Urteil des LG Bochum vom 29.10.2002

LG Bochum: bsp, schmerzensgeld, sachverständiger, wahrscheinlichkeit, gutachter, beweiswert, fahrzeug, wiedergabe, vorrang, ausschluss

Landgericht Bochum, 9 S 167/02
Datum:
29.10.2002
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
9. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 S 167/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Bochum, 83 C 68/01
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.07.2002 verkündete Urteil
des Amtsge-richts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Entscheidunqsgründe:
1
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von
Schmerzensgeld als Folge des Verkehrsunfalls vom 12.01.2001 zu; darauf hat die
Kammer im Rahmen der ausführlichen Erörterungen hingewiesen. Das Amtsgericht hat
deshalb die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld gemäß den §§ 823, 847 a.F. BGB
zu Recht abgewiesen, da eine Verletzung der HWS als Folge gerade des Unfalles nicht
nachgewiesen werden kann.
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Auf welcher Grundlage der Beklagte zu 2) auf Schmerzensgeld in Anspruch genommen
werden soll, ist nicht nachvollziehbar, insbesondere die Weiterverfolgung des
Anspruches gegen ihn nach dem erstinstanzlichen Hinweis ist insoweit wenig
verständlich.
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Aber auch ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten zu 1) und 3 ) gemäß den §§
823 Abs. 1, 847 a.F. BGB, 3 PflVersG ist insoweit nicht gegeben.
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1.
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Da die von der Klägerin geltend gemachten körperlichen Beeinträchtigungen und die
HWS-Verletzung von den Beklagten ausdrücklich bestritten oder zumindest als nicht
unfallbedingt bestritten worden sind, hat dies damit zur Folge, dass die Klägerin gemäß
§ 286 ZPO den Vollbeweis für die erlittenen Verletzungen und die Ursächlichkeit mit
dem Unfallereignis führen muss, es reicht gerade nicht, dass die Haftungsfrage als
solche feststeht und dass bei dem Unfall ein Sachschaden entstanden ist.
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Es muss also mit der erforderlichen Gewissheit von der Klägerin gemäß § 286 ZPO in
vollem Umfang nachgewiesen werden, dass sie bei dem Unfall tatsächlich die
behaupteten Verletzungen erlitten hat und die Ursächlichkeit mit dem Unfallereignis;
bleiben hier ernsthafte Zweifel, so geht dies zu Lasten der Klägerin, mit der Folge, dass
eine Klage hinsichtlich des Personenschadens - z. .Bsp. auf Schmerzensgeld etc. -
abgewiesen werden muss (vgl. z. Bsp.: OLG Düsseldorf r+s 1997, 457 (458); OLG
Karlsruhe NZV 1998, 173; OLG Hamburg r+s 1998, 63 (64); OLG Hamm OLG-Report
1998, 313 (314) und r+s 1998, 326 und NJW 2000, 878 (879) und NZV 2001, 468;
Kammer-gericht NJW 2000, 877 (878) = NZV 2000, 163 (bestätigt durch
Nichtannahmebeschluss des BGH vom 23.05.2000 - VI ZR 376/99); LG Hildesheim
NZV 2001, 305 Lemcke NZV 1996, 337 (338); vgl. auch: BGH VersR 1991, 437 (438)).
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Dies hat das OLG Hamm in einem neuen Urteil vom 18.03.2002 nochmals bestätigt (vgl.
OLG Hamm NZV 2002, 457 ff) und dies entspricht auch der st. Rspr. der Kammer.
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Demgegenüber kommt die Beweiserleichterung des § 287 ZPO erst dann in Betracht,
wenn der erste Verletzungserfolg konkret feststeht und es um das Ausmaß und die
Weiterentwicklung des Schadens geht (vgl. dazu: OLG Hamm NZV 2001, 468).
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Bei Geschwindigkeitsänderungen bis zu 15 km/h (allerdings bezogen auf
Heckauffahrunfälle) spricht auch kein Beweis des ersten Anscheins für eine dabei
unfallbedingt erlittene HWS-Verletzung, denn bis zu 10-11 km/h ist die sog.
