Urteil des LG Bochum vom 27.07.2005

LG Bochum: bedingte entlassung, psychiatrisches gutachten, vorzeitige entlassung, gemeinde, sicherungsverwahrung, wohnung, auto, pädophilie, gefahr, kritik

Landgericht Bochum, 8 KLs 36 Js 59/02
Datum:
27.07.2005
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
8. große Strafkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 KLs 36 Js 59/02
Tenor:
Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18.11.2004, gegen den
Verurteilten H2 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
nachträglich anzuordnen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e :
1
(abgekürzt gemäß §§ 275 a Abs. 2, 267 Abs. 5, Abs. 4 S. 3 StPO)
2
Der Antrag war abzulehnen, da die Kammer das Vorliegen der materiellen An-
ordnungsvoraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB nicht feststellen konnte.
3
I.
4
Mit Urteil der 8. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 29.04.2002,
rechtskräftig seit dem selben Tage, wurde der Verurteilte im vor-liegenden Verfahren
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fäl-len, schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen und wegen Beischlafs zwischen Verwandten in
drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
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Wegen der fünf Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern wurden
Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verhängt; die weiteren
Einzelstrafen betrugen fünf mal acht Monate, einmal sechs Monate und drei mal drei
Monate Freiheitsstrafe.
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Das Urteil enthält keine Ausführungen zur Prüfung einer Sicherungsver-wahrung.
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Nach vorangegangener Untersuchungshaft seit dem 23.01.2002 hat der Ver-urteilte
diese Strafe seit dem 29.04.2002 bis zum 13.01.2005 vollständig ver-büßt.
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Die Staatsanwaltschaft Bochum hat mit Antragsschrift vom 18.11.2004 die Durchführung
des Verfahrens zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der
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Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Nr. 3,
Abs. 2 StGB sowie den Erlass eines Unter-bringungsbefehls nach § 275 a Abs. 5 StPO
beantragt. Mit Beschluss vom 30.12.2004 hat die Kammer beide Anträge wegen des
Fehlens der formellen Anordnungsvoraussetzungen nach § 66 Abs. 2 StGB abgelehnt.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft und die Nicht-
abhilfeentscheidung der Kammer mit Beschluss vom 05.01.2005 hat das Ober-
landesgericht Hamm mit Beschluss vom 13.01.2005 den angefochtenen Kam-
merbeschluss aufgehoben und gegen den Verurteilten die Sicherungshaft ge-mäß §
275 a Abs. 5 S. 1 StPO angeordnet.
10
Seit dem 13.01.2005 befindet sich der Verurteilte aufgrund des vorgenannten
Unterbringungsbefehls in Sicherungshaft.
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Die Kammer hat nach Maßgabe des § 275 a Abs. 4 S. 2 StPO die Einholung zweier
Sachverständigen-Gutachten angeordnet und mit der Begutachtung einerseits den Arzt
für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. ( Uni. Zgb.) C4 in Zusammenarbeit mit dem
Diplom-Psychologen T4 und desweiteren den Arzt für Psychiatrie Dr. med. U2 in
Zusammenarbeit mit dem Diplom-Psychologen C2 betraut.
12
II.
13
Zu den nach § 66 b Abs. 1 StGB vorgegebenen Voraussetzungen, ob bei dem
Verurteilten nach dem Ausgangsurteil und vor Ende des Vollzugs Tatsachen er-kennbar
geworden sind, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die
Allgemeinheit hinweisen, und die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und
ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher
Wahrscheinlichkeit Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder
körperlich schwer geschädigt werden sowie zu der Frage, ob bei dem Verurteilten ein
Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegt, hat die Kammer nachfolgende
Feststellungen getroffen.
14
1. Der heute 57-jährige Verurteilte hat seinen Vater nie kennengelernt. Seine
ersten vier Lebensjahre verbrachte er gemeinsam mit seiner 33 Jahre alten ledigen
Mutter H3 bei deren Eltern. Die Mutter des Verurteilten litt an einer psychischen
Erkrankung in Form einer Hebrephrenie, die sich auf dem Boden einer Debilität
entwickelt hatte. Sie betätigte sich als Hausiererin, wobei sie den Verurteilten
zeitweise unversorgt mit sich herumtrug und ihn gelegentlich zwischendurch
vergaß oder irgendwo zurückließ. Aufgrund ihres Unvermögens zur
angemessenen Versorgung des Kindes wurde die Betreuung des Verurteilten in
den er-sten Lebensjahren im wesentlichen durch die bereits betagten Großeltern
sichergestellt.
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1952, im Alter von vier Jahren, kam der Verurteilte in seine erste Pflege-familie. Da
er dort wegen bestehender Spannungen zu den leiblichen Kindern der Pflegeeltern
nicht in den Familienverband integriert werden konnte und Vernachlässigung
erfuhr, wechselte er drei Jahre später die Pflegestelle. Im selben Jahr wurde er
wegen körperlicher und geistiger Unterentwicklung für ein Jahr vom Schulbesuch
zurückgestellt. Sein Schulstart im Jahr 1956 gestaltete sich schwierig. Aufgrund der
per-sonalen Beziehungsabbrüche während seiner frühkindlichen Entwicklung
sowie nahezu durchgängiger Gefühle des Herumgestoßenwerdens und der
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Ablehnung war der Verurteilte nicht in der Lage, Vertrauen zu sich und anderen zu
empfinden und aufzubauen. Sein Verhalten war unsicher und bestimmt von
Zeichen äußerer und innerer Instabilität. Er wurde von seinen Klassenkameraden
gehänselt und ausgelacht. Da er aufgrund der fehlenden emotionalen Zuwendung
während seiner ersten sieben Lebensjahre emotional unreif, belastungsschwach
und ohne Empfinden von persönlichem Selbstbewusstsein war, vermochte er sich
in Konflikt-situationen nicht zu stellen oder durchzusetzen. Er entwickelte sich zu
einem Ich-schwachen Einzelgänger mit Rückzugstendenzen, der keine Freunde
hatte und für sich allein blieb.
In der Pflegefamilie wurde der Verurteilte sowohl zu schwerer körper-licher
Feldarbeit wie auch Verrichtungen im Haushalt herangezogen. Die zweite
Grundschulklasse musste er wiederholen. Die Ferien verbrachte er bei seinen
Großeltern in X4 und erlebte dabei mit, wie sich der Gesundheitszustand seiner
Mutter nachhaltig verschlechterte. Die Mutter war zudem in erheblicher Weise
körperlich aggressiv gegen die eigenen Eltern. Der Verurteilte vermochte jedoch
weder den Zustand der geisti-gen Verfassung der Mutter noch deren
Verhaltensweisen zu verstehen und einzuordnen.
17
1959 kam der Verurteilte in ein Kinderheim in X4 und besuchte die Hilfsschule.
Obgleich er dort im Unterricht gut zurechtkam, erlebte er weder im Kinderheim noch
im Kontakt zu seinen Mitschülern die von ihm innerlich erstrebte Geborgenheit,
Wärme und Zuneigung. Verunsichert durch fehlendes Vertrauen in die eigene
Persönlichkeit und deren Werte blieb der Verurteilte ein Außenseiter, der sich von
allen abgelehnt fühlte und der auch weiterhin leichtes Opfer von Spott und
Hänseleien war.
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Wegen auftretender Schwierigkeiten mit den Erziehern des Kinderheims wechselte
der Verurteilte 1963 in ein Lehrlingsheim in X4. Er been-dete die Sonderschule mit
der neunten Klasse, fühlte sich aber im Heim nicht wohl aufgrund empfundener
Zurücksetzung. Infolge erlittener kör-perlicher Schläge riss er zweimal aus dem
Heim aus.
19
In einem zu diesem Zeitpunkt gefertigten Arztbericht vom 14.10.1963 heißt es:
20
"....Psychisch sind jedoch Abartigkeiten erkennbar. Er ist nur schwer zu einer
Unterhaltung zu bewegen und dann nur mit kurzen Angaben und Antworten. Er
macht einen verschüchterten und seelisch verkrampften Eindruck; Einzelgänger mit
Neigung zu Kurzschlusshandlungen. Es dürfte eine psyhopathische
Charakteranlage vorliegen".
21
1964 kam er in ein Lehrlingsheim in X3, wo er eine seinem Wunsch entsprechende
Lehre zum Maler und Anstreicher begann. Auch hier gelang es ihm nicht,
persönliche oder gar freundschaftliche Kon-takte zu anderen Heimbewohnern oder
Berufsschülern zu knüpfen.
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Wegen entstehender Konflikte mit seinem Lehrherrn –dieser schalt ihn als
ungeschickt- geriet der Verurteilte in der Folgezeit desöfteren in Verunsicherung
und Nervosität und verhielt sich infolge dessen tatsächlich ungeschickt. Aus
Verärgerung und Verzweifelung über seinen Lehrherrn versuchte er, dessen
Wochenendhaus anzuzünden und sich selbst durch Entzünden einer brennbaren
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Flüssigkeit das Leben zu nehmen. Da dies misslang, versuchte er, sich erfrieren zu
lassen. Auch aß er zum Zwecke der Selbsttötung giftige Pilze, die er jedoch wieder
erbrach. Er wurde dann von der Polizei aufgegriffen und aufgrund geäußerter
Selbstmordgedanken der Nervenklinik in C6 zugeführt. Während seines dortigen
zweimonatigen stationären Aufenthalts unternahm er einen weiteren
Selbstmordversuch.
Die bei seiner Entlassung erstellte abschließende Diagnose lautete: "Leichter
schizophrener Schub bei einem sensitiven psychasthenischen Jugendlichen.".
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Ein hinsichtlich der Brandstiftung sowie eines damit in Zusammenhang stehenden
Fahrraddiebstahls eingeleitetes Strafverfahren wurde ein-gestellt, da ein in C6
erstattetes nervenärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kam, der Verurteilte sei
infolge eines psychotischen Ge-schehens bei abnormer Persönlichkeitsanlage
strafrechtlich nicht ver-antwortlich und die Gefahr, in Zukunft in ähnlicher Weise
wieder strafbar zu werden, sei recht gering.
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Auf Betreiben seiner Tante erhielt der Verurteilte 1965 dann eine Unter-kunft in
einem Lehrlingswohnheim in E2. Auch dort geriet er in Schwierigkeiten mit dem
Lehrherrn, da er sich wiederum ungerecht be-handelt und benachteiligt fühlte. Der
Verurteilte war und ist bei nur an-satzweise vorhandenem Selbstbewusstsein
überaus kritikempfänglich, nahezu kritiküberempfindlich, fühlt sich sofort
herabgewertet und in seiner ganzen Person abgelehnt. Wegen zu großer
Prüfungsnervosität fiel der Verurteilte dreimal durch die Gesellenprüfung.
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In den Jahren ab 1969 arbeitete er bei verschiedenen Firmen als Maler und
Lackierer. Er lebte allein in einem möblierten Zimmer und empfand erstmals große
Zufriedenheit bei seiner nunmehr selbständigen Lebens-führung unter stetiger
Ausübung beruflicher Arbeiten. Von seinen jewei-ligen Arbeitgebern wurde er sehr
geschätzt, da seine Arbeitsleistung qualitativ und quantitativ über dem Durchschnitt
lag. Sein Auftreten Kol-legen und Kunden gegenüber war stets korrekt und seine
Arbeiten zeich-neten sich durch große Sorgfalt und Sauberkeit aus. In dieser Zeit
erfuhr die soziale Entwicklung des Verurteilten eine deutliche Stabilisierung. Auch
erlernte er ein Verhalten als sozial-angepasstes Mitglied der Ge-sellschaft.
