Urteil des LG Bonn vom 16.10.2003
LG Bonn (selbständigkeit, handelsvertreter, arbeitszeit, gvg, beschwerde, teilnahme, zuständigkeit, tätigkeit, zpo, gestaltung)
Landgericht Bonn, 5 T 73/03 LG Bonn
Datum:
16.10.2003
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 T 73/03 LG Bonn
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 9 C 85/03
Schlagworte:
Rechtswegabgrenzung zwischen Zivilgericht und Arbeitsgericht.
Zuständigkeit für Streitigkeit aus Vertrag zwischen Finanzdienstleister
und Berater.
Normen:
§ 17 a Abs. 4 GVG, § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, § 84 HGB
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Wenn der für einen Finanzdienstleister tätige Berater selbständiger
Handelsvertreter ist, so sind für Streitigkeiten aus dem Mitarbeitervertrag
die ordentlichen Gerichte zuständig.
Die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Arbeiternehmerstatus
kann nicht von der Vertragsdauer des jeweiligen Beraters im Zeitpunkt
des Entstehens der Streitigkeit abhängig gemacht werden.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des
Amtsgerichts Bonn vom 06.08.2003, Az: 9 C 85/03, aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 1.100,00 EUR (1/3 der Hauptsache)
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Klägerin verlangt u.a. die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen, die dem
Beklagten aufgrund eines Mitarbeitervertrages vom 21.02.2000 gezahlt wurden. Der
Beklagte war aufgrund dieses Vertrages damit betraut, Privatkunden über
Versicherungen, Vermögensanlagen und Finanzierungen zu beraten. Den
Vertragsbestimmungen zufolge war der Beklagte als selbständiger Handelsvertreter
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beschäftigt.
Die Klägerin machte den Rechtsstreit beim Amtsgericht C anhängig. Mit Beschluss vom
06.08.2003 hat das Amtsgericht C sich für sachlich unzuständig erklärt und den
Rechtsstreit an das Arbeitsgericht C verwiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht
ausgeführt, der geltend gemachte Anspruch sei ein solcher aus einem Arbeitsverhältnis
nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) ArbGG.
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Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 28.08.2003 sofortige Beschwerde
eingelegt. Sie ist der Auffassung, die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte sei nicht
gegeben. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem
Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
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II.
6
1.
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Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 17a Abs. 4 GVG statthaft und gemäß §§ 567, 569
ZPO zulässig. Da der Beschluss des Amtsgerichts C nicht förmlich zugestellt wurde, ist
die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt worden (vgl. Gummer in: Zöller, ZPO, 23. Aufl.
2002, § 17a GVG Rn. 14), so dass die am 28.08.2003 eingegangene Beschwerde
fristgerecht eingelegt wurde.
8
2.
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Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des
Amtsgerichts, derzufolge der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gemäß § 2 Abs. 1 Nr.
3 lit. a) ArbGG eröffnet ist, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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a)
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Eine ausschließliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a)
ArbGG besteht nicht, weil der Beklagte nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Für
die Abgrenzung eines freien Handelsvertreters i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB gegenüber einem
unselbständigen kaufmännischen Angestellten i.S.d. § 59 HGB kommt es darauf an, ob
der Beschäftigte im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit
selbst bestimmen kann. Dies ist in einer wertenden Gesamtschau aller Umstände
festzustellen. Nach Auffassung der Kammer ist der Beklagte danach sowohl im Hinblick
auf die freie Tätigkeitsgestaltung als auch im Hinblick auf seine Arbeitszeit in einem für
den Selbständigenstatus erforderlichen Maße frei von Weisungen.
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aa)
kommt es zwar nicht auf seine vertragliche Bezeichnung als selbständiger
Gewerbetreibender i.S.d. § 84 HGB an. Die Selbständigkeit ergibt sich jedoch aus der
vertraglichen Ausgestaltung seiner Rechtsstellung:
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Der Beklagte erhielt nach § 4 des Mitarbeitervertrags Vergütungen in Form von
Provisionen und Honoraren gemäß einer Provisionsordnung für Mitarbeiter. § 4 des
Vertrags regelte außerdem die Verzinsung und Rückführung von Vorschüssen durch
Verrechnung mit Provisionen. Nach § 3 Abs. 4 des Mitarbeitervertrags war der
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Kundenstamm des Beklagten zu respektieren.