Harmlosigkeitsschwelle anzunehmen, bei der davon auszugehen ist, das diese in der
Regel überhaupt nicht geeignet ist, HWS-Verletzungen hervorzurufen; in dem Bereich
von 10 km/h bis 15 km/h ist eine HWS-Verletzung zwar nicht auszuschließen, sondern
ggf. möglich, aber andererseits auch nicht stets oder normalerweise zu erwarten (vgl.
dazu Kammergericht NJW 2000, 877 (878) = NZV 2000, 163 ff; (bestätigt durch
Nichtannahmebeschluss des BGH vom 23.05.2000 - VI ZR 376/99); LG Hildesheim
NZV 2001, 305 (306)).
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Insoweit geht auch der überwiegende Teil der Rechtsprechung auf der Grundlage einer
Vielzahl von eingeholten Gutachten und der dadurch gewonnenen Erkenntnisse davon
aus, dass - sogar bezogen auf den verletzungsrelevanteren Fall des
Heckauffahrunfalles - eine anstoßbedingte Geschwindigkeitsänderung eines
Fahrzeuges nach einem Auffahrunfall von unter 10 bis 11 km/h es aus technischer und
medizinischer Sicht als ausgeschlossen erscheinen lassen, Verletzungen der
Halswirbelsäule von Insassen eines Fahrzeuges und damit ein HWS-Schleudertrauma
herbeizuführen; vielmehr soll die biomechanische Belastungsgrenze bei zumindest 5 g -
wenn nicht gar mehr - liegen, was eine Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen
Fahrzeuges von deutlich mehr als 10 km/h erfordert (vgl. z. Bsp.: OLG Hamm ZfS 1996,
51 ff und r+s 1998, 326 (327); OLG Hamm OLG-Report 1998, 313 (315); OLG Hamm
NJW-RR 1999, 821 = NZV 1999, 292; OLG Hamm NZV 2001, 303 ff; Kammergericht
ZfS 1998, 13 und NJW 2000, 877 (878) = NZV 2000, 163 ff(bestätigt durch
Nichtannahmebeschluss des BGH vom 23.05.2000 - VI ZR 376/99); OLG Hamburg NZV
1998, 415 = r+s 1998,63ff; LG Bochum r+s 1996, 441; LG Stuttgart r+s 1996, 442; LG
Heilbronn ZfS 1998, 173 = NJW-RR 1998, 1555; LG Hildesheim NZV 2001, 305ff; LG
Hannover NZV 2002, 270 if (als Grundsatz dort); vgl. auch: OLG Düsseldorf r+s 1997,
457 (458).
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Hier ist allerdings zusätzlich weiter zu berücksichtigen, dass die Belastbarkeit der
Halswirbelsäule bei sog. Frontalkollisionen und damit die dort anzusetzende
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Harmlosigkeitsschwelle noch weitaus höher ist als bei Heckauffahrunfällen ist (vgl.
dazu: OLG Hamm ZfS 1996, 51 ff und NZV 2002, 457 ff). Dies bestätigen im Ergebnis
auch sowohl der Sachverständiger C als technischer Gutachter auf Bl.10 als auch die
med. Gutachterin N auf BI. 24 des eingeholten interdisziplinären Gutachtens des
Sachverständigenbüro T und C in Zusammenarbeit mit dem orthopädischen
Forschungsinstitut der Uni Münster.
Insoweit stellt diese gesamte Rechtsprechung auch überwiegend auf die durch derartige
gutachterliche Ausführungen und Feststellungen gewonnenen Erkenntnisse ab.
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Gegen eine solche pauschale Betrachtungsweise auf der Grundlage eingeholter
Gutachten wenden sich andere Gerichte, vielmehr komme es stets auf die Umstände
des Einzelfalles an, die insoweit festgestellt werden müssten, wobei in diesem Bereich
aber strenge Voraussetzungen an die Beweisführung und Beweiswürdigung zu stellen
sind (vgl. dazu: OLG Frankfurt NZV 2002, 120ff (24.S.); LG Augsburg NJW-RR 2002,
752 ff).
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Zum Teil wird sogar angenommen, dass (objektivierbaren) ärztlichen Feststellungen ein
wesentlich größerer Beweiswert zukommt, als den allein theoretischen Erwägungen in
Sachverständigengutachten zu den Möglichkeiten etwaiger HWS-Verletzungen und
deren möglichem Ausschluss (vgl. dazu: OLG Bamberg NZV 2001, 470; LG Landau
NZV 2001, 122; LGAugsburgNJW2000, 880 und NZV 2001, 121; LG Bayreuth NJW-RR
2001, 389 ff).
