Urteil des LG Bonn vom 16.03.2009
LG Bonn: unterbringung, aufschiebende wirkung, menschenwürde, entschädigung, toilette, zelle, grobe fahrlässigkeit, verjährung, verfügung, ausstattung
Landgericht Bonn, 1 O 362/07
Datum:
16.03.2009
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 362/07
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe
von 5.575,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 18.06.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 20% und das
beklagte Land zu 80% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu
vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor
der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt vom beklagten Land eine Ausgleichzahlung aufgrund
menschenunwürdiger Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt (JVA) während des
Strafvollzuges.
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Der Kläger befand sich vom ##.##.2003 bis ##.##.2007 in der JVA T in Strafhaft. Vom
##.##.2003 bis zum ##.##.2004 war er dort jedenfalls überwiegend in einem
Einzelhaftraum B 1/04 gemeinschaftlich mit einem weiteren Gefangenen untergebracht.
Der Haftraum hatte eine Bodenfläche von 7,6 m² und war mit zwei Betten, einer
Heizung, einem Schrank, einem Tisch nebst zwei Stühlen, einem Waschbecken und
einer Toilette ausgestattet, die nur durch einen Sichtschutz von dem übrigen Haftraum
abgetrennt war. Eine gesonderte Belüftung für die Toilette existierte nicht.
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Der Kläger behauptet, in der Zeit vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2004 durchgängig
gemeinschaftlich untergebracht gewesen zu sein. Er sieht in der erfolgten Unterbringung
eine amtspflichtwidrige Verletzung seiner Menschenwürde und seines Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts. Durch die Art der Unterbringung sei ihm jeglicher Rückzugsraum
genommen worden, in welchem er sein Gefühls- und Intimleben ungestört ausleben
könnte. Insbesondere durch die geringe Größe des Raumes zusammen mit der baulich
nicht abgetrennten Toilette liege eine Verletzung der Menschenwürde vor. Dies sei
insbesondere unter Berücksichtigung seines allgemeinen Gesundheitszustandes
erheblich belastend gewesen. Zudem sei der Mithäftling, mit dem er untergebracht war,
drogenabhängig gewesen. Während des gesamten Unterbringungszeitraums hätten
dem Kläger keine erheblichen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, sich außerhalb
des Haftraums aufzuhalten.
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Neben der täglichen Freistunde im Hof, habe aufgrund der angespannten Belegungs-
und Personalsituation in der JVA T keine Möglichkeit bestanden, an Freizeitgruppen
und Sportveranstaltungen teilzunehmen. Für die Teilnahme an Freizeitgruppen habe er
sich zeitweise auf "Platz 98 der Warteliste" befunden. Darüber hinaus sei er in der Zeit
vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2004 und vom ##.##.2008 über den gesamten
Unterbringungszeitraum unverschuldet ohne Arbeit gewesen.
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Bereits zu Beginn seiner Inhaftierung in der JVA T habe er dem Stationsbeamten Tt
einen Antrag auf Einzelunterbringung überreicht. Dieser habe den Antrag an den
zuständigen Bereichsleiter der JVA, den JVAI a.D. J, weitergeleitet. Der Kläger sei zu
Herrn J ins Büro bestellt worden, wo dieser ihn gefragt habe, ob er – der Kläger – denn
keine Arbeit haben wolle. Er wolle mit diesem Antrag doch sicherlich "nicht alles aufs
Spiel setzen". Als der Kläger, der Arbeit haben wollte, geäußert habe, dass er dies nicht
wolle, habe Herr J den Antrag zerrissen. In der Folgezeit habe der Kläger einen
weiteren Antrag auf Einzelunterbringung gestellt, welchen er ebenfalls dem
Stationsbeamten Tt überreicht habe. Daraufhin sei der Bereichsleiter J in seiner Zelle
erschienen und die Situation habe sich – wie geschildert - wiederholt. Der Kläger, der zu
diesem Zeitpunkt noch 3,5 Jahre Haft vor sich gehabt habe, habe sich nicht in der Lage
gesehen, anders zu reagieren aus Angst, seine Haftbedingungen zu gefährden. Ein
dritter Antrag, den der Kläger gestellt zu haben behauptet, sei ebenfalls von dem
Bereichsleiter J unter Hinweis auf den gewünschten Erhalt von Arbeit und den Verlust
von Vergünstigungen zerrissen worden.
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Eine erneute Antragstellung hätte ohnehin keinen Erfolg gehabt, da eine
Einzelunterbringung aufgrund der Belegungssituation in der JVA T zeitnah nicht
möglich gewesen wäre. Als Entschädigung verlangt er einen Betrag in Höhe von 25,00
€ pro Tag für die Zeit vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2004, d.h. für 282 Tage.
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Der Kläger beantragt mit der am 17.06.2008 zugestellten Klage,
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das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 7.050,00 € nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
zu zahlen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das beklagte Land behauptet, der Kläger, der bereits in den Justizvollzugsanstalten M
und K aus psychologischen und medizinischen Gründen sowie auf eigenen Wunsch
gemeinsam untergebracht gewesen sei, habe teilweise einen sehr niedergeschlagenen
Eindruck gemacht, und geäußert nicht allein sein zu wollen, weshalb die Unterbringung
mit einem weiteren Gefangenen angebracht gewesen sei und dem mutmaßlichen Willen
des Klägers entsprochen habe. Die Mitgefangenen, mit denen der Kläger untergebracht
gewesen sei, hätten gewechselt und die Gefangenen hätten regelmäßig die Möglichkeit,
bei der Auswahl des Zimmergenossen mitzuwirken. Zudem sei die gemeinschaftliche
Unterbringung in der Zeit vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2003 durch eine Einzelhaft
unterbrochen gewesen. Es ist der Auffassung, dass die Unterbringung nicht rechtswidrig
oder menschenunwürdig gewesen sei.
