Urteil des LG Bonn vom 27.01.2010

LG Bonn (kläger, positive feststellungsklage, haftung, bezifferung, unfall, verhalten, verletzung, grenze, höhe, schwere)

Landgericht Bonn, 2 O 238/09
Datum:
27.01.2010
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
2. Zivilkammer des Landgerichts Bonn
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 238/09
Schlagworte:
Deliktshaftung bei einem Fußballspiel - Juxturnier
Normen:
BGB § 823 Abs. 1
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer
Verletzung, die er am 21.01.2006 bei einem Fußball-Juxturnier ("F-Cup 20##") in einer
Sporthalle in M erlitt. Das vom Sportverein D #### e.V. ausgerichtete Turnier fand in
einer Halle statt. Das Spielfeld maß 40 x 20 m, die Entfernung zwischen Mittellinie und
Strafraum betrug 11 m.
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Bei diesem Juxturnier galten teils von den DFB-Regeln abweichende Spielregeln.
Danach betrug die Spielzeit pro Spiel jeweils 10 Minuten. Eine weitere Besonderheit
bestand darin, dass einem Spieler, der zuvor ein Tor erzielt hatte, die Möglichkeit
gegeben wurde, durch einen sog. "Penalty" einen weiteren Treffer zu erzielen. Bei der
Durchführung des "Penalty" durfte der Torwart sich nur innerhalb des
Handballkreises/Strafraums aufhalten. Der Spieler selbst startete von der Mittellinie aus
in Richtung Tor. Die gegnerischen Spieler durften dem Torwart während des "Penalty"
nicht zur Hilfe kommen. Nach den Regeln galt ein "Penalty" als abgewehrt, sobald der
Torwart den Ball berührte oder der Ball an den Pfosten bzw. die Latte ging. Nach einem
"Penalty" war eine unmittelbare Spielfortsetzung vom Torwart aus vorgesehen.
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Zu einem solchen "Penalty" kam es auch im Spiel zwischen den Mannschaften des
Klägers und des Beklagten. Der Kläger war dabei Torwart, der Beklagte der den
"Penalty" ausführende Feldspieler. Bei der Ausführung des "Penalty" kam es zu einem
Zusammenstoß des Beklagten mit dem Kläger. Dabei traf der Beklagte den Kläger mit
einem Bein in die linke Gesichtshälfte. Die genauen Umstände des Zusammenstoßes
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sind zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger wurde erheblich verletzt. Er erblindete als Folge einer schwellungsbedingten
Schädigung des linken Sehnervs auf dem linken Auge und erlitt zahlreiche weitere
Verletzungen, u.a. Frakturen am Jochbein und Nasenbein, verbunden mit einem
heftigen Nasenbluten. Wegen der Einzelheiten der Verletzungen wird Bezug
genommen auf die Ausführungen unter Ziffer 3 a) und c) des klägerischen Schriftsatzes
vom 22.06.2009, Bl. 2-3 d.A. Der Kläger war einige Tage bewusstlos und musste bis
zum 02.02.06 stationär behandelt werden. Der Verlust des Augenlichts hat sich bislang
nicht revidieren lassen.
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Ein durch die Versicherung des Turnierveranstalters in Auftrag gegebenes Gutachten
stellte bei dem Kläger eine 55-prozentige Invalidität fest. Die Versicherung zahlte
daraufhin an den Kläger einen Betrag von insgesamt 28.000,- €.
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Vor dem Unfall war der Kläger Inhaber eines Taxiunternehmens. Den Betrieb gab er
nach dem Unfall auf.
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Der Kläger behauptet, der Beklagte habe sich den Ball bei der Durchführung des
"Penalty" zu weit vorgelegt. Der Beklagte habe zunächst den Ball ab Mittellinie leicht
gespielt. Ein zweiter Ballkontakt sei etwa auf der Kreislinie erfolgt. Von dort habe der
Beklagte den Ball noch einmal 2-3 m weitergespielt. Dabei habe er den Ball wohl nicht
richtig getroffen, so dass dieser – aus Sicht des Beklagten – nach links so in Richtung
Strafraum geraten sei, dass der Beklagte ihn auf keinen Fall mehr habe einholen
können. Es habe sich damit eine Spielsituation ergeben, in der der Beklagte keine
Chance mehr gehabt habe, den Ball vor ihm zu berühren. Obwohl zwischen ihnen im
Moment der Ballaufnahme ein Abstand von ca. fünf Meter bestanden habe, habe der
Beklagte mit gestrecktem Bein zum Sprung in Richtung des Balls angesetzt. Er selbst
habe, als Torwart hinfallend, den Ball hinter sich begraben. Während er bereits dabei
gewesen sei, sich wieder aufzurichten, habe der Beklagte ihn im Gesicht getroffen. Den
Strafraum habe er dabei die ganze Zeit nicht verlassen.