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Nach Auffassung der Kammer ist Ausgangspunkt der Überlegungen jedoch stets das
maßgebliche interdisziplinäre Gutachten sowie die dort getroffenen Feststellungen und
diesen grundsätzlich ein Vorrang einzuräumen, weil dieses allein verlässliche
Grundlagen und Ausgangswerte für die – weitere - Beurteilung liefern kann. Erst dann,
wenn man nach dem Gutachten aufgrund der dort sicher gewonnenen Erkenntnisse in
einen Bereich gelangt, wo eine unfallbedingte HWS-Verletzung zumindest möglich ist
oder erscheint, können dann auch sonstige Umstände bedeutsam sein und müssen
demnach weiter aufgeklärt werden. Ist dagegen nach dem Gutachten aufgrund der dort
gewonnenen Erkenntnisse eine HWS-Verletzung eher auszuschließen oder völlig
unwahrscheinlich, kann nicht allein auf irgendwelche ärztlichen Bescheinigungen
abgestellt werden, zumal gar nicht ersichtlich, ist, ob sich der Arzt bei der Untersuchung
und Bescheinigung dann dieser – gesamten - Problematik bewusst war.
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Hinzu kommt, dass bei (den meisten) derartigen ärztlichen Bescheinigungen es sich
sehr häufig nur um bloße Verdachtsdiagnosen handelt, bei denen die getroffene
Aussage mehr oder weniger nur in der Wiedergabe von subjektiven Beschwerden ohne
konkrete objektive Befunde erschöpft, mithin für die Frage, ob der Betroffene bei dem
Unfall tatsächlich unfallbedingt körperliche Beeinträchtigungen erlitten hat, wertIos sind
(vgl. dazu: Lemcke NZV 1996, 337 (339ff); OLG Düsseldorf r+s 1997, 457 (458); OLG
Frankfurt NJW-RR 1999, 822; OLG Frankfurt NZV 2000, 165 (166) = r+s 2001, 65ff; AG
Beckum r+s 1997, 458 (459); zurückhaltend bis ablehnend auch: OLG Hamm NZV
2001, 468: ärztlichen Bescheinigungen ist nicht uneingeschränkt das entscheidende
Gewicht beizumessen).
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Insoweit hat auch das OLG Hamm in dem schon angesprochenen Urteil vom
18.03.2002 nochmals den Vorrang des Gutachtens für die Beurteilung der Fragen
angesprochen (OLG Hamm NZV 2002, 457 ff).
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Deshalb geht also der Einwand der Klägerin ins Leere, auf der Grundlage des z. Bsp.
von der Klägerin zitierten Urteil des LG Augsburg hätten weitere Aufklärungen erfolgen
müssen; dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn man - wie das dortige Gericht als
Mindermeinung - einen völlig anderen Aufklärungsansatz wählt. So ist nach Auffassung
der Kammer jedoch nicht vorzugehen, vielmehr bildet in Übereinstimmung mit der
herrschenden Meinung Grundlage für die Beurteilung zunächst das eingeholte
Gutachten und nur dann, wenn man hier auf dieser Grundlage in einen Bereich kommt,
dass eine HWS-Verletzung aufgrund der sicher zugrunde zu legenden Umstände
möglich ist, sind insoweit weiter Aufklärungen geboten.
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Wenn man dagegen schon auf die Umstände des Einzelfalles abstellen wollte, so
hätten diese auch umfangreich unter Beweis gestellt werden müssen, z. Bsp. hätten
dann auch die Ärzte konkret als Zeugen dafür benannt werden müssen, was sie konkret
bei der Erstbehandlung festgestellt haben. Es reicht dann eben nicht, diese –
bestrittenen -Umstände vorzutragen und sich dann auf ein Sachverständigengutachten
zu berufen. Was sollte ein Sachverständiger jetzt noch feststellen, zumal auch damals
bei der Erstuntersuchung konkret im Bereich der Halswirbelsäule objektivierbare
Befunde nicht festgestellt oder gesichert wurden (dies war z. Bsp. im Fall des OLG
Frankfurt NZV 2002, 120 ff dort anders und dort wurde auch weitere individuelle
Einzelheiten konkret festgestellt).
21
2.
22
Ins Leere geht auch der Einwand, dass das Amtsgericht nicht nur von einer
Geschwindigkeitsänderung von 10 km/h habe ausgehen dürfen, sondern die
Obergrenze habe zugrunde legen müssen, insoweit würden hier Beweiserleichterungen
eingreifen. Dies ist im Ergebnis nicht der Fall, wenn man die oben dargestellten
Grundsätze zu § 286 ZPO berücksichtigt.
