Urteil des LG Bonn vom 07.06.2006

LG Bonn: treu und glauben, verjährungsfrist, frachtführer, klageerweiterung, vollstreckung, dvd, zugang, versandhandel, transportrecht, sicherheitsleistung

Landgericht Bonn, 5 S 14/06
Datum:
07.06.2006
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 14/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 9 C 79/05
Schlagworte:
Transportrecht, Verjährung, Hemmung durch Verhandlungen
Normen:
§§ 425 Abs. 1, 439 Abs. 3 HGB, 203 BGB
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.12.2005 verkündete
Urteil des Amtsgerichts Bonn - 9 C 79/05 - abgeändert:
Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte verurteilt,
an den Kläger 506,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
vom 13.12.2003 bis zum 31.03.2004 sowie Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2004 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu ¾ und die Beklagte
zu ¼.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung
seitens des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils
zu vollstreckbaren Betrages leistet. Der Kläger darf die Vollstreckung
seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des auf Grund des
Urteils zu vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Verlusts von vier Paketsendungen auf
Schadensersatz in Höhe von insgesamt 2.026,40 € sowie Erstattung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 144,59 € in Anspruch.
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Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Ergänzend ist folgendes festzustellen: Mit außergerichtlichem Schreiben seiner
Prozessbevollmächtigten vom 10.09.2004 ließ der Kläger der Beklagten mitteilen, die
Ablehnung deren Haftung sei nicht nachvollziehbar. Er forderte sie zugleich auf, ihm bis
zum 20.09.2004 einen Ansprechpartner zu benennen, an welchen der
Originaleinlieferungsbeleg übersandt werden könne und brachte des weiteren zum
Ausdruck, dass er davon ausgehe, eine Regulierung der von ihm erhobenen Ansprüche
werde binnen 14 Tagen nach Erhalt des Originalbelegs erfolgen. Die Beklagte erwiderte
unter dem 21.09.2004, um das Ersatzanspruchsverfahren einleiten zu können, benötige
sie eine Kopie der ursprünglichen Rechnung an den Empfänger oder einen anderen
Nachweis über den Wert des Inhalts. Der Kläger teilte mit Schreiben seiner jetzigen
Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2004 nochmals mit, der Originaleinlieferungsbeleg
befinde sich in den Unterlagen seiner anwaltlichen Bevollmächtigten und könne bei
Benennung eines Ansprechpartners jederzeit übermittelt werden. Die Beklagte reagierte
darauf mit Schreiben vom 15.10.2004, welches den Betreff "Paket mit dem Identcode:
8...../Einlieferdatum 13.12.03 von B an D" enthielt, und erklärte, da der Kläger den
Aufforderungen bezüglich der erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen sei,
sende sie die Unterlagen zu Ihrer Entlastung zurück und betrachte die Bearbeitung mit
dieser Rücksendung als abgeschlossen.
5
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen
ausgeführt: Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch in Höhe von
2.026,40 € aus §§ 425 ff. HGB zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur
Überzeugung des Gerichts fest, dass in den versandten Paketen die von Kläger
angegebene Ware enthalten war. Die Ansprüche seien auch nicht verjährt. § 439 Abs. 3
HGB und § 203 BGB seien nebeneinander anwendbar. Es sei nicht ersichtlich, warum §
439 Abs. 3 HGB gegenüber § 203 BGB lex specialis sein solle. Der Rückgriff auf die
allgemeinen Vorschriften sei geboten. Indem die Beklagte erneut in Verhandlungen mit
dem Kläger eingetreten sei, habe sie einen Vertrauenstatbestand geschaffen und müsse
sich hieran festhalten lassen. Zwar solle nach § 439 Abs. 3 HGB die anspruchstellende
Partei es nicht in der Hand haben, die Verjährung immer wieder erneut zu hemmen.
Diese Gefahr bestehe aber deshalb nicht, da ein aktives Verhalten der Gegenseite
hinzukommen müsse. Hierdurch werde der Antragsgegner nicht schlechter gestellt, da
er es in der Hand habe, ob er auf die erneute Anspruchstellung eingehe und neue
Verhandlungen anbiete. Der Kläger habe des weiteren einen Anspruch auf die
vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 144,59 €.