Nach § 7 Abs. 2 des Mitarbeitervertrags war der Beklagte verpflichtet, seine
Aufwendungen, insbesondere Kosten für Kfz, Telefon, Reisen, Bewirtung und Steuern,
selbst zu tragen. Weiter war der Beklagte gemäß § 6 Abs. 1 des Mitarbeitervertrags
verpflichtet, im Innenverhältnis die Beiträge zur Vermögensschadens-
Haftpflichtversicherung zu übernehmen, die von der Klägerin abzuschließen ist.
Entsprechend sah § 6 Abs. 2 des Vertrags eine Haftung des Beklagten im
Innenverhältnis vor für den Fall, dass die Klägerin für sein Verhalten in Anspruch
genommen würde.
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§ 9 des Mitarbeitervertrags regelte einen Ausgleichsanspruch bei Ausscheiden aus dem
Unternehmen der Klägerin. Diese Bestimmung nahm § 89b HGB in Bezug und
orientierte sich insofern an der gesetzlichen Regelung für selbständige
Handelsvertreter. Außerdem galt für die Kündigung des Vertragsverhältnisses nach § 8
Abs. 2 des Mitarbeitervertrags eine besondere Regelung mit nach Vertragsdauer
gestaffelten Fristen.
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Für eine Selbständigkeit des Beklagten spricht schließlich, dass weder hinsichtlich der
Arbeitszeit und der inhaltlichen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses noch hinsichtlich
eines Urlaubsanspruchs vertragliche Regelungen getroffen worden waren.
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Der Selbständigkeit steht nicht entgegen, dass der Beklagte aufgrund § 7 Abs. 2 des
Mitarbeitervertrags verpflichtet war, die Räume der Klägerin zu nutzen, ohne auf deren
Ausstattung und Gestaltung Einfluß nehmen zu können, und sich bei der Wahrnehmung
seiner Aufgaben des Personals der Klägerin zu bedienen hatte. Diese Bindung an die
Geschäftsstelle der Klägerin ist eine Folge des von der Beklagten gewählten
dezentralen Betriebssystems über Geschäftsstellen, durch das den Kunden eine
Anlaufstelle geboten und der Eindruck eines einheitlichen Leistungsangebots vermittelt
werden soll. Dies berührt die Selbständigkeit der Berater in ihrem Kernbereich nicht,
zumal diese nicht daran gehindert sind, Beratungsgespräche auch außerhalb der
Geschäftsstelle zu führen und beispielsweise ein weiteres Büro zu Hause zu
unterhalten. Wie das Amtsgericht festgestellt hat, ist die mit der Anbindung an die
Arbeitszeiten des Geschäftsstellenpersonals verbundene Einschränkung für sich
genommen nicht als wesentliche Einschränkung der Selbständigkeit zu bewerten.
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Es steht der Selbständigkeit des Beklagten auch nicht entgegen, dass er gemäß § 5
Abs. 1 des Mitarbeitervertrags verpflichtet war, ausschließlich die von der Klägerin zur
Verfügung gestellten bzw. von ihr freigegebenen Unterlagen (Broschüren, Tarif- und
Handbücher u.a. ) zu verwenden. Der Gesetzgeber geht in § 86a Abs. 1 HGB gerade
davon aus, dass der selbständige Handelsvertreter entsprechende Unterlagen von
seinem Unternehmer bezieht.
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Weiter steht der Selbständigkeit nicht entgegen, dass der Beklagte gemäß § 3 Abs. 1
des Mitarbeitervertrags nur für die Klägerin tätig sein darf. Aus § 92a HGB ergibt sich,
dass auch ein sog. Ein-Firmen-Vertreter selbständiger Handelsvertreter sein kann.
