Urteil des LG Bochum vom 03.07.2008

LG Bochum: unterbringung, toilette, haus, ausstattung, ruhezeit, menschenwürde, zelle, intimsphäre, zustand, emrk

Landgericht Bochum, Vollz S 20/08
Datum:
18.04.2008
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
Strafvollstreckungskammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Vollz S 20/08
Rechtskraft:
03.07.2008
Tenor:
1.
Es wird festgestellt, dass die gemeinsame Unterbringung des
Antragstellers mit ei-nem Mitgefangenen in den Hafträumen 26, 18, 14
und 29 und die gemeinsame Unterbringung des Antragstellers mit zwei
Mitgefangenen in dem Haftraum 30 der Justizvollzugsanstalt C in der
Zeit vom 05.09. bis 10.12.2007 sowie die gemeinsame Unterbringung
des Antragstellers mit zwei Mitgefangenen in dem Haftraum 31 der
Justizvollzugsanstalt C in der zeit ab dem 11.12.2007 sowie die
gemeinsame Unterbringung des Antragstellers mit einem
Mitgefangenem in dem Haftraum 27 der Justizvollzugsanstalt C bis zum
03.03.2008 rechtswidrig war.
2.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Antragsteller entstandenen
notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
I.
1
Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt C, die
vor dem 01. Januar 1977 errichtet wurde. Seit dem 05.09.2007 war der Antragsteller
ohne seine Zustimmung zunächst im Haus 1, Abteilung 11, Haftraum 26 mit einem
weiteren Mitgefangenen, dann im Haus 1, Abteilung 12, Haftraum 30 mit zwei weiteren
Mitgefangenen, dann in Haus 1, Abteilung 11, Haftraum 18 mit einem weiteren
Mitgefangenen, in Haus 1, Abteilung 05, Haftraum 14 ebenfalls mit einem
Mitgefangenen und in Haus 1, Abteilung 06, Haftraum 29 auch mit einem Mitgefangenen
untergebracht. Ab dem 11.12.2007 befand sich der Antragsteller in Haus 1, Abteilung
06, Haftraum 31 mit zwei weiteren Inhaftierten. Schließlich wurde der Antragsteller auf
die Abteilung 9 in den Haftraum 27 mit einem Mitgefangenen verlegt, bevor er am
04.03.2008 eine Einzelzelle erhielt.
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Der Haftraum 26 der Abteilung 11 im Haus 1, in dem sich der Antragsteller bis zum
17.10.2007 mit einem weiteren Inhaftierten befand, ist ca. 7,96 m² groß und der
Toilettenbereich war lediglich durch eine selbst aufstellbare Schamwand ohne eigene
Entlüftung abgetrennt. Der Haftraum 30 der Abteilung 12, in dem sich der Antragsteller
ab dem 17.10.2007 mit zwei weiteren Mitgefangenen befand, ist baugleich mit dem
Haftraum 26. Das vorstehend Gesagte gilt auch für die Hafträume 18 auf der Abteilung
11, 14 auf der Abteilung 05 und 29 auf der Abteilung 06. Ab dem 11.12.2007 befand sich
der Antragsteller im Haus 1, Abteilung 06, Haftraum 31 mit zwei weiteren
Mitgefangenen. Die Grundfläche dieses Haftraumes beträgt ca. 14 m². Im dem Haftraum
befinden sich ein Etagenbett, ein Einzelbett, ein Tisch, drei Schränke und ein
Heizkörper. Das Waschbecken ist neben dem Etagenbett installiert und nach allen
Seiten hin offen, während sich der Toilettenbereich in einer Nische befindet, die zwar
von beiden Seiten auf Grund der baulichen Gegebenheit nicht einsehbar und mit einer
Tür versehen ist, jedoch nicht über eine eigene Entlüftung verfügt. Der Haftraum 27 auf
der Abteilung 9, in dem sich der Antragsteller im Februar 2008 befand, ist wiederum nur
7,96 m² groß; der offene Toilettenbereich ist lediglich durch eine Schamwand ohne
eigene Entlüftung abgetrennt.
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Der Antragsteller hat seit dem 05.09.2007 mehrfach Anträge gestellt, in einem
Einzelhaftraum untergebracht zu werden. Diese wurden abgelehnt, der Antragsteller
aber in eine Warteliste für einen Einzelhaftraum aufgenommen. Seit dem 04.03.2008 ist
er nunmehr in einer Einzelzelle untergebracht.