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Im Jahr 1969 hatte der Verurteilte auch erste flüchtige sexuelle Kontakte. Da er sich
jedoch nach einer dauerhafte Beziehung sehnte, sich zugleich aber im Umgang mit
Frauen ungeschickt fühlte, gab er eine Heiratsan-zeige auf. Auf diese meldete sich
die gleichaltrige, zu diesem Zeitpunkt wegen einer Epilepsie-Erkrankung in
stationärer Behandlung befindliche X6. Zwischen beiden kam es zu einer intimen
Beziehung. Der Verurteilte hoffte auf einen Fortbestand der Beziehung und
begann, Zu-kunftspläne zu schmieden. In seinem ausgeprägten Wunsch nach per-
sönlichem Zusammenhalt verkannte er allerdings die Ernsthaftigkeit der Absichten
der X6. Diese randalierte nach kurzer Zeit in seiner sorgfältig gepflegten Wohnung
und teilte ihm später mit, sie löse die Ver-bindung, da sie von einem anderen Mann
ein Kind erwarte. Der Verur-teilte versuchte verzweifelt, sie zurückzugewinnen. Er
empfand große Verlustängste und als ihm die Endgültigkeit ihres Entschlusses klar
wurde, versuchte er zunächst, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen und im
Anschluss an den folgenden Krankenhausaufenthalt sich durch das Trinken
verdünnter Salzsäure umzubringen.
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Bleibende körperliche Schäden trug der intellektuell im unteren Durch-
schnittsbereich anzusiedelnde Verurteilte nicht davon. Seine durchaus ernst
gemeinten und intensiven autoaggressiven Verhaltensweisen wa-ren jeweils
bedingt durch seine defizitäre personale, soziale und emo-tionale Entwicklung
insbesondere in der frühkindlichen Entwicklungs-phase. Der Mangel an
Zuwendung, Schutz und Wärme in seiner Kindheit hatten den Verurteilten zu einer
schwachen Person werden lassen, der es an innerer Vertrautheit fehlte. Der
Verurteilte fühlte sich dem Grunde nach stets unwillkommen, abgelehnt und
verletzbar. Aus tiefenpsycho-logischer Sicht hatte er aufgrund der für ihn
gegebenen nachteiligen So-zialisationsbedingungen und seiner Lebenserfahrung
eine Lebensein-stellung entwickelt, die sich zusammenfassen lässt mit den Worten
: "Ich bin verlassen und ausgestoßen, ich werde nicht angenommen. Warum?". Die
persönlichkeitsbestimmenden Ausprägungen dieser vom Verurteilten
verinnerlichten Haltung finden sich in bei ihm festgestellten Merkmalen der
andauernden Gefühle der Anspannung und Besorgtheit, der gewohn-heitsmäßigen
Befangenheit, der Überempfindlichkeit gegen Zurück-weisung und Kritik sowie der
andauernden Sehnsucht nach Zuneigung und Akzeptanz. Die Enttäuschung dieser
Sehnsucht bei einer in hohem Maße bestehenden Verletzlichkeit verursacht bei
dem Verurteilten Ge-fühle der Verzweifelung, aber zugleich auch der Bestätigung
der eigenen Minderwertigkeit. Zur Vermeidung dieser Enttäuschung entwickelte
der Verurteilte im Laufe der Jahre zum Selbstschutz die Techniken der An-
passung, der Vermeidung, der Flucht sowie letztlich der Eigenag-gressivität.
29
2. Im Jahr 1973 lernte der Verurteilte seine erste Ehefrau kennen. Diese hatte ein
ähnliches Schicksal wie er selbst erlitten. Sie war ebenfalls in verschiedenen
Heimen aufgewachsen, wegen mangelnder geistiger Reife vom Schulbesuch
zurückgestellt worden und hatte nach dem Durchlaufen der Sonderschule
Hilfsarbeiten verrichtet. Der Verurteilte glaubte, dass er und Q aufgrund ihrer
ähnlichen Lebenswege die gleichen Wünsche, Erwartungen und starken
emotionalen Bedürfnisse hätten und dadurch besonders geeignet seien, einander
zu verstehen und zu lieben. Wenige Monate nach dem Kennenlernen zogen Q und
der Verurteilte in dessen Wohnung zusammen. Der Verurteilte war der erste
Intimpartner der Q. Das Paar heiratete noch im Jahr 1973 standesamtlich und
später auch kirchlich. Am 08.12.1974 wurde die Tochter O2, am 11.12.1976 die
Tochter U3 geboren. Die ersten drei Ehejahre gestalteten sich bei klassischer
Rollenverteilung harmo-nisch. In der Ausübung ihrer sexuellen Beziehung waren
die Ehepartner aktiv und aufgeschlossen. Durch diese für den Verurteilten
maßgeblichen Rahmenbedingungen und ihrer sozialen Einordnung lebte er in
dieser Zeit sehr zufrieden als sozialkompetentes Mitglied der Gesellschaft.
30
Ab 1976 traten erste Missstimmungen auf. Der peinlich auf Sauberkeit und
Ordnung bedachte Verurteilte nahm Anstoß an der aus seiner Sicht ungenügenden
Haushaltsführung seiner Ehefrau. Es gab überdies Dif-ferenzen der
Kindererziehung. Einhergehend damit entwickelte die Ehefrau des Verurteilten
zunehmende Selbständigkeit. Das bis dahin in der Weise ausgestaltete Ehe- und
Familienleben, in welchem der Verurteilte den autoritären Teil darstellte und seine
Ehefrau den meist –blindlings- folgenden Teil, geriet aus dem Gleichgewicht. Der
Verurteilte, der in seiner Kindheit keine Rollen innerhalb einer familiären Struktur
kennenge- und erlernt hatte, kam mit der Verselbständigung seiner Ehefrau nicht
zurecht. Die Folge der mangelnden Fähigkeit beider Ehepartner zu konstruktiver
Auseinandersetzung waren heftige verbale Beschimpfungen und Streitigkeiten, die
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alsbald in wechselseitige Schläge ausarteten. Die Versöhnung vollzog sich
nahezu stets in einem Geschlechtsakt.
Diese Differenzen nahmen in der folgenden Zeit weiter zu. Der Verurteilte suchte
dem zunehmenden Selbstbewusstsein seiner Frau mit verstärkter Gängelung zu
begegnen. Infolge eines Streits, bei dem der Verurteilte seine Frau wiederholt und
heftig geschlagen hatte, verließ diese mit den Kindern die Wohnung.
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Durch den Auszug und die von dem Verurteilten befürchtete endgültige Trennung
verschlechterte sich dessen psychische Verfassung deutlich. Er begab sich in
nervenärztliche Behandlung. Aufgrund einer diagnosti-zierten reaktiven
Depression war er arbeitsunfähig. Er unternahm in der Folgezeit wiederholte
Versuche, seine Ehefrau zur Rückkehr zu bewe-gen und traf in jeder Hinsicht unter
Zurückstellung eigener Bedürfnisse Vorkehrungen, ihr diese Entscheidung zu
erleichtern.
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Am 30.04.1979 suchte der Verurteilte seine Ehefrau auf, um sie ein-dringlichst zu
bitten, unter für sie günstigsten Umständen zu ihm zurück-zukehren. Der Verurteilte
war zu diesem Zeitpunkt in seiner Stimmung hin- und hergerissen zwischen
Hoffnung und Verzweifelung, Enttäu-schung und Lebensangst aber auch Rache
sowie Hass, da er nach seiner Meinung bereits gelitten hatte und aus seiner Sicht
seine Ehefrau diejenige war, die ihm dieses Übermaß an Leid zugefügt hatte.
34
Da das Gespräch für den Verurteilten mit unerwünschtem Ergebnis ver-lief, erstach
er seine Ehefrau schließlich im Beisein seiner Kinder mit einem mitgebrachten
Schlachtermesser. Von den 19 zugefügten Stichen waren fünf Stiche tödlich. Der
Verurteilte ließ seine Kinder bei der getöte-ten Ehefrau zurück und stellte sich
unmittelbar der Polizei, wo er ein rückhaltloses und in jeder Hinsicht umfassendes
Geständnis ablegte.
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Das Landgericht Düsseldorf, Az.: XVIa-5/81 S, verurteilte ihn am 16.10.1981 -nach
einer vorangegangenen Aufhebung seiner Verur-teilung wegen Mordes- wegen
Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren.
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In den Urteilsgründen heißt es im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung:
37
"Er litt und leidet weder an krankhaften seelischen Störung noch an Schwachsinn
oder an einer anderen seelischen Abartigkeit die ihn unfähig machte, das Unrecht
seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Nach den zu keinen
Zweifeln Anlass gebenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. L2 haben
nämlich weder die körperlichen, noch die neurologischen oder psychiatrischen
Untersuchungen bei dem Angeklagten Anhaltspunkte für eine Psychose, einen
Schwachsinn oder eine hirntraumatische Wesensveränderung ergeben. Der
Angeklagte ist vielmehr körperlich, neurologisch und intellektuell gesund, wenn
auch von einer angeborenen Minderbegabung.
38
Die Exploration durch den Sachverständigen Dr. L2 hat lediglich in
Übereinstimmung mit den Untersuchungen des psychologischen
Sachverständigen Dr. M ergeben, dass der Angeklagte unter den ihm gegebenen
intellektuellen Voraussetzungen als Ergebnis seiner Lebenserfahrung im
Zusammenspiel mit seinen Anlagefaktoren als emotional unreif, egozentrisch und
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unrealistisch auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet zu bezeichnen ist. Er ist
sensibel, leicht verletzbar und argwöhnisch auf die Einhaltung seiner bestehenden
oder vermeintlichen Rechte bedacht. Dabei ist er übernachhaltig und von
unrealistischer Anspruchshaltung geprägt. Seine egozentrischen Ziele verfolgt er
mit Aggressionen nach außen und gegen sich selbst. Die erlittene
Milieuschädigung im Kindheits- und Jugendalter, die eine gesunde Ich-
Entwicklung verhindert hat und aufgrund deren der Angeklagte auch keine
Verzichtshaltung hat lernen können, haben zwar zu einem Schaden an einer
affektiven und emotionalen Reifung geführt.
Diese hat jedoch nach den überzeugenden Ausführungen beider
Sachverständigen keinen Krankheitswert und ist forensisch ohne Bedeutung.
Ebenso sind die oben beschriebenen Eigenschaften und Eigenarten des
Angeklagten als akzentuierte Ausprägungen normaler Persönlichkeitszüge zu
werten. Die Depressivität des Angeklagten ist nicht endogen und liegt ebenfalls
noch im Normbereich. Die Voraussetzungen von § 21 StGB sind nach den
überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. L2 und Dr. M, denen die
Kammer sich anschießt, ebenfalls nicht gegeben."
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3. Der Verurteilte verbüßte über neun Jahre der Freiheitsstrafe.
41
Er war ein vorbildlicher, ruhiger Gefangener, der aufgrund seiner Fähigkeiten als
Maler und Lackierer und seiner guten Arbeitsleistungen in den Werkstätten
eingesetzt wurde. Während seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt
Herzebrock lernte er 1985 einen Mithäftling kennen, der der evangelischen
freikirchlich organisierten Christengemeinschaft
42
"F" in I4 angehörte. Der Verurteilte war mittlerweile selbst dem christlichen Glauben
nähergetreten und nahm regelmäßig an Gottes-diensten teil. Er unterhielt auch
Kontakte zu Glaubensbrüdern und -schwestern. Die Hinwendung zum christlichen
Glauben verschaffte ihm Gefühle der Ruhe sowie der Entspannung. Er beschäftigte
sich intensiv mit den christlichen Lehren und insbesondere den Lehren der Bibel
und suchte dabei auch Erklärung und Vergebung.
