Urteil des LG Bonn vom 19.10.2006

LG Bonn: lotterie, werbung, glücksspiel, unterlassen, rechtshängigkeit, prozess, telefon, belastung, auflage, klageerweiterung

Landgericht Bonn, 14 O 80/06
Datum:
19.10.2006
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 O 80/06
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 6 U 208/06
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Dieses Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 120
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Klägerin nahm im Zeitpunkt der Handlungen, deren Untersagung sie begehrt,
danach "und zukünftig am Wettbewerb um lotterieaffine Abnehmer teil, in dem sie als
Produktvermittlerin für die U $. $. Interessierte am systematischen Lottospiel wirbt und
werben lässt und weiter vermittelt" - gegen Provision; dieses ist von der Beklagten
bestritten. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Klägerin hierzu wird auf Seiten 5 f.
der Klageschrift, 4 f. des Schriftsatzes vom 23.08.20## (BI. 88 f. d. A.) und 2 f. des
Schriftsatzes vom 12.09.20## (BI. 134 f. d. A.) verwiesen. Die Klägerin begehrt mit den
Anträgen zu I. 1. - 4. die Unterlassung von "Dialogmarketingmaßnahmen", der
Bewerbung und Aufforderung zur Teilnahme an einer Lotterie, die als Gewinn die
Teilnahme an einer speziellen &&-Gewinn-Show vorsieht, bei der den Teilnehmern
garantiert ein 7-stelliger-Euro-Betrag ausgespielt wird, und die Unterlassung der
unlauteren - weil verharmlosend und irreführend - Bezeichnung der Spielteilnahme an
der Klassenlotterie als eine "Investition" (nach Seite 2 des Schriftsatzes vom
12.09.20## = BI. 134 d. A.). Sie unterscheidet (im selben Schriftsatz) ihr Begehren von
demjenigen in dem Rechtsstreit # HK O ####/## LG N (Akten lagen im Termin vor und
waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung) dadurch, dass es in dem Verfahren
vor dem LG C "zusätzlich noch um der Beklagten zuzurechnendes Drittverhalten (UWG
§ 8 Abs. ))", um Ner Verfahren (...) um ein vorgeworfenes Verhalten das in eigener
Täterschaft der Beklagten begründet" sei, gehe. Die Klägerin bezieht sich auf
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts
(Seiten 4 ff. des Schriftsatzes vom 23.08.20##) und sieht in der Tätigkeit der Beklagten
ein nicht mit §§ 5, 4, 1 des Lotteriestaatsvertrages, 287 StGB konformes Verhalten.
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ein nicht mit §§ 5, 4, 1 des Lotteriestaatsvertrages, 287 StGB konformes Verhalten.
Die Klägerin beantragt - nach Abänderung von Teilen der mit der Klageschrift
angekündigten Anträge-,
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I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollziehen an ihrem
Direktor, zu unterlassen, bei Wettbewerbshandlungen auf dem Gebiet des Glücksspiel-
und Gewinnspielwesens,
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durch
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a. telefonische und/oder
6
b. postalische (einschließlich elektronischer Post)
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Direktansprache von Verbrauchern für die Teilnahme an ihren Lotterien über die
sachliche Informationen zur Art und Weise der Teilnahmemöglichkeit an der Lotterie
bzw. dem Glücksspiel hinaus zu werben und/oder werben zu lassen, insbesondere
durch Ermunterungen und Anreizungen von Verbrauchern mit Aussagen wie
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"Reservieren Sie gleich heute mit beigefügtem Bestellschein oder unter www.L.de.
Und: je mehr Lose, desto höher Ihre Gewinnchance"
"Nutzen Sie Ihre Gewinnchance von 100 %. Werden Sie Millionär"
"Stecken Sie Ihren Gewinn-Options-Schein in das portofreie Antwort-Kuvert und
senden Sie es am besten heute noch an uns ab"
"Spielen Sie mindestens 3 - 4 Monate, weil sich dann erfahrungsgemäß die ersten
Gewinne einstellen"
"Nehmen Sie mit Hochquotenlosen mit Gewinnchance von 53 % teil"
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2.
