Urteil des LG Bonn vom 17.05.1991
LG Bonn (kläger, wohnung der familie, zpo, höchstpersönliches recht, höhe, schmerzensgeld, hauptsache, haushalt, rechtshängigkeit, antrag)
Landgericht Bonn, 3 O 501/90
Datum:
17.05.1991
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
3. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 501/90
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Der Beklagte wird durch Versäumnisurteil verurteilt, an die Kläger als
Gesamtgläubiger 50.664,59 DM nebst 4 % Zinsen aus 30.000,-- DM seit
dem 14.12.1990 und aus 20.664,59 DM seit dem 27. Februar 1991 zu
zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern zu 81 % und
durch Versäumnisurteil dem Beklagten zu 19 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten jedoch nur
gegen. Sicherheitsleistung in Höhe von 4.200,-- DM.
Tatbestand:
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Die Kläger sind die Erben der am ##.##.19## verstorbenen E, die ihrerseits - damals
vertreten durch Pfleger - das Mahnverfahren mit dem Antrag auf Zahlung von 30.000,--
DM Schmerzensgeld gegen den Beklagten eingeleitet hatte, welches nach Widerspruch
des Beklagten und nach einer Anfang Dezember 1990 erfolgten Antragserweiterung an
das erkennende Gericht abgegeben wurde. Frau E war die Mutter der Kläger zu 1) bis 5)
und die Ehefrau des Klägers zu 6).
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Der Beklagte, der sich im Juni 1990 in erheblicher Geldnot befand, betrat am #.#.19##
gegen 12.45 Uhr die Spielhalle "S" in der G-Straße in #### I/T.
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Frau E arbeitete zu dieser Zeit dort als Angestellte zur Überwachung und zum
Geldwechseln. Im Verlaufe eines Gespräches zwischen Frau E und dem Beklagten
ergriff der Beklagte eine Ein-Liter- Flasche F Cola und schlug diese der Frau E derart
über den Kopf, daß die Cola-Flasche zerbrach. Frau E stürzte zu Boden und blieb laut
schreiend liegen. Der Beklagte nahm nunmehr einen am Ausgang der Spielhalle
befindlichen Feuerlöscher aus seiner Befestigung und begab sich damit zu der noch am
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Boden liegenden, erheblich blutenden Frau E. Er hielt den Feuerlöscher etwa in seiner
Brusthöhe über den Kopf der Frau E und ließ ihn schließlich auf deren Kopf fallen.
Die im Kopfbereich noch stärker blutende Frau E blieb bewusstlos liegen, während sich
der Beklagte Geld aus der Kasse nahm und sich anschließend mit der Beute entfernte.
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Frau E erlitt eine schwere Schädigung des Stammhirns und erhebliche Verletzungen mit
offenen Wunden am Kopf und im Ohrbereich. Sie erlangte das Bewußtsein nicht wieder,
sondern verstarb, wie ausgeführt, am ##.##.19##.
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In dem Verfahren ## & #/## LG D wurde der Beklagte am ##.#.19## wegen Mordes an
Frau E verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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Die Kläger behaupten:
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Der Beklagte habe die Spielhalle "S" bereits in der Absicht betreten, diese
auszurauben, und habe Frau E brutal und vorsätzlich getötet.
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Frau E sei mit einer Gesamtstundenzahl von ca. 50 bis 60 Stunden monatlich in der
Spielhalle beschäftigt gewesen und habe dabei etwa 2.100,-- DM brutto verdient. Nach
der Verletzung durch den Beklagten habe sie bis zu ihrem Tode eine
Berufsunfähigkeitsrente, die sich incl. der Rente der Berufsgenossenschaft (Unfallrente)
auf 2/3 des Bruttolohns belaufen habe, bezogen.
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Frau E sei im wesentlichen für die Haushaltsführung verantwortlich gewesen. Der
Haushalt habe aus drei Personen bestanden, nämlich aus Frau E, ihrem Ehemann (dem
Kläger zu 6) und dem 21-jährigen Sohn der Eheleute. Bei der Wohnung der Familie E
handele es sich um einen ca. 65 m2 großen Haushalt (3-Zimmer-Wohnung) mit
normaler, d.h. mittlerer Ausstattung.