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Darüber hinaus behauptet das beklagte Land, dass den Gefangenen und damit auch
dem Kläger eine Fülle von Möglichkeiten zur Verfügung gestanden habe, sich
außerhalb des Haftraumes aufzuhalten. Es habe für die Gefangenen montags bis
freitags täglich in der Zeit von 9.30 Uhr bis 20.00 Uhr bzw. 21.00 Uhr Gelegenheit
bestanden, an diversen Sport- und Freizeitveranstaltungen teilzunehmen. Zumindest an
einer dieser jeweils eineinhalb- bis zweistündigen Veranstaltungen hätte der Kläger
teilnehmen können. Der Kläger habe auch an derartigen Freizeitgruppen teilgenommen.
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Zudem hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, an der täglichen Freistunde auf dem Hof
sowie an diversen Abendveranstaltungen teilzunehmen. Körperliche oder seelische
Einbußen habe der Kläger durch die Unterbringung jedenfalls nicht erlitten.
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Zudem meint das beklagte Land, dass einem Anspruch des Klägers die Regelung des §
839 Abs. 3 BGB entgegenstehe und behauptet, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt um
eine Verlegung in einen Einzelhaftraum gebeten habe oder zu verstehen gegeben zu
haben, mit der Unterbringung nicht einverstanden zu sein. Insbesondere habe der
Bereichsleiter keine derartigen Anträge des Klägers zerrissen oder ihm gedroht, bei
Stellung des Antrages seine Arbeit oder Vergünstigungen zu verlieren. Auch eine
gerichtliche Entscheidung habe der Kläger nicht beantragt. Einer solchen stattgebenden
Entscheidung hätte das beklagte Land Folge geleistet. Hierzu sei es auch in der Lage
gewesen, da es dauerhaft Einzelhafträume vorhalte und solche zum maßgeblichen
Zeitpunkt auch frei gewesen seien. Auch durch die ständige Fluktuation und den
zweimal wöchentlich stattfindenden Umlauf hätte einem Begehren des Klägers – so er
ein solches geäußert hätte – Rechnung getragen werden können. Zudem wäre auch
eine Verlegung in die JVA N möglich gewesen, da dort noch freie Haftkapazitäten
vorhanden gewesen seien.
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Jedenfalls – so meint das beklagte Land – würde das Interesse des Klägers auf
Genugtuung nicht die Zubilligung einer Geldentschädigung erforderlich machen. Eine
schikanöse Absicht seitens des beklagten Landes habe nicht zugrunde gelegen. Vor
allem sei der vom Kläger geltend gemachte Anspruch übersetzt. Eine kalendermäßige
Bemessung müsse ohnehin ausscheiden.
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Soweit der Kläger Ansprüche wegen seiner Unterbringung im Jahr 2003 geltend macht,
beruft es sich auf Verjährung.
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Hilfsweise rechnet das beklagte Land mit Ansprüchen des Landes auf noch zu
ermittelnde Verfahrenskosten auf.
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Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26.11.2008. Hinsichtlich
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 11.02.2009 verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist in Höhe von 5.575,00 € begründet, im Übrigen unbegründet.
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Dem Kläger steht gegen das Land ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in
Höhe von 5.575,00 € gem. § 839 BGB iVm Art. 34 GG iVm. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG für
die Zeit vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2004, mithin für 223 Tage, zu.
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Es liegt eine amtspflichtwidrige Verletzung der Menschenwürde und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts des Klägers durch Bedienstete des beklagten Landes vor. Die
Unterbringung von mehreren Gefangenen in einem 7,6 m² großen und damit extrem
beengten Haftraum mit einer baulich nicht abgetrennten Toilette ist menschenunwürdig
und verletzt die Garantien der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Abzustellen ist auf die
jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls. Diese haben hier die Erheblichkeitsschwelle
überschritten.
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Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen
werden, mag er sich auch in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die
Werteordnung der Verfassung vergangen haben (BVerfG, NJW 2002, 2700, 2701
m.w.N.). Strafgefangene haben einen Anspruch auf eine menschenwürdige
Unterbringung (BVerfG, NJW 2006, 1580 m.w.N.). In der Strafvollstreckung darf der
Straftäter nicht zum bloßen Objekt der Vollstreckung herabgewürdigt werden. Aus Art. 1
Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip ist daher gerade für den Strafvollzug die
Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu sichern, das ein
menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht (BVerfG, NJW 2006, 1580, 1581
m.w.N.).
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Eine Mehrfachbelegung des Haftraums ist nicht generell, also unabhängig von dessen
Größe und Ausstattung rechtswidrig. § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG normiert den Grundsatz
der Einzelunterbringung während der Ruhezeit. Ausnahmen begründen § 18 Abs. 1 S. 2
und Abs. 2 StVollzG. Danach ist eine gemeinsame Unterbringung vorübergehend und
aus zwingenden Gründen erlaubt. Ein solcher Grund kann auch die vorübergehende
Überbelegung sein. Jedoch fällt die ständige Überbelegung – wie sie in der JVA T
gerichtsbekannt vorliegt - nicht unter diese Ausnahmezulässigkeit (OLG Celle, StV
2003, 567; OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2005, Az.: 1 Vollz (Ws) 147/04).
