Urteil des LG Bonn vom 28.08.2003

LG Bonn: fahrzeug, fahrstreifen, betriebsgefahr, widerklage, gefährdung, anzeichen, abrechnung, datum, kennzeichen, geschwindigkeit

Landgericht Bonn, 18 O 499/02
Datum:
28.08.2003
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
18. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 O 499/02
Schlagworte:
Nutzungsausfall Trike
Normen:
§ 249 BGB
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Kein Nutzungsausfall für Trike
Tenor:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
7.747,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 24.09.2002 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage
abgewiesen.
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Beklagten habe die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin, Halterin eines Trikes, nimmt den Beklagten zu 1. als Fahrer und die
Beklagte zu 2. als Halterin eines Pkw VW Polo auf Schadensersatz aus einem
Verkehrsunfall in C in Anspruch. Die Beklagte zu 2. verlangt ihrerseits widerklagend von
der Klägerin und deren Ehemann, Fahrer des Trike, Ersatz der Schäden, welche ihr an
dem VW Polo entstanden seien.
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Der Ehemann der Klägerin, Jürgen X, und der Beklagte zu 1. befuhren am 18.06.2002
die G - Allee in C in Richtung Norden. Ersterer mit dem seiner Ehefrau gehörenden
Trike "Cosmopolitan Highway", amtl. Kennzeichen: SU -..., zweiterer mit dem Pkw der
Beklagten vom Typ VW POLO, amtl. Kennzeichen: SU-... . Die beiden Fahrzeuge
warteten an der Ampel kurz vor dem Postturm auf das Grünsignal. An dieser Stelle
verengte sich die Fahrbahn von zwei auf einen Fahrstreifen, die veränderte
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Verkehrssituation wurde durch ein entsprechendes Hinweisschild angezeigt, das die
den rechten Verkehrsstreifen benutzenden Verkehrsteilnehmer aufforderte, auf den
linken Streifen überzuwechseln. Der Beklagte zu 1. stand auf dem linken Fahrstreifen,
der Ehemann der Klägerin auf dem rechten. Nach Anfahrt signalisierte dieser seine
Absicht, den Fahrstreifen nach links zu wechseln. Der Beklagte zu 1. ließ eine Lücke
und signalisierte dem Ehemann der Klägerin, dass er sich einordnen könne. Der weitere
Geschehensablauf ist zwischen den Parteien bis zu dem Punkt streitig, als der
Ehemann der Klägerin auf den VW Polo rechts seitlich auffuhr. Das Trike wurde durch
zwei Anstöße beschädigt, zum einen vorn zentral auf die Hinterachse links, zum
weiteren seitlich links auf die Vordergabel (im Detail Bl. 29 d.A.). Insgesamt entstand am
Trike ein Sachschaden in Höhe von 7.030,35 EUR. Für die gutachterliche Feststellung
des ihr entstandenen Sachschadens wandte die Klägerin EUR 696,70 auf; daneben
verlangt die Klägerin für Nutzungsausfall einen Betrag iHv. EUR 840,- sowie eine
Kostenpauschale iHv. 25,- EUR. Auch am VW Polo entstanden Beschädigungen durch
den Aufprall, deren Umfang streitig ist. Die Klägerin forderte den Beklagten zu 1. mit
Schreiben vom 10.09.2002 zur Zahlung von 7.727,05 EUR auf, jedoch erfolglos.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1. habe den Ehemann der Klägerin sich vor ihm
linksseitig einordnen lassen. Anschließend sei der Beklagte zu 1. auf den rechten
Fahrstreifen gewechselt, habe das Trike überholt, sich dann unmittelbar davor wieder
links eingeordnet und ohne ersichtlichen Grund stark abgebremst. Für dieses
Fahrmanöver sei auf dem linken Fahrstreifen ausreichend Platz vorhanden gewesen. Ihr
Ehemann habe versucht, einen Aufprall zu verhindern, jedoch erfolglos.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 8.592,05 EUR
nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.09.2002 zu
zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Widerklagend beantragt die Beklagte zu 2.,
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die Klägerin und den Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch zu
verurteilen, an sie 3.267,50 EUR nebst 5%-Punkten Zinsen über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (25.03.2003) zu zahlen.
