder entsprechende Leistungen erhält, während solche Freibeträge für zwei
weitere Kinder deshalb nicht (bei der Einkommensteuer nicht, wohl aber bei der
Berechnung des Solidaritätszuschlags) berücksichtigt worden sind, weil der Schuldner
für diese beiden Kinder Kindergeld oder entsprechende Leistungen bezieht. Diese
Steuerfreibeträge dienen vorrangig dem Zweck, dem Steuerpflichtigen solche
Einkommensteile zu belassen, derer er zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten bedarf.
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Bei der Beurteilung nach § 765a ZPO ist in diesen Fällen daher darauf abzustellen,
welches Monatseinkommen der Schuldner erzielt hätte, wären die im
Einkommensteuerbescheid berücksichtigten Abzugsbeträge schon als Freibeträge auf
der Lohnsteuerkarte eingetragen gewesen. Das hätte im Zweifel zu einer höheren
monatlichen Netto-Auszahlung von Arbeitseinkommen geführt.
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Das Amtsgericht wird daher zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang dieses so
erhöhte monatliche Nettoeinkommen pfändungsfrei gewesen wäre, wobei sämtliche
Unterhaltspflichten des Schuldners zu berücksichtigen sind.
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Arbeitseinkommen, das pfändungsfrei gewesen wäre, wären entsprechende Freibeträge
auf der Lohnsteuerkarte eingetragen gewesen, unterliegt zwar in der Gestalt der
nachträglichen Steuererstattung grundsätzlich dem Insolvenzbeschlag, ist auf Antrag
nach § 765a ZPO aber freizugeben. Gläubigerinteressen werden dadurch nicht verletzt,
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denn die Gläubiger hätten bei entsprechender Eintragung auf der Lohnsteuerkarte von
Anfang an Zugriff darauf nicht gehabt.
Es kommt dementsprechend nicht darauf an, ob der Schuldner betragsmäßig dargelegt
hat, wie im Einzelnen er den Steuererstattungsbetrag verwenden will.
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Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens war dem Amtsgericht
vorzubehalten, da eine endgültige Entscheidung noch nicht getroffen ist.
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