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Auch ohne die Einhaltung der Voraussetzungen des § 18 StVollzG kann eine
gemeinsame Unterbringung zulässig sein, wie aus § 201 Nr. 3 StVollzG folgt. Nach
dieser Übergangsvorschrift gelten die Grenzen des § 18 StVollzG nicht für Anstalten, mit
deren Errichtung vor dem 01.01.1977 begonnen wurde. Hierunter fällt auch die JVA T.
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In derartigen Fällen hat die JVA im Rahmen ihrer Organisationshoheit eine Ermessens-
und Auswahlentscheidung zu treffen. Sie muss darüber befinden, ob dem Gefangenen
aus besonderen Gründen ein Einzelhaftraum zugewiesen werden kann bzw. muss.
Wenn dies nicht der Fall ist, hat die JVA zu entscheiden, mit wie vielen und mit welchen
Gefangenen sich der Betroffene eine Zelle zu teilen hat. Es handelt sich um eine
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Ermessensentscheidung, die nachvollziehbar sein und mit den Grenzen des StVollzG
und der Verfassung in Einklang stehen muss (OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2005 –
1 Vollz (Ws) 147/04; OLG Celle, NJW 2004, 2766;
Hier ist das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden, da durch die erfolgte Art der
Unterbringung eine Verletzung der Menschenwürde und des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts des Klägers vorliegt.
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Die konkreten Unterbringungsverhältnisse stellen sich hier unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls als menschenunwürdig dar.
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Ob durch eine Mehrfachbelegung eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt, hängt
von der konkreten Art der Unterbringung, insbesondere der Größe des Haftraums, seiner
Ausstattung, der Gestaltung des Sanitärbereiches und der Belegungsanzahl ab. Zudem
sind die Dauer der Unterbringung und die täglichen Einschlusszeiten mit
einzubeziehen.
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Zwar mag eine Verletzung der Menschenwürde auch bei einer gemeinschaftlichen
Unterbringung zweier Gefangener entgegen § 18 Abs. 1 StVollzG bei Unterschreitung
der Mindestmaße erst dann zu bejahen sein, wenn neben der geringen Haftraumgröße
kumulativ eine nicht ausreichend vom übrigen Haftraum abgetrennte und gesondert
gelüftete Toilette vorhanden ist (BGH, Beschluss vom 11.10.2006, Az. 5 Ars 54/05 =
NJW 2006, 306, 308;
StVollz = NJW 2003, 2843;
147/05; LG Halle, Beschluss vom 08.11.2004, Az. 27 StVK 462/04). Hier liegt allerdings
die Bodenfläche des Haftraums pro Gefangenen bereits deutlich unter dem insoweit
noch ausreichenden Mindestmaß und eine ausreichend abgetrennte und gesondert
gelüftete Toilette war nicht vorhanden.
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Der zugewiesene Haftraum muss hinsichtlich seiner Größe und Ausstattung bestimmten
Anforderungen genügen, die sich in allgemeiner Form aus § 144 Abs. 1 StVollzG
ergeben. Allein aus dieser Vorschrift, die sich zunächst auch nur an die
Vollzugsbehörden selbst richtet und keine subjektiven Rechte begründet, kann der
Kläger keine Rechte herleiten. Wenn auch das StVollzG selbst keine konkreten
Anforderungen an die Mindestgröße eines Haftraums enthält, ergeben sich
Mindestanforderungen aber aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 EMRK und § 3 Abs. 1 StVollzG.
Hinsichtlich der Belegung und Ausgestaltung von Hafträumen dürfen die Grenzen der
Grundrechte nicht überschritten werden, insbesondere muss die Menschenwürde
gewahrt bleiben. Hierzu gehört die Pflicht des Staates, die Privat- und Intimsphäre des
Gefangenen zu wahren (BVerfG, ZfStrVo 1997, 111; OLG Hamm, Beschluss vom
20.01.2005, 1 Vollz (Ws) 147/04).
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Auch hat sich hierzu eine ausgeprägte Judikatur entwickelt, der Orientierungsgrößen
entnommen werden können. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde wurde – ohne
dass weitere Umstände hinzutraten - angenommen bei einer Belegung eines Haftraums
von 11,54 m² mit drei Gefangenen (OLG Frankfurt, NStZ-RR 1985, 572; StrVert 1988,
540), bei einer Belegung einer Einzelzelle mit einer Grundfläche von 7,98 m² mit zwei
Gefangenen (LG Braunschweig, NStZ 1984, 286), bei einer Belegung einer Zelle von
11,54 m² mit drei Gefangenen (LG Gießen, INFO 1985, 319; OLG Frankfurt, StV 1986,
27 ff; StV 1988, 540), bei einem Haftraum mit einer Größe von 8,76 m² für zwei
Gefangene (OLG Frankfurt, INFO 1986, 441). Nach den Empfehlungen (3.2.1) für den
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Gefangene (OLG Frankfurt, INFO 1986, 441). Nach den Empfehlungen (3.2.1) für den
Bau von Justizvollzugsanstalten vom 03.10.1978 sollen Hafträume für die
Einzelunterbringung mindestens eine Bodenfläche von 9 m² haben. Das Mindestmaß
der Hafträume für die gemeinschaftliche Unterbringung ist mit 7 m² Bodenfläche für
jeden Gefangenen anzusetzen (vgl. auch Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz,
§ 144 Rn. 1).