6
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren erstinstanzlichen
Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Sie beruft sich weiterhin auf Verjährung und ist
der Ansicht, dass die Vorschrift des § 203 BGB im Transportrecht durch § 439 Abs. 3
HGB als Spezialvorschrift verdrängt werde. § 203 BGB gelte für Ansprüche aus
Sondergesetzen, wie beispielsweise dem HGB, nur insoweit, als deren
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Verjährungsregelungen nicht abschließend seien, sondern ausdrücklich oder
stillschweigend auf das Verjährungsrecht des BGB Bezug nähmen. An einer derartigen
Bezugnahme fehle es vorliegend. Zu einem anderen Ergebnis würde aber auch die in
der Literatur vertretene Mindermeinung nicht führen, da nach dieser sich der
Ersatzberechtigte auf eine Hemmung nach § 203 BGB berufen könne, wenn die
Verjährung wegen einer Reklamation gemäß § 439 Abs. 3 HGB bereits gehemmt
gewesen und dann verhandelt worden sei. Vorliegend sei die Verjährung vor Aufnahme
etwaiger Verhandlungen aber nicht gehemmt gewesen, weil sie - die Beklagte -
jeglichen Ersatzanspruch vor der Haftbarmachung zurückgewiesen habe, so dass diese
keine verjährungshemmende Wirkung mehr habe entfalten können.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt unter Wiederholung und
Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Zurückweisung der Berufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden
Instanzen gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Urkunden und
Unterlagen sowie den Inhalt des am 12.12.2005 verkündeten Urteils des Amtsgerichts
Bonn ergänzend Bezug genommen.
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II.
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Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat in der
Sache selbst lediglich teilweise Erfolg.
11
1.
12
Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen des Verlusts des am 13.12.2003 an Herrn
H versandten Postpakets ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 500,00 € aus § 425
Abs. 1 HGB zu. Unstreitig ist dieses Paket am 13.12.2003 bei der Filiale der Beklagten
in München eingeliefert worden und bei dem Empfänger nicht eingetroffen. Dass die
Sendung eine Doppel-DVD mit dem Titel "Ocean Waves” und eine DVD Box mit dem
Titel "Nausicaa” enthielt und dem Kläger ein Schaden in Höhe von 500, -- € entstanden
ist, wird von der Beklagten in der Berufung nicht mehr in Frage gestellt.
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Der diesbezügliche Anspruch des Klägers ist nicht nach § 439 HGB verjährt.
14
Gemäß § 439 Abs. 1 HGB beträgt die Verjährungsfrist ein Jahr; ein qualifiziertes
Verschulden der Beklagten, das zu einer dreijährigen Verjährungsfrist nach § 439 HGB
führen würde, wird von dem Kläger nicht behauptet. Die Verjährungsfrist beginnt nach §
439 Abs. 2 Satz 2 HGB mit Ablauf des Tages, an welchem die Warensendung bei dem
Empfänger hätte abgeliefert werden müssen, zu laufen. Die verlustig gegangene
Paketsendung wurde am 13.12.2003 eingeliefert. Nach dem unbestrittenen Sachvortrag
der Beklagten beträgt die übliche Lieferfrist längstens zwei Werktage; die Beklagte legt
jedoch selbst angesichts des Umstandes, dass es sich bei dem 13.12.2003 um einen
Samstag handelte, sicherheitshalber eine Lieferfrist von drei Werktagen zugrunde (Bl.
57 GA). Danach hätte die Sendung spätestens am 16.12.2003 abgeliefert werden
müssen, so dass die Verjährungsfrist am 17.12.2003 zu laufen begann und nach §§ 187
Abs. 1, 188 Abs. 2 1. Alt. BGB am 16.12.2004
indes erst am 02.02.2005 - mithin nach Ablauf der Verjährungsfrist - eingereicht und am
23.02.2005 (Bl. 10 Rück GA) zugestellt worden.
15
Gemäß § 439 Abs. 3 HGB wird die Verjährung jedoch durch die schriftliche Erhebung
eines Ersatzanspruchs bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, in dem der Frachtführer die
Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt. Voraussetzung der Hemmung ist danach
eine Erklärung, aus der sich ergibt, dass Schadensersatz im Hinblick auf ein für den
Frachtführer erkennbares Schadensereignis gefordert wird (Koller, Transportrecht, 5.