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Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte beantragen,
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die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagten behaupten,
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zu dem Unfall sei es gekommen, als der Ehemann der Klägerin vom rechten auf den
linken Fahrstreifen gewechselt habe und dabei infolge von Unachtsamkeit mit dem
Fahrzeug der Beklagten kollidiert sei. Der VW Polo habe sich während der gesamten
Zeit auf dem linken Fahrstreifen befunden, für das von der Klägerin geschilderte
Überholmanöver sei infolge eines Rückstaus auf dem linken Fahrstreifen vor dem
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Postturm kein Platz gewesen.
Im übrigen wird wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft C zum Aktenzeichen 85 Js
#####/####informatorisch beigezogen und über den Hergang des Verkehrsunfalls
Beweis erhoben durch Einholung eines mündlich erstatteten
Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. Q2 und durch uneidliche Vernehmung des
Angestellten Q. Ferner hat es die Fahrer der beiden Fahrzeuge ergänzend angehört.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wie der Anhörung wird auf das Protokoll
der Sitzung vom 22.07.2003, Bl. 128-131 d.A., verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist überwiegend begründet, die zulässige Widerklage ist
unbegründet.
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A.)
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens gegen den
Beklagten zu 1. als Fahrer aus §§ 18, 17 I StVG und gegen die Beklagte zu 2. als
Halterin aus §§ 7 I, 17 I StVG, jeweils in Verbindung mit §§ 249ff. BGB. Das
Straßenverkehrsgesetz ist insgesamt nach Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB in der bis zum
31.07.2002 gültigen Fassung anwendbar, weil sich der Unfall vor dem 01.08.2002
ereignet hat. Der Beklagte zu 1. hat mit dem von ihm geführten Fahrzeug, welches von
der Beklagten zu 2. gehalten wird, das Eigentum der Klägerin am Trike verletzt.
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I. Den für die Beklagten streitenden Beweis des ersten Anscheins, nach dem vermutet
wird, dass derjenige, der auf einen anderen auffährt, entweder einen der
Verkehrssituation angemessenen Abstand nicht eingehalten oder zu spät gebremst hat,
hat die Klägerin widerlegt. Sie hat die Möglichkeit eines atypischen
Geschehensablaufes bewiesen. Das steht fest aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme.
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Der Beklagte zu 1. hat durch sein Verhalten schuldhaft im Sinne des § 276 BGB,
zumindest fahrlässig, gegen die Vorschriften über das Überholen (§ 5 Abs. 1, Abs. 4 S. 1
u. 4 StVO) verstoßen. Weder hat er - wie es § 5 Abs. 1 StVO anordnet - links überholt,
sondern rechts, noch hat er einen ausreichenden Abstand zum überholten Ehemann der
Klägerin gehalten und dadurch entgegen den Vorschriften des § 5 Abs. 4 S. 1 u. 4 StVO
überholt, obwohl eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs nicht ausgeschlossen
war. Weiter hat er den Ehemann der Klägerin mindestens behindert. Der von ihm vor
dem Überholten freigelassene Abstand war so gering, dass es dem Ehemann der
Klägerin nicht mehr möglich war, zu bremsen oder vollständig auszuweichen, so dass
das Auffahren des Ehemannes der Klägerin auch adäquat - kausale Folge des
vorschriftswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 1. ist.
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Zwar hat das Gericht aus dem Gutachten des Unfallsachverständigen allein keinen
sicheren Schluß über die Wahrheit der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen zum
Unfallgeschehen gewinnen können. Der Sachverständige hat die von ihm in
Augenschein genommenen Beschädigungen am Fahrzeug der Beklagten zu 2. mit der
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Unfalldarstellung beider Parteien für kompatibel gehalten. Objektive Anzeichen für ein
Überwiegen der Wahrscheinlichkeit der einen oder anderen Darstellung hat er nicht
feststellen können.