43
Im Jahr 1985 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld mit
Beschluss vom 14.11. erstmals die bedingte Entlassung des Verurteilten ab. Die
Strafvollstreckungskammer nahm in der Begründung unter anderem Bezug auf die
–oben unter II. 2. a.E. zitierten- Aus-führungen zur Persönlichkeit des Verurteilten
im Rahmen der Schuld-fähigkeitsprüfung des zugrundeliegenden Urteils. Die
Zuwendung zur Religion bewertete die Strafvollstreckungskammer aufgrund
bestimmter Äußerungen des Verurteilten –dieser hatte seine Entwicklung zu einem
tiefgläubigen Christen als "erleuchtendes Ereignis" bezeichnet- nicht als
uneingeschränkt positiv.
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Der Verurteilte hatte währenddessen intensive Kontakte zum Pfarrer der Freikirche
F, dem Zeugen X2 aufgenommen und gelegent-liche Wochenendbesuche in I4
genehmigt bekommen. Der Zeuge X5 unterstützte den Verurteilten bei dessen
Bemühungen um vorzeitige Entlassung. Das Landgericht Bielefeld lehnte
gleichwohl im Jahr 1986 die bedingte Entlassung erneut ab. Das Landgericht ging
weiterhin davon aus, dass bei dem Verurteilten eine Persönlichkeitsproblematik
bestehe und das Risiko eines fehlgeschlagenen Erprobungsversuches zu groß sei.
45
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht Hamm mit
Beschluss vom 20.11.1986 –3 Ws 524/86- verworfen. Der erkennende Senat hat in
seiner Entscheidung ausgeführt, nach den vorliegenden psychologischen
Gutachten seien zwar keine psycho-pathologischen Auffälligkeiten zu erkennen
und es fänden sich auch keine Anzeichen für gesteigerte Reizbarkeit. Der
Verurteilte sei vielmehr im Gegenteil extrem ruhig, nahezu stumpf. Im Gegensatz
dazu stehe jedoch seine gesteigerte Religiösität, die sich nur zum Teil mit normal-
psychologischen Kategorien erklären lasse. Wegen der vom Verurteilten
geschilderten religiösen Wahnerlebnisse im Zusammenhang mit seiner als "
Erleuchtung" bezeichneten Glaubensfindung habe der Sachverständige ihn als
schizoid auffällige Person bezeichnet, bei der eine erneute psychische
Fehlentwicklung möglich erscheine.
Angesichts der prognostischen Unsicherheiten hielt der Senat es daher für
erforderlich, die bedingte Entlassung zunächst durch eine Erprobung in Form der
Verlegung des Verurteilten in den Hostelvollzug abzusichern und überdies ein
psychiatrisches Gutachten einzuholen.
46
Dies verfasste unter dem 12.02.1988 der Arzt für Rechtsmedizin, Neurologie und
Psychiatrie, Prof. Dr. med. S3.
47
Der Sachverständige gelangte in seinem ausführlichen Gutachten in der
Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass sich die beanstandungsfreie und vorbildliche
Führung in der Haft sowie die Leistungswilligkeit und Hilfs-bereitschaft gegenüber
Mitgefangenen als Ausweis für einen einiger-maßen gelungenen charakterlichen
Konsolidierungsprozess darstelle. Der Verurteilte zeige keine dissoziale
Entwicklung auf. Unabhängig davon, wie das religiöse Erleuchtungserleben des
Verurteilten aus sachverständiger Sicht letztlich einzuordnen sei, so handele es
sich hier mit hinreichender Sicherheit nicht um spezifisches Krankheitssymptom,
und es sei diesbezüglich auch keine Fehlentwicklung zu erwarten.
48
Das Gutachten bezog abschließend ausdrücklich Stellung zu der Frage, ob
weiterhin bei dem Verurteilen ein parathymes Verhalten zu befürchten ist, d. h.
wiederholbare, eruptive, kriminelle Devianz nicht ausschließen-de, unangepasste
und unerwartete, in der Regel schwer nachvollzieh-bare und sogar konträre
Gefühlsäußerungen. Hierzu wurde festgehalten, dass die Gefahr eines Rückfalls,
zugespitzt auf eine ganz besondere, allerdings in einem neuen
Partnerschaftsverhältnis wiederholbare Konstellation, außerordentlich gering sei.
Der Verurteilte habe –nicht zuletzt im Zusammenhang mit seinem Anschluss an
eine christliche Gemeinschaft- ein erfreuliches Maß an Selbsterkenntnis und -kritik
und überdies ein neues Selbstkonzept erworben. Letzteres ermögliche es ihm, sich
selbst souveräner zu steuern und in Konfliktsituationen adaptiv flexibel zu
reagieren, so dass er vor unreflektierter spezifischer Affekthandlung und
destruktiven Entgleisungen gefeit sein werde.
49
4. Im Mai 1988 wurde der Verurteilte aus der Strafhaft entlassen und bezog eine
der Gemeinde angeschlossene Wohnung in der freichristlichen
Christengemeinschaft in I4.
50
Dort wurde er im Dezember als Maler eingestellt.
51
Der Verurteilte lernte in der Gemeinde die Zeugin S kennen und begann mit dieser
auf deren Initiative ein zwei bis drei Monate andauerndes Intimverhältnis. Der
Verurteilte war dabei sexuell überaus interessiert. Gleichzeitig trat er an die Zeugin
S mit Vorstellungen größter Reinlichkeit im Haushalt sowie der Untertänigkeit der
Frau gegenüber dem Mann heran.
52
Die Beziehung endete, weil der Verurteilte der voll entwickelten 14 Jahre alten
Tochter der Zeugin ohne deren Zustimmung an die Brust fasste. Der Verurteilte
empfand hierbei sexuelle Stimulation.
53
Zur polizeilichen Anzeige gelangte der Vorfall nicht.
54
Im Jahr 1989 wurde die der Gemeinde angeschlossene Altenpflegestätte "F"
eröffnet. Der Verurteilte erhielt hier eine Anstellung als Haus-meister und
verrichtete die in seinen Verantwortungsbereich fallenden Arbeiten stets sorgfältig
und zuverlässig. Er führte darüber hinaus in seiner Freizeit in privaten Haushalten
bei Gemeindemitgliedern und Beschäftigten der Altenpflegestätte
Anstreicherarbeiten durch. Die Tätigkeiten stellten ihn zufrieden und er zeigte eine
beständige Leistungsbereitschaft. Er nahm regelmäßig an den Gottesdiensten teil
und suchte insbesondere den Kontakt und die Anerkennung seines Vorgesetzten,
des Zeugen X5, mit dem er intensive Gespräche über biblische Themen führte.
55
Zugleich fiel der Verurteilte allerdings sowohl den weiblichen Beschäf-tigten der
Altenpflegestätte wie auch den weiblichen Mitgliedern der Ge-meinde gegenüber
durch unangemessenes Verhalten auf.
56
Von Beginn des Jahres 1989 an bis ins Jahr 2000 kratzte sich der Ver-urteilte in
Gegenwart der in der Küche des Altenheims beschäftigten Zeugen D intensiv an
seinem Geschlechtsteil. Diese Hand-lungen erfolgten stets zusammenhanglos
während geführter Unterhal-tungen. Begleitet wurde das Kratzen häufig von
"züngelnden" Bewegun-gen der Zunge des Verurteilten. Auch wies der Verurteilte
die Zeugin wiederholt darauf hin, dass man sich am Unterleib jeden Tag zu
waschen habe. Die Zeugin empfand dieses Verhalten als sehr unangenehm und
beschämend. Der Verurteilte, der sich anfangs auch um einen privaten Kontakt zu
der Zeugin bemüht hatte, erschien ihr jedoch in den folgen-den Jahren als
unbeständig in seinen Stimmungen, so dass sie letztlich nichts gegen seinen
unangemessenes Verhalten unternahm.
57
Im Jahr 1989 äußerte die in der Altenpflege beschäftigte Zeugin G eines Morgens
nach anstrengender körperlicher Arbeit, sie habe Rückenschmerzen. Der
Verurteilte entgegnete darauf: "Wenn es hinten wehtut, muss man vorne aufhören.".
Auch machte er weitere obszöne Bemerkungen gegenüber der Zeugin, die er
jedoch einstellte, sobald die Zeugin sich dagegen verwahrte.
58
Zu Beginn des Jahres 1990 sagte der Verurteilte zu der zu dieser Zeit
hochschwangeren Zeugin T, die gerade Putzarbeiten verrichtete, sinngemäß: "Ich
stell mir das wunderbar vor, mit einer schwangeren Frau zu schlafen, einen
Orgasmus zu haben und dann zu sterben. Das wäre das Geilste.". Die Zeugin T
entgegnete da-rauf, sie wolle den Zeugen X5 hierüber unterrichten, zumal ihr
aufge-fallen war, dass sich der Verurteilte bereits wiederholt von hinten an sie
herangeschlichen hatte und dabei stets die Hände in den Taschen ge-tragen hatte.
59
Der Verurteilte erwiderte darauf sinngemäß: "Wenn Du das tust, bringe ich mich
um.".
Im selben Jahr fasste er der damals bereits voll entwickelten 14 Jahre alten Zeugin
X –ohne deren Einverständnis- mindestens zweimal an die Brust. Dies geschah
bei öffentlichen Begegnungen in der Teestube der Gemeinde. Die Zeugin, die den
Verurteilten bis dahin als freundlichen und vertrauenswürdigen Menschen
empfunden hatte, war unangenehm berührt und erzählte ihrem Vater, dem Zeugen
X5, von den Vorfällen. Dieser riet ihr, dem Verurteilten aus dem Weg zu gehen.
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Zu einem Gespräch hierüber mit dem Verurteilten selbst oder ander-weitigen
Konsequenzen kam es nicht.
61
Der Verurteilte verwaltete zu dieser Zeit den Büchertisch der Gemeinde. Die
Bücher bezog er von dem Zeugen C. Dieser war die einzige Person aus seinem
Umfeld, mit dem er über seine Vergan-genheit gesprochen hatte. Der Verurteilte
erschien dem Zeugen als über-zeugter und gläubiger Christ, der mit Hilfe
christlicher Literatur versuchte, die ihn bewegenden Probleme zu lösen und Hilfe
im Glauben zu finden. Der Verurteilte sprach mit dem Zeugen als einzigem auch
über den von ihm bei und vor der Tötung seiner ersten Ehefrau empfundenen
Jähzorn und seinen Bemühungen, diesem zu begegnen.
62
An einem Sonntag im Jahr 1992 wies die Zeugin G den Ver-urteilten nach der
Messe am eröffneten Büchertisch darauf hin, eine Buchbestellung sei fehlerhaft.
Der Verurteilte nahm das Buch an sich, knallte es mit den Worten: "Macht euren
Scheiß doch alleine" auf den Tisch und verließ wütend den Raum. Die
Anwesenden waren von dieser Reaktion des ansonsten als sehr ruhig geltenden
Verurteilten überrascht. Dieser seinerseits fühlte sich zu Unrecht kritisiert, zornig
und zugleich eingeschüchtert durch den Hinweis auf sein vermeintlich falsches
Ver-halten. Folge dieser Empfindung war der verbal begleitete hilflose Rück-zug
aus der Situation.
63
Am Abend des selben Tages wartete der Verurteilte auf die Rückkehr des bei dem
Vorfall anwesenden Zeugen X5.
64
Der Verurteilte war immer noch erzürnt und machte ein zorniges Gesicht, als er an
das Fahrzeug des Zeugen herantrat. Der sich bedroht fühlende Zeuge, dessen 10
Jahre alte Tochter und Zeugin X5 zu diesem Zeitpunkt gleichfalls im Auto saß,
verriegelte die Fahrzeugtüren und öffnete lediglich das Türfenster einen Spalt breit.
