Urteil des LG Bielefeld vom 19.01.2011

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Landgericht Bielefeld, 21 S 207/09
Datum:
19.01.2011
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
21. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 S 207/09
Rechtskraft:
19.01.2011
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG Bielefeld vom
24.09.2009 - 5 C 365/09 - teilweise - unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 73,80 € zuzüglich Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
21.03.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 91 % und die
Beklagte 9 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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I.
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Der Kläger nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung auf Ersatz des restlichen
Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 27.02.2009 in Anspruch. Bei diesem
Unfall wurde der PKW des Klägers, ein zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alter
Mercedes-Benz, beschädigt.
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Die Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten im
Wesentlichen nur noch um die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven
Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf eine Reparatur in einer von der Beklagten
benannten zertifizierten Meister- und Fachwerkstatt verweisen lassen muss oder ob er
auf Grundlage des von ihm in Abstimmung mit der Beklagten eingeholten
Kostenvoranschlags der Mercedes-Benz Fachwerkstatt Autohaus U. abrechnen kann.
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Nach dem Kostenvoranschlag der Firma Autohaus U. betragen die Reparaturkosten
4.653,68 €. Die Beklagte zahlte hierauf lediglich 3.794,34 € und verwies darauf, dass
man bei der Berechnung die Stundenverrechnungssätze der Firma L.
Reparaturfachbetrieb GmbH in Bielefeld zu Grunde gelegt habe, welche bei
Karosseriearbeiten 75,00 € und bei Lackarbeiten 80,00 € betrügen. Einen
Kostenvoranschlag der Firma L. legte die Beklagte nicht vor.
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Mit der Klage begehrt der Kläger den Ausgleich der Differenz-Reparaturkosten in Höhe
von 859,34 €.
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Das Amtsgericht hat der Klage durch Urteil vom 24.09.2009 vollumfänglich statt
gegeben und im Wesentlichen ausgeführt, dass bei Reparaturarbeiten in einer freien
Werkstatt selbst bei gleicher Qualität der technischen Ausführung jedenfalls keine
wirtschaftliche Gleichwertigkeit angenommen werden könne.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
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Das Amtsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei der L. GmbH um eine
zertifizierte Meister- und Fachwerkstatt für Karosserie- und Lackarbeiten handele,
welche Reparaturen nach den Richtlinien der Fahrzeughersteller ausführe,
ausschließlich Originalersatzteile verwende sowie über moderne Spezialwerkzeuge
und ein bestens ausgebildetes und fachlich kompetentes Werkstatt- und Lackierteam
verfüge.
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Die Beklagte beantragt,
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die Entscheidung des Amtsgericht vom 24.09.2009 zu 5 C 365/08 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in zweiter
Instanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Z. L..
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II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist weitestgehend begründet.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte lediglich ein Anspruch auf Zahlung weiterer
73,80 € gem. §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 150 VVG, 1 PflVG zu.
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1.
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Der Kläger kann gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB den zur Herstellung erforderlichen
Geldbetrag beanspruchen. Die Erforderlichkeit im Sinne dieser Vorschrift richtet sich
danach, wie ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer sich in der
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Lage des Geschädigten verhalten hätte (BGH, NJW 2010, 606). Der Geschädigte darf
seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen
Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legen,
die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger ermittelt hat (st. Rspr., zuletzt BGH,
NJW 2010, 2941). Dies gilt unabhängig davon, ob er den Wagen tatsächlich gar nicht
oder in einer günstigeren Werkstatt hat reparieren lassen (BGH, NJW 2003, 2086).
Der Kläger hat vorliegend seine Schadensberechnung auf der Grundlage eines
Kostenvoranschlags eines Mercedes-Benz Fachbetriebes vorgenommen und ist damit
dem Gebot der Wirtschaftlichkeit hinreichend nachgekommen. Dies gilt umso mehr als
die Einholung eines Kostenvoranschlages – anstelle eines
Sachverständigengutachtens – vorliegend in Abstimmung mit der Beklagten erfolgt ist.
Das Alter oder die Laufleistung des Fahrzeugs begründen insofern zunächst keine
weitere Darlegungslast des Geschädigten (BGH, NJW 2010, 606, Rn. 8).
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2.
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Die Beklagte kann den Kläger jedoch unter dem Gesichtspunkt der
Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf die günstigere
Reparaturmöglichkeit in der L. Reparaturfachwerkstatt verweisen, nachdem sie
dargelegt und bewiesen hat, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom
Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt
entspricht.
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a.
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In seiner Entscheidung vom 20.10.2009 (NJW, 2010, 606) hat der BGH klargestellt, dass
es bei der Frage der Gleichwertigkeit zunächst nur auf die technische und nicht die
wirtschaftliche Gleichwertigkeit ankommt. Dem Schädiger obliegt deshalb zunächst nur
der Nachweis, dass die Reparatur in der freien Werkstatt vom Qualitätsstandard her der
Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht. Für die tatrichterliche
Beurteilung der Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit gilt dabei auch im Rahmen
des § 254 Abs. 2 S. 2 BGB das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO (BGH, NJW
2010, 2941).