Die Vernehmung des Zeugen Q (in Verbindung mit den Äußerungen der Parteien und
den Feststellungen des Sachverständigen) hat das Gericht dagegen das nach § 286
ZPO erforderliche Maß an Gewissheit gewinnen lassen, dass der von der Klägerin
vorgetragene Unfallhergang den Tatsachen entspricht.
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Nach der freien Schilderung des Zeugen hat der Beklagte zu 1. den Trike-Fahrer
unmittelbar überholt, nachdem er diesen sich auf dem linken Fahrtstreifen vor ihm hatte
einordnen lassen. Am Ende des Überholvorganges habe der Beklagte sich in kurzem
Abstand wieder vor den Ehemann der Klägerin gesetzt und sein Fahrzeug abgebremst.
Ein Auffahren des Trikes sei kaum zu vermeiden gewesen.
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Diese Darstellung des Zeugen ist glaubhaft. Er hat sich - ohne Nachfrage des Gerichts -
bei der freien Schilderung des Unfallgeschehens an eine Reihe von Nebenereignissen
und Vorgängen außerhalb des reinen Unfallgeschehens erinnert, die seine Aussage
abgerundet und den Eindruck der Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit der
Schilderung des Geschehens vermittelt haben. Insbesondere die Anmerkungen zu
seiner erhöhten Sitzposition auf dem von ihm gefahrenen Motorroller, wodurch er einen
guten Überblick über das Geschehen erhalten habe, die Beschreibung des Geschehens
um den Bauarbeiter, der zu dem Unfallort habe eilen wollen sowie die Schilderungen
des Verhaltens des Beklagten zu 1. vor und nach dem Unfall sprechen für die
Glaubhaftigkeit der Aussage. Die in der freien Schilderung enthaltenen Angaben waren
auch nicht bereits in der schriftlichen Aussage für die Klägerin vom 24.06.2002
enthalten, so dass nicht der Eindruck entstanden ist, der Zeuge habe in der
Vernehmung eine vorher bereits inhaltlich geglättete Erklärung lediglich wiederholt. Der
Zeuge hat vielmehr den Eindruck hinterlassen, als habe er das Geschehen damals
aufmerksam beobachtet und sich auch Randereignisse gut eingeprägt. Insgesamt hat
das Gericht in der Vernehmung von dem Zeugen das Bild erhalten, dass es sich bei ihm
um einen aufmerksamen, interessierten und besonnenen Verkehrsteilnehmer handelt.
Unmittelbar nach dem Unfall habe er sich zu dem Ehemann der Klägerin geben, um
sich nach dessen Befinden zu erkundigen und um sich für die polizeiliche
Unfallaufnahme als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Anzeichen dafür, dass es in dem
Gespräch des Zeugen mit dem Ehemann der Klägerin zu einer Verabredung einer
Aussage kam, sind nicht vorhanden. Der Zeuge hat vielmehr glaubhaft bekundet, dass
er den Ehemann der Klägerin vor dem Unfall nicht persönlich gekannt habe und dass er
sich lediglich um die Gesundheit und das Wohlbefinden des Trike-Fahrers gesorgt
habe. Dass er sich überhaupt für die vor ihm fahrenden Fahrzeuge interessiert hat,
erklärte er damit, dass es sich bei dem Trike um ein im Straßenverkehr selten
anzutreffendes Fahrzeug gehandelt habe. Letzteres ist ohne weiteres nachvollziehbar.