Bei Hafträumen mit baulich nicht abgetrennter Toilette wurde eine Verletzung der
Menschenwürde angenommen bei einem Haftraum mit weniger als 10 m² für zwei
Gefangene (OLG Hamm, Beschl. vom 20.01.2005, 1 Vollz (Ws) 147/04), ca. 10 m² für
zwei Gefangene (KG, Beschl. vom 15.08.2005, 9 W 39/05), weniger als 5 m² je
Gefangenem (LG Osnabrück, Urteil vom 08.02.2007, 5 O 3363/05) und weniger als 6 m²
bzw. 7 m² je Gefangenem (OLG Frankfurt/Main, NJW 2003, 2843, 2845 m.w.N.).
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Die Größe und sanitäre Ausstattung der Zelle, die der Kläger mit einem Mitgefangenen
bewohnen musste, unterschreiten diese Mindestanforderungen.
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Dem Kläger wurde jeglicher Rückzugsraum genommen, um sein Gefühls- und
Intimleben ungestört ausleben zu können. Insbesondere durch die lediglich durch eine
Schamwand abgetrennte Toilette wurde er erheblich in seinem Recht auf Wahrung der
Intimsphäre verletzt. Der Toilettengang gehört schon naturgemäß zu den intimsten
Bereichen menschlichen Daseins. Die Schamwand erspart hierbei lediglich die
optische Wahrnehmung, verhindert jedoch nicht die akustische und geruchliche
Wahrnehmung der Verrichtung der Bedürfnisse durch andere Personen. Das Bedürfnis
und der Anspruch des Menschen, sich einerseits bei der Verrichtung seiner körperlichen
Bedürfnisse unter Wahrung seiner Intimsphäre absondern zu können und andererseits
nicht ungewollt den Verrichtungen und den damit verbundenen Belästigungen anderer
spürbar ausgesetzt zu sein, verlangt eine räumliche Abtrennung des Toilettenbereichs.
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Unabhängig von den Möglichkeiten des Klägers und seines Zellgenossen, die Zelle
zeitweise zu verlassen, bildete sie jedenfalls den größten Teil des Tages und während
der ganzen Nachtzeit den einzigen Lebensraum des Klägers. Gerade der Toilettengang
gehört aber zu denjenigen menschlichen Bedürfnissen, deren Befriedigung nicht ohne
weiteres um Stunden aufgeschoben werden kann, bis etwa der Mithäftling die Zelle
verlässt.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt sowohl die geringe Größe des mit zwei
Personen belegten Haftraumes als auch die Art der sanitären Ausstattung jeweils für
sich gesehen einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar.
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Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob – wie das beklagte Land vorträgt –
medizinische oder psychologische Gründe eine gemeinschaftliche Unterbringung
erforderlich gemacht haben. War eine solche erforderlich, entbindet dies das beklagte
Land nicht davon, dem hiervon betroffenen Gefangenen eine menschenwürdige
Unterbringung, d.h. in einem ausreichend dimensionierten Haftraum mit baulich
abgetrennter Toilette, zu gewährleisten.
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Die Verletzung der Menschenwürde ist hier auch nicht durch die konkrete Gestaltung
des Vollzuges ausgeglichen worden. An der menschenunwürdigen Unterbringung
ändert nichts, dass der Antragsteller an der täglichen Freistunde im Hof teilnehmen
konnte (OLG Hamburg, Urteil vom 14.01.2005, OLGR Hamburg 2005, 306 [juris – Rz.
42]). Zwar vermag diese Zeit, die der Kläger außerhalb der Zelle verbrachte, die
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Amtspflichtverletzung abzumildern, jedoch nicht zu eliminieren. Auch während dieser
Zeit war Kläger nicht ungestört, sondern mit anderen Mithäftlingen und
Gefängnisbeamten zusammen. Zudem konnte er zumindest die Freistunde im Hof nur
gleichzeitig mit seinen Mitgefangenen wahrnehmen, so dass er auch innerhalb dieser
Zeit nicht ungestört den Toilettengang in der eigenen Zelle tätigen konnte.
Hinsichtlich des weiteren Vortrages des beklagten Landes betreffend die
Sportveranstaltungen und Freizeitgruppen fehlt es schon an der notwendigen
Substantiierung, inwiefern es dem Kläger tatsächlich möglich war, an einer
nennenswerten Zahl von Veranstaltungen teilzunehmen. Selbst wenn dem Kläger aber
die Möglichkeit eröffnet worden wäre, an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen, so
würde hierdurch die rechtswidrige Unterbringung nicht etwa ausgeglichen, sondern
allenfalls abgemildert.
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Die Amtspflichtverletzung in Form der menschenunwürdigen Unterbringung des Klägers
ist auch schuldhaft begangen worden. Bei der Beurteilung des Verschuldens ist nicht
auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, denen angesichts
der Überbelegung der Justizvollzugsanstalt möglicherweise keine andere Wahl der
Unterbringung geblieben sein dürfte. Maßgeblich ist vielmehr das
Organisationsverschulden des beklagten Landes. Ein erheblicher Mangel an
Einzelhaftplätzen stellt nämlich keinen Grund dar, geltendes Recht zu unterlaufen (BGH,
NJW 2005, 58, 59; OLG Hamm, Beschluss vom 13.06.2008, 11 W 59/08). Dies gilt
unabhängig vom jeweiligen Grund für den Mangel an Einzelhaftplätzen in der
betreffenden Justizvollzugsanstalt. Zwar mag ein solcher Mangel eine
gemeinschaftliche Unterbringung rechtfertigen, keinesfalls aber eine solche zu
menschenunwürdigen Bedingungen (OLG Hamm, Beschluss vom 13.06.2008, 11 W
59/08).
