Urteil des LG Bonn vom 08.06.2010
LG Bonn (treu und glauben, verjährungsfrist, erhebliche bedeutung, kläger, umtausch, höhe, verjährung, zpo, nominalwert, billigkeit)
Landgericht Bonn, 8 S 46/09
Datum:
08.06.2010
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
8. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 S 46/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 15 C 327/08
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Bonn
vom 03.02.2009 – 15 C 327/08 – teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von
49,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.08.2008, einen weiteren Betrag für
die gezogenen Nutzungen in Höhe von 39,60 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
14.08.2008 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von
89,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.08.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
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I.
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Die Darstellung des Tatbestandes entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
Da die Revision nicht zugelassen wurde und der für die Nichtzulassungsbeschwerde
nach § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht ist, ist ein
Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
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1.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 346 S. 1 BGB aF auf
Auszahlung der auf den streitgegenständlichen Telefonkarten gespeicherten
Guthabenbeträge in Höhe von insgesamt 49,08 € zu.
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a)
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Die aus § 286 Abs. 2 BGB aF bzw. § 326 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB aF folgenden
Voraussetzungen für einen Rücktritt von den Telefonkartenverträgen lagen vor.
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aa)
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Die Beklagte befand sich im Zeitpunkt der Abgabe der Rücktrittserklärung durch den
Kläger am 28.07.2008 in Verzug.
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(1)
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Das Amtsgericht ist unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu
Recht davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Umtausch der
streitgegenständlichen Telefonkarten hatte. Denn mit Urteil vom 24.01.2008 – III ZR
79/07 hat der Bundesgerichtshof die Beklagte aufgrund einer ergänzenden
Vertragsauslegung nur deshalb für berechtigt gehalten, gemäß § 315 BGB die
Gültigkeitsdauer der unbefristeten Telefonkarten der ersten Generation nachträglich zu
beschränken, weil den Interessen des durchschnittlichen Erwerbers dadurch
hinreichend Rechnung getragen worden sei, dass ihm zugleich das Recht eingeräumt
worden sei, die bei Ablauf der Geltungsdauer gesperrten, noch nicht verbrauchten
Telefonkarten unter Anrechnung des Restguthabens unbefristet gegen gültige
Telefonkarten umzutauschen (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.2008 – III ZR 79/07, juris Rn. 10ff.;
ebenso BGH, Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 10).
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(2)
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Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts war der Anspruch auf Umtausch der
streitgegenständlichen Telefonkarten am 28.07.2008 noch nicht verjährt. In seinem
Urteil vom 11.03.2010 – III ZR 178/09 hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass eine
Verjährung dieses Anspruchs nicht vor dem 01.01.2012 eintrete. Dabei könne auf sich
beruhen, ob es sich bei dem Umtauschanspruch um einen verhaltenen Anspruch
handele. Die ergänzende Vertragsauslegung, aufgrund derer die Beklagte für berechtigt
gehalten worden sei, die Laufzeit der ursprünglich unbefristet geltenden Telefonkarten
durch einseitige Leistungsbestimmung gemäß § 315 BGB zu begrenzen, sei vielmehr
dahingehend fortzuführen, dass die Beklagte den Telefonkarteninhabern für den an die
Stelle des Telefonieranspruchs getretenen Umtauschanspruch unter Berücksichtigung
der Billigkeit und der beiderseitigen Interessen eine längere als die in Art. 229 § 6 Abs. 4
S. 1 EGBGB bestimmte Verjährungsfrist eingeräumt hätte, wenn die Frage der
Verjährung bedacht worden wäre. Denn ein redlicher und verständiger
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Leistungsbestimmungsberechtigter, der gebührend auch auf die berechtigten Belange
seines Vertragspartners Rücksicht nimmt, hätte in Anbetracht der durch das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vorgesehenen Ersetzung der regelmäßigen
dreißigjährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB aF) durch eine dreijährige Verjährungsfrist
in Rechnung gestellt, dass die dadurch bewirkte Verkürzung der Verjährungsfrist für den
Umtauschanspruch nicht der Billigkeit nach § 315 Abs. 1 und 3 BGB entsprochen hätte.
In Abwägung der widerstreitenden Interessen und unter Einbeziehung der in § 199 Abs.
