Urteil des LG Bonn vom 28.03.2007

LG Bonn: treu und glauben, bauschutt, gebäude, asbest, einbau, entsorgung, wagnis, bauvertrag, haus, nachkriegszeit

Landgericht Bonn, 1 O 259/05
Datum:
28.03.2007
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 259/05
Schlagworte:
Keine zusätzliche Vergütung für Leistungen, die bei funktionaler
Leistungsbeschreibung mit dem vereinbarten Preis abgegolten sind. (
Abweichung von LG Stralsund IBR 2005,464 )
Normen:
VOB/B § 2 Nr. 6
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
jeweils zu vollsteckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger - Insolvenzverwalter über das Vermögen der W - verlangt von der Beklagten
zusätzlichen Werklohn aus Bauvertrag. Streitig ist allein der auf § 2 Nr. 6 VOB/B
gestützte Nachtrag Nr. 3 zum Bauvertrag.
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Dem liegt Folgendes zugrunde.
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Aufgrund des Angebots der X vom 08.06.2004 beauftragte die Beklagte die X am
25.06.2004 u.a. mit dem Abbruch und der Entsorgung des Hauses C des C in der Y -
Strasse in D . Dazu hieß es in dem Leistungsverzeichnis (Ziffer 1.2.10 am Ende):
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"Das komplette Gebäude inkl. aller Keller, Fundamente, Bodenplatten, Außentreppen
etc. ist abzubrechen, zu entfernen, zu transportieren, abzufahren, aufzubereiten, inkl.
aller Deponie- und Entsorgungsgebühren."
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Die VOB/B (Ausgabe 2002) wurde vereinbart. Unter anderem bestimmte das
Leistungsverzeichnis in Ziffer 1.2 ("Abbrucharbeiten"):
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"Die anfallenden Deponiegebühren sind generell in die Einheitspreise mit
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einzurechnen. Die einschlägigen Vorschriften über die Entsorgung, sowie die örtlich
festgelegten Maßnahmen für Recycling sind zwingend einzuhalten. […] Altlasten
Die Schadstoffsanierung muss dem eigentlichen Abbruch vorgeschaltet sein. Vorab
erfolgte eine Überprüfung der Gebäude auf vorhandene Schadstoffe … Folgende
Schadstoffe wurden vorgefunden bzw. werden vermutet: - Schwachgebundenes Asbest
in Heizungsanlagen und Brandschutztüren,
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- KMF-haltige Produkte in Mineralwolle-Isolierung,
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- Asbesthaltige Dachplatten Haus W,
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- Lindanhaltige Fenster und Innentüren."
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Wegen der Schadstoffsanierung enthielt das LV gesonderte Auftragspositionen (Ziffer
1.4 ff.). Unter Ziffer 1.2.10 des LV ("Abbrucharbeiten Haus C") war näher ausgeführt:
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"Die Gebäudeteile bestehen aus verputztem, massivem Ziegelsplittbetonmauerwerk."
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Die X begann mit den ihr übertragenen Abbrucharbeiten. Mit Schreiben vom 16.09.2004
(vgl. Anl. K 10) machte sie gegenüber der Beklagten Mehrkosten wegen der Entsorgung
von Z 2 - Material geltend, d.h. von Material, welches aufgrund der Technischen Regel
der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall [LAGA] der Einbauklasse Z 2 zuzuordnen sei.
Aufgrund der beiden durchgeführten Bauschuttbeprobungen habe sich bestätigt, dass
(unstreitig) das Material nach LAGA = Z 2 einzustufen sei. Dazu verhält sich ein
Schreiben der H GmbH von Anfang September 2004 (Anl. K 11), wonach eine
Mischprobe aus dem Bauschutt des Gebäudeabbruchs erhöhte Mengen an Sulfat und
Phenolen aufgewiesen habe, so dass die Zuordnungswerte Z 1.2 der LAGA - Richtlinie
überschritten würden. Der Bauschutt sei daher in die Einbauklasse Z 2 dieser Richtlinie
einzustufen. Mitte September 2004 nahm die H GmbH nochmals zu dem Bauschutt
Stellung (Anl. K 12). Hierauf wird verwiesen. Anfang 2005 waren die Abbrucharbeiten
beendet. Die Schlussrechnung der VAG datiert vom 14.02.2005 (Anl. K 3). Streitig ist
lediglich - wie ausgeführt - der Nachtrag Nr. 3, welcher Gegenstand der Klage ist.
