Urteil des LG Bochum vom 26.02.2002

LG Bochum: isle of man, glücksspiel, firma, durchschnitt, zufall, form, wahrscheinlichkeit, markt, bevölkerung, veranstaltung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Aktenzeichen:
Landgericht Bochum, 22 Kls 10 Js 121/01 I 49/01
26.02.2002
Landgericht Bochum
2. große auswärtige Strafkammer Recklinghausen
Urteil
22 Kls 10 Js 121/01 I 49/01
Der Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse, die auch seine
notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.
G r ü n d e :
I.
In der Anklageschrift vom 23.10.2001 warf die Staatsanwaltschaft Bochum dem
Angeklagten ein Vergehen des unerlaubten Bereitstellens von Einrichtungen zur
Veranstaltung eines Glücksspiels gemäß § 284 StGB vor.
Dem liegt folgender - unstreitiger, auch vom Angeklagten in der Hauptverhandlung
freimütig eingeräumter - Sachverhalt zugrunde:
Seit dem 01.06.2000 bietet der Angeklagte unter der Adresse
...
Ergebnis von Fußballspielen oder anderen sportlichen Ereignissen zu tippen. Dies
geschieht wie folgt:
In den Geschäftsräumen des Angeklagten liegen Wettprogramme aus. Auf einem Tippzettel
kann der Mitspieler dann darauf tippen, welche Mannschaft gewinnt, oder auch auf einen
bestimmten Spielausgang. Die Spieler können auf alle Europaligen wetten, insbesondere
auf Fußball. Tipps können abgegeben werden bis herunter zur Regionalliga.
Umfangsmäßig sind die Tipps nicht auf ein Spiel beschränkt, sondern es sind Tipps für bis
zu 10 Spiele möglich. Die Mitspieler füllen die Tippzettel aus und geben diese dann dem
Angeklagten oder dessen Angestellten und zahlen ihren Einsatz. Der Angeklagte gibt die
Tipps dann in einen Computer ein, von wo aus dieser die Daten online an die Firma
...
of Man
...
Abgabe des Tipps festgelegten Quoten vom Angeklagten ausgezahlt.
Der Spielablauf erinnert an die in der Bundesrepublik Deutschland bekannte "Oddset - Die
Sportwette".
Unregelmäßigkeiten bei der Auszahlung der Gewinne an die Mitspieler gab es im übrigen
nicht. Der Angeklagte zahlte die Gewinne pünktlich aus den eingenommenen Geldern der
Mitspieler aus. Für den Fall, daß die Gewinne einmal die Spieleinsätze übersteigen sollten,
hat der Angeklagte von der Firma
...
Einmal im Monat rechnet der Angeklagte mit der Firma
...
10
11
12
13
14
15
die Firma
...
durchschnittlich 6.500,- Euro beträgt. Er selber erhält - unabhängig von der Anzahl der
Mitspieler und unabhängig von der Höhe der Wetteinsätze - monatlich einen Festbetrag
von 4.000,- Euro. Nach Abzug der Miete für das Ladenlokal und der Gehälter für zwei
Teilzeitangestellte sowie sonstiger Nebenkosten verbleiben ihm davon ca. 1.800 - 2.000,-
Euro pro Monat.
Weder der Angeklagte noch die Firma
...
Veranstaltung von Glücksspielen in einem der deutschen Bundesländer. Unter dem 06.
Februar 2001 ließen die Gesellschaften des deutschen Lotto- und Totoblocks, handelnd
durch die Westdeutsche Lotterie GmbH und Co., die mit der von der Firma
...
Sportwette auf dem deutschen Markt konkurrieren, Strafanzeige gegen den Angeklagten
erstatten.
II.
Der Angeklagte war aus Rechtsgründen freizusprechen, da sein Handel nicht den
Tatbestand des § 284 StGB erfüllt.
