Urteil des LG Bielefeld vom 27.04.2010

LG Bielefeld (abweisung der klage, verhalten, zpo, vorsicht, kind, fahrrad, unfall, halle, kreuzung, abweisung)

Landgericht Bielefeld, 20 S 3/10
Datum:
27.04.2010
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
20. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 S 3/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Halle, 2 C 541/09
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten und Widerklägerin wird das am
24.11.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Halle/Westf. (Az.: 2 C
541/09) insoweit abgeändert, als die Klage abgewiesen wird.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin, mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten, die der Beklagten
auferlegt werden.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
I.
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Von der Darlegung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2,
313a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
3
II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
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1.
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Die Berufung ist begründet, soweit die Beklagte die Abweisung der Klage verlangt.
Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 765,- € zzgl. Nebenkosten
aus § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte.
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a) Dass die Beklagte den Verkehrsunfall schuldhaft verursacht und dadurch den Pkw
der Klägerin beschädigt hat, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Insbesondere ist
unstreitig, dass die Beklagte gem. § 828 Abs. 3 deliktsfähig war und dass sie im
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konkreten Fall fahrlässig handelte, da sie bereits nach ihrem eigenen Vortrag durch ein
Gespräch mit ihrer ebenfalls auf einem Fahrrad fahrenden Freundin abgelenkt war.
b) Auch die Klägerin muss sich aber einen Verstoß des Drittwiderbeklagten gegen § 3
Abs. 2a StVO zurechnen lassen.
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(1) Die zum Unfallzeitpunkt 13-jährige Beklagte unterfiel dem Schutzbereich des § 3
Abs. 2a StVO. Denn als "Kind" im Sinne dieser Vorschrift sind nach allgemeiner
Auffassung alle Personen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres anzusehen (OLG
Hamm NZV 2006, 151; OLG Hamburg NZV 1990, 71; Burmann, in:
Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage 2008, § 3 StVO Rn 51). Die
Beklagte war nach den unangefochtenen Feststellungen des Amtsgerichts auch als 13-
Jährige zu erkennen. Zweifel diesbezüglich würden ohnehin zu Lasten des
Drittwiderbeklagten gehen, der die Verpflichtung des § 3 Abs. 2a StPO solange zu
erfüllen hatte, bis er ausschließen konnte, dass es sich um ein Kind handelte.
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(2) Der Drittwiderbeklagte hat schuldhaft gegen § 3 Abs. 2a StVO verstoßen, indem er
auf das Verhalten der Beklagten und ihrer Freundin überhaupt nicht reagiert hat,
sondern darauf vertraute, dass sich die Kinder verkehrsgerecht verhalten würden.
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Zwar darf ein Kraftfahrer gegenüber schulpflichtigen Kindern grundsätzlich darauf
vertrauen, dass diese bereits über eine gewisse Verkehrserfahrung verfügen und im
Verkehrsunterricht auf die Gefährdung von Radfahrern im Straßenverkehr sowie die
richtige Verhaltensweise an einer Kreuzung hingewiesen worden sind. Er muss deshalb
bei ihnen im Gegensatz zu Kleinkindern nicht von vornherein mit unbesonnenem
Verhalten rechnen. Aber das Vertrauen, ältere Schulkinder würden sich verkehrsgerecht
benehmen, kann nicht gelten, wenn diese Kinder ein Verhalten zeigen, das den
Kraftfahrer im besonderen Fall zur Vorsicht mahnen und ihm den Gedanken nahe legen
muss, sie könnten ihm unversehens in den Fahrweg geraten (vgl. BGH, NJW 1986,
183). Besondere Sorgfalt ist insbesondere gefordert bei verkehrswidrigem und unklarem
Verhalten der Kinder als Fußgänger oder Radfahrer, bei Gruppen von Kindern, bei
radfahrenden Kindern insbesondere bei schmalen Wohn- und Siedlungsstraßen
(Burmann, aaO Rn 53 jeweils mwN).
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Danach mussten den Drittwiderbeklagten vorliegend gleich mehrere Umstände zur
besonderen Vorsicht veranlassen. So ereignete sich der Unfall, wie sich aus den Fotos
des Unfallortes ergibt, in einer Siedlungsstraße mit offensichtlich geringem
Verkehrsaufkommen, auf welcher zudem eine "Tempo 30 Zone" eingerichtet ist. Ferner
war für den Drittwiderbeklagten, wie sich aus seiner Anhörung ergibt, erkennbar, dass
die Beklagte und ihre Freundin verkehrswidrig mit ihren Fahrrädern nebeneinander
fuhren (§ 2 Abs. 4 StVO). Die Tatsache, dass die Beklagte nicht allein unterwegs war,
sondern mit einem anderen Kind, und sich beide dabei verkehrswidrig verhielten, hätte
den Drittwiderbeklagten – unabhängig von der Frage, ob er erkennen konnte, dass sich
die Mädchen zudem noch unterhielten – zu besonderer Vorsicht mahnen müssen.
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Gegen diese gesteigerte Sorgfaltsanforderung hat der Drittwiderbeklagte verstoßen, da
er bereits nach seinem eigenen Vorbringen seine Fahrweise nicht angepasst, sondern
auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Mädchen vertraut und sich auf den aus seiner
Sicht bevorrechtigten Verkehr konzentriert hatte. Der Drittwiderbeklagte hätte die
Mädchen vor Überquerung der Kreuzung weiter beobachten und dann ggfs. langsamer
werden, sich durch Hupen bemerkbar machen und notfalls ganz abstoppen müssen.
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(3) Der der Klägerin zurechenbare Verstoß wiegt so schwer, dass diese mindestens
eine Haftungsquote von 25% trifft.
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2.
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Die Berufung ist jedoch unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der
Widerklage der Beklagten richtet. Zu Recht hat das Amtsgericht angenommen, dass die
Widerklage unbegründet ist. Die Beklagte hat gegen die Klägerin und den
Drittwiderbeklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1,
18 Abs. 1 StVG bzw. 823 BGB. Zwar hat sie behauptet, einen neuen Sattel für ihr
Fahrrad beschafft zu haben und insofern eine Quittung vorgelegt. Für die von der
Gegenseite bestrittene Behauptung, hierbei handele es sich um einen Schaden aus
dem Verkehrsunfall, hat die Beklagte aber keinen Beweis angetreten. Gegen eine
Beschädigung des Sattels bei dem Unfall spricht auch, dass nach dem Polizeibericht an
dem Fahrrad der Beklagten keine Schäden feststellbar waren (vgl. Bl. 2 der
Ermittlungsakte).
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III.
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Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m.
§ 26 Nr. 8 EGZPO.
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IV.
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Die Kammer hat die Frage der Zulassung der Revision gem. § 543 ZPO geprüft und
hiervon abgesehen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch
eine Entscheidung des Revisionsgerichts zum Zwecke der Rechtsfortbildung oder zur
Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung veranlasst ist.
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