Urteil des LG Bielefeld vom 30.07.2010

LG Bielefeld (index, beratung, höhe, zeuge, anlage, express, anleger, zug, wert, aufklärung)

Landgericht Bielefeld, 1 O 351/09
Datum:
30.07.2010
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 351/09
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zug um Zug gegen
Übertragung von 35 Stück Wertpapieren mit der Wertpapierkennnummer
X 35.700,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 25.05.2009 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.170,56 € zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in
Ziff. 1 bezeichneten Wertpapiere im Annahmeverzug befindet.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte, die damals noch als F.Bank firmierte, wegen
behaupteter Verletzung eines Anlageberatungsvertrages in Verbindung mit der
Zeichnung von "Alpha Express III Zertifikaten" der Lehman Brothers Treasury Co. B.V.
in Anspruch.
2
Die 1942 geborene Klägerin ist seit dem Jahr 2004 Kundin bei der Beklagten. Im
Rahmen des ersten Beratungsgesprächs wurde am 21.04.2004 ein Risikoprofil erstellt,
welches von der Klägerin unterzeichnet wurde. Dieses Profil erfasste Angaben der
Klägerin zu ihren Anlagezielen, ihrer Risikoeinstellung und ihren Erfahrungen mit
Anlageprodukten (KE 2, Bl 104 GA). Als Anlagestrategie wurde ein "ausgewogenes
Depot" festgehalten. Aufgenommen wurde außerdem, dass die Klägerin über Erfahrung
und Kenntnisse in den Wertpapierklassen 1 – 4 verfügt. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Anlage KE 2 Bezug genommen.
3
In den folgenden Jahren erwarb die Klägerin bei der Beklagten mehrere Zertifikate. Am
4
31.12.2005 unterhielt sie bei der Beklagten ein diversifiziert angelegtes Depot, das sich
über 14 Einzeltitel mit einem Gesamtwert von 181.365,66 Euro erstreckte. Dabei war ein
großer Teil des Geldes in Fonds, ein Teil in Renten und ein kleiner Teil in sonstige
Anlageprodukte angelegt, wobei zur letzten Position auch Anlagen in Zertifikaten
zählen. Per 31.12.2006 unterhielt die Klägerin ihr Depot mit 10 Einzeltiteln mit einem
Gesamtwert von 158.165,12 Euro, wovon rund 30.000,-- Euro in sonstigen
Anlagenprodukten, z. B. Zertifikaten, angelegt waren.
Am 23.4.2007 wurde für die Klägerin mit dem für sie nunmehr zuständigen
Vermögensberater der Beklagten, dem Zeugen W., ein neues Risikoprofil erstellt (KE 3,
Blatt 106 GA). Als Anlagestrategie wurde die Stufe "Ertrag" bei einem maximalen
Risikoanteil von 70 % und die künftige maximale Wertpapierrisikoklasse 4 festgehalten.
Auch dieses Risikoprofil wurde von der Klägerin unterschrieben. Hinsichtlich der
weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage verwiesen.
5
Im Juli 2007 fand ein Beratungsgespräch mit dem Zeugen W. in den Räumen der
Beklagten statt. Gegenstand dieses Gesprächs war die Anlage von freigewordenem
Festgeld sowie dem Geld aus den Verkäufen zweier Aktienfonds. Insgesamt ging es um
die Anlage von 70.000,00 €. Im Ergebnis legte die Klägerin zunächst 35.000,-- Euro
kurzfristig als Festgeld an. Außerdem zeichnete sie am 23.07.2007 den Kauf von 35
Stück Wertpapieren mit der Wertpapierkennung A, den Alpha-Express-Zertifikaten III
zuzüglich eines 2%-igen Ausgabeaufschlags zu einer Gesamtsumme von 35.700,00 €.