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Soweit der Zeuge das Verhalten des Beklagten zu 1. vor und nach dem Unfall
geschildert hat, fügt sich dies in die sonstige Schilderung ein. Der Zeuge hat
beschrieben, dass der Beklagte zu 1. bereits vor dem Unfall durch Gasgeben und
hektische Handzeichen einen unruhigen Eindruck gemacht habe, was den Zeugen zur
Einhaltung eines größeren Sicherheitsabstandes veranlasst habe. Auch sein Verhalten
nach dem Ereignis, das Führen Reihe von Telefonaten mit dem Handy sowie die
Unterstellungen gegen den Ehemann der Klägerin, dieser habe das Trike unter
Alkoholeinfluß geführt, habe den Eindruck des Beklagten zu 1. als impulsiv verstärkt.
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Letzeren Eindruck hat auch das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewonnen.
Den Beklagten ist einzuräumen, dass der Zeuge hinsichtlich der Stärke des
Bremsvorgangs des Beklagten zu 1., nachdem sich dieser wieder vor dem Trike
eingeordnet hatte, keine sichere Aussage hat machen und sich nicht sicher hat erinnern
können, wie lange die Bremslichter des Polo aufgeleuchtet hätten. Seiner Aussage lässt
sich aber entnehmen, dass der Abstand der Fahrzeuge sehr gering war, so dass selbst
dann, wenn der Beklagte zu 1. nicht "stark", wie vom Zeugen in der freien Schilderung
zunächst behauptet, sondern nur leicht und kurz angebremst hat, wie er auf Vorhalt des
Klägerinvertreters seine Aussage korrigiert hat, nach seiner Beobachtung ein
vollständiges Ausweichen durch den Ehemann der Klägerin nicht mehr möglich
gewesen ist. Dies ändert letztlich nichts am Wert seiner Aussage, weil es das Gericht
nach der praktischen Lebenserfahrung für vorstellbar hält, dass der Zeuge bei der
Wahrnehmung des gesamten Geschehensablaufes zu diesem Zeitpunkt weniger auf
das Verhalten des Beklagten zu 1., sondern vielmehr auf den Fahrer des Trike geachtet
hat.
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Auch die - unter Berücksichtigung der Aussage des Sachverständigen - wahrscheinlich
falsche Schätzung der Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge und damit der
Differenzgeschwindigkeit kurz vor dem Aufprall des Zeugen entkräftet den Wert der
Aussage nicht, weil es einem Zeugen regelmäßig unmöglich ist, Geschwindigkeiten
ohne technische Hilfsmittel auch nur grob zu schätzen, geschweige denn präzise
anzugeben.
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Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge persönlich nicht glaubwürdig ist, hat das Gericht
nicht. Der Zeuge hat glaubhaft dargelegt, dass er den Ehemann der Klägerin vor dem
Unfall nicht gekannt hat und auf das Fahrzeug der Klägerin lediglich dadurch zufällig
aufmerksam geworden ist, weil man zeitgleich von der T-brücke auf die G - Allee
abgefahren ist.
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Die Aussage des Zeugen Q deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen,
wenn - wie das Gericht es tut - eine Fehleinschätzung der Geschwindigkeit durch den
Zeugen unterstellt wird.
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Schließlich hat auch der Ehemann der Klägerin einen besonnenen und in der
Darstellung des Geschehens glaubwürdigen Eindruck gemacht, was dem Beklagten
nicht in gleicher Weise gelungen ist.
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Demnach erachtet das Gericht aus der Zusammenschau des mündlich erstatteten
Sachverständigengutachtens und der Vernehmung des Zeugen Q sowie den Aussagen
der beiden Fahrer die von der Klägerin behauptete Möglichkeit eines vom
Anscheinsbeweis verschiedenen atypischen Geschehensablaufes für hinreichend
bewiesen.