Erste Voraussetzung für sämtliche Alternativen des § 284 StGB wäre, daß es sich bei der
vorliegenden Art der Sportwette um ein "Glücksspiel" im Sinne des Gesetzes handeln
würde. Dies ist indes nicht der Fall. Beim Glücksspiel wird die Entscheidung über Gewinn
und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten und
Kenntnissen und vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler bestimmt, sondern allein oder
hauptsächlich vom Zufall, nämlich vom Wirken unberechenbarer, dem Einfluß der
Beteiligten in ihrem Durchschnitt entzogener Ursachen (BGHSt 9, 37, Tröndle/Fischer, §
234 Randnr. 3). Dem gegenüber hat es beim - straflosen - Geschicklichkeitsspiel der
Durchschnitt der Teilnehmer mit zumindest hälftiger Wahrscheinlichkeit in der Hand, durch
Geschicklichkeit den Ausgang des Spiels zu bestimmen. Daß dabei vereinzelten Spielern
die Geschicklichkeit fehlt, ist unerheblich. Es entscheidet der Durchschnitt, so daß der
Charakter des Spiels nur einheitlich beurteilt werden kann (Tröndle/Fischer, § 284 Randnr.
5, AG Karlsruhe-Durlach, NStZ 2001, Seite 254).
Ausgehend von dieser Definition ist z. B. das Lotto- oder das Roulettespiel ein Glücksspiel.
Dort kann der Mitspieler auf Zahlen setzen, ohne daß er z. B. durch bestimmte Kenntnisse
in der Lage wäre, seine Chancen in irgendeiner Form zu verbessern. Anders verhält es
sich jedoch bei der hier vorliegenden Sportwette. Über die einem zukünftigen sportlichen
Ereignis zugrundeliegenden Parameter kann sich jedermann heutzutage umfassend
informieren. Aus der Tageszeitung, aus Sportzeitungen und seit einiger Zeit auch aus dem
Internet können vielfältige Informationen über die jeweilige bei dem Sportereignis
antretende Mannschaft erlangt werden, so z. B. die Frage der Krankheit von Spielern, das
Abschneiden bei vorangegangenen Spielereignissen, die allgemeine Kondition der
Mannschaft, antretende Spieler, bis hin gegebenenfalls sogar zum Wetterbericht für den
Platz, auf dem das jeweilige Spiel stattfinden soll. Aus all diesen Informationen kann der
Mitspieler einer Sportwette für sich selbst die Prognose ableiten, mit welchem Ergebnis
eine bestimmte Mannschaft bei einem bestimmten Sportereignis abschneiden wird.
Dabei ist nach Auffassung der Kammer nicht darauf abzustellen, daß der Mittspieler keine
Einflußnahmemöglichkeit auf das Ergebnis des Sportereignisses in der Form hat, daß er
etwa durch eigene, physische Eingriffe das Ergebnis des Spiels und damit das Ergebnis
der von ihm auf das Spiel abgegebenen Wette beeinflussen könnte. Maßgeblich ist - in
Abgrenzung zum "Glücks" Spiel -, daß das Ergebnis bei der Sportwette nicht vom reinen
16
17
18
19
Zufall abhängt, sondern überwiegend aufgrund der Informationen und der vom Mitspieler
daraus gezogenen Schlüsse prognostiziert werden kann. Daß die Prognose dann nicht in
jedem Fall zutreffen wird, qualifiziert die Sportwette ebenfalls nicht zum Glücksspiel, denn
dann wäre jede Prognose mit einem nicht völlig sicheren Ausgang von vornherein als
Glücksspiel anzusehen.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn man für die vorliegende Sportwette auf den
Durchschnitt der Bevölkerung abstellen müßte. Würde man dabei alle sportlich
Uninteressierten oder Unerfahrenen in die Betrachtung mit einbeziehen, würde sich für die