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Der Kläger behauptet weiter, er habe als Unternehmer 11 Fahrzeuge gehabt (6 Taxen, 5
Mietwagen). Nach dem Tatgeschehen habe er nicht mehr nachts Taxi fahren können,
habe auch keine Reparaturarbeiten mehr durchführen können. Er habe nicht mehr alle
Fahrer stichprobenartig kontrollieren können. Daher sei er gezwungen gewesen, seinen
Betrieb aufzugeben. In den Jahren zuvor habe er einen Nettogewinn von 90.000,- € bis
100.000,- € pro Jahr gemacht. Seinen entgangenen Gewinn könne er noch nicht
beziffern, weil die gesamten Unterlagen bei der Steuerfahndung unauffindbar
verlorengegangen seien. Er schätze den entgangenen Gewinn aber auf 67.500,- € für
das Jahr 2006 und 45.000,- € für das Jahr 2007.
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Er sei aktuell nicht krankenversichert. Er habe 120,42 € für die Behandlung in einer
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie aufwenden müssen. Zusätzlich seien ihm
weitere nicht von Dritten übernommene Heilbehandlungskosten entstanden. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Auflistung unter Ziffer 4 des klägerischen Schriftsatzes vom
22.06.2009, Bl. 3 f. d.A. verwiesen.
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Er leide unfallbedingt an dauerhaften Schmerzen, könne nicht mehr durchschlafen, sich
nicht länger als 2 Stunden auf etwas konzentrieren. Der Kläger hält ein Schmerzensgeld
von mindestens 100.000,00 € für angemessen.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 120,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung (16.07.2009) zu
zahlen;
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche noch nicht erfassten
Schäden, die aus dem Ereignis vom 21.01.2006 entstanden sind und künftig
entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere
Dritte übergegangen sind oder übergehen;
3. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes
Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 21.01.2006 zu zahlen;
4. a) den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine der Höhe nach in das Ermessen das
Gerichts gestellte Schmerzensgeldrente, zahlbar ab dem 01.02.2006, im Übrigen
vierteljährlich im Voraus bis zum 31.03.2025 zu zahlen;
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b) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche
immateriellen Schäden, die aus dem Ereignis vom 21.01.2006 künftig
entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger
oder andere Dritte übergehen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte behauptet, er sei von der Mittellinie aus den Ball führend auf den Kläger
zugelaufen und habe nach einer Körpertäuschung nach rechts versucht, mit dem
rechten Fuß den Ball links am Kläger vorbeizuspielen. Der Kläger habe sein Tor
verlassen und habe sich außerhalb des Handballkreises quer dem Ball entgegen
geworfen. Dieses Hervortreten aus dem Handballkreises, das unstreitig nach den
Spielregeln verboten war, habe zu dem Zusammenstoß geführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Erklärungen
der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2009 (Bl. 61-63 d.A.) sowie auf
die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C, P, O, W, H und N.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 16.12.2009, Bl. 63-70 d.A., verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 2) bereits unzulässig, im Übrigen ist sie
zulässig, aber unbegründet.