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Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrt der Antragsteller die
Feststellung, dass seine gemeinsame Unterbringung mit einem Mitgefangenen in den
Hafträumen 26, 18, 14, 29 und 27, die sich alle in Haus 1 befinden, und seine
gemeinsame Unterbringung mit zwei Mitgefangenen in den Hafträumen 30 und 31, die
sich ebenfalls im Haus 1 befinden, in der Zeit vom 05.09.2007 bis zum 03.03.2008
rechtswidrig war. Zur Begründung führt der Antragsteller an, dass die Doppel- bzw.
Dreifachbelegung dieser Zellen aufgrund ihrer geringen Größe und der ungenügenden
Ausstattung einen Verstoß gegen die Menschenwürde der betroffenen Gefangenen
darstellen, weil die erforderliche Bodenfläche von 7 m² pro Inhaftiertem nicht
eingehalten werde und die Toilette nicht gesondert entlüftet sei. Dadurch sei es ihm
nicht möglich, seine Persönlichkeit frei und selbstverantwortlich zu entfalten, weil ihm
kein Raum verbleibe, in den er sich zurückziehen könne, zu dem die Umwelt keinen
Zutritt habe, in dem er in Ruhe gelassen werde, und ein Recht auf Einsamkeit genieße.
Die Unterbringung des Antragstellers in den beschriebenen Hafträumen stelle eine
Verletzung der körperlichen und psychischen Identität und Integrität dar.
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Weiter trägt der Antragsteller vor, die drastische Überbelegung und die beengten
räumlichen Verhältnisse seien in der Justizvollzugsanstalt C keine Notlage, sondern der
chronische Mangel an Haftplätzen infolge Überlegung. Insofern handele es sich nicht
um eine Ausnahmesituation, die eine Unterbringung mehrerer Gefangener in einem
Haftraum als Notgemeinschaft rechtfertige. Bei einer chronischen Überbelegung sei
wegen der fehlenden zeitlichen Begrenzung der Ausnahmecharakter einer
Mehrfachbelegung nicht gewahrt.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
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Er trägt vor, aufgrund der drastischen Überbelegung der beengten räumlichen
Verhältnisse in der JVA C hätten in der betreffenden Zeit keine freien Einzelhafträume
zur Verfügung gestanden. Er ist der Ansicht, dass eine gemeinschaftliche Unterbringung
gemäß § 18 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 201 Nr. 3 StVollzG zulässig sei, so lange die
räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erforderten. Aus Gleichbehandlungsgründen
könnten sich Gefangene auf eine Warteliste für Einzelhafträume eintragen lassen; nur
so sei eine gerechte Verteilung gewährleistet. Der Antragsteller habe allerdings durch
die abteilungsübergreifenden Verlegungen in den Wartelisten, die jeweils in den
Abteilungen geführt würden, nicht aufsteigen können.
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Zu den einzelnen Hafträumen bzw. zum Zustand der Hafträume habe sich der Leiter der
Bauabteilung wie folgt geäußert:
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"Die Ausstattung des als Notgemeinschaft genutzten
Einzelhaftraum 31 der Abteilung
6
m². Die Toilette befindet sich auf dem Haftraum 22 der Abteilung 2 unmittelbar links
hinter einem Versatz der Haftraumtüre. Hierbei handelt es sich um eine "festinstallierte
WC-Abtrennung".
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Die Grundfläche des
Einzelhaftraum 26 der Abteilung 11
Rücksprache mit dem Bereichsleiter der Abteilung ist der bauliche Zustand des
Haftraums wie vom Antragsteller beschrieben.
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Ebenso treffen die Angaben des Antragstellers für den
Einzelhaftraum 30 der
Abteilung 12
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Eine gemeinschaftliche Unterbringung ist gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 201 Nr. 3
StVollzG zulässig, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern.
Dabei besteht die Möglichkeit, einen Haftraum als Notgemeinschaft mit einem weiteren
Strafgegangenen zu belegen.
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Vor dem Hintergrund des Beschlusses des OLG Hamm vom 20.01.2005 bitte ich weitere
Einzelheiten hinsichtlich der gemeinschaftlichen Unterbringung von Gefangenen in
Hafträumen ohne abgetrennten Nassbereich (mit nur einer Schamwand verdeckten und
gesondert entlüfteten Toiletten) den Verfügungen des Präsidenten des
Landesjustizvollzugsamtes NRW vom 25.05.2005 und 08.12.2005 (531 E (III) – 6.30) zu
entnehmen. Danach sollen Gemeinschaftshafträume und darüber hinaus auch
Einzelhafträume, welche aufgrund der angespannten Belegungssituation mit zwei
Gefangenen belegt sind (Notgemeinschaften), mit entsprechenden Sanitärkabinen
ausgestattet werden. Eine Umsetzung der Maßnahme hat – bis auf 5 Musterkabinen – in
der JVA C noch nicht stattgefunden."