Mehrzahl der potentiellen Spieler das Ergebnis des Sportereignisses mangels eigener
Kenntnisse oder Prognosen über das Ergebnis des sportlichen Ereignisses als vom Zufall
abhängig darstellen. Indes ist eben dieser Durchschnitt der Bevölkerung nicht Kunde in
Wettbüros, in denen Sportwetten der vorliegenden Art angeboten werden. Ohne daß dem
Gericht hierzu statistische Erhebungen vorliegen würden, geht die Kammer davon aus, daß
derjenige Spieler, der ein reines Zufallsergebnis bewetten will, also ein "Glücks"spiel
betreiben möchte, seinen Tipp nicht bei einer Sportwette, sondern eher beim Lotto abgeben
wird. Abzustellen ist deshalb bei der Frage, ob ein Glücksspiel vorliegt, auf den
Durchschnitt der Mitspieler des jeweiligen Spiels (AG Karlsruhe-Durlach, NStZ 2001, Seite
254, Wrage, NStZ 2001, Seite 256). Dann aber ergibt sich bei der hier vorliegenden
Sportwette, daß daran von vornherein überwiegend nur solche Spieler teilnehmen, die
aufgrund eigener Kenntnisse und Fähigkeiten - gerade im Sport gegebenenfalls sogar
aufgrund recht akribischer Beobachtungen der jeweils favorisierten Mannschaft - in der
Lage sind, eine begründete Prognose für den Ausgang des jeweiligen Sportereignisses
abzugeben. Zu Recht weist Wrage (NStZ 2001, Seite 256) in diesem Zusammenhang auf
den Werbetext in einem Oddset-Begleitheft der "Bremer Toto- und Lotto GmbH" (erste
Auflage 2/2000) hin, in dem es dort unter anderem heißt: "Nervenkitzel bis zum Abpfiff ... mit
Oddset ... alles, was sie dazu brauchen, ist ihr Fußball-Nowhow und etwas Glück. ... Hierzu
gehört zum Beispiel Hintergrundwissen um: Ergebnisse der letzten Spiele, der Form der
Mannschaft, ihre Angstgegner, Sperren von Spielern, Heim- und Auswärtsstärke ...".
Auch eine weitere Überlegung zeigt, daß die vorliegende Sportwette nicht als Glücksspiel
im Sinne der eingangs genannten Definition anzusehen ist. Der Mitspieler einer Sportwette,
der aufgrund bestimmter Informationen und daraus von ihm abgeleiteter Beurteilungen des
zukünftigen Ergebnisses eines Spielereignisses seinen Tipp abgibt, verhält sich letztlich
nicht anders, als ein Aktionär, der an der Börse aufgrund bestimmter von ihm über ein dort
notiertes Unternehmen eingeholter Informationen und des von ihm erwarteten bzw.
prognostizierten wirtschaftlichen Ergebnisses des Unternehmens Aktien erwirbt. Dabei
dürfte nach Auffassung der Kammer - jedenfalls gegenwärtig - die Prognose eines
Mitspielers bei einer Sportwette auf den bestimmten Ausgang eines zukünftigen sportlichen
Ereignisses sogar mit einer höheren Wahrscheinlichkeit behaftet sein als etwa die
Prognose eines Käufers von Aktien am neuen Markt.
III.
Es mag sein, daß das Auftreten ausländischer Anbieter von Sportwetten, die
möglicherweise gar mit einer besseren Quote als die bei inländischen Lotto- und
Totogesellschaften zu erzielenden Gewinne ausgestattet sind, politisch, etwa aus
fiskalischen Erwägungen, unerwünscht ist. Erwägungen dieser Art müssen jedoch vom
erkennenden Gericht bei der Frage, ob das Verhalten eines einzelnen Angeklagten unter
eine bestimmte, bestehende Norm des Strafgesetzbuches subsumiert werden kann,
unberücksichtigt bleiben. Es ist hier allein Aufgabe des Gesetzgebers, gegebenenfalls
20
21
durch eine Änderung des § 284 StGB eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.