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Der Antrag zu 2) ist unzulässig. Der Kläger hat die Voraussetzungen eines
Feststellungsinteresses, § 256 ZPO, nicht dargetan. Das Feststellungsinteresse für eine
positive Feststellungsklage fehlt, wenn dem Kläger die Bezifferung der Ansprüche,
deren Bestehen er festgestellt wissen will, möglich und zumutbar ist (BGH NJW 2006,
248 ff.). Dies ist hier der Fall. Zum einen nimmt der Kläger in der Klageschrift
ausdrücklich eine Bezifferung der Heilbehandlungsaufwendungen vor, für die er die
Einstandspflicht des Beklagten feststellen lassen möchte. Zum anderen vermag die
Kammer den Ausführungen des Klägers dazu, warum ihm eine Bezifferung des geltend
gemachten entgangenen Gewinns nicht möglich ist, nicht zu folgen. Denn selbst wenn
die eigenen Unterlagenexemplare des Klägers bei den zuständigen Finanzbehörden
unauffindbar sein sollten, so gibt es dennoch zumutbare Möglichkeiten einer Bezifferung
für den Kläger. Finanzbehörden verfügen regelmäßig selbst über eigene Unterlagen
über Steuerpflichtige, in diese Unterlagen kann der Kläger Einsicht nehmen.
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Hinsichtlich der Anträge zu 1), 3), 4a) und 4 b) ist die Klage unbegründet.
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Dem Kläger stehen gegen den Beklagten wegen des Vorfalls vom 21.06.2006 keine
Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB, der einzig in Betracht kommenden
Anspruchsgrundlage, zu.
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Denn dem Beklagten kann kein Schuldvorwurf gemacht werden. Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich die erkennende Kammer anschließt, setzt
die Haftung eines Sportlers aus § 823 Abs. 1 BGB den Nachweis voraus, dass dieser
schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei einen
anderen verletzt hat (vgl. BGHZ 58, 40, 43; BGHZ 63, 140, 142; BGHZ 154, 316, 323;
BGH VersR 1957, 290). Damit scheidet eine Haftung zunächst in den Fällen aus, in
denen sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem - bei jeder Sportausübung zu
beachtenden - Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners Verletzungen
zuzieht (vgl. BGHZ 63, 140, 143; BGHZ 154, 316, 323; OLG Köln, VersR 1994, 1072).
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Aber auch regelwidriges Verhalten eines Sportlers, durch das ein Mitspieler verletzt
worden ist, begründet nicht in jedem Fall eine Haftung des Verletzers. Denn die
Sorgfaltsanforderungen an den Teilnehmer eines Wettkampfs bestimmen sich nach den
besonderen Gegebenheiten des Sports, bei dem sich der Unfall ereignet hat (vgl. BGHZ
58, 40, 43; BGH VersR 1976, 775, 776). Sie sind an der tatsächlichen Situation und den
berechtigten Sicherheitserwartungen der Teilnehmer des Wettkampfes auszurichten
(vgl. BGHZ 63, 140, 142 ff.; BGH, VersR 2009, 1677 f.; OLG Düsseldorf VersR 1996,
343 f.). Die Eigenart des Fußballspiels als Kampfspiel zwingt den Spieler oft, im
Bruchteil einer Sekunde Chancen abzuwägen und Risiken einzugehen. Es stellt hohe
Anforderungen an die physische und psychische Kraft, an Schnelligkeit,
Geschicklichkeit und körperlichen Einsatz (BGH VersR 1976, 591; OLG München, Urt. v.
25.02.2009, Az. 20 U 3523/08, Tz. 38 – zitiert nach juris).
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Ein Schuldvorwurf ist daher nur dann berechtigt, wenn die durch den Spielzweck
gebotene bzw. noch gerechtfertigte Härte die Grenze zur Unfairness überschreitet.
Solange sich das Verhalten des Spielers noch im Grenzbereich zwischen
kampfbetonter Härte und unzulässiger Unfairness bewegt, ist ein Verschulden trotz
objektiven Regelverstoßes nicht gegeben (BGH, VersR 1976, 591; NJW 2008, 1591;
OLG Hamm, VersR 1999, 1115).
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Hier steht aufgrund der Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass
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der Beklagte einen solchen qualifizierten Regelverstoß, der die Grenze zur Unfairness
überschreitet, begangen hat.
Dabei hat die Beweisaufnahme zunächst weder die klägerische Behauptung, der
Beklagte sei mit gestrecktem Bein in Richtung des Klägers gesprungen, noch die vom
Beklagten in der mündlichen Verhandlung erläuterte Darstellung, der Kläger sei ihm
zwei Meter vor dem Torwartraum mit erhobenen Händen entgegengesprungen,
bestätigt. Keiner der Zeugen hat einen dieser beiden geschilderten Geschehensabläufe
bestätigt.