2 – 4 BGB enthaltenen gesetzlichen Wertungen hätte er für den Umtauschanspruch
vielmehr eine Verjährungsfrist von zehn Jahren entsprechend § 199 Abs. 4 BGB
vorgesehen (vgl. BGH, Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 14ff.).
(3)
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Eine Mahnung war in dem vorliegenden Fall nicht erforderlich, da die Beklagte die
Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 61.
Aufl. 2002, § 284 Rn. 35; Erman/Battes, BGB, 10. Aufl. 2000, § 284 Rn. 35). In diesem
Zusammenhang kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darauf an, dass der
Kläger, zuletzt mit Schreiben vom 26.03.2008 (vgl. Bl. 70ff. GA), den Umtausch seiner
Telefonkarten der ersten Generation durch Ausgabe von Telefonkarten aus der
aktuellen Produktion mit einem Nominalwert von 5 € verlangt hat, obwohl er wohl nur
die Ausgabe von sogenannten Umtauschkarten mit einem Nominalwert von 20 €
beanspruchen kann (vgl. für den Inhalt des Umtauschanspruchs BGH, Urt. v. 11.03.2010
– III ZR 178/09, juris Rn. 22; LG Nürnberg-Fürth, Vfg. v. 06.07.2006 – 9 O 9377/04 (Bl.
198 GA)). Denn die Beklagte hat durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom
04.04.2008 (vgl. Bl. 74f. GA) erklärt, dass der Umtausch abgelehnt werde, weil der
dahingehende Anspruch mit Ablauf des 31.12.2004 verjährt sei. Da aus der Sicht der
Beklagten somit die Verjährung der maßgebliche Grund für die Ablehnung des
Anspruchs war, hat sie aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers zugleich
zu verstehen gegeben, dass sie die Telefonkarten der ersten Generation auch nicht in
sogenannte Umtauschkarten mit einem Nominalwert von 20 € umtauschen werde. Darin
liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung (ebenso in einem
Parallelfall OLG Köln, Urt. v. 03.06.2009 – 11 U 213/08, juris Rn. 12; nicht beanstandet
durch BGH, Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 22).
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(4)
18
Der Eintritt des Verzugs war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte das
Unterbleiben der Leistung gemäß § 285 BGB aF nicht zu vertreten hatte. Die Beklagte
befand sich bei ihrer Berufung auf die Einrede der Verjährung nicht in einem
unverschuldeten Rechtsirrtum. An das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums
werden strenge Anforderungen gestellt. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig
prüfen und, soweit erforderlich, Rechtsrat einholen. Die höchstrichterliche
Rechtsprechung ist zu beachten (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 285 Rn. 4f.).
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Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass in der Zeit vor der Rücktrittserklärung am
28.07.2008 die – mangels Befassung des Bundesgerichtshofs mit der Frage der
Verjährung – maßgebliche instanz- und obergerichtliche Rechtsprechung einhellig
davon ausgegangen ist, dass der Anspruch auf Umtausch der Telefonkarten der ersten
Generation mit Ablauf des 31.12.2004 verjährt war (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v.
22.02.2007 – 12 U 1636/06 (vgl. Bl. 161ff. GA); LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 22.06.2006 –
9 O 6942/05 (vgl. Bl. 155ff. GA); LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 30.07.2007 – 9 O 4169/05
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(vgl. Bl. 524ff. GA)).
Auf die vorgenannte Rechtsprechung durfte sich die Beklagte im Lichte der bis zu
diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gleichwohl
nicht verlassen.
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So hat der Bundesgerichtshof – worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat – bereits in
seinem Urteil vom 24.01.2008 – III ZR 79/07 von einem unbefristeten Recht der Kunden
zum Umtausch der Telefonkarten, deren Gültigkeitsdauer nachträglich von der
Beklagten beschränkt ist, gesprochen (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.2008 – III ZR 79/07, juris
Rn. 16). Mit einem solchen unbefristeten Recht verträgt sich die Anwendung der
regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB von
vornherein nur äußerst schwer. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass durch
das im Jahr 2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz die
regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren auf 3 Jahre abgesenkt worden ist.