Der Verurteilte äußerte sinngemäß: "Hier passiert heute noch was. Mir ist es
sowieso egal, ob ich wieder in den Knast komme. Ich weiss doch, wie es dort ist".
Der Zeuge X5 fuhr daraufhin nach Hause und benachrichtigte seinen Stell-
vertreter, da er fürchtete, der Verurteilte könnte gegebenenfalls noch ei-ne
unkontrollierte Reaktion folgen lassen. Als der Zeuge den Verurteilten wenige
Tage später auf den Vorfall ansprach, äußerte dieser sinngemäß: "X5, wenn deine
Tochter nicht im Auto gewesen wäre, hätte ich dir was angetan.".
65
Im Jahr 1993 suchte der Verurteilte Kontakt zu der damals neun Jahre alten Zeugin
E. Die Zeugin gehörte ebenso wie ihre Mutter der Gemeinde an. Als die Zeugin
einmal in der Wohnung des Verurteilten weilte, zeigte ihr dieser Fotos von
halbnackten, nur mit Unterhosen bekleideten Kindern, die etwa so alt waren wie
66
die Zeugin selbst. Der Verurteilte verfügte über eine ganze Kiste mit diesen Fotos
und fragte die Zeugin, ob er auch Fotos von ihr machen dürfe. Dies lehnte die
Zeugin ab. Der Verurteilte bedrängte die Zeugin darauf nicht weiter.
5. Anlässlich einer privaten Wohnungsrenovierung im Jahr 1993 erzählte die
Wohnungsinhaberin dem Verurteilten von ihrer verwitweten philippinischen
Schwester D2. Nach anfänglichen Briefkontakten zu der gleichfalls der
Christengemeinde angehörenden D2 beschloss der Verurteilte, diese im
Dezember 1993 gemeinsam mit ihren beiden Kindern K, geboren 1989, und dem
zwei Jahre jüngeren K2, in die Bundesrepublik zu holen. Der Verurteilte arrangierte
die Formalitäten und zahlte die Reisekosten. Die Hochzeit erfolgte am 01.02.1994.
Die Ehe gestaltete sich anfangs harmonisch. Ab 1996 kam es zu ersten ernsteren
Spannungen. Die als Steuerfachgehilfin tätige D2 wünschte nicht, dass der
Verurteilte in ihrer Abwesenheit bestimmende Maßnahmen in der Erziehung der
Kinder traf. Sie verspürte überdies deutlich seltener ein Verlangen nach einem
geschlechtlichen Zusammensein mit ihrem Ehemann. Dieser, der sexuell äußerst
interessiert war und mehrmals wöchentlich den Geschlechtsverkehr vollziehen
wollte, fühlte sich sexuell unbefriedigt und suchte nach Ventilen. Wenn seine Frau
schlafen gegangen war, sah er sich Sexfilme im Fernsehen an. Er befriedigte sich
dabei häufig selbst. Auch masturbierte er häufig im Ehebett neben seiner Frau, die
er dabei zum Teil auch anfasste, um die Stimulationswirkung zu erhöhen.
67
Der sexuelle Rückzug seiner Ehefrau verursachte bei dem Verurteilten insgesamt
Gefühle der sexuellen Deprivation. Er empfand überdies bei bestehendem eigenen
unsicheren Bindungsverhalten Ängste vor einem noch weitergehenden Rückzug
seiner Frau. In Ermangelung seiner Fähigkeiten, den entstandenen
Konfliktsituationen mit Gesprächen zum Zwecke deren Auflösung zu begegnen,
zog er sich seinerseits innerlich zurück. Der eigene Rückzug als Reaktion auf das
abweisende Verhalten seiner Frau war dabei zugleich Ausdruck gewonnener
Selbstkontrolle. Unabhängig von seinen ansonsten festzustellenden
grenzüberschrei-tenden sexualisierten Verhaltensweisen hatte der Verurteilte doch
aus den jüngsten Jahren sozialer Stabilisation einen beherrschteren Umgang mit
Frustrationen gerade auch im absoluten persönlichen Nahbereich gelernt. Da er
sich gleichwohl jedoch verletzt und von seiner Frau auch ungeliebt fühlte, suchte er
nach Ersatzbefriedigung.
68
6. Ab 1996 begann der Verurteilte zunehmend, sich sexuell für seine Stief-tochter
K2 zu interessieren. Nachdem er das Kind anfangs nur beobachtet hatte, wenn es
badete oder duschte, beging er in den Jahren zwischen 1996 und 1998 in fünf
Fällen Manipulationen an der Scheide des Mädchens und führte etwa ab dem 9.
Lebensjahr des Kindes in fünf weiteren Fällen auch kurzfristig einen Finger in die
Scheide des Mäd-chens ein. Auch zeigte er dem Mädchen sein erigiertes Glied
"zum Zwecke der Aufklärung". Das Mädchen war durch die Taten sehr erschreckt.
Über die eigentlichen Ausführungshandlungen hinausgehende körperliche Gewalt
übte der Verurteilte nicht aus.
69
Die sexuellen Missbrauchshandlungen waren nicht Ausdruck einer bei dem
Verurteilten bestehenden Pädophilie, sondern angesichts seiner selbstunsicheren
Persönlichkeit auf Zuwendungsbefriedigung gerichtete Ersatzhandlungen auf
infantiler Stufe, begrenzt auf den familiären Ver-band.
70
7. Ab 1999 kratzte der Verurteilte sich auch gegenüber den Zeuginnen O, Heidi C4
und L - sämtlich Beschäftigte der Altenpflegestätte – wiederholt am Geschlechtsteil.
Gegenüber den Zeuginnen C4 und O schwärmte er dabei begleitend zum Teil von
seiner Stieftochter. Der Zeugin O zeigte er darüber hinaus ein Foto von dem
halbnackt fotografierten Mädchen. Er sprach auch desöfteren über sexuelle
Praktiken oder verschiedene Stellungen bei Ausübung des Geschlechtsverkehrs
unter Erwachsenen und äußerte mehrfach: "Das Geschlechtsteil ist keine Seife. Es
nutzt sich nicht ab.".
71
Die Ehe des Verurteilten war mittlerweile in eine Krise geraten. Seine Ehefrau
verweigerte sich ihm immer häufiger. Der Verurteilte wurde zunehmend gereizter
und aufgebrachter. Bei Streitigkeiten mit seiner Ehefrau äußerte er gelegentlich:
"Soll das wieder passieren?". Seine Ehefrau war hierdurch eingeschüchtert, da sie
inzwischen von der Tötung der ersten Ehefrau wusste. Die Ehefrau des Verurteilten
kam dessen Verlangen nach sexuellem ehelichen Verkehr nur widerwillig nach.
Die Durchsetzung des ehelichen Verkehrs durch körperliche Gewaltanwendung
konnte nicht festgestellt werden.
72
Obgleich sich zu diesem Zeitpunkt die eheliche und familiäre Situation aus Sicht
des Verurteilten problematisch zugespitzt hatte, trug dieser seine Anspannungen
nicht mehr körperlich auto- oder fremdaggressiv, sondern vielmehr auf verbaler
Ebene aus. Ausdruck dieser Veränderung waren und sind die – vorstehend
festgestellten – verbalen Attacken und Entgleisungen.
73
Auf seiner Arbeitsstelle fiel der Verurteilte zu dieser Zeit dadurch auf, dass er bei
vermeintlichen Unordentlichkeiten des Putzdienstes in Auf-regung geriet und die
Kolleginnen anschrie. Er wurde als zunehmend unberechenbar empfunden und die
Kolleginnen versuchten, ihm aus dem Weg zu gehen und Konfliktsituationen mit
ihm zu vermeiden.
74
8. Im Jahr 2000 fasste er der als Praktikantin in der Altenpflegestätte tätigen Zeugin
E unvermittelt an den Po und fiel weiter durch sexuell anzügliche
Verhaltensweisen –insbesondere Kratzen im Genitalbereich- gegenüber den
sonstigen weiblichen Beschäftigten auf.
75
9. Im selben Jahr traf der Verurteilte seine ältere leibliche Tochter O2 aus erster
Ehe wieder. Es kam zu einer gemeinsamen Reise, während derer der Verurteilte
und seine zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Tochter einvernehmlich insgesamt
dreimal den Geschlechtsverkehr vollzogen. Der Verurteilte ejakulierte dabei jeweils
außerhalb des Körpers seiner leiblichen Tochter, weil er anderes als unschicklich
empfunden hätte, wenngleich er seine leibliche Tochter mehr als weibliche
Geschlechts-partnerin denn als seine Tochter betrachtete. Ein Foto von seiner
Toch-ter, auf welchem er diese mit einseitig entblößter Brust aufgenommen hatte,
zeigte er stolz auf seiner Arbeitsstätte.
76
Auch die sexuellen Kontakte zu seiner leiblichen Tochter fußten nicht auf einer
sexuellen Perversion begründet in der Persönlichkeit des Verur-teilten. Sie waren
nicht Ausdruck einer progressiven, sich kriminogen verfestigenden
sexualdevianten Entwicklung, sondern vielmehr der emotionalen
Zuwendungssuche zugleich in Form eines Konfliktlösungs-musters in dieser
bestimmten Lebensphase, in der der Verurteilte der be-fürchteten Ablösung seiner
77
Ehefrau, die immer im Zentrum seiner per-sönlichen und sexuellen Sehnsüchte
stand, nicht begegnen konnte.
10. Im Jahr 2001 geriet der Verurteilte in eine Auseindersetzung mit seiner
damaligen Vermieterin, der Zeugin B2. Der Verurteilte, der während der ganzen
Jahre in privaten Haushalten sowohl in der Nach-barschaft als auch bei seinen
Kolleginnen –trotz der sexuellen Grenz-überschreitungen- Tapezierarbeiten
durchgeführt hatte und stets be-strebt nach weiteren Tätigkeiten war, hatte für seine
Vermieterin Reinigungsarbeiten verrichtet. Bei einer Abrechnung kam es zu einer
Unstimmigkeit. Der Verurteilte wurde böse und verließ den Ort des Streits. Am
Nachmittag kam er wieder, warf seinen Motorradhelm auf den Tisch und schrie der
Zeugin zu, sie habe ihn zu Unrecht als Lügner beschimpft. Die Zeugin war völlig
überrascht über den für sie ungewohnten Erregungszustand des Verurteilten und
verließ fluchtartig den Raum. Am Abend entschuldigte der Verurteilte sich bei ihr.
78
Wegen der Taten zum Nachteil seiner Stieftochter sowie seiner leiblichen Tochter
verurteilte ihn die Kammer am 29.04.2002 zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von drei
Jahren.
79
Wegen der von der Kammer im Einzelnen zu den Tatabläufen getroffen-en
Feststellungen wird auf die Abschnitte I. + II. des Urteils Bezug genom-men.
80
Das Urteil enthält insgesamt keine Ausführungen zur Frage einer Sicher-
ungsverwahrung. Die an der Urteilsfindung beteiligten Berufsrichter, die Zeugen
Richterin am Landgericht Petra T2 und Vorsitzender Richter am Landgericht U,
haben über-einstimmend angegeben, zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Anhalts-
punkte für eine Persönlichkeitsstörung des Verurteilten dahingehend ge-sehen zu
haben, dass dieser bei Konflikten im persönlichen Nahbereich mit Straftaten
reagieren würde. Trotz der Vorgeschichte hat die Kammer in der damaligen
Besetzung keinerlei Bezug zwischen der ersten und zweiten Straftat hergestellt
und auch die Schuldfähigkeit des Verurteilten wegen nicht vorhandener Anzeichen
für deren Zweifelhaftigkeit keinen Bedenken unterstellt.
