Urteil des LG Bonn vom 30.10.2007

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Landgericht Bonn, 8 S 130/07
Datum:
30.10.2007
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 S 130/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Siegburg, 104 C 570/04
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegburg
vom 15.05.2007 – 104 C 570/04 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
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I.
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Der Kläger macht wegen zwei Verbrennungen, die er im Rahmen einer Knieoperation
im Gesäßbereich durch Strom erlitten hat, gegenüber den Beklagten die Zahlung von
Schmerzensgeld geltend. Gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen und von der Darstellung des
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T a t b e s t a n d e s
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weitgehend abgesehen.
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Das Amtsgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
des Sachverständigen Dr. med. O und nach Vernehmung der Zeugen Dr. U und S die
Klage durch Urteil vom 15.05.2007 – 104 C 570/04 – abgewiesen.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar nach den durch den Sachverständigen
getroffenen Feststellungen die durch den Kläger behaupteten Verbrennungen erwiesen
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seien. Es hätten jedoch – selbst bei Annahme eines zu Gunsten des Klägers
sprechenden Anscheinsbeweises – die Beklagten aufgrund der Bekundungen der
Zeugen Dr. U und S den Beweis geführt, dass ihnen kein Verschulden zur Last falle.
Hiernach sei erwiesen, dass die Beklagten bei der Operation des Klägers alles aus
ärztlicher Sicht Notwendige getan hätten, um derartige Hautschäden zu vermeiden.
Auch könne der Kläger seinen Anspruch nicht auf eine Aufklärungspflichtverletzung
stützen, da nach den substanziierten Ausführungen der Beklagten, denen der Kläger
nicht mehr entgegen getreten sei, von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen
sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des
vorbezeichneten Urteils Bezug genommen.
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Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Ziel
weiter.
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Er teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass die Regelung des § 280 Abs. 1 Satz 2
BGB Anwendung finde, sieht allerdings nach dem Ergebnis der Zeugeneinvernahme
den Entlastungsbeweis gerade nicht als geführt an. Er begründet dies damit, dass die
Bekundungen der Zeugen unergiebig seien, da sie sich nicht an die in Rede stehende
Operation mehr hätten erinnern können. Die Annahme des Amtsgerichts, es sei
mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass im Fall der
Operation des Klägers von den durch die Zeugen geschilderten Behandlungsstandards
abgewichen worden sei, erreiche nicht den für § 286 ZPO erforderlichen
Überzeugungsgrad und laufe im Ergebnis auf eine mit der Regelung des § 280 Abs. 1
Satz 2 BGB unvereinbare Beweislastumkehr hinaus.
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Selbst für den Fall, dass die Regelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB keine Anwendung
und er – der Kläger – den Nachweis eines den Beklagten anzulastenden Verschuldens
zu führen hätte, sei dieser Nachweis geführt. Aufgrund der erwiesenen Verbrennungen
spreche zu seinen – des Klägers – Gunsten ein Anscheinsbeweis für einen
schuldhaften Behandlungsfehler, den die Beklagten nicht hätten erschüttern bzw.
widerlegen können.
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Schließlich sei nicht auszuschließen, dass die bei der Operation eingesetzte
Wärmematte entweder nicht den erforderlichen Standards entsprochen habe oder aber
defekt gewesen sei; hierfür sprächen die Angaben des Zeugen S, wonach die noch im
Jahr 2003 verwendeten Wärmematten heute keine Verwendung mehr fänden.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des am 15.05.2007 verkündeten Urteils des Amtsgerichts
Siegburg – 104 C 570/04 – die Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner zu
verurteilen, an ihn 4.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2004 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen die Rechtsauffassung des Amtsgerichts.
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So entbinde die Regelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB den Kläger nicht davon, die
objektive Pflichtverletzung in Form eines Behandlungsfehlers nachzuweisen.
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Auch könne der Kläger sich nicht auf einen zu seinen Gunsten sprechenden
Anscheinsbeweis berufen; die Verbrennungen des Klägers könnten nach den durch den
Sachverständigen getroffenen Feststellungen nicht im Sinne eines typischen Verlaufes
auf einen Behandlungsfehler zurückgeführt werden.
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Ferner hätten die Beklagten aufgrund des Ergebnisses der Zeugeneinvernahme sehr
wohl den Beweis geführt, dass bei Operationen immer Maßnahmen zur Vermeidung
thermischer Schäden ergriffen würden; im Übrigen könnten derartige Verbrennung nie
gänzlich ausgeschlossen werden.
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Schließlich bestreiten sie den Vortrag des Klägers, die eingesetzte Wärmematte habe
nicht den Standards entsprochen, und rügen diesen Vortrag als verspätet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien wechselseitig mitsamt
Anlagen zu den Akten gereichten Schriftsätze, auf das schriftliche
Sachverständigengutachten des Herrn Dr. med. O vom 20.07.2006, auf die
Sitzungsprotokolle sowie auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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II.
