Urteil des LG Bonn vom 23.05.2007

LG Bonn: strasse, geschwindigkeit, amtspflicht, schmerzensgeld, vollstreckung, aufmerksamkeit, akte, sorgfalt, kreuzung, verkehrssicherheit

Landgericht Bonn, 1 O 425/06
Datum:
23.05.2007
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 425/06
Schlagworte:
Verkehrssicherungs- und -regelungspflicht einer Gemeinde
Normen:
BGB § 839
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die
Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d:
1
Die Klägerin verlangt von der beklagten Stadt nach einem gravierenden Verkehrsunfall
im Wege der Teilklage Schmerzensgeld aus behaupteter Verkehrspflicht- bzw.
Amtspflichtverletzung.
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Dem liegt Folgendes zugrunde:
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Am Samstag, dem 18.12.2004, kurz vor 21 Uhr, überquerten die damals 17 ½ - jährige
Klägerin und ihre Begleiterin in Höhe der Kreuzung T Strasse / Sstrasse in I die T
Strasse. Auf dem an die T Strasse angrenzenden Gelände befand sich seinerzeit die
Diskothek "D". Wegen der genauen örtlichen Verhältnisse wird auf die Anlagen B 1 und
B 6 verwiesen.
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Die für die Klägerin maßgebliche Fußgängerampel zeigte rot. Als sich die Klägerin noch
auf der Strasse befand, erreichte ein herannahendes Kfz vom Typ VW – Polo bei
Gelbphase (oder schon begonnen habender Rotphase) die Kreuzung und erfasste trotz
versuchter Vollbremsung die Klägerin. Diese wurde schwer verletzt. Im U Krankenhaus
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wurden bei der Klägerin neben einem offenen Femurbruch (Oberschenkelbruch) eine
Kontusions- sowie eine Subarachnoidalblutung im Schädel festgestellt sowie im
weiteren Verlauf ein toxisches Megakolon (d.h. mit Verstopftheit einhergehende
Erweiterung des Dickdarms). Die Klägerin ist seitdem wegen des Schädelhirntraumas
schwerst behindert und pflegebedürftig. Vom 28.01.2005 bis 29.11.2005 befand sie sich
zur Rehabilitation in einer neurologischen Rehabilitationsklinik. Seitdem wird die
Klägerin ambulant in einem Rehabilitationszentrum behandelt.
Für den Fahrer des VW Polo gab es (nach dem Vortrag der Klägerin) keine Möglichkeit,
den Unfall zu verhindern. Die Geschwindigkeit auf der T Strasse ist ansonsten auf 50
km/h begrenzt, jedoch war dies für den Pkw – Fahrer mangels Beschilderung nicht
erkennbar, so dass er von einer höchstzulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h
(außerörtlich) ausgehen durfte.
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In einem vorherigen Rechtsstreit (LG E , 15 O 543/05) nahm die Klägerin den Fahrer des
VW Polo sowie Halterin und Haftpflichtversicherung auf Schadensersatz in Anspruch.
Nach den Bekundungen des im dortigen Prozesses vernommenen Zeugen C ist es
samstags in dem (streitgegenständlichen) Bereich der Sstrasse / T – Strasse so, "dass
dort tausende von Leuten in der Nähe der Diskothek um diese Zeit herumschwirren."
Ohne Präjudiz verglichen die Parteien dieses Rechtsstreit sich dahin, dass die dortigen
Beklagten an die Klägerin 50.000,- € zahlen.
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Die Klägerin meint, die Beklagte als Straßenverkehrsbehörde habe ihre Pflicht verletzt,
Verkehrsteilnehmer – insbesondere Fußgänger – in diesem Verkehrsbereich
ausreichend zu schützen. Die Beklagte hätte entweder für den Verkehr in Fahrtrichtung
des VW Polos die höchstzulässige Geschwindigkeit auf 50 km/h herabsetzen oder die
Gelbphase der Ampel von 3 sec. auf 5 sec. heraufsetzen müssen. Unstreitig ist insoweit,
dass zwischen dem Ende der Gelbphase für den Fahrzeugverkehr und dem
Umspringen der Fußgängerampel auf grün noch vier sec. Wartezeit liegen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,- €
zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem (jeweiligen)
Basiszinssatz seit Klagezustellung (= 05.01.2007) zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet,
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die Klägerin und ihre Begleiterin hätten außerhalb der Fußgängerfurt, d.h. kurz vor der
Fußgängerfurt, die Strasse überquert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat die wegen des Verkehrsunfalls erwachsene Akte der
Staatsanwaltschaft E (334 Js 422/05) sowie die Akte des Vorprozesses (15 O 543/05)
beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Erörterung gemacht.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Schmerzensgeld aus dem
Unfall vom 18.12.2004 aus §§ 839, 847 BGB i.V.m. Art. 34 GG - den einzigen in Betracht
kommenden Anspruchsgrundlagen - zu.
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1.) Eine Verletzung der gem. § 9 a StrWG NW öffentlich-rechtlich ausgestalteten
Verkehrssicherungspflicht liegt nicht vor.
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a) Der Umfang der dem Verantwortlichen obliegenden Verkehrssicherungspflicht wird
von Art und Häufigkeit der Benutzung des jeweiligen Verkehrsweges und seiner
Bedeutung maßgebend bestimmt. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst die
notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Benutzer
hinreichend sicheren Zustandes der Verkehrswege. Der Sicherungspflichtige hat jedoch
nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eine Schadenseintrittsvorsorge zu treffen,
vielmehr sind nur diejenigen Maßnahmen vorzunehmen, die nach den
Sicherungserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich
Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei
bestimmungsgemäßer Benutzung drohen. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in
geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren
ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die
erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die
er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag.