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Mit Vertrag vom 19.04.2006 trat der Kläger die streitgegenständliche Forderung an die Z
GmbH ab.
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Der Kläger behauptet,
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aus der Verwendung des Begriffs Ziegelsplittbetonmauerwerk habe die X nicht
erkennen können, dass es sich um belasteten Werkstoff gehandelt habe, vielmehr sei
von einer uneingeschränkten Verwertbarkeit des Bauschutts auszugehen gewesen
(Beweis: Sachverständigengutachten).
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Der Kläger meint,
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die Beklagte hätte nach § 9 VOB/A die Leistung so eindeutig, klar und
unmissverständlich formulieren müssen, dass der X kein ungewöhnliches Wagnis
aufgebürdet worden wäre. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, vor der Ausschreibung
nach Schadstoffen zu suchen und diese bei der Ausschreibung anzugeben. Die X habe
darauf vertrauen dürfen, dass das Leistungsverzeichnis ordnungsmäßig, vollständig und
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eindeutig sei. Dies vor allem deswegen, weil - unstreitig - das Leistungsverzeichnis
Angaben zu einzelnen Schadstoffen enthielt. Dass der Bauschutt die von der H GmbH
festgestellten Schadstoffe enthalten werde, sei für die X nicht vorhersehbar gewesen.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Z GmbH in I , hilfsweise an den Kläger, 66.134,58 €
nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
15.03.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet,
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infolge einer Ortsbesichtigung vor Abgabe des Angebots sowie durch ein
Aufklärungsgespräch am 21.06.2004 sei der X bekannt gewesen, dass das
abzubrechende Gebäude aus der Nachkriegszeit gestammt habe.
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Sie meint, die X hätte (so es für ihre Kalkulation darauf angekommen wäre) vor
Angebotsabgabe erfragen müssen, welchen konkreten Z-Wert das Abbruchmaterial
haben werde. Aus der von ihr verwandten funktionalen Leistungsbeschreibung hätte der
X das von ihr übernommene Risiko erkennbar sein müssen.
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Ergänzend wird wegen des weiteren Parteivorbringens auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch
gegen die Beklagte nicht zu. Denn die von der X erbrachten Abbruch- und
Entsorgungskosten sind Inhalt des Werkvertrags vom 25.06.2004 und mit dem
vereinbarten Preis abgegolten, § 2 Nr. 1 VOB/B.
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1) Eine (eindeutige) Bestimmung in der Leistungsbeschreibung dazu, ob das
Abbruchmaterial Sulfate und Phenole enthielt oder welcher LAGA - Einbauklasse das
abzubrechende Material ("verputztes massives Ziegelsplittbetonmauerwerk")
zuzuordnen war, fehlt.
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2) Dem gemäß ist durch Auslegung des gesamten Vertragswerks, §§ 133, 157 BGB, zu
ermitteln, was vertraglich geschuldet war. Dabei kommt es auf die Sicht eines objektiven
Erklärungsempfängers (st. Rspr.: BGH NJW 2002, S. 1954; BGHZ 124, S. 64 = NJW
1994, S. 850 "Wasserhaltung"; BGH NJW-RR 1994, S. 1108 "Werratalbrücke"; vgl.
zuletzt: OLG Brandenburg, BauR 2007, S. 540), d.h. den objektiven Empfängerhorizont
der potentiellen Bieter, an. Die Leistungsbeschreibung eines Bauvertrags ist als
sinnvolles Ganzes auszulegen (statt vieler: Jagenburg / Reichelt, NJW 2000, S. 2629
[2630]). Neben dem Wortlaut sind jeweils die Umstände des Einzelfalles, wie die
konkreten Verhältnisse des Bauwerks, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben zu
berücksichtigen (BGHZ 124, S. 64; BGH NJW-RR 1994, S. 1108).