15
II.
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Der von dem Antragsteller gestellte Feststellungsantrag gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG
ist insgesamt zulässig.
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Ein entsprechender Feststellungsantrag setzt in verfahrensrechtlicher Hinsicht zunächst
voraus, dass die Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Anfechtungs- oder
Verpflichtungsantrag nach § 109 Abs. 1 StVollzG gewahrt sind. Dies ist hier der Fall. Die
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Zuweisung der doppelt bzw. dreifach belegten Hafträume stellt jeweils eine Maßnahme
zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs mit
unmittelbarer Außenwirkung dar (Callies/Müller-Dietz, StVollzG,9.Aufl. 2002, § 109
Rdnr. 12), wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich dabei um einen Verwaltungsakt
oder um einen Realakt handelt. Da mit der Verlegung des Antragstellers aus jedem
einzelnen Haftraum in einen weiteren und schließlich mit der Zuweisung eines
Einzelhaftraumes am 04.03.2008 Erledigung eintrat, kann eine gerichtliche Überprüfung
der beanstandeten gemeinsamen Unterbringungen nur noch im Wege eines – hier
gestellten – Feststellungsantrags gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG herbeigeführt werden.
Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ist bei dem Antragsteller gegeben. Nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht bei schwerwiegend bzw.
tiefgreifenden Grundrechtseingriffen auch nachträglich d.h. nach deren Erledigung, ein
berechtigtes Interesse des Betroffenen an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit.
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Steht, wie vorliegend, eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) durch
eine besonders einschneidende Art und Weise der zeitweiligen Unterbringung während
des Strafvollzugs in Rede, so ist ein berechtigtes Interesse des Betroffenen an der
nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser hoheitlichen Maßnahme unter
dem Gesichtspunkt des Rehabilitationsinteresses auch ohne konkrete
Wiederholungsgefahr zu erkennen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 2002, 2456;
2002, 2699 und 2700).
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Der Feststellungsantrag ist auch begründet.
21
Die oben näher beschriebene gemeinsame Unterbringung des Betroffenen mit einem
bzw. zwei weiteren Mitgefangenen in den besagten Hafträumen, die entweder mit einer
freistehenden, nur mit einer beweglichen Schamwand verdeckten und nicht gesondert
entlüfteten Toilette oder aber mit einer baulich abgetrennten Toilette ohne eigene
Entlüftung ausgestattet sind, verstieß gegen die Menschenwürdegarantie des Art.1 Abs.
1 GG und das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3
EMRK) und war daher rechtswidrig.
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Eine Doppel- oder Dreifachbelegung der genannten Hafträume mit Strafgefangenen ist
nicht generell, d. h. unabhängig von dessen Größe und Ausstattung unzulässig. § 18
Abs. 1 S. 1 StVollzG schreibt zwar die Einzelunterbringung von Strafgefangenen
während der Ruhezeit gesetzlich vor und es war auch weder ein Ausnahmefall i.S.d. §
18 Abs. 1 S. 2 StVollzG gegeben noch lagen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 S. 2
StVollzG vor, der im geschlossenen Vollzug eine gemeinsame Unterbringung von
Gefangenen zur Ruhezeit vorübergehend und aus zwingenden Gründen erlaubt. Die
grundsätzliche Zulässigkeit der gemeinsamen Unterbringung von Gefangenen während
der Ruhezeit in der Justizvollzugsanstalt C folgt jedoch aus der Vorschrift des § 201 Nr.
3 StVollzG, die verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil sich aus Art. 1 Abs. 1 GG
kein generelles Verbot der gemeinsamen Unterbringung von Strafgefangenen ergibt
(vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 55; OLG Naumburg, Beschluss vom 17.08.2004 – 12
W 29/04). Danach dürfen Strafgefangene in Anstalten, mit deren Errichtung vor
Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes begonnen wurde, abweichend von § 18 StVollzG
während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden, solange die räumlichen
Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Die in § 201 Nr. 3 StVollzG getroffene Regelung,
die auf die vor dem 01.01.1977 erbaute Justizvollzugsanstalt C anwendbar ist, ist trotz
ihrer Bezeichnung als Übergangsbestimmung und des seit Inkrafttreten des
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Strafvollzugsgesetzes inzwischen verstrichenen Zeitraums von ca. 31 Jahren nach wie
vor geltendes Recht, denn der Gesetzgeber hat sie bewusst keiner zeitlichen Befristung
unterworfen (Callies/Müller-Diets, StrafVollzG, 9.Aufl. 2002, § 201 Rdnr. 1). Dass die
räumlichen Verhältnisse der überbelegten Justizvollzugsanstalt C eine zumindest
vorübergehende gemeinsame Unterbringung von Gefangenen während der
Ruhestunden in dem hier in Rede stehenden Zeitraum erforderten, ergibt sich aus den
getroffenen Feststellungen. Danach stand in der Justizvollzugsanstalt C für den
Antragsteller in der Zeit vom 05.09.2007 bis zum 03.2008 kein Einzelhaftraum zur
Verfügung. Es wurde eine Warteliste für Einzelhafträume geführt.