Aufl., § 439 Rdnr. 33). Durch den unstreitig von dem Kläger am 17.12.2003 gestellten
Nachforschungsantrag trat daher noch keine Hemmung der Verjährung ein, da es sich
dabei - noch - nicht um ein Anspruchsschreiben handelte.
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Nach Aktenlage erhob der Kläger erstmals mit Schreiben vom 24.02.2004 (Bl. 40 GA),
der Beklagten zugegangen am 02.03.2004 (Bl. 29 GA), gegenüber dieser
Schadensersatzansprüche in Höhe von 2.011,02 €. Soweit der Kläger eingangs seines
Schreibens vom 24.02.2004 Bezug nimmt auf ein vorangegangenes Schreiben,
welches unbeantwortet geblieben sein soll, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich,
dass dieses den an ein Anspruchsschreiben i.S.d. § 439 Abs. 3 HGB zu stellenden
Anforderungen entsprach. Zeitlich zuvor hatte die Beklagte aber mit Schreiben vom
22.01.2004 eine Haftung abgelehnt. Diese bereits vor Zugang eines
Anspruchsschreibens ausgesprochene Ablehnung der Beklagten führte dazu, dass
durch das Anspruchsschreiben des Klägers vom 24.02.2004 keine Hemmung der
Verjährung nach § 439 Abs. 3 HGB eintrat. Eine schriftliche Erklärung des Frachtführers,
durch die dieser die Erfüllung des Anspruchs im Sinne des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB
ablehnt, kann schon vor der schriftlichen Erhebung des Anspruchs oder seiner
sonstigen Geltendmachung abgegeben werden (vgl. Ramming, TranspR 2002, 45, 52;
so wohl auch Koller, a.a.O., § 439 Rdnr. 44).
HGB: Die Hemmung soll den Parteien einen Anreiz bieten, sich gütlich zu einigen, weil
sie während ihrer Verhandlungen der Sorge entbunden sind, dass die Verjährungsfrist
weiterläuft (vgl. Koller, a.a.O., § 439 Rdnr. 32). Hat aber der spätere Anspruchsgegner
bereits vor der Erhebung von Schadensersatzansprüchen zum Ausdruck gebracht, dass
er eine Haftung für das Schadensereignis ablehnt, so ist in der Regel nicht zu erwarten,
dass er sich auf ein Anspruchsschreiben hin in Verhandlungen einlässt, die zu einer
gütlichen Einigung führen können. Angesichts dessen erscheint es nicht gerechtfertigt,
die Verjährung mit dem Zugang des Anspruchsschreibens - zunächst - zu hemmen und
von dem in Anspruch Genommenen eine neuerliche Zurückweisung des Anspruchs zur
Beendigung der Hemmung zu verlangen.
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Vorliegend hat der Kläger die Beklagte aber mit außergerichtlichem Schreiben seiner
Prozessbevollmächtigten vom 10.09.2004 nochmals angeschrieben und zum Ausdruck
gebracht, dass er die Beklagte weiterhin wegen der Nichtablieferung der Pakete auf
Schadensersatz in Anspruch nehme (Bl. 47 f. GA). Daraufhin hat die Beklagte unter dem
21.09.2004 (Bl. 49 GA) mitgeteilt, um das Ersatzanspruchverfahren einleiten zu können,
benötige sie noch eine Schadenmeldung über die Höhe der Ersatzforderung sowie ein
Kopie der ursprünglichen Rechnung an den Empfänger oder einen anderen Nachweis
über den Wert des Inhalts. Zwar ist durch die neuerliche Erhebung des Anspruchs keine
Hemmung der Verjährung nach § 439 Abs. 3 HGB eingetreten. Denn wenn der
Frachtführer den Anspruch einmal abgelehnt hat, hemmt eine weitere Reklamation, die
denselben Ersatzanspruch zum Gegenstand hat, die Verjährung nicht erneut (§ 439
Abs. 3 S. 2 HGB).
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Jedoch ist die Beklagte durch ihr Schreiben vom 21.09.2004 in Verhandlungen über den
Anspruch eingetreten, so dass die Verjährung nach § 203 BGB gehemmt worden ist.
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Der Begriff des Verhandelns ist weit auszulegen (vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, 65.
