Urteil des LG Bochum vom 30.09.2005

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Landgericht Bochum, 10 S 29/05
Datum:
30.09.2005
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
10. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 S 29/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Witten, 2 C 237/05
Tenor:
Das Urteil des Amtsgerichts Witten vom 24.05.2005 wird abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
516,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 27.11.2004 zu zahlen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
G r ü n d e
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I.
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Der Kläger begehrt von den Beklagten restlichen Schadensersatz aufgrund eines
Verkehrsunfalls vom 28.10.2004 auf der B-straße in Witten. Hierbei fuhr der Beklagte zu
1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug gegen den
ordnungsgemäß geparkten PKW Volvo 70 2.5 D des Klägers. Die Haftung der
Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.
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Zur Feststellung des eingetretenen Schadens holte der Kläger ein Gutachten des
Sachverständigen Q ein, welches unfallbedingte Reparaturkosten in Höhe von 4.474,45
€ ausweist. Der Klägervertreter leitete dieses Gutachten vom 02.11.2004 am 11.11.2004
an die Beklagte zu 2) weiter. Diese beauftragte ihrerseits die Firma F GmbH & Co. KG
mit der Überprüfung des Gutachtens, insbesondere hinsichtlich der dort kalkulierten
Stundensätze für Karosserie- und Lackarbeiten. Die Firma F gelangte in ihrer
Stellungnahme vom 16.11.2004 zu Reparaturkosten in Höhe von 4.231,28 €. Hierbei
ging sie von den Stundenverrechnungssätzen der Firma H in Dortmund in Höhe von
74,00 € – im Unterschied zu den von dem Sachverständigen Q zugrundegelegten
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Sätzen der Firma W in Höhe von 95,50 € – aus.
Mit Schreiben vom 25.11.2004 übersandte die Beklagte zu 2) diese Stellungnahme an
den Klägervertreter unter Hinweis auf die kostengünstigere Reparaturmöglichkeit. Zum
Zeitpunkt des Eingangs dieses Schreibens am 26.11.2004 hatte der Kläger sein
Fahrzeug bereits repariert, was der Sachverständige Q am 16.11.2004 schriftlich
bestätigt hat. Die Beklagte zu 2) hat jedoch lediglich die von der Firma F angegebenen
Kosten erstattet mit der Begründung, der Kläger könne nur auf der Grundlage der
verringerten Stundenverrechnungssätze abrechnen.
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Der Kläger hat die tatsächliche Reparaturkostenrechnung im Verfahren nicht vorgelegt
und begehrt die Abrechnung des Unfallschadens auf fiktiver Basis nach den vom
Sachverständigen Q angegebenen Werten. Die noch offene Differenz von 516,17 € hat
der Klägervertreter mit Schreiben vom 18.11.2004 unter Fristsetzung bis zum
26.11.2004 erfolglos bei der Beklagten zu 2) angemahnt.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 516,17 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2004 zu
zahlen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, im Rahmen der fiktiven
Abrechnung müsse sich der Geschädigte eine nachgewiesene günstigere
Reparaturmöglichkeit entgegenhalten lassen, wenn und soweit diese gleichwertig mit
dem im Schadensgutachten aufgezeigten Reparaturweg und für den Geschädigten
ohne Weiteres zugänglich sei. Bei der Ermittlung der Reparaturkosten habe der
Sachverständige Q die Stundenverrechnungssätze von Fachwerkstätten
zugrundegelegt. Die Beklagte zu 2) habe jedoch eine gleichwertige
Reparaturmöglichkeit für den Kläger nachgewiesen, die für diesen gleichermaßen
möglich und zumutbar gewesen wäre. Zudem sei es bei einer fiktiven Abrechnung
unerheblich, ob oder zu welchen Kosten der Geschädigte sein Fahrzeug tatsächlich
repariere. Nur wenn der Geschädigte tatsächlich höhere Kosten nachweise, seien diese
– falls ihm die günstigere Reparaturmöglichkeit erst nach erfolgter Reparatur bekannt
werde – zu ersetzen.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der durch das Amtsgericht zugelassenen
Berufung und begehrt weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der 516,17
€. Er vertritt die Ansicht, im Rahmen einer zulässigerweise gewählten fiktiven
Abrechnung sei der Umstand, dass der Versicherer ein günstigeres Reparaturangebot
ermittelt habe, so lange ohne Relevanz, wie das vom Geschädigten eingeholte
Gutachten die Grenze der Wirtschaftlichkeit nicht verlasse. Die Beklagten hätten daher
die vom Sachverständigen Q angegebenen Reparaturkosten insgesamt zu ersetzen,
weil diese innerhalb der Grenzen der in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB normierten
Wirtschaftlichkeit lägen. Sofern er als Geschädigter auf die von der Beklagten zu 2)
ermittelte günstigere Reparaturmöglichkeit verwiesen werde, würde ihm die nach § 249
BGB eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie entzogen.