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Der Bundesgerichtshof hat in dem vorgenannten Urteil zudem ausgeführt, dass
angesichts einer fehlenden vertraglichen Regelung der Frage, ob und unter welchen
Voraussetzungen die Beklagte die Geltungsdauer der Telefonkarten der ersten
Generation beschränken durfte, eine ergänzende Vertragsauslegung zu erfolgen habe.
Bei der Ergänzung des Vertragsinhalts sei darauf abzustellen, was redliche und
verständige Parteien in Kenntnis der Regelungslücke nach dem Vertragszweck und bei
sachgemäßer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben
vereinbart hätten. In Bezug auf die vor 1998 abgeschlossenen Telefonkartenverträge sei
davon auszugehen, dass sich die Parteien dahingehend geeinigt hätten, dass die
Beklagte entsprechend § 315 Abs. 1 BGB berechtigt sein sollte, die Gültigkeitsdauer der
Telefonkarten nachträglich entsprechend der Billigkeit anzupassen, und im Gegenzug
den Kunden ein unbefristetes Recht zum Umtausch der gesperrten Telefonkarten gegen
aktuelle Telefonkarten mit gleichem Guthabenwert einräumen musste (vgl. BGH, Urt. v.
24.01.2008 – III ZR 79/07, juris Rn. 16). Der Beklagten war damit seit Anfang des Jahres
2008 bekannt, dass der Bundesgerichtshof die Beschränkung der Geltungsdauer der
Telefonkarten der ersten Generation als Ausübung eines einseitigen
Leistungsbestimmungsrechts gemäß § 315 BGB einordnet und dementsprechend die
Ausgestaltung des Umtauschrechts der Kunden insbesondere auch in zeitlicher
Hinsicht unter dem Gesichtspunkt prüft, ob die Leistungsbestimmung nach billigem
Ermessen getroffen worden ist. Ihr musste somit bereits zu diesem Zeitpunkt klar sein,
dass im Rahmen dieser Prüfung den Interessen der Kunden eine erhebliche Bedeutung
zukommt. Ferner musste ihr bewusst sein, dass sie das Risiko einer Unbilligkeit der von
ihr getroffenen Leistungsbestimmung trägt (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 315
Rn. 19).
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Angesichts dieser beiden Gesichtspunkte konnte die Beklagte nicht ohne weiteres
davon ausgehen, dass der Bundesgerichtshof die instanz- und obergerichtliche
Rechtsprechung, die die Interessen der Kunden nicht in ausreichendem Maße in den
Blick genommen hat, billigen wird. Vielmehr musste sie ernsthaft damit rechnen, dass
der Bundesgerichtshof von einer längeren Verjährungsfrist als der regelmäßigen
Verjährungsfrist ausgehen wird. Selbst wenn die Beklagte ihre entgegenstehende
Rechtsansicht sorgfältig gebildet haben sollte, hat sie insoweit auf eigenes Risiko
gehandelt, so dass ein unverschuldeter Rechtsirrtum nicht angenommen werden kann.
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bb)
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Die Leistung, d.h. der Umtausch der streitgegenständlichen Telefonkarten, war zudem –
wie in § 286 Abs. 2 BGB aF vorausgesetzt – infolge des Verzugs für den Kläger bereits
deshalb nicht mehr von Interesse, weil die Möglichkeiten zum Einsatz der Karten
erheblich eingeschränkt worden sind.
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b)
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Mit Schreiben vom 28.07.2008 hat der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt
von den Telefonkartenverträgen erklärt.
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2.
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Infolge des Rücktritts schuldet die Beklagte nicht nur die Rückzahlung des
Guthabenwerts der Telefonkarten, sondern auch als Nutzungsersatz dessen
Verzinsung. Der Anspruch, der sich auf 39,60 € beläuft, folgt aus § 347 S. 2 BGB aF
i.V.m. § 987 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 11.03.2010 – III ZR 178/09, juris Rn. 23).
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3.
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Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus
§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB. Da er sich aber nicht auf 90 €, sondern auf
lediglich 89,25 € beläuft, war die Klage im Übrigen abzuweisen.
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4.
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Die Pflicht zur Verzinsung der unter 1. – 3. dargestellten Ansprüche folgt aus §§ 291,
288 Abs. 1 S. 2 BGB.
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5.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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6.
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Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO bestand keine
Veranlassung. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine
Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Streitwert: 49,08 €
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