Aufl., § 203 Rdnr. 2). Es genügt, wenn es zwischen den Parteien zu einem
Meinungsaustausch kommt, auf Grund dessen der Gläubiger davon ausgehen darf,
dass sein Begehren von der Gegenseite noch nicht endgültig abgelehnt wird (vgl.
Peters in: J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1, Allg.
Teil, §§ 164-240, Neubearb. 2004, § 203 Rdnr. 7; vgl. ferner BGH NJW-RR 2005, 1044,
1046 und NJW 2004, 1654 jeweils zu § 852 Abs. 2 BGB a.F.). Vergleichsverhandlungen
schweben daher schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt,
die dem Geschädigten die Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf
Erörterungen über die Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein. Nicht
erforderlich ist, dass dabei eine Vergleichsbereitschaft oder eine Bereitschaft zum
Entgegenkommen signalisiert wird (vgl. BGH, a.a.O.). Vorliegend hat die Beklagte durch
ihre Mitteilung, um das Ersatzanspruchverfahren einleiten zu können, benötige sie noch
eine Schadenmeldung, den Eindruck erweckt, sie werde bei Einreichung
entsprechender Unterlagen ein Ersatzanspruchsverfahren in die Wege leiten; denn
anderenfalls wäre die Bitte um Hereingabe bestimmter Unterlagen nicht
nachvollziehbar. Dadurch hat sie zugleich ihre Bereitschaft signalisiert, die
Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche zu überprüfen und ist damit in
Verhandlungen eingetreten.
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In der Literatur ist indes umstritten, ob § 203 BGB neben § 439 HGB Anwendung findet,
insbesondere ob die Verjährung auch nach schriftlicher Zurückweisung durch den
Frachtführer durch bloßes Verhandeln nach § 203 BGB neu gehemmt werden kann.
Teilweise wird angenommen, § 439 Abs. 3 HGB sei lex specialis mit der Folge, dass §
203 BGB auf alle Ansprüche gegen den Frachtführer, die § 439 HGB unterliegen, nicht
anwendbar sei (vgl. Harms, TranspR 2001, 294, 297; Heinrichs in Palandt, a.a.O., § 203
Rdnr. 1). Nach anderer Auffassung ist § 439 Abs. 3 HGB im Verhältnis zu § 203 BGB
nicht als lex specialis anzusehen, weil § 203 BGB an Verhandlungen anknüpfe und
damit, anders als § 439 Abs. 3 HGB, voraussetze, dass der Schuldner besonderes
Vertrauen geschaffen habe (vgl. Koller, a.a.O., § 439 Rdnr. 31; ders. TranspR 2001, 425,
429; Peters, a.a.O., § 203 Rdnr. 20). Deshalb soll nach § 203 BGB eine - weitere -
Hemmung jedenfalls dann eintreten, wenn es nach der Ablehnung von Ansprüchen
durch den Frachtführer zu (erneuten) Verhandlungen zwischen den Parteien kommt (vgl.
Koller, TranspR 2001, 425, 429; Ramming, TranspR 2002, 45, 53) bzw. § 203 BGB
sogar dann eingreifen, wenn die Verjährung wegen einer Reklamation nach § 439 Abs.
3 HGB bereits gehemmt war und dann verhandelt worden ist (vgl. Koller, a.a.O.;
ablehnend insoweit Ramming, a.a.O.). Ob § 203 BGB und § 439 Abs. 3 HGB - wie
Koller dies vertritt - nebeneinander anwendbar sein können, wenn während einer bereits
nach § 439 Abs. 3 HGB durch Anspruchserhebung eingetretenen Verjährungshemmung
Verhandlungen aufgenommen werden, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, da die
Verjährung vorliegend zum Zeitpunkt der Aufnahme der Verhandlungen – wie oben
ausgeführt - nach § 439 Abs. 3 HGB nicht gehemmt war. Die im Streitfall maßgebliche
Frage, ob § 203 BGB Anwendung findet, wenn eine Verjährungshemmung nach § 439
Abs. 3 HGB nicht (mehr) gegeben ist, ist nach Auffassung der Kammer zu bejahen.
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§ 439 Abs. 3 HGB enthält für diese Fallkonstellation keine abschließende Regelung.