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Die Pflicht zur Teilnahme an Schulungsveranstaltungen gemäß § 5 Abs. 2 des
Mitarbeitervertrags führt ebenfalls nicht dazu, dass der Beklagte nicht mehr als
selbständiger Vertreter einzustufen wäre. In Anbetracht der komplexen
Beratungsmaterie, die die Klägerin anbietet, ist nachvollziehbar, dass aus ihrer Sicht nur
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ausreichend qualifizierte Berater alleine Kundenberatungen durchführen dürfen.
Insofern ist es unschädlich, dass die Klägerin eine Pflicht zur Teilnahme an ihren
Schulungen aufstellt. Abgesehen davon ist nicht ausreichend vorgetragen, inwiefern die
von der Klägerin veranstalteten Ausbildungsseminare die grundsätzlich freie
Tätigkeitsgestaltung und Arbeitszeitbestimmung in einem seine Selbständigkeit
ausschließenden Maße beeinträchtigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass am Anfang
der Tätigkeit naturgemäß eine umfangreichere Schulung und Einarbeitung erforderlich
ist als in einem fortschrittenen Stadium der Beratertätigkeit, ohne dass dies auf die
grundsätzliche Selbständigkeit Einfluß hat.
Insofern ist auch die Tatsache, dass die Klägerin verschiedene Verhaltensregeln für
diese Schulungsveranstaltungen aufgestellt, nicht als Einschränkung der
Selbständigkeit in ihrem Kernbereich zu werten. Da die Pflicht zur Teilnahme an
Schulungen die Selbständigkeit unberührt läßt, gilt dies erst recht für Regeln, die
lediglich einen effizienten Ablauf dieser Veranstaltungen gewährleisten sollen.
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Soweit der Beklagte sich schließlich darauf beruft, dass er das volle wirtschaftliche
Risiko seiner Tätigkeit habe tragen müssen, ist festzustellen, dass dies gerade für seine
Selbständigkeit spricht. Im übrigen ist die Tatsache, dass der Beklagte von der Klägerin
wirtschaftlich abhängig war, dadurch bedingt, dass er ausschließlich für die Klägerin
tätig werden durfte. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Unternehmer führt
jedoch, wie sich im Umkehrschluß aus § 92a HGB ergibt, nicht zu einem
Arbeitnehmerstatus.
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bb)
dass weder im Mitarbeitervertrag noch in der Vertragspraxis eine entsprechende
verbindliche Regelung getroffen worden war. Soweit der Beklagte behauptet, er sei zu
einer Arbeitszeit von 65 h pro Woche verpflichtet worden, beinhaltet die von ihm als
Beleg angeführte E-Mail keine verbindliche Arbeitszeitfestlegung, sondern eine
Hilfestellung zur eigenen Organisation der Berater.
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Eine die Selbständigkeit ausschließende Bestimmung der Arbeitszeit ist auch nicht
darin zu sehen, dass die Klägerin die Schulungstermine festlegte und die Teilnahme
daran zur Pflicht machte, da der Schulungszeitraum im Verhältnis zur gesamten zur
Verfügung stehenden Zeit nur einen geringen Anteil ausmacht. Wie die Klägerin
zutreffend dargelegt hat, sind Produkt- und Beratungsschulungen für einen
Handelsvertreter in der Praxis die Regel und insofern auch mit dem gesetzlichen
Leitbild des Handelsvertreters ohne weiteres vereinbar.