6
Die Alpha Express III Zertifikate setzen nicht auf die tatsächliche Indexentwicklung,
sondern maßgeblich ist die relativ bessere Wertentwicklung des DivDAX Preisindex
gegenüber dem DAX Index. Der DivDAX Index enthält die 15 Unternehmen des DAX
Index, welche ihren Aktionären die höchsten Ausschüttungen zukommen lassen. Die
Dividendenstärke der einzelnen Unternehmen wird anhand sogenannter
Dividendenrendite gemessen und ist ausschlaggebend für die Aufnahme in den Index.
Die Wertentwicklung der Indizes errechnet sich aus dem Wert des entsprechenden
Index am jeweiligen Beobachtungstag im Vergleich zu seinem Wert am Anfänglichen
Bewertungstag. Bei dem DivDax-Preisindex handelt es sich um einen reinen Kursindex,
dem Dax Index dagegen um einen Performanceindex. Dies bedeutet, dass bei dem
DAX Index anfallende Dividenden reinvestiert werden und dementsprechend die
Wertentwicklung erhöhen, während die dies beim DivDAX Index nicht der Fall ist.
7
In der Prospektbeschreibung (K2) wird überwiegend (S.2, 5, 8, 11 und 12) der Begriff
DivDAX Index verwendet. Lediglich auf S. 3 und 4 taucht der Begriff DivDAX Preisindex
auf. Auf S. 3 der Prospektbeschreibung findet sich insofern eine Grafik, die den Verlauf
des DivDAX und des DAX ab Existenz des DivDAX seit März 2005 sowie seinen
hypothetischen Verlauf für die Vorjahre abbildet. Hierunter findet sich die Formulierung:
"...profitieren Sie von der positiven Wertentwicklung des DivDAX Preisindex, aber
ebenso von einer möglichen negativen Wertentwicklung, solange der DivDAX
Preisindex eine bessere Entwicklung aufweist als der DAX Index." Auf S. 4 findet sich
eine Erläuterung, wie sich der DivDAX Preisindex zusammensetzt.
8
Unter der Überschrift "Produktvorteile im Überblick" (S. 5 der Produktinformation)
werden des weiteren folgende Punkte aufgeführt:
9
10
Chance auf Gewinne bei steigenden und fallenden Märkten
Das Zertifikat gewährt die Chance auf eine überdurchschnittlich hohe jährliche
Rendite
Absicherung inklusive: Rückzahlung von 1.650,00 pro Zertifikat am
Endfälligkeitstag, sofern die Wertentwicklung des DivDAX im Vergleich zur
Wertentwicklung DAX Index dann über oder auf dem Niveau von - 15 % liegt.
Chance auf kurze Laufzeit (allerdings verbunden mit geringer Rückzahlung)
Überschaubarer Anlagehorizont aufgrund der Maximallaufzeit von fünf Jahren
Volle Flexibilität: Das Zertifikat ist während der gesamten Laufzeit börsentäglich
handelbar
Kein Währungsrisiko
11
Unter der Rubrik "Das sollten Sie beachten" (S. 6) heißt es: "Kein Kapitalschutz: Sollte
am Laufzeitende die Wertentwicklung des DivDAX Index im Vergleich zur
Wertentwicklung des DAX Index unter - 15 % liegen, so kann es zum Verlust des
eingesetzten Kapitals kommen."
12
Auf S. 7 wird auf das Kredit-, Markt-, Kurs- und Liquiditätsrisiko hingewiesen. Unter
Kreditrisiko heißt es: "Der Anleger trägt das Kreditrisiko der Emittentin, der Lehman
Brothers Treasury Co. B.V., bzw. der Garantin, Lehman Brothers Holding Inc."
13
Im Rahmen der "Produkteigenschaften" wird ein Ausgabeaufschlag in Höhe von 2 %
genannt.
14
In den so bezeichneten "Weiteren Informationen" auf S. 14 der Produktbeschreibung
findet sich im Kleingedruckten schließlich der Hinweis, dass die F.Bank über die in der
Broschüre genannte Provision hinaus für den Abschluss von der Emittentin eine
(fettgedruckt) "Rückvergütung in Höhe von 2,8 %" erhält.