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Vielmehr ist der übereinstimmende Kern aller Zeugenaussagen, dass sich der Beklagte,
dem der Ball vom Schiedsrichter zur Ausführung des "Penalty" an der Mittellinie
übergeben worden war, den Ball zu weit vorlegte und sodann versuchte, diesen Ball
noch zu erreichen. Dabei prallte er mit dem Kläger, der das Tor verlassen hatte und im
Begriff war, sich zur Abwehr des Balles fallen zu lassen, zusammen. Der Beklagte traf
den Kläger dabei mit einem Teil seines rechten Beins in die linke Gesichtshälfte, der
Kläger kam nach dem Zusammenstoß schließlich etwas außerhalb des Handballkreises
zum Liegen.
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Diese von den Zeugen geschilderte Darstellung lässt nicht auf einen qualifizierten
Regelverstoß des Beklagten schließen. Ein "zu weites" Vorlegen des Fußballs stellt
schon keine Regelverletzung dar, sondern allenfalls Ungeschicklichkeit. Auch die
Tatsache, dass der Kläger durch den Zusammenprall eine schwere Verletzung erlitt,
indiziert nicht einen groben, die Grenze zur Unfairness überschreitenden Regelverstoß
des Beklagten. Die Schwere der Folge ist kein Indiz für die Schwere des
Regelverstoßes. Vielmehr können beim Fußballspiel auch bei leichten Regelverstößen
und auch bei regelgerechtem Verhalten Spieler schwer verletzt werden.
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Aus den Bekundungen der Zeugen C, P und W, der Kläger habe sich noch innerhalb
des Handballkreises befunden, als der Beklagte mit ihm zusammengeprallt sei, lässt
sich auch nicht auf einen qualifizierten Regelverstoß des Beklagten schließen. Hier gibt
die Tatsache, dass der Zeuge C im Rahmen des gegen den Beklagten eingeleiteten
Ermittlungsverfahrens noch angegeben hat, der Zusammenprall habe sich auf der
Handballlinie ereignet, bereits Anlass zu Zweifeln am Erinnerungsvermögen des
Zeugen. Selbst wenn sich der Zusammenstoß noch innerhalb der Handballlinie ereignet
haben sollte, liegt aber kein grober, die Grenze zur Unfairness überschreitender
Regelverstoß des Beklagten vor. Denn bei der Bewertung des Verhaltens des
Beklagten ist die besondere Spielsituation des "Penalty" zu berücksichtigen. Die Regel
über das "Penalty-Schießen" führt zu einer Mann – gegen – Mann – Konfrontation
zwischen Stürmer und Torwart. Sie birgt damit für beide Spieler ein erkennbar erhöhtes
Risiko, im Rahmen dieser konfrontativ ausgerichteten Spielsituation verletzt zu werden.
Im Eishockey, wo eine solche "Penalty"-Regel zum Reglement des Profi-Sports gehört,
wird die Gefahr für die beteiligten Spieler zumindest durch Schutzhelme und gepolsterte
Sportkleidung gemindert. Im Fußball, noch dazu im Amateur- und Freizeitsport in der
Halle, ist bei Anwendung einer solchen Regel das Risiko schwerer Verletzungen der
beiden sich gegenüberstehenden Spieler stark erhöht. Ein verletzungsträchtiger
Zusammenprall zwischen Stürmer und Torwart vor dem Tor, aber noch innerhalb des
Strafraums, zählt damit zu den für beide Spieler vorhersehbaren Folgen dieser
gefahrträchtigen Spielregel. Demnach mag es sein, dass, wäre der Ball nach dem
Zusammenprall der Parteien noch ins Tor gelangt, das Tor nach den Spielregeln nicht
zu werten gewesen wäre. Ein Zusammenprall innerhalb des Strafraums ist angesichts
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dieser "Penalty"-Regel aber kein grobes Foul. Der Zusammenstoß der Parteien mit der
Folge schwerer Verletzungen für den Kläger zeigt vielmehr nur die Fragwürdigkeit
dieser Regel im Amateur-Fußball auf.