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Der Anspruch des Klägers ist auch nicht gemäß der Vorschrift des § 839 Abs. 3 BGB
ausgeschlossen. Hiernach tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte es
schuldhaft unterlassen hat, im Wege des Primärrechtsschutzes gegen die
menschenunwürdige Unterbringung vorzugehen. Er darf nicht stillschweigend den
rechtswidrigen Zustand dulden und hinterher eine Entschädigung liquidieren.
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Vorliegend geht die Kammer davon aus, dass der Kläger sich zwar gegen die Art der
Unterbringung beschwert hat, jedoch nicht alle ihm zur Verfügung stehenden
Rechtsmittel ausgeschöpft hat. Dies war ihm jedoch auch nicht zumutbar, so dass es an
einem Verschulden hinsichtlich der Nichtausschöpfung der Rechtsbehelfe fehlt.
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Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB sind alle Rechtsbehelfe im weitesten
Sinne, die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung
darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden
dadurch abzuwenden oder zu mindern, dass das schädigende Verhalten beseitigt oder
berichtigt wird (Palandt-Sprau, 67. Aufl., § 839 Rn. 69). Dazu gehören insbesondere
Gegenvorstellungen, Erinnerungen, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden
(BGH, NJW 1974, 639, 640).
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Dem Kläger hätten während der Zeit seiner rechtswidrigen Unterbringung folgende
Rechtsmittel zur Verfügung gestanden:
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Gegen die Einweisung in den konkreten Haftraum kann der Gefangene sich beim Leiter
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der Justizvollzugsanstalt über die ihm menschenunwürdig erscheinenden Umstände
beschweren. Blieb eine solche Beschwerde erfolglos, war nach § 109 Abs. 3 StVollzG
iVm. dem bis zum 31.07.2007 auch für Justizvollzugssachen noch anzuwendenden § 1
Abs. 1 Vorschaltverfahrensgesetz NW (VorschverfG NW) binnen einer Woche
Widerspruch einzulegen, der keine aufschiebende Wirkung hatte. Wenn die Behörde
dem Widerspruch nicht abhalf, legte sie ihn mit einer Stellungnahme der nächsthöheren
Behörde vor. Die nächsthöhere Behörde erließ eine Widerspruchsentscheidung.
Dagegen konnte der Gefangene damals wie heute gerichtliche Entscheidung nach §
109 StVollzG binnen einer Frist von 2 Wochen beantragen, wobei der Antrag nach §
114 Abs. 1 StVollzG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 114 Abs. 2 StVollzG
kann Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme oder der Erlass einer
einstweiligen Anordnung beantragt werden; dieser Antrag ist nach § 114 Abs. 3
StVollzG auch schon vor Stellung des Antrags nach § 109 StVollzG und gemäß § 1 Abs.
3 S. 2 VorschverfG NW auch schon vor Entscheidung über den Widerspruch zulässig,
soweit das wegen der besonderen Umstände des Falles geboten ist.
Der Kläger hat sich gegen die Unterbringung mit einem weiteren Gefangenen in einer
Einzelzelle bei dem zuständigen Bereichsleiter beschwert. Dies steht zur Überzeugung
des Gerichts aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest.
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Der Zeuge J , der zur Zeit der Inhaftierung des Klägers der zuständige Bereichsleiter
war, hat bekundet, sich an den Kläger zu erinnern. Dieser habe ihn wegen der
Unterbringung in einer Einzelzelle angesprochen, was – wie er ihm mitgeteilt habe -
aber nicht ohne weiteres möglich gewesen sei, da die JVA T ständig überbelegt sei.
Einen schriftlichen Antrag habe der Kläger aber nicht gestellt.
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Der Zeuge O, der sich eine Zeit lang die Zelle mit dem Kläger teilte, hat detailliert und
glaubhaft ausgesagt, dass der Kläger einen entsprechenden Antrag auf
Einzelunterbringung gestellt habe. Seine Aussage ist insbesondere auch deshalb
glaubhaft und nachvollziehbar, als er sich detailliert an die Umstände der Antragstellung
und das weitere Geschehen erinnern konnte. Das Formular, welches der Kläger
ausgefüllt habe, sei das Formular VG 51 gewesen. Dieses habe der Kläger
handschriftlich ausgefüllt, da Farbbänder für die Schreibmaschine des Zeugen selbst
nicht zur Verfügung gestanden hätten. Der Bereichsleiter J habe den Kläger nach
Antragstellung darauf hingewiesen, dass eine Einzelunterbringung nur möglich sei,
wenn der Kläger eine Arbeit habe, was zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht der Fall
gewesen sei.
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Ob der Kläger gegen diese zunächst erfolgte mündliche Ablehnung der
Einzelunterbringung weitere Rechtsmittel eingelegt hat, sich also im Rahmen der
Vorschaltbeschwerde an das Justizvollzugsamt nach X gewandt hat und schließlich
sogar an die Strafvollstreckungskammer, wie dies der Zeuge O bekundete, kann letztlich
offen bleiben, da dem Kläger die Einlegung weiterer Rechtsmittel jedenfalls nicht
zumutbar war.
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Ein mögliches Unterlassen der Einlegung weiterer Rechtsmittel durch den Kläger ist
jedenfalls nicht als schuldhaft anzusehen. Angesichts der chronischen Überbelegung
der JVA und des Hinweises des Bereichsleiters auf den geäußerten Wunsch des
Klägers, dass eine Einzelunterbringung aufgrund der Überbelegung und ohne eine
Arbeit nicht möglich sei, musste ein solcher Antrag von vornherein vom Kläger als
aussichtslos empfunden werden, so dass auch aus diesem Grunde das Unterlassen der
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Stellung eines solchen Antrages, dem nach dem Erkenntnishorizont des Klägers aller
Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nicht hätte entsprochen werden können, nicht als
schuldhaft gelten kann (OLG Celle, Urteil vom 02.12.2003, Az.: 16 U 116/03).