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Dies gilt hier trotz der Tatsache, dass die Schulungen in der Anfangszeit einen
wesentlich größeren Zeitumfang erforderten als in einem fortgeschritteneren Stadium
der Beratertätigkeit. Nach Auffassung der Kammer kann die Abgrenzungsfrage
zwischen Selbständigkeit und Arbeitnehmerstatus nicht von der Vertragsdauer des
jeweiligen Beraters abhängig gemacht werden. Dies hätte zur Folge, dass sich erst
nach Vertragsschluß, nämlich im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung entscheiden ließe,
ob ein Berater noch als unselbständiger Angestellter oder bereits als selbständiger
Handelsvertreter einzustufen wäre. Eine solchermaßen einzelfallbezogene
Betrachtungsweise wäre weder praktikabel noch sachgerecht und würde während der
Laufzeit des Vertrags (d.h. solange die endgültige Einstufung noch nicht möglich wäre)
zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen. Dies gilt insbesondere vor dem
Hintergrund, dass die Mitarbeiterverträge eine unbestimmte Laufzeit aufweisen (§ 8 Abs
26
1).
Auch die Pflicht zur Teilnahme an der sog. Montagsrunde ist vom zeitlichen Umfang als
zu geringfügig zu betrachten, als dass darin eine Beeinträchtigung der Selbständigkeit
gesehen werden könnte. Dies gilt erst recht für die einmalige dreistündige
Fortbildungsveranstaltung "Zeitmanagement", zumal der Beklagte nach eigenem
Vortrag nicht verpflichtet war, daran teilzunehmen, sondern lediglich einen faktischen
Druck empfunden hat. Ein solcher faktischer Druck, den Erwartungen seines
Unternehmens zu entsprechen, wird in mehr oder minder starkem Maße von jedem
Handelsvertreter empfunden werden und insbesondere bei einem Ein-Firmen-Vertreter
die Regel sein. Er ist mit dem Leitbild eines selbständigen Handelsvertreters durchaus
vereinbar und kann nicht gleichgesetzt werden mit rechtsverbindlichen
Einschränkungen der Selbständigkeit.
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Nach alledem ergibt die Gesamtwürdigung nicht, dass der Beklagte in der Gestaltung
seiner Tätigkeit und der Bestimmung seiner Arbeitszeit so eingeschränkt war, dass das
Rechtsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis anzusehen wäre.
28
b)
29
Eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts ergibt sich auch nicht aus 5 Abs. 3 ArbG i.V.m. §
92a HGB, da die während der Dauer des Vertragsverhältnisses bezogene
durchschnittliche Monatsvergütung des Beklagten die dort genannte Grenze von
1.000,00 EUR übersteigt. Bei der Bestimmung der Vergütung bleiben
Provisionsvorschüsse grundsätzlich außer Ansatz (vgl. Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 5 Rn.
14). Im vorliegenden Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund der hälftigen
Verzichtsklausel in § 4 Abs. 5 des Mitarbeitervertrags die Hälfte des
Provisionsvorschußsaldos endgültig bei dem Beklagten verbleiben sollte, so dass
dieser Teil bei der Bestimmung der Vergütung anzusetzen ist. Wie die Klägerin
dargelegt hat, hat der Beklagte im Durchschnitt 2.053,56 EUR erhalten, von denen im
Durchschnitt 1.026,78 EUR pro Monat bei ihm verbleiben. Die Fahrtkosten zu einer
Ausbildungsveranstaltung in I sind entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht
von der Vergütung abzuziehen, da er gemäß § 7 Abs. 2 des Mitarbeitervertrags
verpflichtet war, ihm entstehende Reisekosten selbst zu tragen.
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§ 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG greift nicht ein, weil § 5 Abs. 3 ArbGG eine abgeschlossene
Sonderregelung für Handelsvertreter enthält.
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Da eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach alledem nicht gegeben ist, war der
Verweisungsbeschluss aufzuheben.
32
3.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewerts
beruht auf §§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.
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Trotz des Wortlauts des § 17a GVG Abs. 4 S. 4 GVG haben auch die Landgerichte als
Beschwerdegerichte im zivilprozessualen Verfahren über die Zulassung der
Rechtsbeschwerde zu entscheiden (vgl. BGH NJW 2003, 2917). Die Rechtsbeschwerde
war hier nicht zuzulassen, da die Rechtsfrage weder grundsätzliche Bedeutung hat
noch das Gericht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht (§ 17a Abs. 4 S. 5
35
GVG).