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Grundsätzlich muss sich der Benutzer allerdings den gegebenen Verhältnissen
anpassen und den Verkehrsweg so hinnehmen, wie er sich ihm erkennbar darbietet.
Eine vollkommene Verkehrssicherheit, die jeden Unfall ausschließt, lässt sich jedenfalls
mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen nicht erreichen.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe lässt sich eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht nicht feststellen. Für Fußgänger, die die T Strasse queren
wollten (u.a. um die Diskothek zu erreichen), hatte die Beklagte eine Lichtzeichenanlage
eingerichtet. Dass bei Missachtung des Rotlichts die Möglichkeit bestand, von
Fahrzeugen erfasst und verletzt zu werden, war jedenfalls für eine 17 – jährige
Verkehrsteilnehmerin erkennbar. Seitens der Beklagten bestand aufgrund der
Erkennbarkeit der von dem Verkehr ausgehenden Gefahr auch keine Pflicht, die
Fußgänger in weitergehender Weise zu schützen. Daran ändert sich auch nichts
deswegen, weil samstags im Bereich der Diskothek "D" eine Vielzahl von (jungen)
Leuten unterwegs war, denn die Nutzung des durch die Lichtzeichenanlage geregelten
Fußgängerüberwegs war gleichwohl möglich.
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2.) Die Beklagte hat auch ihre Pflicht, den Verkehr in angemessener Weise zu regeln,
nicht verletzt.
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a) Zwar obliegt den Straßenverkehrsbehörden in Nordrhein - Westfalen als Amtspflicht
die Pflicht zu bestimmen, wo welche Verkehrszeichen und –einrichtungen anzubringen
sind, vgl. etwa Staudinger – Wurm, BGB, 13. Bearbeitung [2002], § 839, Rz.. 672 f.
m.w.Nw. und BGH NZV 1991, S. 147:
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"Nach §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 3 und 4 StVO bestimmen die Straßenverkehrsbehörden,
wo und welche Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen anzubringen sind. Diese
Aufgabe obliegt ihnen als Amtspflicht im Interesse und zum Schutz aller
Verkehrsteilnehmer, welche die Straße nach Art ihrer Eröffnung benutzen dürfen
(std.Rspr., zuletzt BGH VersR 1988, S. 697 m.w.Nw.). Ihrem Inhalt nach ist diese
Amtspflicht darauf gerichtet, für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu sorgen
und die Einrichtungen für die Regelung des Verkehrs so zu gestalten, dass sie ihrem
Zweck gerecht werden, den Verkehr zu erleichtern und Verkehrsgefahren zu verhüten
(Senatsurteil aaO). Hierdurch wird die Entscheidungskompetenz der
Straßenverkehrsbehörden, über die Anbringung von Verkehrszeichen und -
einrichtungen sowie über Art und Ort solcher Maßnahmen nach pflichtgemäßem
Ermessen zu befinden, inhaltlich eingeschränkt (Senatsurteile VersR 1966, 782, 784;
VersR 1967, 602, 604; VersR 1988, 697, 698)."
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b) Diese Pflicht ist jedoch nicht grenzenlos. "Die Straßenverkehrsbehörden brauchen
allerdings nur insoweit Maßnahmen zu ergreifen, als dies objektiv erforderlich und nach
objektiven Maßstäben zumutbar ist. Sie haben deshalb regelmäßig dann keine weiteren
Pflichten, wenn die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und
Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden
können. Von den Verkehrsteilnehmern wird dabei in schwierigen Verkehrslagen sogar
eine gesteigerte Aufmerksamkeit erwartet. Zudem werden Kenntnisse über besondere
Verkehrsgefahren vorausgesetzt. In derartigen Fällen ist eine Warnung nicht geboten,
weil ein Kraftfahrer mit der erforderlichen Sorgfalt etwaige Schäden durch vorsichtiges
Fahren selbst abwenden kann [...]" (Wurm, aaO., Rz. 673).
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Schließlich haben die Straßenverkehrsbehörden einen Ermessensspielraum. "Soweit
sie ... den aufgezeigten Gesichtspunkten Rechnung tragen und die Grenzen des ihnen
eingeräumten Ermessens wahren, scheidet eine Amtspflichtverletzung aus ..." (BGH
NZV 1991, S. 147 m.w.Nw.).
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Angesichts dessen kann dahinstehen, ob – wie die Klägerin meint – eine Herabsetzung
der höchstzulässigen Geschwindigkeit oder eine Verlängerung der Gelbphase sinnvoll
gewesen wäre. Die Klägerin hätte bei Beachtung des Rotlichts der Fußgängerampel
den Unfall vermeiden können.
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c) Der Anspruch der Klägerin wegen Verletzung der Pflicht, den Verkehr angemessen
zu regeln, ist auch wegen § 839 I S. 2 BGB ausgeschlossen. Bei
Amtspflichtverletzungen der Straßenverkehrsbehörde, betreffend die Verkehrsregelung,
bleibt das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB anwendbar (vgl. Wurm, aaO.,
Rz. 675). Denn insoweit nimmt die Beklagte nicht wie andere Verkehrsteilnehmer am
Verkehr teil (vgl. Wurm, aaO., Rz. 271). Dem entspricht, dass die Klägerin sich zunächst
im Vorprozess an den Pkw – Halter, der der Klägerin aus § 7 I StVG haftete, gehalten
hat. Dass sie sich diesem gegenüber auf eine vergleichsweise Beilegung des
Rechtsstreits (und möglicherweise Kürzung ihres Anspruchs) eingelassen hat, geht
nicht zu Lasten der Beklagten.
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3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
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Streitwert: 20.000,- €
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