Schon aus diesem Grunde greift der Ausschlussgrund des § 839 Abs. 3 BGB nicht
durch.
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Darüber hinaus hat das hierfür beweispflichtige beklagte Land nicht bewiesen, dass bei
Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehender Rechtsmittel für den Kläger Abhilfe
geschaffen worden wäre, die Nichteinlegung des Rechtsbehelfs für den Schadenseintritt
also kausal war.
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Die gebotene Prognose des Erfolgs von Rechtsmitteln hängt davon ab, innerhalb
welchen Zeitraums das nach dem VorschverfG erforderliche Widerspruchsverfahren mit
welchem voraussichtlichen Ergebnis abgeschlossen worden wäre, wann und mit
welchem Ergebnis die jeweils zuständige Strafvollstreckungskammer entschieden hätte
und ob der Gefangene danach ggf. noch ein Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 116
StVollzG hätte durchführen müssen sowie innerhalb welchen Zeitraumes eine
gerichtliche Anweisung umgesetzt worden wäre. Hierbei kann nicht ohne weiteres zu
Lasten des Klägers unterstellt werden, dass ein Widerspruchsverfahren oder jedenfalls
der Antrag nach § 115 StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer Erfolg gehabt hätte.
Dem steht die dem Gericht bekannte Verwaltungspraxis entgegen, wonach auf
Beschwerden keine unmittelbar Abhilfe geschaffen wird und auch
Strafvollstreckungskammern fehlerhaft eine menschenunwürdige Unterbringung
verneint haben, so dass möglicherweise erst in einem Rechtsbeschwerdeverfahren auf
der Grundlage der seit den Entscheidungen des BGH vom 04.11.2004 (NJW 2005, 58)
und des OLG Hamm vom 20.01.2005 (Az.: 1 Vollz (Ws) 147/04) gefestigten
Rechtsprechung zu Gunsten des Klägers entschieden worden wäre.
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Soweit das beklagte Land behauptet, eine Einzelunterbringung des Klägers sei
unmittelbar möglich gewesen, so sind seine Darlegungen hierzu pauschal und abstrakt
und stehen zudem in gewissem Widerspruch zu seinen im Rahmen des PKH-
Verfahrens getätigten Äußerungen. Hier trägt es in seinem Schriftsatz vom 18.01.2008
selbst vor, dass die Belegsituation angespannt gewesen sei, so dass eine Warteliste für
die Zuweisung von Einzelhafträumen geführt wurde.
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Auch der Verweis auf gelegentlich freie Haftplätze in einer anderen Abteilung genügt
hier nicht. Zudem hat auch der damals zuständige Bereichsleiter J bestätigt, dass eine
Einzelunterbringung aufgrund der Belegsituation nicht ohne Weiteres möglich gewesen
sei.
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Es ist auch nicht verständlich, warum das beklagte Land den Kläger in der
beschriebenen Weise untergebracht hat, obwohl es – nach seinem eigenen Vortrag –
weitere Kapazitäten für eine Einzelunterbringung hatte. Die Darlegungen des beklagten
Landes zu der Möglichkeit, den Kläger alleine in einer Einzelzelle unterzubringen sind
daher als pauschale Schutzbehauptungen zu werten.
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Dem Kläger steht im konkreten Fall eine Geldentschädigung zu (vgl. BGH, Beschluss
vom 28.09.2006, MDR 2007, 337; BGH, Urteil vom 04.11.2004, BGHZ 161, 33 = NJW
2005, 58; OLG Hamm, Beschluss vom 05.07.2006, 11 W 73/05; OLG Koblenz, Urteil
vom 15.03.2006, 1 U 1286/05; KG, Beschluss vom 15.08.2005, NJW-RR 2005, 1478).
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Der geltend gemachte Schaden ist einerseits kein Vermögensschaden, andererseits
auch kein Schmerzensgeld iSd § 253 Abs. 2 BGB. Es geht vielmehr um den Ausgleich
einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des aus Art. 1 GG und Art.
2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Zubilligung einer
Geldentschädigung in bestimmten Fällen der Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch
Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben, mit der
Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH, NJW 2005,
58, 59). Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine
Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der
Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Daher ist zwingende
Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung auch nicht, dass die
streitgegenständliche Unterbringung gesundheitliche Beeinträchtigungen des
Untergebrachten zur Folge hat oder aus schikanöser Absicht erfolgten. Diese Kriterien
können jedoch bei der Höhe der Entschädigung berücksichtigt werden.
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Der Höhe nach ist ein Betrag in Höhe von 25,00 € pro Tag angemessen (vgl. OLG
Hamburg, Urteil vom 14.01.2005, aaO.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.07.2005, NJW-RR
2005, 1267; KG, Beschluss vom 15.08.2005, NJW-RR 2005, 1478).
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Hierbei geht das Gericht davon aus, dass der Kläger nicht durchgängig vom ##.##.2003
bis zum ##.##.2004 gemeinschaftlich mit einem weiteren Gefangenen in einer
Einzelzelle untergebracht war, sondern dass in der Zeit vom ##.##.2003 bis zum
##.##.2003 eine Einzelunterbringung erfolgte. Dies ergibt sich aus dem Nachweis über
die Unterbringung, Stand 30.09.2008 (Anlage B6, Bl. 103 GA). Hier ist dokumentiert,
dass der Kläger in der Zeit bis zum ##.##.2003 um 15.04 Uhr mit einem weiteren
Gefangenen untergebracht war und dann erst wieder am ##.##.2003 um 15.24 Uhr eine
gemeinschaftliche Unterbringung erfolgte. Für die Zeit vom ##.##.2003 bis zum
##.##.2003 ist daher keine Entschädigung zu gewähren.