15
Am 15.09.2008 beantragte die Lehman Brothers Holding Inc. Gläubigerschutz nach
Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts. Infolgedessen fiel auch die Emittentin der Zertifikate
in Insolvenz. Die Zertifikate sind mittlerweile weitgehend wertlos.
16
Mit Schreiben vom 08.05.2009 forderte die Klägerin die Beklagte auf, den Betrag von
35.700,00 € gegen Übertragung der Papiere bis zum 25.05.2009 zurückzuerstatten.
Dies lehnte die Beklagte jedoch ab. Die Klägerin begehrt nunmehr Rückzahlung des
investierten Kapitals, Ersatz des entgangenen Gewinns und Ausgleich für die
außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten.
17
Die Klägerin behauptet, die Anlageberatung durch den Zeugen W. habe unter
zahlreichen Mängeln gelitten. Zunächst einmal habe der Zeuge sie angerufen und ihr
erklärt, dass er das "passende Produkt" für sie gefunden habe. Dabei habe sie schon im
Rahmen der Erstberatung und auch gegenüber dem Zeugen W. immer wieder deutlich
gemacht, dass sie eine konservative Anlegerin sei. Sicherheit sei für sie das oberste
Gebot gewesen. Sie habe zudem immer Wert auf eine möglichst kurzfristige und
verlustfreie Zugriffsmöglichkeit gelegt. Der Zeuge W. habe ihr gegenüber erklärt, dass
das Alpha-Express-Zertifikat III für ein Jahr angelegt werden könne. Danach würde eine
Rückzahlung zu 100 % und eine "gute Verzinsung", deren Höhe vom Aktienmarkt
18
abhänge, erfolgen. Auch bei sinkenden Marktwerten würde noch eine gute Verzinsung
erfolgen. Es habe keine Erklärungen zu der Kursentwicklung und den maßgeblichen
Faktoren stattgefunden. Es seien weder schriftliche Unterlagen übergeben worden,
noch habe es einen Hinweis auf die Existenz solcher Dokumente gegeben.
Die Klägerin ist zudem der Ansicht, dass die Prospektbeschreibung der Beklagten nicht
dazu angetan ist, eine anlagegerechte Beratung zu gewährleisten. Aus dem Flyer gehe
nicht in der gebotenen Klarheit hervor, wonach sich bei dem streitgegenständlichen
Produkt die Kapitalrückzahlung ergeben solle. Insbesondere sei dem Flyer nicht zu
entnehmen, dass es sich bei dem DivDAX um einen Kursindex, dem DAX Index
dagegen um einen Performance-Index handele. Letztlich seien die Alpha-Express-
Zertifikate vor diesem Hintergrund als Wettpapiere und als solche in der Risikoklasse 5
einzustufen.
19
Der Zeuge W. habe ihr auch keine alternativen Produkte angeboten. Er habe nicht auf
die Möglichkeit des Totalverlustes hingewiesen, sondern stattdessen immer wieder den
Kapitalschutz des streitgegenständlichen Papieres betont. Ebenfalls sei ein Hinweis auf
das Verlustrisiko bei negativer Entwicklung der Basiswerte unterlassen worden. Da die
Beratung letztlich insgesamt nur 5 bis 10 Minuten gedauert habe, sei auch kein Hinweis
darüber erteilt worden, dass es sich bei der Emittentin um eine holländische
Briefkastenfirma handelt und dass die Anlage des Geldes im Ausland erfolgen würde.
20
Die Klägerin ist vor diesem Hintergrund der Ansicht, dass vorliegend weder eine
anlage- noch eine anlegergerechte Beratung erfolgt ist. Sie sei als konservative
unerfahrene Anlegerin einzustufen, auf deren Anlageverhalten das riskante Alpha-
Express-Zertifikat III schon nicht gepasst habe. Jedenfalls aber hätte eine umfassende
Erläuterung zu dem Div-DAX und der DAX-Performance erfolgen müssen.