Denn § 439 Abs. 3 HGB hat die Funktion, die Hemmungstatbestände des BGB zu
erweitern, nicht aber sie einzuengen (vgl. Koller, TranspR 2001, 425, 429; Grothe in:
Münchener Kommentar zum BGB, Band 1a, 4. Aufl., § 203 Rdnr. 12). So war auch vor
Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes anerkannt, dass die
allgemeinen Hemmungsgründe nach §§ 202 ff. BGB neben § 439 Abs. 3 HGB bestehen
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blieben (vgl. Gass in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, Band 2, § 439 Rdnr. 23). Zwar
hindert § 439 Abs. 3 S. 2 HGB den Gläubiger daran, durch den einseitigen -
gegebenenfalls wiederholten - Akt der schriftlichen Anspruchserhebung die Verjährung
beliebig oft zu hemmen. Diese Regelung wird durch § 203 BGB jedoch nicht umgangen.
Denn § 203 BGB knüpft nicht an die Geltendmachung des Anspruchs durch den
Gläubiger, sondern die Aufnahme von Verhandlungen an, welche die Mitwirkung des
Anspruchsgegners erfordert. Reagiert dieser auf eine neuerliche Erhebung des
Anspruchs nicht bzw. weist er diesen lediglich erneut zurück, so verbleibt es bei der in §
439 Abs. 3 HGB enthaltenen Regelung, dass durch die erneute Erhebung des
Anspruchs keine (weitere) Verjährungshemmung eintritt. Verhandelt der
Anspruchsgegner aber doch wieder, nachdem er den Anspruch bereits abgelehnt hat,
so steht dies zu dem Zweck des § 439 Abs. 3 HGB nicht in Widerspruch. Der
Frachtführer hat sich des Schutzes des § 439 Abs. 3 HGB selbst begeben (vgl.
Ramming, a.a.O.). Schließlich spricht auch der Normzweck des § 203 BGB, durch
welchen die ursprünglich hauptsächlich deliktischen Ansprüchen vorbehaltene
Hemmungswirkung von Verhandlungen als Ausdruck eines allgemeinen
Rechtsgedankens anerkannt und auf Ansprüche aller Art ausgeweitet wurde, für eine
Anwendung neben § 439 Abs. 3 HGB jedenfalls bei Fallkonstellationen der
vorliegenden Art (vgl. auch Koller, TranspR 2001, 425, 429; Grothe, a.a.O., § 203 Rdnr.
3).
Damit ist eine Hemmung der Verjährung bereits ab dem 10.09.2004, dem Datum des
Schreibens der anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers, eingetreten, weil sie auf
den Zeitpunkt der Geltendmachung der Ansprüche durch den Berechtigten zurückwirkt
(vgl. BGH NJW-RR 2005, 1044, 1046). Die Hemmung der Verjährung des
Schadensersatzanspruchs wegen Verlusts des an Herrn H versandten Postpakets ist
auch nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 15.10.2004 (Bl. 146 GA) beendet
wurden. Denn dieses Schreiben, in welchem die Beklagte die Fortsetzung der
Verhandlungen ablehnt, bezieht sich seinem Betreff nach allein auf das an Herrn D
versandte Postpaket mit dem Identcode: 8....., wohin gegen die an Herrn H gerichtete
Sendung den Identcode: 8..... (vgl. Bl. 6 GA) trug. Zwar endet die Hemmung der
Verjährung auch dann, wenn ein Abbruch der Verhandlungen durch
"Einschlafenlassen” erfolgt (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1044, 1046 f.). In diesem Fall
enden die Verhandlungen in jenem Zeitpunkt, in dem nach Treu und Glauben eine
Antwort der anderen Seite spätestens zu erwarten gewesen wäre (BGH NJW-RR 2005,
1044, 1047). Nachdem der Kläger unstreitig auf das Anschreiben der Beklagten vom
21.09.2004 unter dem 24.09.2004 mitgeteilt hatte, der Originaleinlieferungsbeleg könne
bei Benennung eines Ansprechpartners jederzeit übermittelt werden, war nach Treu und
Glauben eine Äußerung der Beklagten hinsichtlich der an Herrn H gerichteten Sendung
bis zum 15.11.2004 zu erwarten. Denn innerhalb dieses Zeitraums vermochte die
Beklagte zu entscheiden, ob sie - trotz Fehlens des Originaleinlieferungsbelegs - ein
Ersatzanspruchsverfahren einleiten wollte oder nicht, wie ihr Schreiben vom 15.10.2004
zeigt, und bejahendenfalls die erforderlichen Schritte in die Wege leiten sowie sich zu
ihrer Haftung jedenfalls dem Grunde nach erklären. Die Verjährungsfrist des § 439 Abs.
