Urteil des LG Bonn vom 14.01.2005

LG Bonn: veröffentlichung, unübersichtliche stelle, straftat, ordnungswidrigkeit, strafprozessordnung, motorradfahrer, fahrzeugführer, identifizierung, leib, erleichterung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Sachgebiet:
Landgericht Bonn, 32 Qs 5/05
14.01.2005
Landgericht Bonn
2. große Strafkammer
Beschluss
32 Qs 5/05
Amtsgericht Bonn, 51 Gs 46/05
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Die Beschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.
G r ü n d e :
I.
Am 24.10.2004 befuhr ein bislang nicht identifizierter Motorradfahrer um 19.10 Uhr den H-
tunnel in Fahrtrichtung C mit einer durch das dort installierte Messgerät gemessenen
Geschwindigkeit von 130 km/h. Die örtliche zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 50
km/h. Die von der Kamera aufgenommenen Lichtbilder des Fahrers zeigen diesen lediglich
aus frontaler Perspektive mit der Folge, dass das amtliche Kennzeichen des Fahrzeugs
unerkannt blieb. Die Oberbürgermeisterin der Stadt C, Ordnungs- und Straßenverkehrsamt,
hat daraufhin beantragt, zwecks Identifizierung des Fahrers die Veröffentlichung der
vorhandenen Lichtbilder anzuordnen.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht den Antrag auf Veröffentlichung
der Beweisfotos abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für
den Straftatbestand der Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315 c StGB seien nicht
gegeben. Die allein verwirklichte – zwar erhebliche – Ordnungswidrigkeit rechtfertige nicht
die Veröffentlichung der Lichtbilder gemäß § 131 b StPO.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 03.01.2005. Diese
macht geltend, dass auch eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung, wie sie
vorliegend gegeben sei, die Anordnung der Veröffentlichung von Lichtbildern rechtfertige.
Dies ergäbe sich aus der Verweisungsnorm des § 46 Absatz 1 OWiG, nach der die
Vorschriften der StPO sinngemäß anzuwenden sind, sofern das OWiG nichts anderes
bestimmt. Mangels einer nicht normierten Ausnahme der Vorschrift des § 131 b StPO sei für
die Anordnung der Veröffentlichung von Lichtbildern das Vorliegen einer Straftat von
erheblicher Bedeutung keine zwingende Voraussetzung, vielmehr reiche eine
Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung als Anordnungsgrund aus. Im konkreten
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Fall gelte dies erst recht, weil es sich um eine Ordnungswidrigkeit von großer
Gemeinschädlichkeit handele. Derartige Ordnungswidrigkeiten seien schon aus
generalpräventiven Gründen zu verfolgen, um potentielle Täter von erheblichen
Geschwindigkeitsüberschreitungen abzuhalten, die eine latente Gefahr zu ihren oder zu
Lasten Dritter begründeten. Gerade durch die Veröffentlichung von Fahndungsfotos sei
dieses Ziel zu erreichen.
II.
Die gemäß § 46 Absatz 1 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) in Verbindung mit § 304
StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat durch
den angefochtenen Beschluss rechtsfehlerfrei den Antrag der Beschwerdeführerin auf
Veröffentlichung der Beweisfotos vom 24.10.2004 abgelehnt. Die Voraussetzungen, unter
denen eine Veröffentlichung von Lichtbildern zum Zwecke der Identitätsfeststellung in
Betracht kommt, sind vorliegend nicht erfüllt.
Nach § 131 b Absatz 1 StPO ist die Veröffentlichung von Abbildungen eines
Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, zulässig, wenn
die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten
Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert
wäre.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der bislang unbekannte Täter ist keiner
Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig. Dahinstehen kann, ob der vorliegend allein
in Betracht zu ziehende Straftatbestand der Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315 c
Absatz 1 Nr. 2 d) StGB eine Straftat von erheblicher Bedeutung darstellt. Die
tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind, wie das Amtsgericht mit
zutreffender Begründung ausgeführt hat, schon nicht erfüllt. § 315 c Absatz 1 Nr. 2 d) StGB
setzt voraus, dass der Fahrzeugführer grob verkehrswidrig und rücksichtslos u.a an
unübersichtlichen Stellen zu schnell fährt und dadurch Leib oder Leben eines anderen
Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Der von dem
Fahrzeugführer befahrene Straßenabschnitt des H-tunnels stellt indes keine
unübersichtliche Stelle dar, weil es sich um einen langgezogenen Kurvenabschnitt handelt,
der weit eingesehen werden kann, und der nicht von anderen Zufahrtswegen gekreuzt wird.