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für die Teilnahme an ihren Lotterien zu werben bzw. werben zu lassen bzw. eine solche
anzukündigen bzw. ankündigen zu lassen, bei denen der Gewinnplan auch vorsieht,
dass der Teilnehmer an der Lotterie zusätzlich zu den Geldgewinn-Losziehungen an
einer Kandidaten-Ziehung für die Teilnahme an einer &&-Show (Titel derzeit: '#-O-
Show') beteiligt wird, bei der unter den mitwirkenden Kandidaten unter Einschluss einer
Einzelhöchstgewinnsumme (derzeit: # Mio. €) garantiert ein 7-stelliger EUR Betrag
ausgespielt wird, wie beispielhaft in
Anlage K6 und Anlage K7
12
3.
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Verbraucher aufzufordern und/oder auffordern zu lassen, sich an der Lotterie der
Beklagten zu beteiligen, um an einer Kandidaten-Ziehung der in Ziff. 2 näher
beschriebenen &&-Show teilzunehmen, wie beispielhaft im
Anlage K7
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4.
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in der Werbung die Teilnahme an ihrer Klassenlotterie als "Investition" für eine
(Kandidaten-)Teilnahme an der in Ziff. 2 näher bezeichneten &&- Show oder einem
Geldgewinn aus dem Losziehungsverfahren der O zu bezeichnen, wie beispielhaft in
Anlage K6
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Hilfsweise:
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Vorstehende Anträge mit den Zusatz 'wenn, dies außerhalb der Bundesländer D, E, S, I,
V, T erfolgt';
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hilfsweise zu Ziffer I. 1.
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die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollziehen an ihrem Direktor, zu
unterlassen, bei Wettbewerbshandlungen auf dem Gebiet des Glücksspiel- und
Gewinnspielwesens,
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1.
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durch
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a. telefonische und/oder
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b. postalische (einschließlich elektronischer Post) Direktansprache von Verbrauchern
für die Teilnahme an ihren Lotterien über die sachliche Informationen zur Art und Weise
der Teilnahmemöglichkeit an der Lotterie bzw. dem Glücksspiel hinaus zu werben
und/oder werben zu lassen,
nämlich
Verbrauchern
mit
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"Reservieren Sie gleich heute mit beigefügtem Bestellschein oder unter www.L.de.
Und: je mehr Lose, desto höher Ihre Gewinnchance"
"Nutzen Sie Ihre Gewinnchance von 100 %. Werden Sie Millionär"
"Stecken Sie Ihren Gewinn-Options-Schein in das portofreie Antwort-Kuvert und
senden Sie es am besten heute noch an uns ab"
"Spielen Sie mindestens 3 - 4 Monate, weil sich dann erfahrungsgemäß die ersten
Gewinne einstellen"
"Nehmen Sie mit Hochquotenlosen mit Gewinnchance von 53 % teil"
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Hilfsweise:
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Vorstehender Anträge mit den Zusatz 'wenn, dies außerhalb der Bundesländer D, E, S,
I, V, T erfolgt'.
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II.
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Wegen der verauslagten Gerichtskosten unter dem Gesichtspunkt des
Verzugszinsschadens festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die, auf die
seitens der Klägerin verauslagten Gerichtskosten entfallenden Zinsen gem. dem
gesetzlichen Zinssatz (BGB §§ 288, 247) für den Zeitraum von der Einzahlung der
Gerichtskosten bis zur Beantragung der Kostenfestsetzung nach Maßgabe der
auszuurteilenden Kostenquote zu zahlen.
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Die Beklagte stellt den Antrag,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte erhebt den Einwand der doppelten Rechtshängigkeit und verweist u. a. auf
das, vom Bundesverfassungsgericht nicht beurteilte, mindere Suchtpotential.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien, auch zum Inhalt der Werbung, wird auf
die von ihnen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden, zur Werbung
insbesondere auf die Anlagen zur Klageschrift, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage zum Antrag zu I. ist unzulässig.
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Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die Klageanträge hinreichend bestimmt sind .-'"
Bedenken bestehen insoweit hinsichtlich der Bezugnahme auf Anlagen, die nicht zum
Gegenstand des Antrags gemacht worden sind - und ob und inwieweit § 261 Abs. 3 Nr.