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Der Kläger zu 6) sei im öffentlichen Dienst vollzeitig berufstätig und verdiene etwa das
Doppelte wie seine verstorbene Ehefrau. Insofern habe ihm ein kleinerer Teil der
Hausarbeit, insbesondere Einkaufstätigkeit, oblegen. Der Sohn der Eheleute E sei bis
zur Verletzung seiner Mutter nicht nennenswert an der Haushaltsführung beteiligt
gewesen. Die Lebensführung der Eheleute E sei angesichts des Doppelverdienstes
durchaus als gehobener Mittelstand zu bezeichnen. Seit dem Fortfall der Frau E für die
Haushaltstätigkeit würden die Kläger zu 5) und 6) den Haushalt nunmehr alleine führen.
Eine Ersatzkraft sei nicht eingestellt worden. Die Kläger berechnen den im vorliegenden
Rechtsstreit u.a. geltend, gemachten Ausfallschaden der Frau E in der
Haushaltsführung wie folgt:
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Im Haushalt der Frau E sei laut Tabelle Schutz-Borck/Hofmann von einem Zeitbedarf
von 45 Stunden auszugehen.
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Abzuziehen sei die Mitarbeit des Ehemannes für die erwähnte Einkaufstätigkeit, die hier
pauschal mit 5 Stunden pro Woche anzusetzen sei.
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Außerdem solle ein weiterer Abschlag von 5 Wochenstunden zugrundegelegt werden,
da die Betreuung des volljährigen Sohnes insgesamt weniger aufwendig sei als die
kleinerer Kinder.
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Die Kläger meinen, eine etwaige frühere Mitarbeitsverpflichtung des Sohnes habe
außer Betracht zu bleiben, da insofern im Verletzungsfalle nur die tatsächlich geleistete
Arbeit heranzuziehen sei.
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Auf Basis eines vollständigen Ausfalls ihrer 35-stündigen Tätigkeit habe der Frau E ein
Schadensersatzanspruch für die Einstellung einer Ersatzkraft zugestanden, die nach
BAT VII zu vergüten gewesen wäre, weil es sich bei dem Haushalt der Frau E um einen
Durchschnittshaushalt der mittleren sozialen Schicht mit einem Kind gehandelt habe.
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Durch den völligen Ausfall der Frau E sei die Einstellung einer Ersatzkraft mit leitender
Funktion angemessen gewesen. Bei einer 35-stündigen Tätigkeit sei nach BAT VII ein
Bruttolohn von 2.649,59 DM monatlich zu zahlen gewesen. Die Kläger berechnen
diesen Bruttolohn auf Basis des seit dem 1.4.1990 gültigen BAT.
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Nach Abzug einer 30%igen Pauschale von diesem Bruttolohn ergebe sich ein Nettolohn
von 1.854,71 DM monatlich.
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Der vorliegende Rechtsstreit ist im einzelnen wie folgt abgelaufen:
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Mit Mahnbescheid vom 27.6.1990, dem Beklagten zugestellt am 5.7.1990, hatte Frau E,
damals vertreten durch den Kläger zu 6) als ihren Pfleger einen "Schmerzensgeld-
Teilanspruch" in Höhe 30.000,-- DM nebst 4 % Zinsen ab Zustellung des
Mahnbescheids gegen den Beklagten geltend gemacht.
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Auf den Widerspruch des Beklagten vom 22.8.1990 hatte dann Frau E mit Schriftsatz
vom 28.11.1990, eingereicht noch beim Mahngericht am 05.12.1990, bei gleichzeitiger
nunmehriger Einzahlung der zweiten Hälfte der gerichtlichen Prozessgebühren für den
ursprünglichen Mahnantrag, angekündigt zu beantragen:
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I. den Beklagten gemäß Mahnbescheidsantrag zu verurteilen, ihr z.Hd. ihres Pflegers
Schmerzensgeld in vom Gericht zu bestimmender Höhe, mindestens aber 30.000,-- DM
zu zahlen;
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II. 1. festzustellen, daß der Beklagte ihr alle weiteren Schäden - soweit nicht von
öffentlich-rechtlichen Versorgungsträgern abgedeckt - zu ersetzen sowie ggf. weiteres,
der Höhe nach zu bestimmendes Schmerzensgeld zu zahlen hat;
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2. den Beklagten zu verurteilen, ihr z.Hd. ihres Pflegers 10.664,59 DM sowie 4 % Zinsen
seit dem 27.2.1991 zu zahlen (= behaupteter Ausfallschaden für
Haushaltsführungstätigkeit Frau - E für die Zeit vom 06.06. bis 30.11.1990);
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3. den Beklagten zu verurteilen, ihr z.Hd. ihres Pflegers eine monatliche Rente von DM
1.854,71 seit dem 1.12.1990 zu zahlen (behaupteter Ausfallschaden für
Haushaltsführungstätigkeit Frau E in der Zeit ab Dezember 1990).