81
11. Der Verurteilte kam zur Verbüßung der Strafhaft in die Justizvollzugs-anstalt
Schwerte. Die Zeugin H hatte zuvor im Rahmen des Einweisungsverfahrens des
psychologischen Dienstes in der Justizvoll-zugsanstalt Hagen die Aufnahme des
Verurteilten in die sozialthera-peutische Abteilung empfohlen. Die Zeugin hatte bei
ihrer Einweisungs-beurteilung im November 2002 die Befürchtung geäußert, bei
dem Verur-teilten könne nun der Schwerpunkt seiner Interessen und Bedürfnisse
im Bereich der Sexualität liegen, wo ohne ausreichende libidinöse Objekt-bindung
eine weitreichende Sexualisierung mit unterschiedlichen Mög-lichkeiten des
Fehlverhaltens stattfinden könne. Sie hatte überdies eine Gefährdung durch
Menschen seines sozialen Nahbereichs in Krisen-situationen als sehr naheliegend
eingestuft.
82
Da der Verurteilte selbst nicht um die Aufnahme in die sozialthera-peutische
Abteilung nachsuchte und das Platzkontingent dieser Ab-teilung erschöpft war,
erfolgte die Aufnahme in einer allgemeinen Ab-teilung; der Verurteilte wurde
jedoch zu den für ihn nach dem Vollzugs-plan vorgesehenen therapeutischen
Gesprächen der sozialthera-peutischen Abteilung überstellt.
83
Die therapeutische Behandlung und Begleitung vollzog sich in der
Justizvollzugsanstalt Schwerte grundsätzlich dreispurig, und zwar dergestalt, dass
die Gefangenen in eine Gruppentherapie aufgenommen, einer Einzeltherapie
zugewiesen wurden und an einem sogenannten sozialen Training teilnehmen
konnten.
84
In Schwerte war der psychologische Therapeut, der Zeuge C3, für den Verurteilten
diagnostisch zuständig. Der Zeuge empfahl den Verurteilten dem Zeugen J als
zuständigem Psychologen zur Einzeltherapie mit der Maßgabe, die gesamten
Lebenszusammenhänge des Verurteilten zu beleuchten, um etwas über einen in
der Persönlich-keit des Verurteilten begründet liegenden Zusammenhang
zwischen den Straftaten zu erfahren.
85
Der Verurteilte nahm zunächst nur an der ersten Einzeltherapiestunde am
18.03.2003 teil. Er war in diesem Gespräch freundlich, bemüht und
entgegenkommend, zeigte Reue über das Geschehen und gab hinsicht-lich seiner
Motivation für die Therapie an, wenn die zuständigen Beschäf-tigten dies für
notwendig hielten, würde er eine Therapie machen. Er betonte auch seine
Unrechtseinsicht insbesondere im Hinblick die Straf-taten zum Nachteil seiner
Stieftochter. Auf den Hinweis des Zeugen
86
J, es sei sein eigenes Interesse und Bestreben zur Durchführung der Therapie
sowie eine erlebte Not hinsichtlich des eigenen Inneren erfor-derlich, blieb der
Verurteilte allerdings innerlich verhalten. Zu zwei weiteren Terminen erschien er
nicht. Auf neuerliche Initiative des Zeugen C3, der die psychische und emotionale
Verfassung des Verurteilten als brisant einschätzte, fand ein weiterer
Gesprächstermin am 24.07.2003 statt. Auf die Frage nach dem Verstreichenlassen
zweier Termine ent-gegnete der Verurteilte, nicht die nötige Überwindung
gefunden zu haben. Im Gespräch selbst schilderte der Verurteilte, sich in den Ehen
als durchsetzungsschwach mit problematischem Selbstbewusstsein empfunden zu
haben.
87
Da der Zeuge J auch in diesem Termin aus therapeutischer Sicht kein für
erforderlich gehaltenes wahrhaftiges Betroffensein bei dem Ver-urteilten verspürte,
wies er diesen erneut darauf hin, dass am Anfang einer erfolgversprechenden
Therapie die echte Initiative eines Probanden stehen müsse. Zu weiteren
Einzelgesprächen kam es in der Folgezeit nicht.
88
In etwa zeitgleich wurde der Verurteilte in die von dem Zeugen C3 geleitete
Gruppentherapie "Deliktsorientierte Kleingruppe" aufgenommen, die Teil des
"Behandlungsprogramms für Sexualstraftäter" war. Der Verurteilte fühlte sich in der
Gruppe nicht wohl, da die Konfrontation mit den Mithäftlingen und deren sexueller
Straftaten bei ihm großes Unbehagen auslöste, zumal er sich diesen
Mitgefangenen nicht als zugehörig empfand.
89
Im Verlauf der zweiten Therapiestunde teilte er dem als Betreuer fun-gierenden
Justizvollzugsbeamten und Zeugen M4 mit, er wolle aus der Therapie aussteigen,
da er mit Hilfe der Bibel und seines Glaubens sicherstellen würde, nicht mehr
straffällig zu werden. Den aus seiner Sicht zweifelnden Gesichtsausdruck des
Zeugen nahm der Verurteilte zum Anlass, diesen in aggressivem Tonfall zu fragen:
"Warum grinsen sie so?". Der Zeuge war sehr überrascht angesichts dieses unge-
90
wöhnlichen Verhaltens des ansonsten stets ruhig und zurückhaltend auftretenden
Verurteilten . Der Zeuge stellte das Grinsen in Abrede und verwies darauf den
Verurteilten darauf, dass ihm dessen Erklärungen suspekt erschienen. Hiermit
begnügte sich der Verurteilte.
Ein Eintrag in den in der Justizvollzugsanstalt über das Verhalten der Insassen
geführten Wahrnehmungsbogen erfolgte nicht.
91
Auch dem Zeugen C3 gegenüber äußerte der Verurteilte wiederholt, dass er
seinen christlichen Glauben aktiv praktiziere, damit versuche, unreinen Fantasien
im Falle erneuten Aufkommens zu beherrschen und daher keine therapeutischen
Gespräche mehr benötige. An Gruppen-gesprächen nahm der Verurteilte fortan
nicht mehr teil.
92
Er besuchte allerdings 13 Stunden "Soziales Training", in denen Rat-schläge zu
alltagstauglichem Verhalten gegeben werden.
93
Im März des Jahres 2003 konnte der Zeuge und Justizvollzugsbeamte Q einer Bitte
des Verurteilten nicht entsprechen. Der Verurteilte schrie daraufhin herum und
fragte den Zeugen, was er gegen ihn habe. Er beruhigte sich allerdings unmittelbar
und leistete den weiteren Anord-nungen des Zeugen unverzüglich Folge. Bei dem
nächsten Kontakt wenige Stunden später entschuldigte er sich bei dem Zeugen.
Der Vorfall wurde auf Veranlassung des Zeugen in den über den Verurteilten
geführ-ten Wahrnehmungsbogen aufgenommen, dies allerdings deshalb, weil die
bei der Reaktion zum Ausdruck kommende Emotionalität für den ansonsten stets
ruhig, freundlich und ausgeglichen wirkenden Verurteilten ungewöhnlich war. Der
Zeuge hat bekräftigt, dass die Reaktion mehr aufgeregt denn ausbruchsartig war
und der Verurteilte dabei zu keinem Zeitpunkt aggressiv wirkte.
94
Das gesamte sonstige Vollzugsverhalten des Verurteilten war –abgesehen von
einer kleinen Unregelmäßigkeit bei der Verleihung eines Gegenstandes-
unauffällig. Der Verurteilte lebte zurückgezogen, pflegte kaum Kontakte zu
Mitgefangenen und war in seinem Verhalten den Be-diensteten der
Justizvollzugsanstalt gegenüber freundlich, folgeleistend und zuvorkommend. Er
verrichtete gerne und zuverlässig übertragene Arbeiten. An Freistunden ebenso
wie an Sportangeboten nahm er kaum teil.
95
Die einzigen intensiven Kontakte pflegte der Verurteilte zu Mitgliedern der in T3
ansässigen evangelischen Freikirche. Der Verurteilte besuchte regelmäßig die
Gottesdienste und nahm an Gesprächen teil. In diesen Gesprächen erwies er sich
als sehr bibelkundig und belesen, blieb jedoch unaufdringlich und persönlich
zurückgezogen. Über persönliche Dinge oder seine Vergangenheit sprach er nicht.
Seine Glaubensbrüder, die Zeugen C2, T5 und C9, die ihn zum Teil in
regelmäßigen Bibelkreisen erlebten, empfanden ihn als authentischen
überzeugten Christen, der zu einem Austausch in Glaubensfragen fähig und bereit
war.
96
Nachdem der Verurteilte auf die Prüfung der Frage einer vorzeitigen Entlassung
zum Zwei-Drittel-Termin verzichtet hatte, verfasste der Zeuge C3 unter dem
28.05.2004 eine Stellungnahme zum Vollzugsverlauf sowie der Legalprognose.
Der Zeuge gelangte zu dem Ergebnis, bei dem Verurteilten habe keine
97
nachvollziehbare Entwicklung stattgefunden. Er bewertete den Verurteilten als
strukturell gestörte Persönlichkeit, wel-chem in subjektiv erlebter krisenhafter
Zuspitzung auch künftig keine geeigneten Mittel zur Verfügung stünden, im
psychosozialen Umfeld entstandene Konflikte und Probleme erfolgreich zu
bearbeiten, so dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Ich –Fähigkeiten
(Wahrnehmung, Reflektion, Entscheidung, Kritik) überbelastet, Es-Anforderungen
(Triebimpulse) nicht integriert werden können und eine erneute Straffälligkeit zu
verzeichnen sei.
Als Prognosefaktoren hatte der Zeuge seiner Beurteilung unter anderem
nachfolgende Kriterien zugrundegelegt:
98
"Zahlreiche besonders gewalttätige Delikte bzw. besonders grausame Taten mit
übermäßiger Gewaltanwendung, Delikte mit hoher statistischer
Rückfallwahrscheinlichkeit, Neigungen, sich kriminogene Situationen selbst zu
schaffen, Kriminalität als eingeschliffenes Verhaltensmuster in der Biografie
erkennbar, Herkunft aus dissozialem Milieu, früher De-linquenzbeginn, lange oder
chronifizierte Symptomatik mit Bezug zur Delinquenz bei anhaltendem
personenbezogenen Wahn, Denkstörungen, Affekt- und Antriebsstörungen, seit
Kindheit oder Jugend bestehende bleibende Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen, dissoziale Merkmale, Bindungs- und Haltlosigkeit,
unterdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit, deliktsfördernde Ansichten
und Einstellungen, die Neigungen, psychisch gestört zu sein oder sich norm-
abweichend zu verhalten, beständige Versuche abzuwehren, zu bagatellisieren
und zu täuschen, gestörte Wahrnehmung der sozialen Realität, geringes
Durchhaltevermögen, geringe Frustrationstoleranz, Impulsivität, keine erkennbare
Veränderung der grundlegenden Verhaltensdispositionen oder der
Persönlichkeitsstruktur, Verweigerung therapeutischer Angebote, Leugnen der
Täterschaft, Projektion des eigenen Fehlverhaltens auf Dritte, fehlende
Kontrollmöglichkeit sowie keine Bereitschaft, sich ernsthaft mit der eigenen Störung
auseinander zu setzen."
99
Auf einer anschließenden Vollzugskonferenz im August des Jahres 2004 wurden
sowohl die Anordnung der Führungsaufsicht als auch die der
Sicherungsverwahrung befürwortet.