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II. Die Klägerin muss sich die Betriebsgefahr ihres Trikes nicht auf ihren
Schadenersatzanspruch nach §§ 17 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG a.F. anrechnen lassen. Sie
tritt wegen des Verschuldens des Beklagten zu 1., das die einfache Betriebsgefahr des
Trikes deutlich überwiegt, völlig zurück. Das Auffahren des Trike-Fahrers auf den Polo
stellt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als unabwendbares Ereignis
im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. dar, weil die Klägerin nicht hat beweisen können,
dass auch ein "Idealfahrer" bei Anwendung äußerster Sorgfalt den Unfall nicht durch
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rechtzeitiges Ausweichen und/oder Bremsen hätte verhindern können.
Gleichwohl tritt trotz der grundsätzlich realisierten einfachen Betriebsgefahr des Trikes
bei dem Aufprall bei der Festlegung der Haftungsquoten nach § 17 Abs. 1 StVO a.F.
diese gegenüber dem nachgewiesenen Verschulden des Beklagten zu 1. zurück. Ein
solches Zurücktreten der Betriebsgefahr mit der Folge der vollen Haftung ist in
Rechtsprechung und Lehre für die Fälle anerkannt, in denen der Anteil des einen Teils
am Zustandekommen des Unfalls deutlich überwiegt. Auf Seiten der Klägerin hat sich
lediglich die einfache Betriebsgefahr verwirklicht. Dagegen liegt auf Seiten der
Beklagten ein mindestens fahrlässiger Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche
Vorschriften vor. Die 100%ige Haftung ist dort anerkannt, wo der unfallverursachende
Teil gegen Vorschriften des Straßenverkehrsrecht verstößt, die eine Verhaltensweise
nur dann erlauben, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausdrücklich
"ausgeschlossen" ist (vgl. Bursch/Jordan, VersR 1985, 512). Diese Vorschriften stellen
einen sehr hohen Sorgfaltsmaßstab auf, der von dem einen Unfallbeteiligten verletzt
wird. Ein solcher Verstoß des Beklagten zu 1. ist hier darin zu erkennen, dass er
entgegen § 5 Abs. 4 S. 1 und 4 StVO sich beim Überholen nicht so verhalten hat, dass
eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs aufgeschlossen wird und der Überholte
nicht behindert wird. Auch wird das grob verkehrswidrige sog. "Schneiden" eines
anderen Verkehrsteilnehmers zur Gruppe der die 100%ige Haftung auslösenden
Verhaltensweisen gerechnet (vgl. OLG Oldenburg, VRS 15, 336; OLG Düsseldorf VRS
64, 7; OLG München VRS 66, 1015; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 5 StVG Rn. 52).
Es liegt dann vor, wenn sich der Überholende unmittelbar nach dem Überholvorgang
vor den Überholten setzt, ohne den dabei erforderlichen Mindestabstand (i.e. die
Strecke, die der Überholte binnen einer Sekunde zurücklegt) einzuhalten. Nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich der Beklagte zu 1. nach dem Überholvorgang
unmittelbar vor dem Trike wieder eingeordnet, so dass nach der Wahrnehmung des
Zeugen ein Abbremsen des Ehemannes der Klägerin zur Vermeidung des Unfalles
nicht möglich war. Zwar ist der Abstand nicht positiv festgestellt worden. Das Gericht
macht sich aber die Feststellung des Zeugen Q zu eigen, dass der Abstand der
Fahrzeuge beim Wiedereinordnen jedenfalls so gering war, dass es - wenn nicht dem
Idealfahrer im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F, - so doch dem Kläger unmöglich war,
noch rechtzeitig durch Ausweichen oder Bremsen eine Kollision mit dem VW Polo zu
verhindern.
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III. Die am Trike entstandenen Schäden sind nach der von der Klägerin gewählten
fiktiven Abrechnung in Höhe von 7.030,35 EUR nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu
ersetzen. Statt der grundsätzlich nach § 249 Abs. 1 BGB geschuldeten
Wiederherstellung kann die Klägerin auch den dazu erforderlichen Geldbetrag
verlangen. Die Klägerin hat nach der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 8 Abs. 1
EGBGB auch bei Abrechnung auf Gutachtenbasis einen Anspruch auf Zahlung der
gesetzlichen Umsatzsteuer von 16%, weil die Vorschrift des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB n.F.
nur auf schädigende Ereignisse anwendbar ist, die nach dem 31.07.2002 eingetreten
sind.