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Das Mahngericht gab die Akten am 13.12.1990 an das Landgericht Bonn ab, hier sind
sie am 14.12.1990 eingegangen. Die erweiterte Klage (obige Anträge zu I, II 1., II 2., II 3.)
wurden dem Beklagten nach der am 18.02.1991 erfolgten restlichen
Gerichtskostenvorschußzahlung für die Klageerhöhung zugestellt am 27.02.1991.
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Mit Schriftsatz vom 15.3.1991, bei Gericht eingegangen am 19.03.1991, dem Beklagten
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zugestellt am 22.3.1991, haben die nunmehrigen Kläger den Tod Frau E mitgeteilt und
den Rechtsstreit aufgenommen.
Die Kläger beantragen:
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1. Den Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger Schmerzensgeld in vom
Gericht zu bestimmender Höhe, mindestens aber 30.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
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2. Den Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 10.664,59 DM nebst 4 %
Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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3. Festzustellen, daß der Rechtsstreit hinsichtlich der ursprünglichen Klageanträge zu II.
1. und II. 3. in der Hauptsache erledigt ist.
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Der Beklagte widerspricht der Erledigungserklärung der Kläger und beantragt insoweit
die Klage abzuweisen.
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Im übrigen, zu den vorstehenden Anträgen zu 1 und 2, hat er nicht verhandelt.
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Die Kläger beantragen, soweit der Beklagte nicht verhandelt hat, im Wege des
Versäumnisurteils zu erkennen.
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Der Vertreter der Kläger ist im Verhandlungstermin darauf hingewiesen worden, daß der
Antrag auf Feststellung der Hauptsacheerledigung bezüglich der früheren Klageanträge
zu II 1 und II 3 unschlüssig erscheint; weil der Fall einer bereits vor Rechtshängigkeit
eingetretenen Hauptsacheerledigung vorliege.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
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Die Aufnahme des Verfahrens durch die jetzigen Kläger als gesetzliche Erben der
ursprünglichen Klägerin ist gem. § 239 Abs. 1 ZPO zulässig.
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Zum Klageantrag zu 1:
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Insoweit war durch Versäumnisurteil zu erkennen, wobei das tatsächliche Vorbringen
der Kläger als zugestanden anzusehen ist (§§ 331, 333 ZPO).
42
Die Kläger haben gegen den Beklagten gem. der §§ 847 Abs.
1,
übergegangenem Recht Frau E einen Anspruch auf Schmerzensgeld.
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Die Kläger sind gesetzliche Erben der Frau E im Sinne der §§ 1922, 1924 und 1931
BGB.
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Es ist auf Grund des klägerischen Vorbringens davon auszugehen, daß der Beklagte
Frau E vorsätzlich getötet hat, d.h., es jedenfalls für möglich gehalten hat, daß Frau E
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durch die Schläge mit der Cola-Flasche und das Fallenlassen des Feuerlöschers auf
ihren Kopf zu Tode kam, und dies (billigend) in Kauf genommen hat.
Angesichts der Schwere .der Verletzungen und der Tatsache, daß die Verstorbene vor
ihrem Tod etwa ein halbes Jahr im Koma gelegen hat, sowie angesichts des brutalen
und verbrecherischen Vorgehens des Beklagten erschien der Kammer ein
Schmerzensgeldbetrag von 40.000,-- DM als angemessen.
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Ein Schmerzensgeldanspruch in dieser Höhe ergibt sich hier insbesondere aus der
Genugtuungs- und Sühnefunktion des Schmerzensgeldes (vgl. BGH VersR 1976/660,
662). Eine rechtskräftige Strafverurteilung des Beklagten liegt nicht vor.
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Wegen der nach dem Vortrag der Kläger irreparablen Hirnschäden, und weil Frau E
nach dem #.#.19## das Bewußtsein nicht wiedererlangt hat, war die Ausgleichsfunktion
des Schmerzensgeldes - abgesehen von der von ihr offenbar nur kurz bewusst erlebten
Misshandlung seitens des Beklagten – außer Betracht zu lassen (vgl. BGH a.a.O. S.
661). .