21
Schließlich behauptet die Klägerin, dass sie das Geld, wenn sie nicht die
streitgegenständlichen Papiere erworben hätte, in Sparguthaben angelegt hätte und
Zinserträge in Höhe von mindestens 4 % hätte erwirtschaften können.
22
Die Klägerin beantragt,
23
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie Zug um Zug gegen Übertragung von 35 Stück
Wertpapieren mit der Wertpapierkennnummer X Euro 35.700,-- nebst Zinsen in
Höhe von 4 % p. a. vom 7.8.2007 bis zum 25.5.2009 und Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem 26.5.2009 sowie vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.170,56 Euro zu zahlen;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1. bezeichneten
Wertpapiere im Annahmeverzug befindet.
24
25
Die Beklagte beantragt,
26
die Klage abzuweisen.
27
Sie behauptet, die Struktur der Alpha Express Zertifikate seien der Klägerin durch den
Zeugen W. anhand der Produktbeschreibung erläutert und letztere der Klägerin auch
ausgehändigt worden. Die Klägerin habe keine ausschließlich sichere Anlage gesucht,
sondern sei durchaus an einer hohen Rendite interessiert gewesen.
28
Die Klägerin sei auch über das Wesen des DivDAX Preisindex aufgeklärt worden. Dies
ergebe sich schon aus S. 3 und 4 der Produktinformation. Insbesondere sei die Klägerin
darauf hingewiesen worden, dass sich das festzustellende "Alpha" nach dem DivDAX-
Preisindex und nicht nach dem DivDAX-Performance-Index richtet. Selbst wenn die
diesbezügliche Aufklärung nicht hinreichend gewesen sein sollte, wäre ein solcher
Aufklärungsmangel ohne Bedeutung für die Entscheidung der Klägerin gewesen, da der
Wert- und Performanceunterschied zwischen den beiden Versionen des DivDAX bis
zum Jahr 2008 nicht erheblich gewesen sei.
29
Auf die "Rückvergütung" sei die Klägerin hingewiesen worden. Zudem handele es sich
vorliegend nicht um eine "Rückvergütung" im Sinne der Kick-Back Rechtsprechung.
Vielmehr sei auf den endgültigen Kaufpreis ein Rabatt gewährt worden. Die Beklagte
habe also keine irgendwie geartete Zahlung von der Emittentin erhalten, sondern die
Zertifikate geringfügig unter dem für den Endkunden bestimmten Verkaufspreis
erworben. Zudem beziehe sich die Rechtsprechung des BGH auf den Vertrieb von
Aktien- oder Medienfonds, während die Anlagegruppe der Zertifikate gänzlich anders
gelagert sei.
30
Tatsächlich sei das vorliegende Wertpapiergeschäft trotz der irrtümlichen Bezeichnung
"Kommisionsgeschäft" als Festpreisgeschäft einzustufen. Die Klägerin sei über die
Zusammensetzung des letztlich abgerechneten Gesamtpreises von 35.700,00 € (=
35.000,00 € für die Zertifikate und 700,00 € infolge des 2 %-igen Ausgabeaufschlages)
aufgeklärt worden. Darin sei bereits der Hinweis auf die Vergütung der Beklagten
enthalten gewesen. Über ihre weitere Gewinnmarge habe sie nicht aufklären müssen.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
32
Das Gericht hat die Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch
Vernehmung des Zeugen W.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Parteianhörung sowie
der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 30.6.2010 Bezug genommen.
33
Entscheidungsgründe:
34
Die Klage ist begründet.
35
I.
36
Die Klägerin kann von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter
Anlageberatung gem. § 280 Abs. 1 BGB verlangen.
37
1)
38
Zwischen der Klägerin und der Beklagten ist stillschweigend ein Beratungsvertrag
zustande gekommen, da der Mitarbeiter der F.Bank mit einer Empfehlung an die
Klägerin herangetreten ist und tatsächlich eine Beratung stattgefunden hat (vgl. BGHZ
39
123, 126, 128; zuletzt BGH, NJW-RR 2010, 115).