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Da die Klägerin für das Vorliegen der unfallbedingten Verletzungen gemäß § 286 BGB -
nach dem Streng - oder Vollbeweis ohne die Möglichkeit von Beweiserleichterungen -
voll beweispflichtig ist, bedeutet dies, dass die Klägerin als Geschädigte die Grundlagen
und Umstände voll beweisen muss, die für eine Verletzung der HWS durch den Unfall
sprechen.
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Ist danach z. Bsp. die Aufprallenergie, die Aufprallgeschwindigkeit und die durch den
Unfall hervorgerufene Geschwindigkeitsänderung bei dem angestoßenen Fahrzeug
nicht genau zu bestimmen und kann ein Sachverständiger - wie hier - nur eine
bestimmte Spannbreite angeben, so muss, wenn die Geschädigte den höchsten oder
den genauen Wert nicht voll beweisen kann, zu Gunsten der Beklagten von dem jeweils
geringsten Wert der Spannbreite ausgegangen werden, insbesondere jedoch dann,
wenn der geringste Wert genauso wahrscheinlich ist wie die Obergrenze. Mehr hat die
Klägerin als Geschädigte dann eben nicht bewiesen, etwaige Zweifel gehen jedoch zur
ihren Lasten. Eine Beweiserleichterung kommt hier allein daraus, dass der Unfall dem
Grunde nach unstreitig ist oder ein relativ hoher Sachschaden hervorgerufen wurde,
nicht in Betracht. Hier muss die Geschwindigkeitsänderung dann schon - was die sicher
festgestellten Änderung betrifft - in einem höheren Bereich liegen.
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Dies bedeutet aber, dass hier nur davon ausgegangen werden kann, dass durch die
schiefe Frontalkollision eine Geschwindigkeitsänderung beim angestoßenen Fahrzeug,
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in dem die Klägerin saß, von 10 km/h herbeigeführt wurde.
Diese Geschwindigkeitsänderung würde nahe am Grenzbereich liegen, wenn man auf
die verletzungsrelevanteren Heckauffahrunfälle und die dadurch hervorgerufenen
Situationen und Belastungen für die HWS abstellen würde. Hier besteht jedoch
wiederum die Besonderheit, dass eine seitliche Frontalkollision zu beurteilen ist.
Gerade bei (seitlichen) Frontalkollisionen ist die Belastungsgrenze weit höher, zumal
die Klägerin auch auf der weniger verletzungsrelevanten, stoßabgewandten Seite
gesessen hat.
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Wie sowohl der technische als auch der medizinische Sachverständigen in dem
interdisziplinären Gutachten ausgeführt haben, ist insoweit bei dieser Geschwindigkeit
und den Besonderheiten dieser Anstoßkonstellation eine Verletzung der HWS als Folge
des Unfalles nicht etwa möglich, sondern im Gegenteil mit großer Wahrscheinlichkeit
auszuschließen.
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Insoweit sind die Voraussetzungen und Grundlagen für den erforderlichen Nachweis
also nicht einmal annähernd erbracht, wenn eine solche Verletzung nach den
gutachterlichen Feststellungen, die insoweit, weil von den maßgeblichen Feststellungen
nicht konkret angegriffen, zugrunde gelegt werden können, mit großer
Wahrscheinlichkeit sogar auszuschließen ist.
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Aus welchem Grunde hier die von den im Gutachten angesprochenen
Vergleichspersonen abweichenden körperlichen Maße bedeutsam sein sollen, ist nicht
ersichtlich und auch nicht näher dargetan. Dabei handelt es sich um eine durch keine
auch nur annähernd begründeten Umstände ausgesprochene Vermutung, insbesondere
warum hier die Belastung anders sein oder aufgenommen werden soll. Trotz des
Hinweises des Amtsgerichtes und die diesbezügliche Verneinung in seinem Urteil
wurde dies dann in der Berufungsbegründung nicht näher begründet und konkrete
Zweifel dargetan, dass diese Feststellung eben nicht zutreffend sind (§ 520 III Ziffer 3
ZPO), sondern einfach nur der erstinstanzliche Vortrag wiederholt. Dies reicht nicht.