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1. Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Das Amtsgericht hat einen auf den Behandlungsvertrag i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB bzw.
auf § 823 Abs. 1 BGB – jeweils in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB – gestützten
Schmerzensgeldanspruch des Klägers gegen die Beklagten zu Recht verneint.
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Der Kläger hat bereits den ihm obliegenden Nachweis eines für seine Verbrennungen
ursächlichen, den Beklagten anzulastenden Behandlungsfehlers nicht geführt. Auf
Grundlage der durch den Sachverständigen Dr. O getroffenen Feststellungen ist
lediglich erwiesen, dass es sich bei den im Zusammenhang mit der Operation vom
03.12.2003 erlittenen Verletzungen des Klägers um Verbrennungen handelt, die auf
eine thermische Schädigung durch elektrischen Strom zurückzuführen sind.
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a. Hiermit ist indes noch nicht der durch den Kläger zu erbringende Nachweis eines
Behandlungsfehlers geführt. Hieran vermag auch die vom Kläger für sich in Anspruch
genommene Regelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nichts zu ändern, deren
Anwendbarkeit auch im Rahmen der vertraglichen Arzthaftung nicht in Zweifel steht (vgl.
Jauernig-Stadler, BGB, 12. Aufl. 2007, § 280 Rz. 27; Palandt-Heinrichs, BGB, 66. Aufl.
2007, § 280 Rz. 42; Palandt-Sprau, aaO., § 823 Rz. 164; ebenso Staudinger-Otto, BGB,
Neubearbeitung 2004, § 280 Rz. F47, der nicht die Anwendung des § 280 Abs. 1 Satz 2
BGB in Zweifel zieht, sondern eine verhaltensbezogene Bestimmung der
Pflichtverletzung befürwortet). Diese setzt bereits ihrem Wortlaut nach eine – bewiesene
– Pflichtverletzung voraus und knüpft an deren Bestehen die Verschuldensvermutung.
Hiernach hat der behandelnde Arzt den Entlastungsnachweis (erst) zu führen, wenn die
objektive Pflichtverletzung in Form eines Behandlungsfehlers feststeht. Den Beweis
sowohl des Behandlungsfehlers als auch des Ursachenzusammenhangs zwischen
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diesem und dem Schaden hat im Allgemeinen der Patient – vorliegend der Kläger – zu
führen (vgl. Jauernig-Stadler, aaO., § 280 Rz. 27; Palandt-Heinrichs, aaO., § 280 Rz. 42;
Staudinger-Otto, aaO., § 280 Rz. F46).
b. Der Kläger kann sich insofern vorliegend zu seinen Gunsten auch nicht auf eine
Beweislastverteilung nach Risikobereichen stützen.
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In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass auch im Arzthaftungsrecht die
Grundsätze einer Beweislastverteilung Anwendung finden, wenn feststeht, dass die
Schädigung eines Patienten aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren
ärztlicherseits voll beherrscht werden können; gegebenenfalls streitet zu Gunsten des
Patienten eine Fehler-/Verschuldensvermutung mit der Folge, dass es Sache des
Behandelnden ist, diese Vermutung zu widerlegen (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.1990 – VI ZR
169/90 –, NJW 1991, 1540, 1541; ferner Staudinger-Otto, aaO., § 280 Rz. F45 m. w.
Nachw.).
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Hiervon kann vorliegend indes nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Nach den
Ausführungen des Sachverständigen Dr. O ab Seite 28 seines schriftlichen Gutachtens
können die Verbrennungen des Klägers auf eine geringfügige intraoperativ nicht
bemerkbare Flüssigkeitsansammlung – bedingt durch Urinabgang oder vermehrte
Schweißabsonderung – zurückgeführt werden, die auch bei Wahrung der erforderlichen
Sorgfalt unter Beachtung der anerkannten Regeln und Erfahrungen der medizinischen
Wissenschaft nicht gänzlich vermeidbar sind. Der damit vorliegend als Ursache in
Betracht kommende Körper des Patienten als solcher ist als lebender Organismus für
einen behandelnden Arzt allerdings nie voll beherrschbar mit der Folge, dass hier
insofern eine Beweislastumkehr nach den vorbeschriebenen Regeln ausscheidet (vgl.
auch BGH, Urt. v. 18.12.1990 – VI ZR 169/90 –, NJW 1991, 1540, 1541).
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Demgegenüber ist es Sache der Beklagten, den Beweis für die Einhaltung der für die
ordnungsgemäße Vorbereitung des Operationstisches erforderlichen Maßnahmen zu
erbringen. Hierbei handelt es sich – ebenso wie etwa die technische Lagerung des
Patienten auf dem Operationstisch und die Beachtung der hierbei zum Schutze des
Patienten vor etwaigen Lagerungsschäden zu beachtenden ärztlichen Regeln – um
Maßnahmen, die dem Risikobereich des Krankenhauses und der behandelnden Ärzte
und damit für letztere sowie für das Pflegepersonal voll beherrschbar sind (vgl. BGH,
Urt. v. 24.01.1984 – VI ZR 293/82 –, NJW 1984, 1403, 1404; ferner OLG Köln, Urt. v.