2)
40
Die Beklagte hat ihre Pflicht aus diesem Beratungsvertrag verletzt, da keine
anlagegerechte Beratung erfolgt ist.
41
a. Aus einem Beratungsvertrag folgt die Pflicht des Beraters, den Anleger über alle für
die Anlageentscheidung wesentlichen Umstände zu informieren (vgl. bereits BGH, WM
1993, 1455). Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein (st. Rspr., BGHZ 123,
126). Die anlagegerechte Beratung muss zu den allgemeinen und den speziellen
Risiken erfolgen, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben.
Die Aufklärung über diese Umstände hat richtig, vollständig und verständlich zu sein
(BGH, WM 2009, S. 2303).
42
b. Zwar ist die Klägerin zunächst den ihr obliegenden Nachweis, dass letztlich keine
Beratung stattgefunden hat, schuldig geblieben. Der Zeuge W. hat die diesbezüglichen
Behauptungen der Klägerin nicht bestätigt, sondern erklärt, dass er das
streitgegenständliche Zertifikat immer anhand des Prospektes geschildert habe. Auch
wenn er keine konkrete Erinnerung an das Gespräch mit der Klägerin hatte, konnte er
sehr sicher sagen, dass er sich immer an der Produktbeschreibung entlang gehangelt
habe. Die Aussage des Zeugen war dabei glaubhaft. Der Zeuge hat offen und frei
berichtet, was er noch in Erinnerung hatte. Er konnte offen zugeben, wenn er gerade
keine konkrete Erinnerung u. a. auch an private Umstände, welche die Klägerin ihm
erzählt hatte, mehr aufweisen konnte. Ebenso konnte der Zeuge auf Nachfrage
beispielsweise ohne Weiteres zugeben, dass er über die Frage der 2,8%-igen
Rückvergütung nicht informiert hat. Da sich die Ausführungen zur Rückvergütung im
Kleingedruckten befinden, hat der Zeuge auf Nachfrage ausgeschlossen, dass er
hierüber aufgeklärt hat. Vor diesem Hintergrund war eine Be- bzw. Entlastungstendenz
des Zeugen nicht erkennbar.
43
c. Die fehlerhafte Aufklärung ist vorliegend aber darin zu sehen, dass der Berater die
Klägerin nicht über die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Indizes
aufgeklärt hat.
44
Der Zeuge W. hat in seiner Vernehmung insofern freimütig bekundet, dass er sich im
Rahmen seiner Beratung weitgehend an der Produktbeschreibung "entlang gehangelt"
habe. Auf konkrete Nachfrage, ob er den Unterschied zwischen dem DivDAX und dem
DAX erklären könne, erläuterte der Zeuge, dass es sich um zwei Indizes handele, die
von der gleichen Position ausgehen und quasi einen Wettlauf starten. Von einer
unterschiedlichen Behandlung bzw. Berücksichtigung der anfallenden Dividenden,
sagte der Zeuge trotz der konkreten Nachfrage zu den Unterschieden der beiden Indizes
nichts.
45
Ist aber davon auszugehen, dass sich die konkrete Beratung der Klägerin an der
Produktbeschreibung ausgerichtet hat, ist gleichzeitig festzustellen, dass die
Produktbeschreibung hinter den Anforderungen zurückbleibt, die an eine
anlagegerechte Beratung zu stellen sind.
46
Zwar weist der Prospekt auf den fehlenden Kapitalschutz und in diesem
Zusammenhang sowohl auf das Kreditrisiko der Emittentin als auch das Verlustrisiko
47
des eingesetzten Kapitals in dem Falle hin, dass am Laufzeitende die Wertentwicklung
des DivDAX Index im Vergleich zur Wertentwicklung des DAX Index unter -15 % liegen.