1 ZPO eingreift, wonach zwei Prozesse zwischen den selben Parteien mit dem selben
Streitgegenstand nicht zeitüberschneidend geführt werden dürfen (vgl. dazu Teplitzky, 8.
Auflage, § 57, Rn 12 ff.). Die Unterlassungsklage zu I. der Anträge ist jedenfalls deshalb
unzulässig, weil sie rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 8 Abs. 4 UWG ist; die Frage des
Rechtsmissbrauchs betrifft die Zulässigkeit der Klage (BGH, GRUR 1999, 509, 510 -
Vorratslücken; GRUR 2001, 78, 79 - Falsche Herstellerpreisempfehlung; GRUR
2002,713,714 - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung).
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Ob die Mehrfachverfolgung gleichartiger oder ähnlich gelagerter Wettbewerbsverstöße
rechtsmissbräuchlich ist, ist aufgrund einer sorgfältigen Prüfung und Abwägung der
maßgeblichen Einzelumstände zu beurteilen. Die Rechtsprechung hat eine solche
Mehrfachverfolgung dann als missbräuchlich angesehen, wenn die Vervielfachung des
mit der Rechtsverteidigung verbundenen Kostenrisikos sowie die Bindung personeller
und finanzieller Kräfte eine unangemessene Belastung des Anspruchsgegners zur
Folge hat (BGH GRUR 2000, 1089, 1091 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; GRUR
2001, 82, 83 - Neu in Bielefeld I). Dem liegt zugrunde, dass das prozessuale Vorgehen
nach den Umständen des Einzelfalls den Schluss rechtfertigt, dass der klagende
Gläubiger neben dem Interesse an einer Untersagung des Wettbewerbsverstoßes die
Absicht verfolgt, den Schuldner durch eine - der Sache nach unnötige - Belastung mit
Kosten und Gebühren zu schädigen und ihn dadurch im Wettbewerb zu behindern
(BGH a. a. 0.).
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Die Parteien führen vor dem Landgericht N einen am ##.##.20## anhängig gewordenen
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Rechtsstreit mit einem angegebenen Streitwert von € 250.000,00, so auch vorläufig
festgesetzt, in dem die Klägerin unter Ziffer I. 6. den Antrag (in der Neufassung des
Schriftsatzes vom 28.08.20##, Anlage K 11 = BI. 91 f. d. A.), angekündigt hat, es zu
unterlassen,
"Klassenlotterien, bei denen der Spielplan vorsieht, dass die Bekanntgabe der
Ziehungsergebnisse öfter als zwei Mal wöchentlich erfolgt oder der Höchstgewinn einen
Wert von 1 Million Euro übersteigt, in einer über die sachliche Information über das
Lotteriespielangebot hinausgehenden Weise zu bewerben und/oder bewerben zu
lassen, nämlich anreizend und/oder ermunternd wie geschehen durch folgende
Aussagen: ...".
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In der Begründung (u. a. Seiten 21 ff. der Klageschrift # HK O ####/## LG N) rekurriert
die Klägerin auf die Vorschriften des Lotteriestaatsvertrages und die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006. Daraus folgt: in beiden
Rechtsstreitigkeiten geht es um die Verfolgung von (zumindest teilweise) gleichen
Verstößen, denn die Klägerin will im Kern dasjenige, was sie im Schriftsatz vom
12.09.20## (BI. 134 d. A.) mitteilt. Dazu hat sie sich konkret auf die Ereignisse im Umfeld
zur am ##.##.20## beginnenden ###. Lotterie bezogen (Seiten 7 ff. der Klageschrift);
konkret hat sie benannt den Februar 20## und Mitte April 20##, während für den April
und Mai 20## eine Verstärkung der Telefon-Marketing-Maßnahmen und der Print-
Werbung - was auch immer darunter zu verstehen sein mag - im Verhältnis zu der
vorhergehenden Werbung behauptet wird (Seite 11 der Klageschrift). Konkrete Daten
zum Empfang der Anlagen K 5 und K 6 sind nicht benannt; das "inkriminierte
Großevent", das am Samstag, den ##.##.20## zu sehen gewesen sein soll (Seite 6 des
Schriftsatzes vom 23.08.20## = BI. 90 d. A.), ist konkret nicht Gegenstand der