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a) Nach dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung war das komplette Gebäude inkl. aller
Keller, Fundamente, Bodenplatten, Außentreppen etc. abzubrechen, zu entfernen, zu
transportieren, abzufahren, aufzubereiten, inkl. aller Deponie- und
Entsorgungsgebühren. Damit deckte die Leistungsbeschreibung auch den hier
streitgegenständlichen Nachtrag ab.
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b) Daraus, dass die Leistungsbeschreibung an anderer Stelle unter der Überschrift
Altlasten eine Schadstoffsanierung von vorgefundenen bzw. vermuteten Schadstoffen
vorsah (Schwachgebundenes Asbest, KMF [Künstliche Mineralfaser] – haltige Produkte,
Asbesthaltige Dachplatten und Lindanhaltige Fenster), folgt nichts anderes. Denn
hiermit ist schon nicht gesagt, dass die Beklagte die abzubrechenden Gebäude auf
andere Schadstoffe untersucht oder eine Beprobung nach den Regeln der LAGA
durchgeführt hatte. Zudem handelt es sich bei Asbest und Lindan um Schadstoffe, die
besonders entsorgt werden müssen (vgl. z.B. Ziffer 4.3 ff. der Asbest – Richtlinie oder
die Technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS 519). Hingegen lässt eine Belastung
des Bauschutts mit bis zu 50 mg/l Sulfat im Eluat einen uneingeschränkten Einbau nach
Z 0 der LAGA – Regeln durchaus zu.
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Wesentlicher aber ist Folgendes: Sulfate und Phenole (wie auch Schwermetalle und
Kohlenwasserstoffe) finden sich in jeder der vier Einbauklassen der Technischen
Regeln Bauschutt (vom 06.11.1997) von Einbauklasse Z 0 ("Uneingeschränkter
Einbau") bis hin zu Einbauklasse Z 2 ("Eingeschränkter Einbau mit definierten
technischen Sicherungsmaßnahmen"). Hierauf hat die Kammer in der mündlichen
Verhandlung hingewiesen [insoweit nicht protokolliert]. Mit anderen Worten: Mit Sulfaten
und Phenolen musste die X immer rechnen, fraglich konnte allein die Dimension in
mg/kg oder in mg/l Eluat sein. Kam es der X für ihre Kalkulation auf die genaue
Einbauklasse nach der LAGA – Richtlinie an, hätte sie dies in ihr Angebot aufnehmen
oder diese Frage mit der Beklagten klären können (vgl. OLG Brandenburg, BauR 2007,
S. 540 [543]; OLG Celle, BauR 2005, S. 1776).
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c) Konkreter Vortrag dazu, dass verputztes Ziegelsplittbetonmauerwerk weder Sulfate
noch Phenole (auch nicht der Einbauklasse Z 0) enthält, fehlt. Schon von daher war der
angebotene Beweis (Einholung eines Sachverständigengutachtens) nicht zu erheben.
Der Vortrag des Klägers, bei Ziegelsplittbetonmauerwerk handele es sich nicht um
einen belasteten Werkstoff, setzt sich nicht mit dem von ihm vorgelegten Gutachten der
H GmbH vom 10.09.2004 (Anl. K 12) auseinander, wonach
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"als Ursache für die erhöhten Sulfatgehalte Putz, Mörtel, aber auch die hier
angetroffenen Recyclingbaustoffe (Beton oder Steine mit recyceltem Bauschutt, u.a.