100
Mit Beschluss vom 05.11.2004 hat die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Hagen –61 StVK 453/04 LG Hagen- Führungsaufsicht für die Dauer
von fünf Jahren angeordnet, den Verurteilten der Aufsicht eines hauptamtlichen
Bewährungshelfers unterstellt und ihm zahlreiche Weisungen, unter anderem die
Unterlassung des Kontaktes mit Kindern und Jugendlichen, erteilt.
101
Die nachfolgenden Feststellungen zur körperlichen und geistigen Ver-fassung des
Verurteilten beruhen im wesentlichen auf den gutachter-lichen Ausführungen der
von der Kammer hinzugezogenen Sachver-ständigen Dr. med. (Uni.) C4 und T4
sowie Dr. med. U2 und C2. Diese haben ihre Erläuterungen auf den Inhalt sämt-
licher vorhandener Strafakten einschließlich darin befindlicher ärztlicher
Stellungnahmen, die eingehende und umfassende Exploration des Ver-urteilten
sowie die Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung gestützt. Angaben über die
körperliche Verfassung des Verurteilten sind deswei-teren zu entnehmen dem
Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G2 insbesondere zu der Frage eines bei
102
dem Verurteilten bestehen-den krankhaften Juckreizes.
Der Verurteilte zeigte sich bei der Exploration gegenüber allen Sach-verständigen
offen, aufgeschlossen, zugewandt und angepasst. Seine Stimmungslage war ruhig
und ausgeglichen. Er äußerte Reue und Be-dauern über das Geschehene und ließ
hinreichende Reflektionsfähigkeit sowie hinreichenden Realitätsbezug erkennen.
103
Der Verurteilte erweist sich danach als im wesentlichen von guter körper-licher
Gesundheit. Feststellbar sind lediglich erhöhte Bilirubinmesswerte im Blut mit der
Folge unvermeidlichen Juckreizes und Kratzen in ver-schiedenen Körperregionen.
Bei einer im Februar diesen Jahres auf Ver-anlassung des Sachverständigen Dr.
U2 durchgeführten kern-spinthomographischen Untersuchung des Schädels
wurden geringfügige degenerative Veränderungen in lokal abgegrenzten Arialen
der Mark-lagen des Gehirns vorgefunden. Feststellbare hirnorganische Auswir-
kungen auf das Verhalten des Verurteilten vermochten die Sachver-ständigen
hingegen nicht zu treffen, da Entstehungsgrund, Entstehungs-zeit und feststellbare
Wirkung dieser hirnorganischen Auffälligkeit nicht eruierbar waren.
104
Unter Anwendung klinischer sowie diagnostischer Methoden zur Erfas-sung der
Persönlichkeit des Verurteilten haben die Sachverständigen übereinstimmend
dargelegt, dass bei diesem keine Hinweise für inhalt-liche Denkstörungen,
paranoide Prozesse oder Wahnideen vorliegen. Die testpsychologische
Untersuchung –unter anderem unter Anwendung des reduzierten Wechsler-
Intelligenztests (WIP 86)- hat ergeben, dass die intellektuelle Leistungsfähigkeit
des Verurteilten im untersten Durch-schnittsbereich (Wert bei 94) anzusiedeln ist.
Er kann gleichwohl selb-ständig und logisch auf einfachem Niveau denken, erfasst
Ursache, Be-dingung und Zusammenhänge, kann kognitiv gestalten und
strukturieren. Durchgeführte Tests für cerebrale Insuffizienz (cI-Test und Benton-
Test) weisen auf eine vorhandene Hirnleistungsschwäche hin.
105
Bei der Persönlichkeitserfassung stellte sich der Verurteilte unter Ein-beziehung
sämtlicher maßgeblicher längsschnittlicher und querschnitt-licher Kriterien als am
ehesten nahestehend dem Typ einer ängstlich-vermeindenden Persönlichkeit mit
asthenischen Anteilen dar (ICD 10: F60.6; F60.7). Hierfür sprechen andauernde
und umfassende Gefühle von Anspannung und Besorgtheit, gewohnheitsmässige
Befangenheit und Gefühle von Unsicherheit und Minderwertigkeit, andauernde
Sehn-sucht nach Zuneigung und Akzeptiertwerden, Überempfindlichkeit
gegenüber Zurückweisung und Kritik, personale Beziehungsproblematik,
Selbstwahrnehmung als hilflos vor Verlassenwerden und von innerer Zerstörtheit
und Hilflosigkeit bei der Beendigung einer Beziehung.
106
Das Vorhandensein dieser Merkmale bzw. das Ausmaß ihres Vorliegens erreicht
jedoch den übereinstimmenden Erläuterungen der Sachverstän-digen zufolge
allenfalls den Grad einer Persönlichkeitsakzentuierung, nicht hingegen einer
Störung. Nach dem sachverständigenseits berück-sichtigten strukturell-sozialen
Konflikt-/Störungsbegriffs von Rasch sind die für eine Störung insgesamt
erforderlichen Beeinträchtigungen des Realitätsbezugs, der Ich-Identität, der
Verhaltenskontrolle, der sozialen Kontrolle und der kognitiven Strukturen nicht
ausreichend darstellbar. Es fehlt an Dichte, Bandbreite und Häufigkeit
beeinträchtigender Elemente.
107
Belegen in der Entwicklung des Verurteilten lässt sich dies darin, dass es diesem
trotz seiner desolaten sozialen Kindheitsbedingungen immer wieder gelungen ist,
sich in soziale Gefüge einzufinden und der Suche nach Zuneigung im familiären,
insbesondere ehelichen Verband verhaftet zu bleiben. Trotz der Dissonanzen, in
die sein Leben auch bedingt durch die eigenen strukturellen Defizite wiederholt
geriet, hat der Verurteilte keine dissoziale Entwicklung genommen oder Merkmale
einer narziss-tischen Persönlichkeit verinnerlicht, sondern strebt vielmehr bei be-
stehender mangelnder Selbstsicherheit nach haltgebender Orientierung. Dass er
diese teilweise in seinem christlichen Glauben als sinnhafte Antwort auf seine
Lebensproblematik findet, unterstützt ihn häufig bei in seiner Entwicklung zu
beobachtenden Prozessen der Stabilisation. Nach der offensichtlichen
Affektüberwältigung bei Tötung seiner ersten Ehe-frau gelang ihm eine positiv-
personale Veränderung während der Zeit des Strafvollzugs. Wenngleich der
Verurteilte auch aufgrund seiner Ich-Schwachheit in seinen interaktiven
Kompetenzen reduziert blieb und weiterhin Mängel auf der emotionalen Ebene wie
auch der kritischen Ich-Reflektion aufwies und auch heute noch aufweist, so
bestätigte sich gleichwohl die seinerzeit von Prof. Dr. S3 erstellte positive
Prognose der kontrollierten Aggressionsausübung. Die in der zweiten Ehe
auftretenden Konflikte ließen erneut die bestehende nicht unerhebliche
Selbstproblematik in der Person des Verurteilten hervortreten. Er vermochte sich
jedoch im Hinblick auf körperliches Gewaltan-wendungsverhalten zu kontrollieren.
Zugleich konvertierte er seine Konflikte jedoch in abweichendes Sexualverhalten.
Diese Verhaltensweisen wiederum stellen aus sachverständiger Sicht maßgeblich
sexuelle Regressionsdelikte dar, sind hingegen nicht Ausdruck einer vorhandenen
Pädophilie. Die hierfür entwickelten Kriterien liegen bei dem Verurteilten aus
sachverständiger Sicht nicht vor. Die sexuelle Entwicklung des Verurteilten verlief
ungestört. Eine sexuelle Perversion oder fixierte sexuelle Devianz haben die
Gutachter ausgeschlossen. Das akzentuierte sexualdeviante Verhalten zeigt keine
räumliche, personelle oder zeitliche Ausuferung. Die Intervalle zwischen den
Übergriffen waren vergleichsweise groß. Der Verurteilte zeigt keine progredienten
sexuellen Fantasien und keine sadistischen Tendenzen. Er ist überdies selbst kein
Missbrauchsopfer und seine sexuelle Kriminalität begann nicht in relativ frühen
Lebensjahren.
108
Die Sexualstraftaten bewegen sich den Erläuterungen der Sachverstän-digen
zufolge überdies auf einer gänzlich anderen Motivationsebene als das
Tötungsdelikt. War jenes Ausdruck affektüberwältigter Gefühle der Angst, des
Verlustes, der Zurückweisung, aber auch der Rache und des Hasses, so stellen
sich die Sexualstraftaten des Verurteilten bei psychiatrisch-psychologischer
Betrachtung letztlich als Ersatzhandlungen dar. Das sexuelle Fehlverhalten ist
dabei in seiner Intensität zu sehen als eine deviante Reaktion zugleich als
Konfliktlösungsmuster in einer bio-grafisch einmaligen Lebensphase. Bindeglied
zwischen der exzessiven Gewalttat sowie den Sexualstraftaten ist dabei allenfalls
die bei dem Ver-urteilten bestehende Belastungsschwäche, keineswegs jedoch ein
strukturelles Element der persönlichen Gestörtheit.
109
Auch die zweite Haftzeit führte zu Konsolidierungsprozessen, zu denen auch der
wiederum erstarkte Glaube des Verurteilten beitrug. Wenn-gleich die unterbliebene
Teilnahme an einer einzel- oder gruppen-therapeutischen Maßnahme bzw. deren
Abbruch der positiven Weiter-entwicklung nicht zuträglich war, zeigt sich
andererseits in der darin zum Ausdruck kommenden Haltung des Verurteilten nicht
110
seine absolute Therapieunwilligkeit. Die Sachverständigen haben
übereinstimmend ausgeführt, der Verurteilte – der in der Hauptverhandlung seine
Thera-piebereitschaft erklärt hat – sei therapiefähig und therapierbar. Sie haben
jedoch zugleich auf das Erfordernis besonderer Behutsamkeit bei Beginn einer
Therapie des Verurteilten hingewiesen, da bei der bestehenden
Persönlichkeitsstruktur desselben dem anfänglichen Vertrauensaufbau besonderes
Gewicht beizumessen sei. In den Äußerungen des Verur-teilten, er dürfe schlechte
Gedanken nicht mehr zulassen, offenbarten sich Ansätze zu –gewollten-
Prozessen der Verarbeitung. Die Ich-schwache Persönlichkeitsstruktur des
Verurteilten mache jedoch ein beständiges therapeutisches Nachgehen
erforderlich, um den Rück-zugsmechanismus bei Unsicherheitsempfindung des
eigenen Selbst zu überwinden. Da diese Arbeit nicht erfolgt ist, stellte sich der
Therapie-abbruch hier nicht – fraglos - als Verweigerung weiterer Aufarbeitung,
sondern unter den gegebenen Bedingungen allenfalls als "Abbruch zweiter
Klasse" dar, wobei die Therapieverweigerung im Ergebnis keine Verschlechterung
in der Persönlichkeitsentwicklung des Verurteilten bedinge, sondern lediglich einer
beschleunigt und zunehmend positiveren Entwicklung entgegenstehe.