Die Produktbeschreibung enthält aber keinen verständlichen Hinweis darauf, dass bei
der Wertentwicklung von unterschiedlichen Parametern auszugehen ist. Insbesondere
erfolgt kein Hinweis darauf, dass die Dividenden, die beim DAX Performanceindex
anfallen, reinvestiert werden und damit die Wertentwicklung des DAX Index positiv
beeinflussen, während der DivDAX Kursindex keine Dividenden beinhaltet. Wie die
beiden Verlaufskurven (BL 186 und 187) anschaulich zeigen, bewegte sich der DivDAX
Performance Index zwischen den Jahren 2005 und 2008 zunächst deutlich über dem
DAX Index und fiel zu keinem Zeitpunkt, selbst auf dem Höhepunkt der Finanzkrise
Ende 2008/Anfang 2009 nicht, unter den Wert des DAX-Index. Der tatsächlich
zugrundegelegte DivDAX Kursindex dagegen bewegte sich von 2005 an nur relativ
knapp über dem DAX-Index und fiel Anfang/Mitte 2008 bis heute dauerhaft unter diesen.
Die Beklagte kann sich diesbezüglich nicht darauf berufen, dass es auf S. 3 der
Produktinformation heißt, dass der Anleger von der positiven Performance des DivDAX
Preisindex ebenso profitiert wie von einer möglichen negativen Wertentwicklung,
solange der Div DAX Preisindex eine bessere Entwicklung aufweist als der DAX Index.
Zwar kann der findige Leser anhand dieser Formulierung erkennen, dass bei der
Wertentwicklung des DivDax von einem Preisindex und nicht von einem
Performanceindex auszugehen ist. Die anlagegerechte Beratung hat sich aber nicht an
einem findigen Leser, sondern dem konkreten Anleger zu orientieren. Selbst wenn die
Klägerin schon allein aufgrund ihres Anlageverhaltens nicht als völlig unerfahren in
Anlagedingen einzustufen ist, war bei ihr nicht davon auszugehen, dass sie den
Unterschied zwischen einem Kursindex und einem Performanceindex kannte. Insofern
hatte sie aber auch keine Veranlassung, aus der Formulierung "DivDAXPreisindex" den
Schluss zu ziehen, dass die zu vergleichenden Indizes hinsichtlich der Dividenden
unterschiedlich behandelt werden.
48
Auch S. 4 der Produktbeschreibung enthält keinen entsprechenden Hinweis. Der
seitens der Beklagten zum Beweis angebotenen Einholung eines
Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht. Da es vorliegend um die Frage der
Verständlichkeit der Beratung geht, konnte das Gericht aus eigener Sachkunde
feststellen, dass die Ausführungen auf S. 4 der Produktbeschreibung nicht dazu angetan
sind, den Anleger über die unterschiedliche Berücksichtigung der anfallenden
Dividenden bei den verschiedenen Indizes aufzuklären.
49
Aufgrund dieser fehlenden Information war der Klägerin eine zutreffende
Risikoeinschätzung nicht möglich. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob sich der
strukturelle Unterschied der beiden Indizes zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt hat.
Maßgeblich für die Annahme einer Pflichtverletzung ist insoweit allein der Umstand,
dass die Beklagte über einen wesentlichen Punkt für eine Risikoeinschätzung nicht
aufgeklärt hat.
50
3)
51
Die Pflichtverletzung war kausal für die Anlageentscheidung der Klägerin.
52
Steht eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den Anleger die Vermutung
aufklärungsrichtigen Verhaltens, das heißt, dass der Aufklärungspflichtige beweisen
muss, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte,
53
er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte. Diese Vermutung
aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt grundsätzlich für alle Aufklärungsfehler eines
Anlageberaters (BGH WM 2009, 1274).
Die Beklagte hat diese Vermutung nicht entkräftet.
54
4)
55
Das Verschulden der Beklagten wird nach § 280 I 2 BGB vermutet. Zu ihrer Entlastung
hat die Beklagte im Hinblick auf den Verschuldensvorwurf der nicht anlagegerechten
Beratung nichts vorgebracht.