In den Fällen wie dem vorliegenden, in denen nicht jedem Gefangenen nach § 18 Abs.
1 in der Ruhezeit ein Einzelhaftraum zur Verfügung steht und die Ausnahmeregel des §
201 Nr. 3 StVollzG zur Anwendung kommt, hat die Justizvollzugsanstalt im Rahmen
ihrer Organisationshoheit eine Ermessens- und Auswahlentscheidung darüber zu
treffen, ob dem Gefangenen aus besonderen Gründen ein Einzelhaftraum zugewiesen
werden kann bzw. muss und, wenn dies nicht der Fall ist, mit wie vielen und welchen
Gefangenen er sich eine Zelle teilen muss; diese Ermessensentscheidung muss
nachvollziehbaren und mit dem Strafvollzugsgesetz in Einklang stehenden Kriterien
folgen (vgl. OLG Celle NJW 2004, 2766; OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 55. Dabei kommt
insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz maßgebliche Bedeutung zu. Vor
diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller in
einem doppelt bzw. dreifach belegten Haftraum zu verlegen und ihn an bereiter Stelle
auf der Warteliste der Interessenten für einen Einzelhaftraum zu führen, für sich gesehen
nicht zu beanstanden. Berechtigte Einwände gegen die Person der jeweiligen
Mitgefangenen hat der Antragsteller nicht vorgebracht.
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Der zugewiesene Haftraum muss allerdings hinsichtlich seiner Größe und Ausstattung
bestimmten Anforderungen genügen. Aus der allgemein gehaltenen und an die
Vollzugsbehörden gerichtete Vorschrift des § 144 Abs. 1 StVollzG kann der Gefangene
zwar keine subjektiven Rechte herleiten, aber dem Ermessen der Vollzugsbehörde
werden bei der Belegung und Ausgestaltung der Hafträume durch das Recht des
Gefangenen auf Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs.1 GG) und das Verbot
unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) Grenzen
gesetzt (vgl. BVerfG NJW 2002, 2699 und 2700; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl.
2002, § 144 Rdnr. 1). Danach muss der Haftraum hinsichtlich seiner Größe und
Ausgestaltung so beschaffen sein, dass das Recht auf Achtung der Menschenwürde,
dem nach der Verfassung ein Höchstwert zukommt, das auch dem Straftäter nicht
abgesprochen werden kann, gewahrt bleibt. Das schließt die Pflicht ein, die Privat- und
Intimsphäre des Gefangenen als Ausdruck seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts
(Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) tunlichst zu wahren (BVerfG ZfStrVo 1997, 111). Ob bzw.
wann die Grenze zur menschenunwürdigen Unterbringung bei einer Doppel- oder
Mehrfachbelegung eines Haftraums überschritten ist, hängt in erster Linie von der Art
und Weise der Unterbringung, d.h. von der Größe (Grundfläche und Rauminhalt) und
Ausstattung (insbesondere in sanitärer Hinsicht) des Haftraums sowie von der Anzahl
der in dem Haftraum gleichzeitig untergebrachten Gefangenen ab. Auf die Dauer der
Mehrfachunterbringung und die genauen Aufenthaltszeiten in der Zelle kommt es dann
nicht mehr an, wenn bereits aus der Art der (gemeinsamen) Unterbringung folgt, dass
die Menschenwürde des Gefangenen berücksichtigt ist (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003,
2843, 2845).
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Vorliegend war der Antragsteller in der Zeit vom 05.09.2007 bis zum 03.03.2008 in
26
verschiedenen Hafträumen mit entweder einem weiteren Gefangenen oder aber zwei
weiteren Gefangenen gemeinsam untergebracht und jedenfalls in der Ruhezeit, in der
sich beide oder alle drei Gefangenen in dem Haftraum aufhalten mussten, gezwungen,
mit diesen Mitgefangenen die Zelle einschließlich der darin befindlichen, entweder
räumlich nicht abgetrennten Toilette oder aber einschließlich der darin befindlichen,
zwar räumlich abgetrennten aber nicht mit einer eigenen Entlüftung versehenen Toilette
zu teilen.
