Urteil des LG Bonn vom 14.05.2002
LG Bonn: unfall, abbiegen, aufmerksamkeit, sorgfalt, betriebsgefahr, geschwindigkeit, verschulden, reparaturkosten, nebenkosten, vollstreckbarkeit
Landgericht Bonn, 8 S 241/01
Datum:
14.05.2002
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 S 241/01
Vorinstanz:
Amtsgericht Siegburg, 5 C 589/01
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Siegburg
vom 14.11.2001, 5 C 589/01, teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefaßt:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin
729,84 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
07.08.2001 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 75 %
und die Beklagten zu 25 %. Die Kosten der Berufung tragen die Klägerin
zu 60 % und die Beklagten zu 40 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. wird von der Darstellung des
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T a t b e s t a n d e s
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abgesehen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Klägerin hat gegen die
Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7, 18, 17 StVG iVm § 3 PflVG einen
Anspruch auf Ersatz von 50 % ihrer durch das Unfallereignis vom 30.05.2001
entstandenen Schäden.
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1.) Der Unfall ist für den Beklagten zu 1.) kein unabwendbares Ereignis iSv § 7 Abs. 2
StVG gewesen. Unabwendbar ist ein Unfall nur dann, wenn der Kraftfahrer die äußerst
mögliche Sorgfalt angewendet, d.h. wenn er eine über die gewöhnliche Verkehrssorgfalt
hinausgehende, besondere, überlegene und gesammelte Aufmerksamkeit, Umsicht und
Geistesgegenwart gezeigt hat, (OLG Hamburg, VersR 1966, 195 f.). Da der Beklagte zu
1.) unstreitig seinen rechten Blinker gesetzt hat, dann aber doch weiter geradeaus
gefahren ist, hat er sich im Straßenverkehr irreführend verhalten und damit gerade nicht
die gebotene Sorgfalt beachtet.
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2.) Auch für die Klägerin ist der Unfall nicht unabwendbar gewesen, da sie durch eine
längere Beobachtung des Fahrverhaltens des Beklagten zu 1.) den Unfall hätte
vermeiden können.
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3.) Eine Ausgleichspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin besteht somit gemäß §
17 Abs. 1 StVG nach dem Verhältnis der Verursachungsbeiträge der Parteien.
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a) Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts spricht im Rahmen der vorzunehmenden
Abwägung kein Anscheinsbeweis für eine Verursachung durch die Klägerin, die aus
einer nicht bevorrechtigten Straße in die vom Beklagten zu 1.) befahrene
vorfahrtsberechtigte Straße einfahren wollte. Ein Anscheinsbeweis greift nur ein, wenn
ein typischer Geschehensablauf feststeht, d.h. ein Sachverhalt, bei dem nach der
Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder auf die
Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann,
(Zöller/Greger, 21. Aufl., Vor § 284 Rn. 29). Der behauptete Vorgang muss zu jenen
gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit
und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegen, (Zöller/Greger, a.a.O.).
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Es ist zwar richtig, daß bei Kreuzungszusammenstößen in der Regel der erste Anschein
für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen spricht (OLG Hamburg,
VersR 1966, 195 f.), im vorliegenden Fall steht aber fest, daß es sich nicht um einen
typischen Geschehensablauf zwischen Vorfahrtsberechtigtem und Wartepflichtigem
gehandelt hat. Denn es ist unstreitig, daß der Beklagte zu 1.) zunächst in die P-straße
hatte abbiegen wollen und deswegen den Blinker gesetzt hatte. Aufgrund anderen
Entschlusses ist er dann jedoch weiter geradeaus gefahren. Daher kann kein
Anscheinsbeweis für eine Verursachung durch die Klägerin herangezogen werden.