Im Rahmen der prognostischen Bewertung haben sich die Sach-verständigen mit
dem Anlassdelikt, der prädeliktischen Persönlichkeit, der postdeliktischen
Persönlichkeitsentwicklung sowie dem sozialen Empfangsraum des Verurteilten
auseinandergesetzt. Sie haben desweiteren unter Rückgriff auf die
Prognosekriterien von Dittmann, der HCR 20 sowie der SVR 20 Variablen
ausgeführt, der Verurteilte sei eine geistig-seelisch gesunde Persönlichkeit , die
keine neurotischen oder psychopathologischen Störungen aufweise, die keine
dissoziale Entwicklung genommen habe, und bei der keine Kriminalität als
eingeschliffenes Verhaltensmuster bestätigt werden könne. Obwohl kein
Bewährungsversager, sei der Verurteilte allerdings vordelinquent und konstruiere
schnell Beziehungskonflikte. Wenngleich der Verurteilte letztlich seiner selbst nicht
ansichtig werde, so zeige er jedoch erhebliche Reue über sein Verhalten und
versuche sich in keinerlei Tatleugnung oder Schulddelegation. Er projiziere sein
eigenes Fehlverhalten nicht auf Dritte und habe im Laufe der Zeit ausreichende
Kontrollmöglichkeiten im Umgang gewonnen. Gleichwohl bestehe bei dem
selbstunsicheren Verurteilten eine relativ geringe Frustrationsschwelle, für die er
allerdings die Vermeidungstechnik des inneren Rückzugs entwickelt hat. Obschon
er den personalen Konfliktursachen nicht ansichtig wird, vertiefte
Selbstkonfrontation vermeidet und letztlich aufgrund praktizierter
Selbstdistanzierung keine vertiefte Einsicht in seine Persönlichkeitsmängel
gewonnen hat, so ist ihm hierbei in Rechnung zu stellen, dass er nur über ein sehr
niedriges Introspektionsniveau verfügt; gleichwohl verfügt er - wie das
Vollzugsverhalten belegt –über soziale Ressourcen, die ihn bei nichtbestehenden
subkulturellen Aktivitäten, der nicht vorhandenen kriminellen Identität, den nicht
kriminellen Denk- und Verhaltensweisen sowie der unterbliebenen Adaption an
subkulturelle Strukturen als sozial integriert, emotional verlässlich und
gewissensorientiert ausweisen. Eine generelle Störung der Impulskontrolle läßt
sich überdies bei dem Verurteilten nicht feststellen.
111
Die Sachverständigen haben abschließend übereinstimmend und mit Nachdruck
erläutert, sich der prognostischen Beurteilung des Zeugen C3, den von diesem
zugrundegelegten Prognosekriterien sowie den festgehaltenen Ergebnissen nicht
anzuschließen. Zur Begründung haben die Sachverständigen dargelegt, dass sich
112
die von dem Zeugen gefun-denen Kriterien aufgrund eigener umfassender
Exploration und Unter-suchung im wesentlichen weder bestätigen ließen, noch die
darin zum Ausdruck kommende nazistische Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten
belegt werden konnte.
In der Gesamtschau der Kriterien haben die Sachverständigen aus-geführt, es sei
prognostisch und im Höchstmaß allenfalls von einer Rückfallwahrscheinlichkeit
von 25 % bis 50 % auszugehen, wobei hierbei die Prognose hinsichtlich des
Gewaltdelikts prospektiv niedriger, die hinsichtlich der Sexualstraftaten höher
ausfalle, letztere allerdings deswegen, weil bei der prognostischen Bewertung
nicht nur eine Orientierung an den Straftaten, sondern an dem sexuell insgesamt
grenzüberschreitenden Verhalten des Verurteilten in den Jahren ab 1988 erfolgt
sei.
113
Eine bestehende verfestigte Neigung zur Begehung von Straftaten haben die
Sachverständigen wegen der nicht festgestellten Persönlichkeits-störung, der
fehlenden Hartnäckigkeit einer kriminellen Lebensführung, der geringen Anzahl
und der Verschiedenartigkeit der Delikte, dem Fehlen von dissozialen Zügen, dem
Vorhandensein von sozialen Normen und der Vorstellung von Religion und Moral
bei gewonnener Selbst-kontrolle nicht ermittelt.
114
III.
115
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Verurteilten, den Aus-sagen der
vernommenen Zeugen, den verlesenen Urkunden sowie den sonst in der
Hauptverhandlung erhobenen Beweisen, insbesondere der Einvernahme der
Sachverständigen Dr. C4 und T4, Dr. U2 und C2 sowie Prof. Dr. G2.
116
IV.
117
Nach den getroffenen Feststellungen sind die Voraussetzungen für die nachträgliche
Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß §
66 b Abs. 1 StGB nicht erfüllt.
118
1. Der Verurteilte wurde zwar mit dem Ausgangsurteil wegen begangener
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt.
119
2. Es sind jedoch vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe keine Tatsachen
erkennbar geworden, die auf eine erhebliche Gefahr des Verurteilten für die
Allgemeinheit hinweisen und bei denen die Gesamtwürdigung des Verurteilten,
seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs
ergeben hat, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen
wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
120
"Neue" Tatsachen im Sinne der neugeschaffenen Vorschrift des § 66 b Abs. 1
StGB sind Tatsachen jenseits einer gewissen Erheblichkeits-schwelle, wobei der
Gesetzgeber durch den Verzicht auf eine exem-plarische oder "namentliche"
Nennung in der Strafbestimmung zum Ausdruck gebracht hat, dass monokausale
Erklärungsmuster fehl am Platz sind. Zugleich wird durch diese gesetzgeberische
Ausgestaltung der Weg geebnet für den weiteren Prüfungsschritt in Gestalt der von
Verfassungs wegen gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. Bundestagsdrucksache
121
15/2887, Seite 12; BGH, Urteil vom 11.05.05, Az.: 1 StR 37/05).
Exemplarisch genannt in den Gesetzesmaterialien sind dabei als
Anknüpfungspunkte für eine weitere Prüfung zum beispielsweise wiederholte
verbal-aggressive Angriffe auf Bedienstete der Justizvollzugsanstalt, die Drohung
des Verurteilen, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen, die Begehung
einer neuen Straftat während des Vollzugs oder intensive Kontakte zu einem
gewaltbereiten Milieu aus der Haft heraus.
122
Hierbei entspricht es schließlich dem der Neuregelung zugrunde lie-genden
Sicherungszweck, nicht nur auf solche Tatsachen abzustellen, die während des
Vollzugs der Freiheitsstrafe eingetreten sind, sondern auch solche ausreichen zu
lassen, die in diesem Zeitraum bekannt werden. Neue Tatsachen sind insoweit
auch während der Haftzeit dia-gnostizierte psychische Normabweichungen, die
Anhaltspunkte und Hinweise liefern auf eine verfestigte Neigung, auf beziehungs-
bzw. partnerschaftliche Probleme mit der Begehung von Straftaten zum Nachteil
des jeweiligen Partners zu reagieren. Eine solche Neigung stellt eine die
Anordnung der Sicherungsverwahrung grundsätzlich zu begründen vermögende
Persönlichkeitsstörung dar. (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.02, Az.: 4 StR 343/02; OLG
Hamm, Beschluss vom 13.01.05, Az.: 2 Ws 8 u. 9/05; OLG Koblenz, StV 2004, S.
665 ff.).
123
Nach den überzeugenden Ausführungen der über großes klinisches und
forensisches Erfahrungswissen verfügenden Sachverständigen, denen die
Kammer sich aufgrund der Nachvollziehbarkeit der Erläuterungen, den
detailreichen Erklärungsfassetten und der in sich geschlossenen, logisch zu
verfolgenden Beziehungszusammenhänge, anschließt, liegt bei dem Verurteilten
eine solche Persönlichkeitsstörung nicht vor. Die bei diesem vorhandenen
Akzentuierungen einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeit, die
entwicklungspsychologisch abzuleiten sind aus den desolaten Verhältnissen in der
primären Sozialisationsphase von der Geburt bis zum 6./7. Lebensjahr an, sind
nicht ausgeufert in die Dimen-sion einer Störung. Es fehlt an Breite, Intensität und
Dauerhaftigkeit störender Elemente, da die Untersuchung des Verurteilten auf die
Variablen Realitätsbezug, Verhaltenskontrolle, soziale Kompetenz, kognitive
Strukturen und Ich-Identität belegt hat, dass dieser in sämtlichen Kategorien über
zumindest ausreichende Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt und ein
krankheitswertiges Abweichen jedenfalls nicht darzustellen ist. Zwar belegen die
Verhaltensweisen des Verurteilten in von ihm empfundenen Situationen der
Ablehnung und insbesondere des Konfliktaufbaus im persönlichen Nahbereich –
Konflikte mit den Lehrherren, das Verhältnis zu Anita Weber, das Scheitern der
ersten Ehe und die Tötung der ersten Ehefrau, das Scheitern der zweiten Ehe
sowie die Straftaten zum Nachteil der Stieftochter und der leiblichen Tochter- die
bei dem Verurteilten vorhandene Belastungsschwäche bei relativ geringer
Frustrationsschwelle; zugleich zeigt jedoch die Entwicklung des Verurteilten
innerhalb seiner gesamten bisherigen Lebensgeschichte, dass seine
Verhaltensweisen nicht starr, sondern flexibel, der Reflexion zugänglich und
veränderbar sind. Die Abwendung von der auto- und fremdaggressiven
körperlichen Gewalt, die ihren ausbruchsartigen Höhepunkt in der Tötung der
ersten Ehefrau fand, erfolgte während der ersten Haftzeit unter Zuhilfenahme der
Beschäftigung mit der christlichen Lehre. Durch diese –ohne therapeutische
Begleitung erfolgende- Entwicklung wurden sozialkompetente und steuernde
124
Fähigkeiten des Verurteilten offenbar. Die gleichwohl unsozial entgleisenden,
grenzüberschreitenden und zum Teil übergriffsartigen Verhaltensweisen
gegenüber den weiblichen Kontaktpersonen des Verurteilten im Zusammenhang
mit dem privaten und beruflichen Leben in der Gemeinde weisen zwar auf eine
erhöhte Sexualisierung des Verurteilten hin, liegen andererseits hingegen
motivatorisch auf einer anderen Ebene. Sie sind Ausdruck eines
unangemessenen, distanzüberschreitenden Werbungsverhaltens bei einem
übergroßen Interesse an Sexualität, die dem Verurteilten nicht nur zur
Triebbefriedigung, sondern auch als Zuwendungsinstrument bedeutsam war. Die
Kammer vermochte dabei allerdings in keinem Fall festzustellen, dass der
Verurteilte nach ausdrücklicher oder unmissverständlicher Zurückweisung in sich
aufdrängender Weise nachgesetzt hätte. Er trat vielmehr –zumindest im Kontakt mit
weiblichen Erwachsenen- den Rückzug an. Hierin werden gewonnene
Selbstkontrollfähigkeiten des Verurteilten ersichtlich, mit Hilfe derer er offenbar zu
reflektierten und gesteuerten Verhaltensweisen befähigt ist. Das Einsetzen
derselben Steuerungsprozesse ist festzustellen bei dem Vorfall am Büchertisch,
dem Nachgeschehen am Auto des Zeugen X5, den verbalen Attacken gegenüber
seiner zweiten Ehefrau, dem Schimpfen über vermeintliche Unordentlichkeit auf
der Station des Altersheims, dem Geschehen bei der Zeugin B2 sowie den beiden
festgestellten Reaktionen während der zweiten Inhaftierung gegenüber den
Zeugen Q und M4.
Die Sachverständigen haben zur Überzeugung der Kammer erläutert, dass der
Verurteilte sich aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur jeweils überkritisiert bzw.
abgelehnt gefühlt hat und aufgrund empfundener Herabwürdigung,
Minderwertigkeit, aber auch Hilflosigkeit wie geschildert reagiert hat. Zugleich
beschränkten sich seine Reaktionen jedoch auf –im Höchstfall- verbal aggressiv
wirkende Verhaltensweisen ohne weitere Konsequenzen, worin deutlich die
Stabilisierung der Verbesserung des Aggressionsmanagements des Verurteilten
bei gewonnener Selbst-kontrolle zum Ausdruck kommt.
125
Die Straftaten der Ausgangsverurteilung fußen auch nicht auf derselben Wurzel
wie das Tötungsdelikt. Wie psychiatrisch-psychologisch erläutert, stellen die
Sexualstraftaten Regressionsdelikte dar, die motivatorisch gekennzeichnet sind
von Gefühlen der emotionalen Vernachlässigung und sexuellen Deprivation.