Darüber hinaus ist durch das in Rede stehende Fahrverhalten keine konkrete Gefährdung
von Personen oder Sachen von bedeutendem Wert verursacht worden. Es ist nicht einmal
ersichtlich, dass sich bestimmte Personen oder Sachen im unmittelbaren
Gefährdungsbereich des Täters befunden hätten und einer kritischen Situation ausgesetzt
worden wären.
Die mithin allein vorliegende Ordnungswidrigkeit in Gestalt eines Verstoßes gegen § 3
Absatz 3 Nr. 1 StVO (Überschreiung der innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen
Höchstgeschwingkeit von 50 km/h) rechtfertigt indes selbst bei Annahme eines
schwerwiegenden Verstoßes ebenfalls nicht die Veröffentlichung der vorhandenen
Lichtbilder zur Identifizierung des Täters. Denn eine Straftat von erheblicher Bedeutung,
wie sie § 131 b Absatz 1 StPO verlangt, ist nicht gleichzusetzen mit einer
"Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung". Die Verweisungsvorschrift des § 46
Absatz 1 OWiG stellt auch unter Berücksichtung der in dem Katalog ihrer Absätze 3 bis 6
ausdrücklich normierten Ausnahmen und Einschränkungen für das
Ordnungswidrigkeitenverfahren keine generelle Verweisungsnorm auf die Vorschriften der
Strafprozessordnung dar. Gemäß § 46 Absatz 1 OWiG gelten, sofern nicht anderes
bestimmt ist, die Vorschriften der Strafprozessordnung für das Bußgeldverfahren lediglich
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"sinngemäß".
Damit ist bereits klargestellt, dass eine Übertragung der strafprozessualen Normen auf das
Bußgeldverfahren gerade nicht in vollem Umfang in Betracht kommt. Vielmehr ist nach dem
unterschiedlichen Gewicht des Straf- und Bußgeldanspruchs und der unterschiedlich
schwerwiegenden Folgen im Straf- und Bußgeldverfahren zu entscheiden, ob bestimmte
Eingriffsbefugnisse im Bußgeldverfahren zur sinngemäßen Anwendung kommen können.
Dies hat zur Folge, dass Regelungen der Strafprozessordnung im Bußgeldverfahren
unanwendbar sind, wenn die Vorschriften schon im Strafverfahren nur bei bestimmten
Straftaten oder – wie hier im Falle des § 131 b Absatz 1 StPO – nur bei Straftaten von
"erheblicher Bedeutung" anzuwenden sind (so auch Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz,
13. Auflage, § 46 Rdn. 8). In § 131 b Absatz 1 StPO kommt die gesetzgeberische Intention
zum Ausdruck, die mit einer Lichtbildveröffentlichung zwingend verbundene Bloßstellung
eines Beschuldigten in der Öffentlichkeit nicht zugunsten der Aufklärung von geringfügigen
Straftaten, bei denen in der Regel nur vergleichsweise geringe Vermögens- bzw.
Sachschäden oder Personenverletzungen eingetreten sein werden, zuzulassen. Erst recht
muss dies gelten, wenn durch einen lediglich bußgeldbewehrten Normverstoß überhaupt
keine Schäden oder Verletzungen verursacht worden sind, wie es vorliegend der Fall ist.
Aus vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass auch die von der Beschwerdeführerin
geltend gemachten generalpräventiven Gründe und die Schwierigkeit, Motorradfahrer auf
einem Fahndungsfoto zu identifizieren, die Veröffentlichung von Fahndungsfotos nicht
rechtfertigen. Aus der Vorschrift des § 46 Absatz 3 OWiG, die bestimmte schwerwiegende
Eingriffe schlechthin untersagt, ist zudem schon insgesamt die Bewertung abzuleiten, dass
im Bußgeldverfahren von Eingriffsbefugnissen in der Regel zurückhaltend Gebrauch zu
machen ist. Die Erleichterung der Ermittlungsarbeit oder die Erzielung einer
Abschreckungswirkung in der Öffentlichkeit stellen kein Grund für die Anordnung oder
Durchführung von Zwangsmaßnahmen der Intensität des § 131 b Absatz 1 StPO dar.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 46 Absatz 1 OWiG, 473 Absatz 1 StPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Eine weitere Beschwerde ist nicht zulässig (§§ 46
Absatz 1 OWiG, 310 Absatz 2 StPO).