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b) Zu Lasten des Beklagten zu 1.) ist in die Abwägung über die Betriebsgefahr hinaus
einzustellen, daß dieser sich mißverständlich und unklar verhalten hat. Er hat unstreitig
seinen rechten Blinker gesetzt und ist mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h
gefahren, um abzubiegen. Hiermit hat er ein Verhalten gezeigt, welches geeignet ist,
beim Wartepflichtigen ein Vertrauen auf den alsbald erfolgenden Abbiegevorgang
hervorzurufen. Denn wenn ein vorfahrtberechtigter Kraftfahrer anzeigt, daß er nach
rechts abbiegen will, so genießt der Wartepflichtige, der auf die Vorfahrtstraße
einbiegen will, unbeschadet seiner grundsätzlichen Wartepflicht, die auch durch
verkehrswidriges Verhalten des Vorfahrtberechtigten nicht entfällt, Vertrauensschutz,
(OLG Dresden, VersR 1995, 234; LG Kiel DAR 2000, 123 f.; OLG Düsseldorf DAR 1977,
161; KG Berlin DAR 1990, 142 f.; OLG Hamm VersR 1975, 161 ; OLG Hamburg VersR
1966, 195 f.; OLG Hamm DAR 1991, 270). Umstritten sind in der Rechtsprechung zwar
die Voraussetzungen, unter denen der Wartepflichtige auf eine angekündigte
Fahrtrichtungsänderung vertrauen darf. Z.T. wird vertreten, der Wartepflichtige dürfe
bereits dann darauf vertrauen, der Vorfahrtsberechtigte werde abbiegen, wenn dieser
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sein Blinklicht gesetzt hat, (vgl. Nachweise bei OLG Hamm DAR 1991, 130; OLG
Düsseldorf DAR 1977, 161). Z.T. wird verlangt, daß der Vorfahrtsberechtigte gleichzeitig
durch ein anderes Verhalten wie z.B. deutlich erkennbare Verringerung der
Geschwindigkeit seine Abbiegeabsicht angezeigt hat, (OLG Hamm DAR 1991, 130
m.w.N.). Im vorliegenden Fall muß dieser Streit nicht entschieden werden, da bereits
nicht feststeht, ob der Beklagte zu 1.) seinen Blinker so rechtzeitig wieder
hereingenommen hat, daß die Klägerin dies bei gehöriger Sorgfalt und Beobachtung
seines Fahrverhaltens hat erkennen können und den Schluß hat ziehen müssen, daß
der Beklagte zu 1.) nun doch nicht mehr abbiegen wird. Es verbleibt jedoch in jedem
Fall ein in die Abwägung einzustellendes mißverständliches, irreführendes Verhalten
des Beklagten zu 1.) im Straßenverkehr, welches ihn zu anschließender besonderer
Aufmerksamkeit verpflichtet hat.
Zu Lasten der Klägerin ist in die Abwägung über die Betriebsgefahr hinaus einzustellen,
daß sie objektiv eine Vorfahrtsverletzung begangen hat. Nicht nachgewiesen ist
hingegen, daß sie bei normaler Vorsicht und Aufmerksamkeit hat bemerken müssen,
daß der Blinker des Beklagten zu 1.) bereits einige Meter vor der Einmündung nicht
mehr gesetzt war. Immerhin musste sie als Linksabbieger auch den Gegenverkehr
beobachten. Zudem hat sie behauptet, der Beklagte zu 1.) habe bis zur Einmündung
geblinkt und den Blinker nicht etwa zeitig wieder hereingenommen.
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Angesichts dieser feststehenden Verursachungsbeiträge der Parteien ist nach
Auffassung der Kammer eine hälftige Schadensteilung angemessen, da ein
überwiegendes Verschulden oder eine überwiegende Verursachung auf der einen oder
anderen Seite nicht festgestellt werden kann. Daher kann die Klägerin von den
Beklagten 50 % der ihr durch den Unfall entstandenen Schäden ersetzt verlangen.
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4.) Die von der Klägerin behauptete Schadenshöhe von insgesamt 8.484,59 DM an
Reparaturkosten, Mietwagenkosten, Sachverständigengebühren und Nebenkosten ist
zwischen den Parteien unstreitig, so daß sich der Anspruch der Klägerin wie folgt
berechnet:
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8.484,59 DM x 50 % = 4.242,30 DM
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abzügl. bereits gezahlter 2.814,86 DM
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1.427,44 DM (= 729,84 €)
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5.) Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284, 288 BGB.
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Anlaß, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Gegenstandswert:
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1. Instanz: 2.898,89 € (= 5.669,73 DM)
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2. Instanz: 1.806,69 € (= 3.533,58 DM)
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