Aufgrund der bei dem Verurteilten diagnosti-zierten Pädosexualität, nicht aber einer
Pädophilie, ist seinem Verhalten kein neurologisch-psychiatrischer Krankheitswert
beizumessen. Anzahl, Häufigkeit und Ausmaß der Taten sowie die Zugehörigkeit
der Opfer letztlich zum familiären Verband des Verurteilten liefern keine Hinweise
auf eine Ausuferung der Taten. Die darüber hinaus festgestellte Doku-mentation
von Fotos halbnackter Kinder oder seiner leiblichen Tochter bewerteten die
Sachverständigen als sexualdeviantes, angesichts der Persönlichkeitsstruktur des
Verurteilten jedoch nicht als gestörtes Ver-halten wegen des darin letztlich zum
Ausdruck kommenden unbe-holfenen Umfangs mit eigenen sexuellen Wünschen.
Wenn insoweit letztlich auch ungeklärt blieb, welcher motivatorischen Verästelung
der Umgang mit den Fotografien halbnackter Kinder entsprach, so haben die
Sachverständigen aber jedenfalls ausgeschlossen, dass dieses Verhal-ten Beleg
für eine zu diagnostizierende Pädophilie ist. In Ermangelung der Kriterien für einen
solchen Befund stellt sich der Umgang mit den Fotos danach vielmehr als
Ausdruck einer infantilen Handlungsweise bestimmt durch emotionale Sehnsüchte
dar.
126
Die Kammer hat im Rahmen der Gesamtwürdigung des Verurteilten und der in
diesem Lichte zu beleuchtenden Anknüpfungstatsachen auch in besonderer Weise
den Therapieabbruch des Verurteilten in die eigene Prüfung einbezogen. Nicht zu
verkennen war dabei zweifelsohne die positive Bedeutung einer Therapie für die
zukünftige Entwicklung des Verurteilten. Die Kammer vermochte sich andererseits
den sachver-ständigen Erläuterungen nicht zu verschließen, nach denen die
Durch-führungsbedingungen für eine erfolgversprechende Therapie für den
Verurteilten nicht günstig waren, da dieser aufgrund seiner persönlichen
Ausgestaltung einer besonderen Motivation durch den Therapeuten bedurft hätte.
Eingedenk des Umstandes, dass gegen den Willen eines Verurteilten eine
Behandlungsmaßnahme im Strafvollzug nicht erzwungen werden darf, ist
jedenfalls durchaus die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass der Verurteilte bei
einem einzeltherapeutischen Nachsetzen durchaus eine größere gelebte
Therapiebereitschaft entwickelt hätte. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die
tatsächlichen Bedingungen im Justizvollzugsalltag –zumal der Verurteilte nicht auf
der sozialtherapeutischen Abteilung aufgenommen war- eine solch individuelle
Betreuung nur schwer zu leisten vermögen. Gleichwohl relativiert sich angesichts
dieser faktischen Umstände die Bewertung des Abbruchverhaltens des
Verurteilten.
127
Die Kammer sieht sich in diesem Zusammenhang veranlasst, aus-drücklich darauf
hinzuweisen, dass sie der in der Hauptverhandlung ab-gegebenen Erklärung des
Verurteilten, er sei nun willens zu einer Thera-pie, erheblichen Bedenken
entgegenbringt.
128
An der zu relativierenden Bedeutsamkeit des geschilderten vorzeitigen
Therapieabbruchs mag dies jedoch nichts zu ändern.
129
Nach den getroffenen Feststellungen führt die nach § 66 b Abs. 1 StGB verlangte
Gefährlichkeitsprognose auch nicht dahin, dass die Begehung erheblicher
Straftaten durch den Verurteilten mit hoher Wahrscheinlich-keit zu erwarten ist.
130
Die Kammer wertet das Merkmal der hohen Wahrscheinlichkeit dahin-gehend,
dass die Gefahr neuerlicher Straffälligkeit jedenfalls wahrscheinlicher als das
Ausbleiben neuer Straftaten sein muss, denn der gesteigerte Gefährlichkeitsgrad in
§ 66 b Abs. 1 StGB im Unterschied zu § 66 a StGB kennzeichnet den
Ausnahmecharakter der hier geforderten Prognoseentscheidung (vgl.
Bundestagsdrucksache 15/2887, S. 13). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab soll
dabei zugleich der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei
gebotener restriktiven Handhabung des § 66 b Abs. 2 StGB dienen. Die
gutachterlichen Grundlagen einer nach sachverständiger Beratung zu treffenden
richterlichen Prognoseentscheidung sind insoweit einer eingehenden Überprüfung
auf Nachvollziehbarkeit und Transparenz, dem Vorhandensein einer
ausreichenden Prognosebasis, d. h. einer lebenslängs- und
lebensquerschnittlichen Beurteilung des Verurteilten sowie des Darlegens der
Untersuchungsmethoden zu unterziehen (vgl. Bundesverfassungsgericht, 2. Senat,
Urteil vom 05.02.04, Az.: 2 BvR 2029/01).
131
Die von den vier forensisch erfahrenen Sachverständigen erstatteten Gutachten
genügen diesen Anforderungen in jeder Beziehung. Die Sach-verständigen haben
132
sich umfassend mit dem Anlassdelikt, der prädelik-tischen Persönlichkeit, der
postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung sowie dem sozialen Empfangsraum
des Verurteilten befasst. Die beiden Sachverständigenteams haben - unabhängig
von einander, aber im Ergebnis übereinstimmend - dargelegt, der Verurteilte habe
nicht zuletzt auch wegen des Alterungsprozesses sowie seinen beständigen und
auch erfolgreichen Versuchen nach sozialer Stabilität eine Entwicklung vollzogen.
Seine gesamte Sozialentwicklung zeige keine kriminelle Ver-festigung.
Wenngleich er fortbestehend belastungsschwach und letztlich seiner selbst sowie
den Ursachen seiner Konflikte nicht ansichtig sei, so fassen die Sachverständigen
das prognostische Fazit übereinstimmend dahin, dass auf der Basis von bekannter
sexueller Devianz, Persön-lichkeitsstruktur sowie vorausgehender Sozialisations-
und Entwick-lungsbedingungen ein zwar durchaus erhöhtes Rückfallrisiko
vorliege, dieses jedoch in jedem Fall hinter einer 50 %igen Erwartung in der
Gesamt-schau zurückbleibt. Dabei haben die Sachverständigen ihre prog-
nostischen Ausführungen differenziert dahingehend ausgestaltet, dass die
Rückfallquote hinsichtlich der Gefahr von Gewaltdelikten noch deutlich hinter derer
für Sexualdelikte zurückbleibt. Bestimmendes nach-teiliges Elemente in der
Prognose hinsichtlich eventuell zu erwartender Sexualstraftaten war dabei
maßgeblich das grenzüberschreitende Verhalten gegenüber den weiblichen
Kontaktpersonen bei ansonsten nicht eruierbarer Pädophilie. Die Betrachtung des
Rückfallrisikos unter maßgeblicher Orientierung an den verübten Straftaten, so
wurde sachverständigerseits erläutert, würde zu einer gruppenstatistisch noch
günstigeren Einschätzung des Verurteilten führen, welche dann von den
vergleichsweise geringeren Rückfalldaten hinsichtlich inzestuöser Täter bei einer
üblicherweise postdeliktisch erfolgenden Trennung von Opfern und Tätern
profitierte.
Unter Heranziehung der Kriterien nach Dittmann, des HCR-20 und des SVR-20
(sexual violence risk nach Boer, Hardt u. a.) sowie insbesondere des
vorangegangenen Testverfahrens im NEO-Persönlichkeitsinventar fassen die
Sachverständigen ihre prognostischen Grunderkenntnisse dahingehend
zusammen, dass bei dem Verurteilten eine eher geringe und wenig virulente
sexuelle Devianz ebenso wie eine vergleichsweise eher geringe Belastung
hinsichtlich kriminellen Lebensstils, d. h. bezüg-lich früher Prägung, Kontinuität,
kriminellem Umfeld sowie generalisierter antisozialer Einstellung vorhanden sind.
Zwar sind bei der Gesamtbe-trachtung der Entwicklung des Verurteilten durchaus
Elemente psycho-sozialer Fehlanpassung im Kontext struktureller
Persönlichkeitsmängel nicht zu verkennen. Auch assoziiert der Verurteilte zwar
Schuld und Scham, lässt diese jedoch offensichtlich nur auf einer vordergründig
kongnitiven Ebene zu. Gleichwohl lässt der er eine völlige Deliktver-leugnung, eine
Schuldverschiebung auf das oder die Opfer oder einen völligen Mangel an
Betroffenheit nicht erkennen. Wenngleich eine therapeutisch bewegte
Umstrukturierung der Persönlichkeit des Verurteilten auch im Vollzug nicht erfolgt
ist –sachverständigenseits wurde die Empfehlung einer allgemeinen Therapie für
Neurotiker empfohlen- so haben die Sachverständigen zur Überzeugung der
Kammer doch eine nachteilige Auswirkung dieses Umstandes auf die Prognose
ausgeschlossen.
133
3. Die Kammer vermochte schließlich auch nicht die Voraussetzungen eines
Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB festzustellen.
134
Zwar wird im Regierungsentwurf zu § 66 b Abs. 1 StGB ausgeführt, dass auf das
Merkmal des "Hanges" verzichtet werde ( vgl. BT- Drucksache 15/2887 S. 13);
nach der bisher bekannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom
11.05.2005, Az.: 1 StR 37/05; Urteil vom 08.07.05, Az.: 2 StR 120/05 (allerdings für
den Fall der vorbehaltenen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 a
StGB)) wird dieses Erfordernis allerdings gleichwohl für notwendig erachtet.
Begründet wird dies damit, dass im Wortlaut des Gesetzes die Zielsetzung des
Gesetz-gebers keinen Niederschlag gefunden habe, da § 66 b Abs. 1 StGB die
übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB erwähnt, ohne jedoch § 66 Abs. 1 Nr. 3
StGB auszunehmen.
135
Ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB liegt vor bei einem auf einer
verfestigten Neigung beruhenden, eingeschliffenen, durch Anlage oder Übung
erworbenen Verhaltensmusters gerichtet auf die Begehung weiterer Straftaten.
136
Diese Merkmale sind bei dem Verurteilen nicht vorhanden.
137
Nach den Ausführungen der Sachverständigen sprechen unter Heran-ziehung der
insoweit maßgeblichen Kriterien gegen den Verurteilten zwar die Taten aus seiner
Vorgeschichte. Andererseits handelt es sich dabei der Anzahl nach um –relativ-
wenige und verschiedenartige Delikte.
138
Der Verurteilte verfügt über keine kriminogene Basis oder erhebliche dissoziale
Züge. Soziale Normen sind bei ihm durchaus vorhanden, wenn auch der Umgang
mit der eigenen problematischen Persönlichkeit noch zweifelhaft erscheint, wie
sich auch in dem ambivalent zu wertenden Rückgriff auf die Domäne der Religion
erweist. Zum anderen jedoch läßt die darin jedenfalls verkörperte Suche nach
Moral und Werten die Bereitschaft zu weiterer Stabilisierung erkennen. Eine
Kriminalität als eingeschliffenes Verhaltensmuster vermochte die Kammer
jedenfalls in der Person des Verurteilten bei umfassender Rückschau und
eingedenk des fortgeschritteneren Lebensalters des Verurteilten nicht festzustellen.
139
Die Kostenentscheidung beruht auf § 275 a StPO i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.
140