Ziegelgranulat) angesehen werden können. Insbesondere diese Recyclingbaustoffe
sind von ihrer stofflichen Zusammensetzung schwer einschätzbar, da sie aus Bauschutt
der Nachkriegszeit in wechselnder Zusammensetzung hergestellt wurden."
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Selbst die Richtigkeit des Vortrags des Klägers einmal unterstellt, enthielt doch das
Leistungsverzeichnis nichts dazu, dass die abzubrechenden Gebäude (hier: das
Gebäude C) auf Sulfate oder Phenole untersucht worden waren. Angesichts dessen
musste die X davon ausgehen, dass solche Stoffe, die sich durchaus in Abbruchmaterial
finden können (vgl. die Mitteilung 20 der LAGA: - Technische Regeln – vom 06.11.1997
zu Bauschutt) in der Gemengelage von abzubrechendem Material (vgl. nochmals die
Anl. K 12) vorhanden waren und das Risiko ihres Vorhandenseins der X überbürdet
werden sollte. Denn das Abbruchmaterial bestand nicht nur aus Ziegelsplittbeton,
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sondern auch aus Putz, Mörtel, Heraklit, Farbanstrich und Fußbodenbeschichtung. Ein
sachkundiger Auftragnehmer kann sich indes nicht darauf berufen, er habe die mit einer
funktionalen Leistungsbeschreibung – wie hier – verbundene Risikoverlagerung nicht
erkennen können (BGH NJW 1997, S. 61).
d) Dass die X (bzw. die potentiellen Bieter von Abbruchleistungen) die LAGA –
Richtlinie nicht kannte, ist nicht dargetan und angesichts des Geschäftsgegenstandes
der X auch nicht anzunehmen.
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e) Soweit der Kläger meint, der X sei hiermit ein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet
worden, kommt es hierauf nicht an. Die Abwälzung eines (auch) ungewöhnlichen
Risikos – unterstellt, ein solches habe hier vorgelegen - ist nicht per se ausgeschlossen.
Ein Schuldner kann sich auch zur Übernahme eines ungewöhnlichen Wagnisses
verpflichten (BGH NJW 1997, S. 61; pointiert etwa: Quack, Das ungewöhnliche Wagnis
im Bauvertrag, BauR 2003, S. 26 f.).
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f) Auch soweit sich der Kläger auf eine Entscheidung des LG Stralsund (Urteil vom
12.04.2005 – 3 O 73/03; kurz referiert in IBR 2005, 464) bezieht, vermag ihm das nicht
weiter zu helfen. Zum einen ging es bei dem von dem LG Stralsund beurteilten
Sachverhalt um eine Belastung mit Asbest, welche im vorliegenden Rechtsstreit keine
Rolle spielt. Zum anderen überzeugt die Begründung des LG Stralsund (soweit in IBR
2005, 464 dargestellt), soweit sie ihrerseits auf zwei Entscheidungen des OLG Hamm
(NJW-RR 2003, S. 82) und des OLG Düsseldorf (BauR 2002, S. 644) verweist, nicht.
Anders als das LG Stralsund, bei dem es um einen Mehrvergütungsanspruch aus § 2
Nr. 5 VOB/B ging, hatte das OLG Hamm nicht über einen Vergütungsanspruch zu
entscheiden. Vielmehr war dort zu beurteilen, ob ein Auftragnehmer, der Bauteile
demontiert hatte, ohne zuvor ein spezielles Analyseverfahren auf Asbest durchzuführen,
schuldhaft eine vertragliche Nebenpflicht verletzt hatte. Und auch das OLG Düsseldorf
hatte nicht über den Umfang eines Vergütungsanspruchs zu entscheiden, sondern
darüber, ob ein Abbruchunternehmer sich schadensersatzpflichtig gemacht hatte, der
Elektroleitungen entfernt hatte, die nach dem Auftrag möglicherweise nicht zu entfernen
waren.
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3) Die Kostenentscheidung sowie der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen
Vollstreckbarkeit richten sich nach §§ 91, 709 ZPO.
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