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Darüber hinaus würde die Realisierung einer Reparatur zu den von der Beklagten zu 2)
vorgetragenen Preisen eine erhebliche Eigeninitiative erfordern, zu der er nicht
verpflichtet sei. In der Regel sei es dann erforderlich, entsprechende Preisangebote von
Werkstätten oder Erkundigungen bei den Versicherern einzuholen, mit welchen
kostengünstigen Werkstätten diese kooperierten. Dies laufe der normierten
Dispositionsfreiheit des Geschädigten zuwider.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Amtsgerichts Witten vom 24.05.2005, Az.: 2 C 237/05,
aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den
Kläger 516,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 27.11.2004 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie behaupten, es handele sich bei der Firma H um eine für den Kläger ohne Weiteres
zugängliche, günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit. Kein "verständiger
und wirtschaftlich denkender Mensch" lasse tatsächlich eine um 12% teurere Reparatur
durchführen.
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II.
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Die nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
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Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
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Dem Kläger stehen im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Schadensersatz
diejenigen Kosten zu, die zur Wiederherstellung der Sache erforderlich sind. Hierzu
gehören – und zwar auch im Fall der fiktiven Abrechnung des Schadens – die Kosten,
die zur Instandsetzung eines Fahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt
notwendig sind.
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Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29.04.2003 (NJW 2003, 2066)
ausdrücklich nur entschieden, dass sich ein Geschädigter bei fiktiver
Schadensabrechnung nicht auf die durchschnittlichen Stundenverrechnungssätze aller
Werkstätten in der jeweiligen Umgebung verweisen lassen muss, weil diese
statistischen Werte keine tatsächlich vorhandene Reparaturmöglichkeit darstellten. Er
hat jedoch den aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB folgenden Grundsatz bestätigt, dass "das
konkrete Verhalten des Geschädigten (...) die Schadenshöhe nicht (beeinflusst),
solange die Schadensberechnung das Gebot der Wirtschaftlichkeit und das Verbot der
Bereicherung beachtet".
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Der Geschädigte – und darüber sind sich auch die Parteien des vorliegenden
Rechtsstreits einig – ist unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ohne Weiteres
dazu berechtigt, sein bei einem Verkehrsunfall beschädigtes Fahrzeug in einer
markengebundenen Fachwerkstatt instandsetzen zu lassen. Der Schädiger ist in
diesem Fall dazu verpflichtet, die entsprechenden Kosten zu ersetzen.
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Nicht ausdrücklich entschieden hat der Bundesgerichtshof jedoch, ob der Geschädigte
auch im Falle der fiktiven Abrechnung die Kosten der Reparatur einer Vertragswerkstatt
erstattet verlangen kann. Die Kammer bejaht dies, weil eine unterschiedliche
Behandlung zwischen der konkreten und der fiktiven Abrechnung mit den Grundsätzen
des Schadensrecht nicht vereinbar wäre. Der Geschädigte ist sowohl in der Wahl seiner
Mittel zur Schadensbehebung, als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu
leistenden Schadenersatzes frei.
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Dementsprechend muss sich der Geschädigte zwar ggf. auf eine günstigere
markengebundene Fachwerkstatt, nicht jedoch auf eine beliebige andere Fachwerkstatt
verweisen lassen. Eine solche haben die Beklagten dem Kläger jedoch nicht
aufgezeigt. Ebenso wenig haben sie konkrete Einwände gegen die vom
Sachverständigen Q zugrundegelegten Stundenverrechnungssätze der Volvo-
Fachwerkstatt vorgebracht.
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Unerheblich ist auch, ob der Kläger sein Fahrzeug tatsächlich nicht in einer Volvo-
Werkstatt hat instandsetzen lassen. Zum einen entspricht dies der ihm zustehenden
Dispositionsfreiheit, die durch den Schädiger nicht eingeschränkt werden darf. Zum
anderen nimmt er eventuelle Nachteile in Kauf, die durch eine anderweitige Reparatur
in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt entstehen, so dass er durch die fiktive
Abrechnung nicht bereichert ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 Satz 1, Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zuzulassen.
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