56
5)
57
Der Klägerin ist durch die Pflichtverletzung der Beklagten ein Schaden in Höhe von
35.700,00 € entstanden. Bei der fehlerhaften Anlageberatung ist bereits der Erwerb der
Kapitalanlage aufgrund einer fehlerhaften Information ursächlich für den späteren
Schaden, weil der ohne die erforderliche Aufklärung gefasste Anlageentschluss von den
Mängeln der fehlerhaften Aufklärung beeinflusst ist. Auf die Gründe, warum die
Kapitalanlage später im Wert gefallen ist, kommt es nicht an (BGH WM 2009, 1274).
58
6)
59
Die Verpflichtung der Klägerin, im Gegenzug die ihr aus dem Anlagegeschäft
erwachsenen Vorteile herauszugeben, also die Zertifikate auf die Beklagte zu
übertragen, wird von ihr mit der inzwischen begehrten Zug-um-Zug-Verurteilung
berücksichtigt.
60
II.
61
Der Zinsanspruch hinsichtlich der Hauptforderung folgt aus §§ 286 I, 288 I BGB. Da die
Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 08.05.2009 eine Frist zur Erstattung des
Anlagebetrages bis zum 25.05.2009 gesetzt hat, ist die Beklagte mit Ablauf dieser Frist
in Zahlungsverzug geraten.
62
Soweit die Klägerin mit ihrer Klage Zinsen für den Zeitraum vor Eintritt des
Annahmeverzuges geltend macht, fehlt es an einem entsprechenden Anspruch.
63
Die Klägerin kann nicht den Ersatz des entgangenen Gewinns verlangen. Einen
entsprechenden Anspruch aus §§ 249, 252 BGB hat sie nicht hinreichend dargetan.
64
Zwar ist im Rahmen der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich auch der
entgangene Gewinn im Sinne des § 252 BGB erstattungsfähig. Bei Kapitalanlagen gilt
ferner die Regel, dass sich ein derartiger Gewinn typischerweise daraus ergibt, dass
das Eigenkapital nicht ungenutzt geblieben wäre, wenn es nicht in Form der
gezeichneteten Anlage verwendet, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz
angelegt worden wäre (BGH, NJW 1992, 1223 ff.). Vorliegend ist aber der Vortrag der
Klägerin, dass sie ihr Geld alternativ in Sparguthaben angelegte hätte, zu
unsubstantiiert geblieben und angesichts des sonstigen Anlageverhaltens der Klägerin
nicht einmal naheliegend. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin,
wenn sie nicht die Alpha Express Zertifikate gekauft hätte, andere Zertifikate gezeichnet
65
hätte. Die Klägerin hatte am 23.07.2007 bereits einen Betrag von 35.000,00 € als
Festgeld angelegt. Ihrem bisherigen Anlageverhalten entsprach es, einen Teil des
anzulegenden Geldes in Festgeld, den anderen Teil in sonstige Anlagen zu investieren,
die im Vergleich zu Sparguthaben höhere Zinsen versprachen, aber eben auch größere
Risiken bargen. Das Gericht kann vor diesem Hintergrund auch unter Berücksichtigung
der Darlegungs- und Beweiserleichterungen gem. §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO nicht
feststellen, dass die Klägerin bei der Wahl einer alternativen Anlage Zinsen in der von
ihr geltend gemachten Höhe erhalten hätte.
III.
66
Die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.170,56 € stehen
der Klägerin aufgrund der Schadensersatzpflicht der Beklagten ebenfalls zu.
Schuldnerverzug ist hierfür nicht erforderlich. Der Anspruch ergibt sich bereits aus § 280
I BGB. Bei einem Anspruch aus einer Vertragsverletzung gehören Rechtsanwaltskosten
zu dem ersatzfähigen Schaden, sofern die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts
erforderlich und zweckmäßig war. Das ist im Falle eines Schadensersatzanspruches
wegen fehlerhafter Anlageberatung unproblematisch zu bejahen.
67
IV.
68
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit liegt § 709 ZPO zugrunde.
69
Streitwert: 35.700,00 €
70