02.04.1990 – 27 U 140/88 –, VersR 1991, 695 ff.).
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Diesen Beweis haben die Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erbracht.
Nach der Vernehmung der Zeugen Dr. U und S steht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit fest, dass (auch) im Fall des Klägers der Operationstisch unter
Beachtung der seinerzeit geltenden Standards vorbereitet gewesen ist. Die Zeugen Dr.
U und S haben übereinstimmend die zum Zeitpunkt der Operation maßgeblichen
Standards beschrieben. Insbesondere der Zeuge Dr. U hat unter anderem auf
entsprechende Nachfrage des Gerichts klargestellt, dass die zur Aufnahme von
Feuchtigkeit bestimmte Papierauflage immer auf den OP-Tisch komme und kein Patient
nackt auf dem OP-Tisch liege. Diese Papierauflage, die "mit Sicherheit auch bei Herrn L
vorhanden gewesen sei, werde als Einmalauflage unmittelbar nach einer Operation
entsorgt.
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Der Umstand, dass die beiden Zeugen einschränkend angegeben haben, sich an die
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konkrete Operation des Klägers nicht mehr erinnern zu können, steht dem nicht
entgegen. Es dürfen an den durch das Krankenhaus zu erbringenden Beweis keine
unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es ist vielmehr in diesem
Zusammenhang anerkannt, dass der Tatrichter die besondere Situation, in der sich der
Arzt bei der Behandlung des Patienten befindet, ebenso berücksichtigen muss wie die
Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu
haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann. Daher kann in solchen Fällen der
behandelnden Seite der ihr obliegende Beweis gelingen, wenn durch Vernehmung von
Klinikpersonal eine entsprechende ausnahmslose Übung festgestellt und
erforderlichenfalls eine – vorliegend infolge des Versterbens des vormaligen Beklagten
zu 3) nicht mehr mögliche – Parteivernehmung des Arztes die Überzeugung gewonnen
werden kann, dass auch im konkreten Einzelfall davon nicht abgewichen worden ist
(vgl. – jeweils zur Frage einer vor der Operation erfolgten Aufklärung – BGH, Urt. v.
22.05.2001 – VI ZR 268/00 –, NJW-RR 2001, 1431 f.; BGH, Urt. v. 08.01.1985 – VI ZR
15/83 –, NJW 1985, 1399; OLG Celle, Urt. v. 30.09.2002 – 1 U 7/02 –, VersR 2004, 384).
Sofern der Kläger in diesem Zusammenhang erstmals mit der Berufung mutmaßt, die
bei seiner Operation eingesetzte Wärmematte habe nicht dem Stand der Technik
entsprochen bzw. sei mit Mängeln behaftet gewesen, vermag er damit nicht
durchzudringen. Dieser – von den Beklagten bestrittene und als verspätet gerügte –
Vortrag ist nicht nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen. Er hätte bereits in
erster Instanz vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen können.
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c. Aus den vorstehenden Gründen streitet vorliegend für den Kläger auch kein
Anscheinsbeweis. Die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins finden nur
bei typischen Geschehensabläufen Anwendung, das heißt in allen Fällen, in denen ein
bestimmter – durch den Kläger zu beweisender – Sachverhalt feststeht, bei dem nach
der allgemeinen Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder auf
die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann (vgl.
Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 284 Rz. 29). Dies ist mit Blick auf die
unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Sachverständigen insbesondere auf
Seite 30 des Gutachtens, wonach eine Eingrenzung der in Betracht kommenden
Ursachen auf den Herrschaftsbereich des Krankenhauses nicht möglich ist, nicht der
Fall (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.1984 – VI ZR 293/82 –, NJW 1984, 1403, 1404: dort eine
Beweiserleichterung ablehnend, da der Umstand, dass es zu einer Schädigung des
plexus während der Operation des Klägers gekommen war, für sich allein nicht schon
auf einen Fehler bei der Lagerung hinweise; a.A. – aber zu weitgehend – OLG
Saarbrücken, Urt. v. 30.05.1990 – 1 U 69/89 –, VersR 1991, 1289).
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Nur der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass vorliegend selbst die
Anwendung der Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins dem Kläger nicht
zum Erfolg verhelfen würden. Denn die Beklagten haben einen solchen auf Seiten 3 ff.
des Schriftsatzes vom 03.03.2005 durch die Darlegung einer – letztendlich durch den
Sachverständigen Dr. O als plausibel bestätigten – anderen Möglichkeit als des
erfahrungsgemäßen Ablaufs erschüttert.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708
Nr. 11, 711, 713 ZPO.
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4. Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestand keine
Veranlassung. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine
Entscheidung der Kammer zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Berufungsstreitwert: 4.000,00 Euro.
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