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Daß der frühere Abs. 1 S. 1 des § 847 BGB seit dem 1.7.1990 weggefallen ist, führt
entgegen der Ansicht der Kläger nicht zu einer zusätzlichen Berücksichtigung der
Unbill, die die Angehörigen und die Kläger als Erben erlitten haben. Denn der
Schmerzensgeldanspruch ist als höchstpersönliches Recht des Verletzten ausgestaltet,
so daß es auf eine Ausgleichung gegenüber den Angehörigen oder den Erben nicht
ankommt.
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Der Schmerzensgeldanspruch ist in Höhe von 30.000,-- DM erst mit Eingang der vom
Mahngericht abgegebenen Akten beim Landgericht rechtshängig geworden, also am
14.12.1990 (arg. § 696 Abs. 3 ZPO; es erfolgte keine "alsbaldige" Abgabe); der
weitergehende Schmerzensgeldanspruch ist mit Zustellung am 27.02.1991
rechtshängig geworden (§§ 253, 261 ZPO). Ab diesem Datum sind daher den Klägern
auf das Schmerzensgeld die beanspruchten Rechtshängigkeitszinsen zuzuerkennen, §
291 BGB.
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Zum Klageantrag zu 2:
51
Auch insoweit war unter Zugrundelegung des Klagevorbringens durch Versäumnisurteil
zu erkennen (§§ 331, 333 ZPO).
52
Die Kläger haben gem. der §§ 823,842, 843, 1922 BGB Anspruch auf Zahlung von
10.664,59 DM gegen den Beklagten. Die Kammer folgt insoweit der von den Klägern auf
Basis der Tabelle Schulz-Borck/Hofmann und auf Basis des BAT VII schlüssig
dargelegten Berechnung des Rentenanspruches auf 1.854,71 DM netto monatlich. Dies
ergibt für die Zeit zwischen Schädigung (6.6.1990 bis einschließlich November 1990,
d.h. für 6 Monate abzüglich 5 Tage im Monat Juni) einen Rentenbetrag von insgesamt
10.664,59 DM.
53
Der diesbezügliche Zinsanspruch der Kläger ergibt sich wiederum aus § 291 BGB ab
diesbezüglicher Klagezustellung, d.h. ab 27.02.1991.
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Zum Klageantrag zu 3:
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Bezüglich dieses Antrags war durch streitiges Urteil zu entscheiden.
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Der Antrag, die Erledigung der Hauptsache hinsichtlich der ursprünglichen
Klageanträge II. 1. und II. 3. festzustellen; ist unbegründet.
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Die Klageänderung auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache insoweit ist zwar
jedenfalls gem. § 263 ZPO sachdienlich und auch im übrigen zulässig. Auch der Sache
nach ist der Rechtsstreit hinsichtlich der von den Klageanträgen II. 1. und II. 3. erfassten
Zukunftsschäden in der Hauptsache auch tatsächlich dadurch erledigt, daß die
ursprüngliche Klägerin nach Anhängigwerden dieser Klageanträge verstorben ist.
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Das erledigende Ereignis, der Tod der ursprünglichen Klägerin am ##.##.19##, ist aber
vor Rechtshängigkeit, d.h. vor Zustellung der genannten Klageanträge am 27.2.1991
eingetreten und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der die Kammer
folgt, setzt eine Erledigung der Hauptsache eines Rechtsstreits im Rechtssinne voraus,
daß die Erledigung nach Rechtshängigkeit eintritt. Diese Betrachtungsweise ist deshalb
geboten, weil die verklagte Partei davor geschützt sein muss, mit einer im Zeitpunkt der
Klagezustellung bereits (unzulässigen oder) unbegründeten Klage überzogen zu
werden. Ein Kläger soll in einem solchen Falle die Abweisung seiner Klage nicht
dadurch vermeiden können, daß er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt
erklärt.
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Nebenentscheidungen:
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Berücksichtigung in der
Gesamtquotierung die quotenmäßig unterschiedliche Beteiligung der Parteien an den
streitwertmäßig divergierenden Gebührentatbeständen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 2, 709 ZPO.
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Streitwert:
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a) bezüglich des Ursprungsantrags zu I in Abänderung der bisherigen Festsetzungen
40.000,-- DM (Streitwertsumme aller Anträge daher 171.947,19 DM);
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b) die bisherigen Anträge zu II 1 und II 3 setzen sich streitwertmäßig im Antrag auf
Feststellung der Hauptsacheerledigung fort;
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c) bezüglich der Urteilsgebühren: Streitwert nur 121.282,60 DM.
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