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Zudem ist hier darauf hinzuweisen, dass, wie die Gutachter eingehend dargetan haben,
die Klägerin bei dieser seitlichen Unfallkonstellation auf der stoßabgewandten Seite
gesessen hat, wo bei diesen eher geringen Geschwindigkeitsänderungen das
Verletzungsrisiko relativ gering ist und die. Beanspruchung gut beherrscht wird.
Konkrete Anhaltspunkte, warum dies hier nicht hätte sein können, hat die Klägerin nicht
vorgetragen und unter Beweis gestellt, so dass diese bei der gutachterlichen Bewertung
nicht berücksichtigt werden können und damit dem medizinischen Sachverständigen
auch nicht als feststehende Vorgabe gegeben werden können.
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Bei dieser Sachlage bedarf es dann auch nicht der Anhörung des Sachverständigen.
Dazu müsste die Klägerin zunächst vorab konkrete Besonderheiten vortragen und auch
beweisen, die dem Sachverständigen dann als feststehende Grundlage vorgegeben
werden könnten und auf deren Grundlage dann ggf. eine HWS-Verletzung trotz der
geringen Geschwindigkeitsänderung zumindest konkret als möglich und naheliegend
doch noch festgestellt werden könnte, so dass auf dieser Grundlage dann (erst) eine
weitere Aufklärung erfolgen müsste.
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Da es daran fehlt, ist grundsätzlich von den Grundlagen des
Sachverständigengutachten auszugehen, wonach bei der allein zugrunde zulegenden
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Geschwindigkeitsänderung von 10 km/h sowohl aus technischer als auch aus
medizinischer Sicht eine Verletzung der HWS nicht nur nicht möglich, sondern sogar mit
großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.
3.
34
Allein auf die vorgelegte ärztliche Bescheinigungen kann die Bejahung eines durch den
Unfall tatsächlich verursachten HWS-Schleudertraumas nicht gestützt werden.
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Dies hat seinen Grund darin, weil die überwiegende Rechtsprechung - zu Recht - die
Auffassung vertritt (zur Gegenmeinung siehe oben), dass es sich bei solchen ärztlichen
Bescheinigungen sehr häufig nur um bloße Verdachtsdiagnosen handelt, bei denen die
getroffene Aussage mehr oder weniger nur in der Wiedergabe von subjektiven
Beschwerden ohne konkrete objektive Befunde erschöpft, mithin für die Frage, ob der
Betroffene bei dem Unfall tatsächlich körperliche Beeinträchtigungen erlitten hat, wertlos
ist, da sie selbst keinerlei Angaben, ob und in welcher Wiese sich der Arzt über die
festgehaltene Diagnose konkret Gewissheit verschafft hat. Dies gilt insbesondere dann,
wenn sonstige Umstände entgegenstehen (vgl. dazu: Lemcke NZV 1996, 337 (339 ff);
OLG Düsseldorf r+s 1997, 457 (458); OLG Frankfurt NJW-RR 1999, 822; OLG Frankfurt
NZV2000,165 (166) = r+s 2001,65ff; AG Beckum r+s 1997, 458 (459); zurückhaltend bis
ablehnend auch: OLG Hamm NZV 2001, 468: ärztlich Bescheinigungen ist nicht
uneingeschränkt das entscheidende Gewicht beizumessen).
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Soweit‚ wie ausgeführt, nach der Mindermeinung objektivierbaren ärztlichen
Feststellungen ein wesentlich größerer Beweiswert zukommen soll als den allein
theoretischen Erwägungen in Sachverständigengutachten zu den Möglichkeiten
etwaiger HWS-Verletzungen und deren möglichem Ausschluss (vgl. dazu: OLG
Bamberg NZV 2001, 470; LGAugsburg NJW 2000, 880 und NZV 2001, 122;LG Landau
NZV 2001, 121; LG Bayreuth NJW-RR 2001, 389 ff), ist hier zu berücksichtigen, dass,
worauf auch die medizinische Sachverständige Frau N im Gutachten hingewiesen hat,
objektivierbare Feststellungen in den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht
enthalten sind und bei einer zweimaligen Röntgenuntersuchungen sichere Befunden
nicht festgestellt werden konnten (BI. 27 des Gutachtens).