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Die Kosten in Höhe von 696,70 EUR für das von der Klägerin in Auftrag gegebene
Gutachten zur Feststellung der Höhe des Schadens am Trike sind dem Ereignis
adäquat - kausal zuzuordnende Sachschadenskosten, die nach § 249 BGB zu ersetzen
sind. Der Geschädigte genügt mit der Beauftragung eines geeigneten Gutachters seiner
Sustantiierungs- und Beweispflicht.
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Eine von der Klägerin geforderte "allgemeine Unfallkostenpauschale" ist in der
Rechtsprechung als adäquater Ausgleich für die bei einem Unfall entstehenden
Unkosten wie Telefon- und Portogebühren, Reinigung von Bekleidung etc. anerkannt.
Das Gericht hält unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und der moderaten
Preissteigerung in der Vergangenheit einen Betrag von 20,- EUR für angemessen (vgl.
dazu OLG Hamm, Urteil v. 22.05.1995, Az: 13 U 193/94, OLGR Hamm 1995, 161; OLG
Hamm, Urteil v. 23.03.1998, Az: 6 U 191/97, OLGR Hamm 1998, 225; OLG Hamm, Urteil
v. 29.9.1999, Az: 13 U 31/99 , ZfS 2000, 7, zuletzt AG Duisburg-Ruhrort, Urteil v. 30.
August 2002, Az: 8 C 147/02, wonach die Pauschale auf 20,- EUR festzusetzen sei, da
"die Kosten der Kommunikation in den letzten Jahren drastisch gefallen" seien.)
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Dagegen besteht kein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung für die entgangene
Nutzung des Trikes in Höhe von 840,- EUR, weil es sich bei diesem Fahrzeug um einen
für die Freizeitnutzung bestimmten Luxusgegenstand handelt. Eine Kommerzialisierung
des Nutzungsausfalls aber wird nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur für
solche Fahrzeuge gewährt, auf deren ständige Verfügbarkeit der Halter angewiesen ist
und derer er für eine eigenwirtschaftliche Lebensführung bedarf, weil nur in diesem Fall
beim vorübergehenden oder entgültigen Verlust der Nutzungmöglichkeit eine fühlbare
vermögensrechtliche Entbehrung einträte (GrSen BGH v. 9.7.1986, NJW 1987, 50).
Motorräder unterfallen dieser Einordnung nur, wenn sie - vergleichbar mit einem Pkw -
üblicherweise für tägliche Fahrten zum Arbeitsplatz, Einkauf etc. eingesetzt zu werden
pflegen. Dies ist nicht der Fall, das Trike wurde ausschließlich im Sommer genutzt.
Zudem können aus dem Gutachten des Sachverständigenbüros Z + Partner vom
26.07.2002 das Fahrzeugalter (Datum der ersten Zulassung: 22.04.1996) sowie die
Gesamtfahrleistung bis Juni 2002 (16.955 km) entnommen werden. Danach betrug die
Jahresfahrleistung der Klägerin mit dem Trike im Durchschnitt lediglich 2.600 km, was
einer nur gelegentlichen Nutzung korrespondiert.
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B.)
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Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
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Neben der 100%igen Haftung der Beklagten für die Schäden am Fahrzeug der Klägerin
verbleibt nach dem oben gesagten für Gegenansprüche der Beklagten zu 2. an ihrem
eigenen Fahrzeug kein Raum mehr. Es kann daher dahinstehen, in welcher Höhe durch
den Unfall Schäden am VW Polo entstanden sind.
42
C.)
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Die Entscheidung über die Zinsen entspricht §§ 284, 286, 288 BGB; der Ausspruch
hinsichtlich der Kosten folgt aus § 92 II ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit entspricht § 709 ZPO.
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