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Dagegen steht dem Kläger für die Zeit vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2003 sowie für die
Zeit vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2004, mithin für insgesamt 266 Tage, dem Grunde
nach eine Entschädigung zu.
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Dieser Betrag trägt der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und dem nicht
unerheblichen Organisationsverschulden des haftenden Landes Rechnung. Hierbei ist
besonders zu berücksichtigen, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der
Justizvollzugsanstalt zwangsläufig ständig eine bestimmte Anzahl an Gefangenen
menschenunwürdig untergebracht ist und die jeweiligen Gefangenen, denen diese
Unterbringung auferlegt wird, das als Zusatzstrafe empfinden müssen. Auch wenn diese
Art der Unterbringung durch die Justizvollzugsanstalt aus dem Zwang der akuten
Überbelegung erfolgt ist und nicht eine bewusst schikanöse Behandlung des Klägers
darstellt, so beruht sie letztlich auf einem durchaus erheblichen (Organisations-)
Verschulden des Landes.
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Bezüglich der Höhe der zuzubilligenden Entschädigung scheidet eine Orientierung an §
7 Abs. 3 StrEG aus (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.07.2005, aaO. [juris – Rz.28]
m.w.N.; OLG Celle, Urteil vom 02.12.2003, NJW-RR 2004, 380, 382). Im
Strafrechtsentschädigungsgesetz wurde eine Entschädigung als Aufopferungsanspruch
für eine zwar einschneidende, aber rechtmäßige staatliche Handlung festgesetzt.
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Nach der Intention des Gesetzes sollen nur die üblichen Unzuträglichkeiten, die die Haft
mit sich bringt, ausgeglichen werden. Daneben bleiben aber Ansprüche außerhalb des
StrEG wegen atypischer Folgen des Vollzugs oder der rechtswidrigen Anordnung der
Haft bestehen (BGH, VersR 1993, 972; OLG Hamm, Beschluss vom 30.07.2008, 11 W
22/08). Auch wenn es hier um Ausgleich und Genugtuung für eine schuldhafte
Beeinträchtigung durch unzulässige Haftbedingungen geht, muss dieser Eingriff aber
nicht ohne weiteres schwerer wiegen als der Verlust der Freiheit. Zu beachten ist auch,
dass die Entschädigung nach StrEG verschuldensunabhängig gewährt wird, während
eine Entschädigung unter Amtshaftungsgesichtspunkten ein Verschulden voraussetzt.
Hinzu kommt, dass in den nach StrEG zu entschädigenden Fällen die Untersuchungs-
bzw. Strafhaft nur bei rückblickender Betrachtung als ungerechtfertigt anzusehen ist,
während es sich hier um einen von vornherein rechtswidrigen Eingriff handelt (OLG
Hamburg, OLG-Report 2005. 306; OLG Hamm, Beschluss vom 30.07.2008, 11 W
22/08), der dem betroffenen Gefangenen infolge von Organisationsmängeln des Landes
bewusst zugefügt worden ist.
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Welcher Betrag im konkreten Fall angemessen ist, hängt von den jeweiligen Umständen
des Einzelfalls ab. Hierbei ist insbesondere das Ausmaß der Beeinträchtigung in den
Blick zu nehmen und auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Gefangene
täglich den menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt gewesen ist, ohne sich dem
in zumutbarer Weise entziehen zu können, zu berücksichtigen (OLG Hamm, Beschluss
vom 30.07.2008, 11 W 22/08).
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Bei der Bemessung des angemessenen Betrages ist zu berücksichtigen, dass die
menschenunwürdige Unterbringung nicht aus schikanöser Absicht erfolgte. Jedoch ist
auch zu berücksichtigen, dass die Größe des Haftraumes weit unter den erforderlichen
Mindestmaßen lag und zudem der Zeitraum der Doppelbelegung nicht unerheblich lang
war. Darüber hinaus ist die extreme Belastung durch die baulich nicht abgetrennte
Toilette in die Beurteilung mit einzubeziehen, die schon für sich als menschenunwürdig
anzusehen ist.
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Die Kammer steht mit dieser Beurteilung im Einklang mit der Rechtsprechung anderer
Gerichte, die in vergleichbaren Fällen einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne
hinreichend abgetrennten Sanitärbereich Entschädigungsbeträge in diesem Bereich
angenommen haben (KG, OLG Report 2005, 813: 20,00 €; OLG Karlsruhe, NJW-RR
2005, 1267: 2.000,00 € für 98 Tage; OLG Hamburg, OLG Report 2005, 306: 25,00 €).
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Soweit der Kläger Ansprüche für den Zeitraum der menschenunwürdigen Unterbringung
vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2003 in Höhe von 25,00 € für 43 Tage, mithin in Höhe
von 1.075,00 € geltend macht, sind diese jedoch verjährt.
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Die Verjährung richtet sich nach §§ 195, 199 BGB. Amtshaftungsansprüche verjähren
nach der Regelverjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB. Die Verjährung
beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der
Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199
Abs. 1 BGB. Das beklagte Land beruft sich hier auf Verjährung, soweit die Ansprüche
das Jahr 2003 betreffen. Dieser Einwand greift insoweit durch als, der Zeitraum der
gemeinschaftlichen Unterbringung vom ##.##.2003 bis zum ##.##.2004 durch eine
Einzelunterbringung unterbrochen wurde und damit hinsichtlich der ersten
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Einzelunterbringung ein abgeschlossener Zeitraum vorliegt.