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Hinzu kommt als weiterer Unsicherheitsfaktor, dass die Klägerin sich erst 2 Tage nach
dem Unfall bei einem Arzt vorgestellt hat, so dass auch hier eine möglicherweise
festgestellte Verspannung ganz andere Ursachen noch haben könnte; jedenfalls ist
nicht einmal in zulässiger Art und Weise unter Beweis gestellt worden, dass dies aber
auszuschließen ist, obwohl die Beklagten gerade diesen Punkt auch angesprochen
haben.
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4.
39
Die Klägerin kann sich auch insoweit nicht darauf berufen, dass die bei ihr
eingetretenen Beschwerden eine psychische Folgeerscheinung des Unfalles sind und
dafür die Beklagten letztendlich verantwortlich sind.
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Insoweit ist in Rechtsprechung und Schrifttum zwar anerkannt, dass mögliche
Beschwerden und eine lange Zeit der Arbeitsunfähigkeit als psychische Folgeschäden
einer an sich völlig nur ganz geringfügigen Primärverletzung gegebenenfalls als unfall-
ursächlich zugerechnet werden können, wobei insoweit zugunsten des Geschädigten
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für die Frage der Zurechnung sogar Beweiserleichterungen gem. § 287 Abs. 1 ZPO
eingreifen ‚ es sei denn es handelte sich um eine Bagatellverletzung (vgl. dazu
eingehend: BGHZ 132, 341 ff.; BGHZ 137, 142 = BGH NJW 1998, 810ff = VersR 1998,
201 = NZV 1998,65ff; BGH NJW 1998, 813ff = NZV 1998, 110ff; BGH NJW 2000, 862;
OLG Hamm NZV 301, 303 (304) und NZV 2001, 468ff.)
Grundvoraussetzung dafür und der sich daran anschließenden Fragen einer
Zurechenbarkeit psychischer Folgewirkungen ist aber, dass zumindest eine
geringfügige unfallbedingte Primärverletzung gem. § 286 ZPO mit der erforderlichen
Sicherheit festgestellt wird, denn erst darauf aufbauend stellt sich ja dann die Frage, ob
diese geringfügige Primärverletzung gegebenenfalls erhebliche psychische
Folgewirkungen verursacht hat oder haben kann, mithin muss eine solche
Primärverletzung festgestellt werden (vgl. dazu: OLG Hamm NZV 2001, 303 (304ff.) und
NZV 2001, 468 (469); vgl. dazu auch: OLG Hamm r+s 2001, 62 (64) = VersR 2002, 77
ff.).
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Hier ist aber nach den vorherigen Ausführungen schon die notwendige – geringfügige
Primärverletzung als Folge des Unfalls nicht bewiesen, so dass insoweit die Grundlage
für die darauf erst aufbauenden Fragen der Zurechenbarkeit psychischer
Folgewirkungen fehlt.
43
5.
44
Richtig ist allerdings auch ‚ dass eine Gesundheitsbeschädigung keine physische
Einwirkung auf den Körper verlangt, vielmehr eine solche auch allein psychisch
vermittelt sein kann (vgl. dazu: BGH VersR 1986, 240; BGH NJW 1996, 2425 (2426)).
Andererseits muss hier jedoch eine uferlose Ausweitung vermieden werden. Eine allein
psychisch vermittelte unfallbedingte Gesundheitsstörung von Krankheitswert ist aber
überhaupt nicht, insbesondere nicht substantiiert dargelegt worden, so dass es auf die
Einschränkungen der Haftung für Unfallfolgen, die sich ohne organische
Primärverletzung allein aufgrund des Unfallerlebnisses infolge psychisch vermittelt
haben könnte nicht ankommt (vgl. zu die Problemkreisen: BGH NJW 1996, 2425ff; BGH
NJW 1998, 810; OLG Hamm r+s 2001, 62ff und NZV 2001, 468 und NZV 2002, 457ff).
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Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 ZPO.
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Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen, weil die diesbezüglichen
Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine grundsätzliche
Bedeutung kann auch nicht aus der unterschiedlichen Rechtsprechung zum möglichen
Nachweis im Bereich der HWS-Verletzung hergeleitet werden, weil der
Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Kammergerichtes (Kammergericht
NJW 2000, 878 ff = NZV 2000, 163 ff) durch Nichtannahmebeschluss
(Nichtannahmebeschluss vom 23.05.2000 - Az. VI ZR 376/99) nicht zugelassen und
damit letztlich die vom Kammergericht praktizierte Handhabung, die auch der
Rechtsprechung der Kammer entspricht, bereits gebilligt hat. Ansonsten wurde auch die
höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt.
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