Schon die gemeinsame Unterbringung von zwei oder mehr Gefangenen in einem
Haftraum entweder ohne hinreichende räumliche Abtrennung der Toilette, die einen
ausreichenden Sicht-, Geruchs- und Geräuschschutz gewährleistet, oder zwar mit
räumlich abgetrennter Toilette, aber ohne eigene Entlüftung ist im Hinblick auf Art. 1
Abs. 1 GG unzulässig, sofern nicht die Benutzung außerhalb der Zelle gelegener
Wasch- und WC-Anlagen tags und nachts möglich ist. Das Bedürfnis und der Anspruch
des Menschen, sich einerseits bei der Verrichtung seiner körperlichen Bedürfnisse unter
Wahrung seiner Intimsphäre absondern zu können und andererseits nicht ungewollt den
Verrichtungen und den damit verbundenen Belästigungen anderer spürbar ausgesetzt
zu sein, verlangt eine derartige räumliche Abtrennung des Toilettenbereichs mit eigener
Entlüftung. Eine bloße Schamwand, wie sie in den Hafträumen 26, 30, 18, 14, 29 und 27
vor der im übrigen offenen Toilette aufgestellt ist, genügt als räumliche Abtrennung nicht,
denn sie bietet lediglich in optischer Hinsicht einen gewissen Schutz, nicht aber in
akustischer und geruchlichter Hinsicht, zumal die Toilette über eine gesonderte
Entlüftung nicht verfügt. Auch der Toilettenbereich im Haftraum 31, der sich in einer
Nische befindet, verfügt nicht über eine eigene Entlüftung. Zu der schwerlich mit Art. 1
Abs. 1 GG in Einklang zu bringenden sanitären Ausstattung der Hafträume kommt hinzu,
dass diese, bis auf den Haftraum 31, dessen Grundfläche ca. 14 m² beträgt, nur eine
Grundfläche von 7,96 m² haben und diese Nutzfläche noch durch Möbelstücke
(insbesondere Bett und Schränke) und Toilette zusätzlich eingeschränkt wird. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass der Haftraum für den Gefangenen regelmäßig die einzig
verbleibende Möglichkeit bietet, sich eine gewisse Privatsphäre zu schaffen und
ungestört zu sein. Konkrete gesetzliche Anforderungen an die Mindestgröße eines
Haftraums enthält das Strafvollzugsgesetz nicht, insbesondere fehlt bislang eine zu
§ 144 Abs. 2 StVollzG erlassene Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz.
Aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 EMRK ergeben sich jedoch Mindestanforderungen an
die Bodenfläche eines Haftraums, insbesondere was den Bereich des Strafvollzuges
betrifft (vgl. BVerfG ZfStrVo 1994, 377). Diesen Mindestanforderungen werden die oben
beschriebenen Hafträume bei einer Doppel- bzw. Dreifachbelegung nicht gerecht.
Deren Größe ist so gering, dass dem – gemeinschaftlich – untergebrachten Gefangenen
jeglicher Rückzugsraum, in dem er sein Gefühlsleben unbeobachtet und ungestört
ausleben könnte, genommen wird. Es verbleibt dem einzelnen Gefangenen kaum noch
Raum, seine Privat- und Intimsphäre zu wahren, sich zu bewegen und sich weitgehend
ungestört zu betätigen. Verschärft wird diese Situation noch durch die bereits
geschilderten unzureichenden sanitären Verhältnisse (OLG Hamm, Beschluss vom
20.01.2005; 1 Vollz (Ws) 147/04).
27
Dabei verkennt die Kammer nicht die Notsituation zahlreicher Justizvollzugsanstalten,
die sich häufig in einem Zustand der "chronischen Überbelegung" befinden. Der damit
einhergehende erhebliche Mangel an Einzelhaftplätzen darf jedoch nicht dazu führen,
grundlegende Menschenrechte zu unterlaufen und Rechte der Gefangenen über das
gesetzlich zulässige Maß hinaus einzuschränken.
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III.
29
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 121 StVollzG, § 65 GKG.
30
Die Entscheidung der Kammer kann durch das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde
angefochten werden. Insoweit wird auf die anliegende Rechtsmittelbelehrung Bezug
genommen.
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