Dagegen greift die Verjährungseinrede nicht durch, soweit der Zeitraum vom ##.##.2003
bis zum Jahresende betroffen ist, da der rechtswidrige Zustand hiernach ohne
Unterbrechung durch eine Einzelunterbringung bis zum ##.##.2004 anhielt.
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Bei den Verletzungen der Menschenwürde durch die Art und Weise der Unterbringung,
handelt es sich um eine einheitliche Amtspflichtverletzung, die in ihrer Gesamtheit zu
betrachten ist. Bei derartigen Dauerhandlungen gilt jedoch, dass die Verjährung nicht
beginnt, solange der Eingriff andauert (Palandt, § 199 Rn. 21). Die Verjährung beginnt
erst, wenn der Eingriff und die Amtspflichtverletzung beendet sind.
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Hinsichtlich der ersten erfolgten Unterbringung mit einem weiteren Gefangenen in einer
Einzelzelle erfolgte eine Beendigung des rechtswidrigen Zustandes mit der
Einzelunterbringung am ##.##.2003. Die Frist von drei Jahren war damit bei
Einreichung des Prozesskostenhilfeantrages am 17.10.2007 gem. § 204 Abs. 1 Nr. 14
BGB bereits abgelaufen. Dagegen endete die rechtswidrige Unterbringung, die mit der
zweiten Unterbringung mit einem weiteren Gefangenen in einer Einzelzelle am
##.##.2003 begann, erst im Jahre 2004, so dass hinsichtlich des Verjährungsbeginns
hierfür auf das Ende des Jahres 2004 abzustellen ist. Bis zur Rechtshängigkeit der
Klage sind seit diesem Zeitpunkt noch keine drei Jahre vergangen, so dass der weitere
Anspruch in Höhe von 5.575,00 € noch nicht verjährt ist.
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Der Anspruch des Klägers ist auch nicht infolge der Hilfsaufrechnung erloschen.
Etwaige zur Aufrechnung gestellte Verfahrenskosten sind schon nicht ausreichend
substantiiert dargelegt und jedenfalls nicht beziffert, so dass die Hilfsaufrechnung schon
unzulässig ist. Ob die Aufrechnung darüber hinaus an § 393 BGB scheitern würde, kann
deshalb hier dahinstehen. Nach dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung gegen eine
Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung unzulässig. Die
Regelung bezieht sich auch auf Amtshaftungsansprüche wegen vorsätzlichen Delikts
eines Amtsträgers (Staudinger/Gursky, § 393, Rn. 20). Allerdings hat das OLG Hamm in
vergleichbaren Fällen dem Land Nordrhein-Westfalen ein Organisationsverschulden
angelastet, das darin bestünde, trotz Mangels an Einzelhaftplätzen jedenfalls nicht eine
ausreichende Zahl von Gemeinschaftshafträumen vorzuhalten, die eine
menschenwürdige Unterbringung mehrerer Gefangener erlaubt. Dies begründet nach
OLG Hamm die Annahme bedingt vorsätzlichen Handelns in Bezug auf den jeweils
menschenunwürdig untergebrachten Häftling, hier mithin in Bezug auf den Kläger (vgl.
OLG Hamm, Beschlüsse vom 13.06.2008, 11 W 50/08 und 11 W 32/08).
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Die menschenunwürdige Unterbringung verstößt auch zugleich gegen Art. 3 EMRK,
wonach niemand der Folter oder unmenschlicher erniedrigender Strafe oder
Behandlung unterworfen werden darf. Diese Regelung legt den Staaten die
Verpflichtung auf, sicherzustellen, dass jeder Gefangene unter Bedingungen
festgehalten wird, die mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind, und dass
seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen
Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden (EGMR, NJW 2001, 2694;
OLG Hamm, Beschluss vom 30.07.2008, 11 W 22/08). Auch unter diesem Gesichtspunkt
liegt eine Verletzung der Amtspflicht vor. Dagegen ist Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht
einschlägig. Er erfasst nur den rechtswidrigen Vollzug einer freiheitsentziehenden
Maßnahme als solcher, nicht aber die Modalitäten des Strafvollzuges (BGH, NJW 1993,
2927, 2928; OLG Hamm, Beschluss vom 30.07.2008, 11 W 22/08). Zwar ist anerkannt,
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dass auch die Umstände des Vollzugs die Rechtmäßigkeit der Haft in Frage stellen
können, etwa wenn infolge der Haftbedingungen Vollzugsuntauglichkeit eintritt (BGH
aaO.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Die beanstandete
Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle führt nicht zur Rechtswidrigkeit des mit der
Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Freiheitsentzugs. Dies wird teilweise
anders gesehen (OLG Celle, NJW-RR 2004, 380), mit der Begründung, dass die
Umstände des Vollzuges der Haft auch die Rechtmäßigkeit der Haft als solche in Frage
stellen können.
Letztlich kommt es hierauf aber nicht mehr entscheidend an, da jedenfalls ein Verstoß
gegen die Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG vorliegt und sich schon hieraus in Verbindung mit §
839 BGB, Art. 34 GG der Anspruch des Klägers ergibt.
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Der Zinsanspruch auf die zuerkannte Hauptforderung beruht auf §§ 291, 288, 187 Abs. 1
BGB.
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Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit entspricht für den Kläger § 709 ZPO
und für das beklagte Land §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Streitwert: 7.050,00 €.
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