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Die Beklagte hat hierzu bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass es sich bei der von ihr
genannten zertifizierten Meister- und Fachwerkstatt L. Reparaturfachbetrieb GmbH um
eine Fachwerkstatt für Karosserie- und Lackarbeiten handele. Es sei nicht nur ein
Meisterbetrieb, sondern auch ein von der DEKRA zertifizierter Karosseriefachbetrieb
und auch die Lackierarbeiten würden von einem Lackiermeister ausgeführt. Die
Fachwerkstatt verwende ausschließlich moderne Spezialwerkzeuge und
Originalersatzteile. Das Werkstattteam werde durch Fortbildungsmaßnahmen und
Seminare ständig geschult.
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Der Zeuge L. hat diesen Vortrag der Beklagten bestätigt. Er hat insbesondere
angegeben, dass sein Betrieb sich auf die Reparatur und Lackierarbeiten nach Unfällen
spezialisiert habe. Es gibt keine Veranlassung an der inhaltlichen Richtigkeit der
Angaben des Zeugen zu zweifeln. Die Benennung des Zeugen war entgegen der
Ansicht des Klägers auch nicht verspätet, da das erstinstanzliche Gericht allein auf die
aus seiner Sicht fehlende wirtschaftliche Gleichwertigkeit abgestellt und damit die
Frage, ob eine Reparatur bei der Firma L. technisch gleichwertig und dabei günstiger
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gewesen wäre, für unbeachtlich gehalten hat (§ 531 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Auf dieser Grundlage gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der L.
Reparaturfachbetrieb die Unfallschäden am klägerischen Fahrzeug ebenso kompetent
hätte beheben können wie das Autohaus U.. Insbesondere ist auch nicht ersichtlich,
dass es bei dem konkreten Schaden an der Tür besonderer Erfahrungen mit der Marke
Mercedes bedurfte.
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b.
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Die Beklagte hat auch nachgewiesen, dass die hier konkret im Raume stehende
Reparatur der Fahrzeugtür durch die Fa. L. nicht nur technisch gleichwertig erfolgt,
sondern darüber hinaus auch günstiger gewesen wäre als bei dem Autohaus U..
30
(1)
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Zwar unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von den üblichen Fällen, in denen
der Geschädigte ein Gutachten einholt und in denen die Zahl der in Ansatz zu
bringenden Stunden durch einen Sachverständigen festsetzt wird, dadurch, dass hier
die Schadensberechnung "nur" auf einem Kostenvoranschlag beruht. Die Unterschiede
in den Kostenkalkulationen von Werkstätten basieren üblicherweise nicht allein auf den
Stundensätzen, sondern insbesondere auch der divergierenden Zeit, die jeweils
veranschlagt wird. Allein der Umstand, dass eine von dem Schädiger genannte
Fachwerkstatt niedrigere Stundensätze hat, besagt deshalb regelmäßig noch nicht, dass
die konkrete Reparatur bei dieser Werkstatt am Ende tatsächlich kostengünstiger
gewesen wäre.
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Bei dem Kostenvoranschlag der Fa. U. handelt es sich jedoch um einen mehrseitigen,
dezidierten Kostenvoranschlag, der erkennbar mittels eines Computerprogramms
erstellt wurde. Der Zeuge L. hat diesbezüglich anschaulich erläutert, dass es mehrere
Kalkulationsprogramme gibt, die mit dem Hersteller der jeweiligen Automarke entwickelt
wurden und die nach Eingabe des konkreten Schadens die für die Behebung
erforderlichen Ersatzteile sowie die benötigte Stundenzahl benennen. Solche
professionellen Kostenvoranschläge sind eben nicht "über den Daumen gepeilt",
sondern fußen auf den Angaben des Herstellers und sind insofern einer Abänderung
wenig zugänglich. Der Zeuge L. hat dies anschaulich auf den Punkt gebracht, indem er
spontan erklärte, dass er angesichts dieser "korrekten" Kalkulation nicht viel machen
könne. Lediglich bei den Stundenverrechnungssätzen könne er günstiger sein.
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Vor diesem Hintergrund eröffnen professionelle Kostenvoranschläge dem Schädiger in
gleicher Weise wie ein Schadensgutachten die Möglichkeit, nachzuweisen, dass eine
andere Firma aufgrund niedrigerer Stundenverrechnungssätze die konkrete Reparatur
günstiger durchgeführt hätte.