1 HGB begann daher am 16.11.2004 erneut zu laufen. Zu diesem Zeitpunkt waren 8
Monate und 24 Tage der Verjährungsfrist verstrichen, so dass die Verjährungsfrist am
22.02.2005 endete. Zeitlich zuvor, nämlich am 02.02.2005, war allerdings die
Klageschrift bezüglich der Schadensersatzansprüche betreffend der an Herrn H
gerichteten Sendung bereits eingereicht worden, wobei die erst am 23.02.2005 erfolgte
Klagezustellung auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung zurückwirkt. Denn die Dauer
der Verzögerung ist nicht auf ein Verhalten des Klägers zurückzuführen, sondern
23
beruhte auf dem Geschäftsablauf des Gerichts, da hier erst der Eingang der
Zahlungsanzeige abgewartet wurde, bevor die Zustellung der Klageschrift veranlasst
wurde.
2.
24
Nach § 432 Satz 1 HGB hat die Beklagte dem Kläger die aus Anlass der Beförderung
der an Herrn H gerichteten Paketsendung entrichteten Fracht, mithin 6,60 €, zu erstatten.
25
3.
26
Dagegen kann der Kläger von der Beklagten wegen des Verlusts der an seine Kunden
M, D und L versandten Postpakete keinen Schadensersatz nach § 425 Abs. 1 HGB
beanspruchen. Diese Schadensersatzansprüche, die sämtlich Gegenstand der am
29.03.2005 per Telefax bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung vom 24.03.2005
sind, sind gemäß § 439 Abs. 1 HGB verjährt.
27
Zwar ist die Verjährung auch bezüglich dieser Ansprüche zunächst dadurch gemäß §
203 BGB mit Wirkung seit dem 10.09.2004 gehemmt worden, dass die Beklagte durch
ihr Schreiben vom 21.09.2004 in Verhandlungen auch über diese Ansprüche
eingetreten ist. Die Klageerweiterung vom 24.03.2005 ist jedoch erst nach Eintritt der
Verjährung bei Gericht eingegangen. Hinsichtlich des auf dem Verlust des an Herrn D
versandten Postpakets beruhenden Schadensersatzanspruchs wurde die Hemmung der
Verjährung mit dem Zugang des Schreibens der Beklagten vom 15.10.2004 beendet, da
die Beklagte hierin weitere Verhandlung bezüglich dieses Schadensfalls ablehnte. Die
Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 HGB, von der bei Eintritt der Hemmung am
10.09.2004 8 Monate und 24 Tage verstrichen waren, begann unter Zugrundelegung
einer regelmäßigen zweitägigen Beförderungsdauer und unter Berücksichtigung, dass
es sich bei dem 16./17.10.2004 um ein Wochenende handelte, spätestens am
20.10.2004 wieder zu laufen und endete am 25.01.2005 so dass die am 29.03.2005 bei
Gericht eingegangene Klageerweiterung erst nach Ablauf der Verjährungsfrist
eingereicht worden ist. Die Schadensersatzansprüche wegen Verlusts der an die
Herren M und L versandten Postpakete verjährten mit Ablauf des 22.02.2005, mithin
gleichfalls vor Eingang der Klageerweiterung vom 24.03.2005 bei Gericht. Denn auch
insoweit sind die Verhandlungen eingeschlafen und war nach Treu und Glauben eine
Äußerung der Beklagten bis zum 15.11.2004 zu erwarten, so dass die Verjährungsfrist
am 16.11.2004 – wie oben unter Ziffer II. 1. ausgeführt weiterlief.
28
4.
29
Aus dem gleichen Grund kann der Kläger gemäß § 432 S. 1 HGB keine Erstattung der
für die Beförderung der an die Herren M, D und L adressierten Postpakete entrichteten
Fracht verlangen.
30
5.