Auch die Bekundungen der Zeugen C, O und N, ihrer fußballerischen Einschätzung
nach sei der Ball für den Beklagten nicht mehr zu erreichen gewesen und der Unfall
hätte vermieden werden können, wenn der Beklagte vorher abgedreht wäre, lassen
nicht auf einen qualifizierten Regelverstoß des Beklagten schließen.
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Denn für die Frage, ob der Beklagte einen Regelverstoß begangen hat, der über
kampfbetonte Härte hinausgeht und den Bereich der Unfairness erreicht, ist nicht
entscheidend, ob nach der Einschätzung von Betrachtern der Spielzug auch anders
hätte geführt werden können, womit der Zusammenstoß vermieden worden wäre.
Vielmehr kommt es für die Frage, ob der Beklagte für die dem Kläger zugefügten
Verletzungen haftet, darauf an, ob der Spielzug aus rechtlicher Sicht anders hätte
geführt werden müssen.
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Das konnte aber nicht festgestellt werden. Denn vor dem Hintergrund der konkreten
Spielsituation und der daraus folgenden Motivationslage der Spieler und ihren
technischen Fähigkeiten war der Zusammenprall für den Beklagten nicht im
Rechtssinne vermeidbar.
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Beim "Penalty-Schießen" handelt es sich um eine im höchsten Maße torgefährliche
Spielsituation, die im Zweikampf zwischen Stürmer und Torwart ausgetragen wird. Im
Hinblick auf die insgesamt sehr kurze Spielzeit von 10 Minuten ist die Verwirklichung
eines "Penalty" oder dessen Abwehr auch von spielentscheidender Bedeutung. Ein
zeitlicher Spielraum zum Ausgleich besteht bei einer derart verkürzten Spielzeit anders
als bei einem normalen Fußballspiel nur in sehr begrenztem Maße. Dies erhöht
einerseits den Erfolgsdruck für den ballführenden Spieler, tatsächlich ein Tor zu
verwandeln, andererseits für den Torwart, dieses abzuwehren und zu verhindern.
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Wegen der Kürze des Spielfeldes (11 m zwischen Mittellinie und Strafraum) spielt sich
der Angriff im Rahmen des "Penalty-Schießens" innerhalb weniger Sekunden ab.
Angesichts dieses Zeitdrucks bleiben dem Angreifer kaum Möglichkeiten zum
reflektierten Handeln. Sobald der Stürmer begonnen hat, auf das Tor zuzulaufen, ist es
ihm so gut wie unmöglich, einen bereits geplanten Angriff sofort abzubrechen, wenn der
Torwart aus dem Tor herausläuft.
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Demnach standen dem Beklagten in dieser von besonderer Anspannung geprägten
Situation nur Bruchteile von Sekunden zur Verfügung, um gegebenenfalls zu erkennen,
dass er den Ball nicht erreichen würde, und seine Laufbewegung unmittelbar zu
stoppen. Insofern ist bereits zweifelhaft, ob es dem Beklagten in dem Moment, als der
Kläger aus dem Tor herauslief, physikalisch überhaupt noch möglich war, anzuhalten
und den Angriff abzubrechen. In jedem Fall kann in der Tatsache, dass er nicht sofort
stehen blieb oder auswich, kein grobes und rücksichtsloses Verhalten gesehen werden,
zumal es sich beim Beklagten – wie auch beim Kläger – um einen Amateurfußballer mit
den entsprechenden technischen Fähigkeiten handelt.
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Letztlich haben beide Parteien in der "Penalty"-Situation zu dem tragischen Ausgang
beigetragen. Beide wollten den Ball erreichen und haben dazu auch die unmittelbare
Konfrontation und einen Zusammenprall mit dem Gegenpart nicht gescheut: Der Kläger
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warf sich zur Verhinderung des Tors in die Laufbahn des Beklagten, der Beklagte brach
den begonnenen Angriffslauf nicht unmittelbar ab. Dass in dieser Spielsituation allein
der Kläger eine derart schwere Verletzung erlitt, hing letztlich nur vom Zufall ab. Eine
Verletzung des Beklagten hätte ebenso gut eintreten können.
Da eine Haftung des Beklagten bereits dem Grunde nach nicht besteht, war auf die
Frage des Haftungsumfangs nicht näher einzugehen.
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Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Verzinsung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 S. 1, 2 ZPO.
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Streitwert: bis 150.000,- €
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