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Auch der Umstand, dass eine Besichtigung des Unfallschadens heute nicht mehr
möglich ist, führt hier zu keiner anderen Bewertung. Zwar basieren Kostenvoranschläge
immer auf der Besichtigung des Fahrzeugs und einer anschließenden
Kostenkalkulation. Vorliegend war es aber gerade nicht erforderlich, dass die Fa. L.
einen eigenen Kostenvoranschlag erstellt. Vielmehr war auf Grundlage des
professionellen Kostenvoranschlags der Fa. U. wie bei Schadensgutachten die
Möglichkeit gegeben, anstelle der Stundenverrechnungssätze des Autohauses U.,
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diejenigen der Fa. L. einzusetzen.
(2)
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Die günstigere Reparaturmöglichkeit bei der Firma L. folgt aus deren niedrigeren
Stundenverrechnungssätzen. Das Autohaus U. hat bei seiner Kalkulation bezüglich
Karosserie-, Mechanik- und Elektroarbeiten jeweils einen Stundensatz von 97,80 € und
hinsichtlich der Lackierarbeiten einen Stundensatz von 99,60 € zu Grunde gelegt. Der
Zeuge L. hat demgegenüber glaubhaft bekundet, dass bei seiner Firma Stundensätze
von 78,00 bzw. 80,00 € berechnet werden, wobei auf den Lackierlohn noch ein
Zuschlag in Höhe von 30 % für die Arbeiten mit Lackmaterial hinzukommt. Bei diesen
Stundensätzen handele es sich nicht um Versicherungstarife, sondern um Stundensätze
für normale Kunden.
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Da hinsichtlich der Karosserie-, Mechanik- und Elektroarbeiten von den im
Kostenvoranschlag des Autohauses U. aufgeführten 24,75 Stunden auszugehen ist,
hätte die Firma L. diese Arbeiten dementsprechend für insgesamt 1.930,05 € anstelle
von 2.420,55 € (U.) und somit in Höhe von 490,50 € günstiger durchgeführt. Die
Differenz gegenüber der Berechnung der Beklagten im Check-it-Prüfbericht folgt aus
dem Umstand, dass in diesem Prüfbericht auf Seiten der Firma L. ein
Stundenverrechnungssatz Karosserie in Höhe von 75,00 € zu Grunde gelegt wurde, der
Zeuge L. demgegenüber aber glaubhaft einen Stundensatz von 78,00 € bekundet hat.
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Die Lackierarbeiten hätte die Firma L. - wie von der Beklagten zutreffend berechnet - zu
einem Preis von (9,5 Stunden x 80,00 € = 760,00 € zzgl. eines Lackmaterialaufschlag
von 30 % mithin 228,00 € =) 988,00 € durchführen können. Sie wäre damit um 295,04 €
günstiger gewesen als die Firma U..
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3.
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Es war für den Kläger auch nicht unzumutbar war, sich auf eine Reparaturmöglichkeit
außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen.
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Der BGH hat eine solche Unzumutbarkeit bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren
oder in den Fällen bejaht, in denen das Fahrzeug "scheckheftgepflegt" ist (BGH, NJW
2010, 606). Der Mercedes-Benz des Klägers war im Unfallzeitpunkt sieben Jahre alt.
Hinsichtlich des bisherigen Wartungs- bzw. Reparaturverhalten hat der Kläger unter
Beweisantritt vorgetragen, dass er den PKW Ende März 2007 aus erster Hand und
scheckheftgepflegt erworben hat. Bezüglich der zwei Jahre, in denen sich der PKW in
seinem Besitz befand, hat der Kläger dagegen keine konkreten Angaben gemacht,
sondern lediglich mitgeteilt, dass das Fahrzeug unfallfrei geblieben sei und sich in sehr
gepflegtem Zustand befunden habe. Letztlich räumt der Kläger damit unausgesprochen
ein, dass er selbst sein Fahrzeug nicht entsprechend den o.g. Anforderungen gewartet
hat, so dass die Voraussetzungen an eine Unzumutbarkeit nicht gegeben sind.
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4.
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Da die Beklagte den Kläger auf die günstigere Reparatur in der Firma L. verweisen
kann, hat sie ihm die Netto-Reparaturkosten unter Berücksichtigung der Stundensätze
der Firma L. zu erstatten. Wie bereits ausgeführt beträgt der Stundensatz der Firma L. für
Karosserie-, Mechanik- und Elektronikarbeiten nicht nur 75,00 €, sondern 78,00 €, so
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dass sich die Netto-Reparaturkosten unter Berücksichtigung der Kosten für die
Ersatzteile auf (1.930,05 € + 988,00 € +950,09 € =) 3.868,14 € belaufen. Hiervon hat die
Beklagte bereits 3.794,34 € gezahlt. Es verbleibt mithin eine Forderung des Klägers in
Höhe von 73,80 €.
5.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280 I, II, 286 I, 288 I BGB.
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III. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
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