31
Ein Anspruch aus §§ 280, 281, 286 BGB auf Ersatz nicht anrechenbarer –
vorgerichtlicher – Rechtsanwaltskosten besteht wegen Verjährung gleichfalls nicht.
Dieser Schadensersatzanspruch ist gleichfalls erstmals im Rahmen der am 29.03.2005
bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung geltend gemacht worden. § 439 HGB
erfasst aber alle Ansprüche, die vom Absender gegen den Frachtführer und seine Leute
32
erhoben werden (vgl. Koller, a.a.O., § 439 Rdnr. 2), gleichgültig, auf welchen
Rechtsgrund sie gestützt werden, sofern ein wirksamer Beförderungsvertrag
geschlossen worden ist (Koller, a.a.O., § 439 Rdnr. 3).
6.
33
Der Zinsanspruch ist nur teilweise begründet.
34
Da die Schadensersatzforderung des Klägers aus einem beiderseitigen
Handelsgeschäft resultiert, kann dieser zwar gemäß § 352, 353 HGB Zinsen vom Tag
der Fälligkeit der Schadensersatzforderung geltend machen. Die Fälligkeit des
Schadensersatzanspruchs tritt mit Eintritt des Vermögensverlusts ein (vgl. Koller, a.a.O.,
§ 425 Rdnr. 65). Der Vermögensverlust ist vorliegend mit dem Tag der Einlieferung der
an Herrn H adressierten Sendung, d.h. am 13.12.2003, eingetreten. Denn bei dem
Vertrag zwischen dem Kläger und Herrn H handelte es sich nicht um einen
Versendungskauf im Sinne des § 447 BGB mit der Folge, dass die Preisgefahr nicht
bereits in dem Moment auf den Kunden des Klägers übergehen konnte, als die
Warensendung auf den Postweg gebracht wurde. Unstreitig vertreibt der Kläger unter
der Fa. B DVD`s, CD`s und Bücher, die von den Kunden über das Internet bestellt und
dann versandt werden. Bei dem von dem Kläger betriebenen Gewerbe handelt es sich
mithin um einen Versandhandel, bei dem für den Kunden in der Regel überhaupt nicht
die Möglichkeit besteht, am Sitz der Firma das Kaufobjekt abzuholen. Im Versandhandel
stellt sich deshalb die Lieferung als Bestandteil der noch dem Verkäufer obliegenden
Leistungspflicht dar (vgl. LG Schwerin NJW-RR 2000, 868). Erfüllungsort ist im
Versandhandel daher nach der Natur dieses Kaufvertrages der Wohnort des Kunden
(vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1992, 1576, 1577;OLG Frankfurt, NJW-RR 1989, 957,
958; Krüger in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. 2003, § 269 Rdnr. 20). Im
übrigen ist § 447 BGB beim Verbrauchsgüterkauf nicht anwendbar (vgl. § 474 Abs. 2
BGB).
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Jedoch können aus § 353 HGB Zinsen nur in Höhe von fünf Prozent gefordert werden
(vgl. § 352 Abs. 1 S. 1 HGB).
36
Dagegen kann der Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz nach §§ 280, 286, 288 Abs. 1 BGB erst ab Verzugseintritt verlangen.
Verzug ist vorliegend am 01.04.2004 eingetreten, da der Kläger die Beklagte unter dem
24.02.2004 unter Fristsetzung bis zum 31.03.2004 zur Zahlung aufgefordert hat (vgl. Bl.
40 GA). Einen Zinssatz in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz kann der
Kläger nicht nach § 288 Abs. 2 BGB beanspruchen. Denn der Mindestzins des § 288
Abs. 2 BGB bezieht sich nur auf Entgeltforderungen (vgl. Grüneberg in Bamberger/Roth,
BGB, Aktualisierung 2004, § 288 Rdnr. 5), d.h. auf Forderungen, die auf die Zahlung
eines Entgelts für die Lieferung von Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen
gerichtet sind (vgl. Grüneberg, a.a.O., § 286 Rdnr. 40). Schadensersatz- sowie
Bereicherungsansprüche stellen dagegen keine Entgeltforderungen dar (vgl.
Grüneberg, a.a.O., § 286 Rdnr. 40).
37
7.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.
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Die Kammer lässt die Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu, da die Rechtssache im
Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 203 BGB grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtsfragen auf, die in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten können.
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Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 2.026, -- €
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