Verbotsformulierungen. Soweit Verstöße zeitlich näher eingegrenzt sind, wäre es der
Klägerin ohne Weiteres möglich gewesen, sie zum Gegenstand des Verfahrens vor dem
LG N zu machen, soweit sie dieses nicht tatsächlich durch den "allgemeinen
Werbeauftritt" der Beklagten zu 1) als Unlauterkeit begründenden Tatbestand bereits
gemacht hat. Darüber hinaus hat sie, mit den Einschränkungen wie oben dargelegt,
konkrete Tatsachen für den Zugang der Werbung nicht dargelegt. Unter diesen
Voraussetzungen muss sich die Klägerin auch an der Wahl des Gerichtsstands
festhalten lassen und kann nicht mit dem - unsubstantiierten, nicht mit Tatsachen
unterfütterten, mehrfach im Termin vorgetragenen - Argument, der Gerichtsstand der
Verletzung liege in C, einen weiteren Prozess führen. Unerheblich ist auch der -
ebenfalls in der mündlichen Verhandlung benannte - Grund, die Klägerin wolle einer
nicht näher benannten - Zeugin die Trennung von ihrem Kinde ersparen. Unter diesen
Umständen vermag die Kammer angesichts der Ähnlichkeit der Klageziele in beiden
Prozessen keinen Grund dafür zu sehen, sie, die Klageziele, in verschiedenen
Klageverfahren zu verfolgen. Dieses gilt auch in Ansehung der aus prozessualen
Gründen vorgenommen Einschränkungen der Klagen bei dem LG N und - in Form von
Hilfsanträgen - bei der Kammer. Insgesamt liegt es klar auf der Hand, dass der Klägerin
ein schonenderes Vorgehen - selbst durch Klageerweiterung (vgl. BGH, GRUR 2002,
713, 715 - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung) möglich und zumutbar gewesen ist
(vgl. Köhler in Hefermehl u. a., 24. Auflage, § 8 Rn 4.10,4.13,4.14,4.20,4.24.; Bergmann
in Harte/Henning/Bergmann, § 8, Rn 308, 319 ff.); aus der Sicht eines objektiven,
Betrachters an Stelle der Organe der Klägerin bestand kein praktisches Bedürfnis, einen
weiteren Prozess mit einem Streitwert über € 200.000,00, an Stelle der Neufassung des
Antrags zu 1.6 vor dem LG N, gegebenenfalls der Klageerweiterung, zu beginnen,
sodass ihr Ziel, die Beklagte mit unnötigen Kosten und unnötigem Aufwand zu belasten,
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nahe liegt.
Eine Schriftsatzfrist zu ergänzendem Vortrag zum Hinweis der Kammer auf die etwaige
Rechtsmissbräuchlichkeit brauchte nicht eingeräumt zu werden. Dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde vor der ca. halbstündigen Unterbrechung
der mündlichen Verhandlung die Entscheidung BGH GRUR 2001, 82, 83 körperlich
übergeben; er war mit seinem mitgeführten Laptop offensichtlich online - das
angeschlossene Telefon gab im Termin Signale ab. Gründe, warum er sich zur
Rechtsauffassung der Kammer nach der Unterbrechung nicht erklären konnte, hat er
nicht dargelegt. Zudem hätte er bei einer sorgfältigen Prozessführung bereits vor dem
Termin zu der genannten Rechtsfrage Stellung nehmen können und müssen: Die
Folgen der Rechtshängigkeit des Antrags zu I. 6. vor dem LG N waren seit der
Klageerwiderung ein Hauptstreitpunkt zwischen den Parteien.
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Die Klage zum Antrag zu II. ist jedenfalls unbegründet. Es kann dahinstehen, ob ein
Feststellungsinteresse der Klägerin nicht bestand, weil sie in der Lage war einen
bezifferten Antrag zu stellen, jedenfalls in der Art und Weise, wie es auch sonst bei
Nebenansprüchen auf Zinsen üblich ist. Denn die Beklagte haftet mangels eines
materiellen Anspruchs der Klägerin auch nicht für deren Rechtsverfolgungskosten (vgl.
etwa BGH NJW 1970,1122,1123).
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 Satz 1 ZPO.
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Es verbleibt bei der Streitwertfestsetzung wie im Beschluss vom 12.06.2006.
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