Urteil des LG Bielefeld vom 23.06.2004
LG Bielefeld: ärztliche untersuchung, umkehr der beweislast, haus, pflegepersonal, fraktur, heim, klinik, behandlung, einweisung, sorgfalt
Landgericht Bielefeld, 21 S 61/04
Datum:
23.06.2004
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
21. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 S 61/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 4 C 230/03
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 4. Februar 2004 ver-kündete
Urteil des Amtsgerichts Bielefeld wird auf ihre Ko-sten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
1
Die Berufung ist nicht begründet.
2
Ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus §§ 280 Abs. 1, 278, 253 Abs. 2
bzw. 831, 253 Abs. 2 i. V. m. 1922 Abs. 1 BGB steht der Klägerin als Erbin ihres
verstorbenen Ehemannes, Herrn ..., wegen der von diesem erlittenen Fraktur des
rechten Fußes nicht zu.
3
Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, läßt allein der Umstand, daß sich Herr ...
die Fraktur möglicherweise in der Zeit nach seiner Aufnahme in das ...-Haus am
8.5.2002 im dortigen Bereich zugezogen hat, nicht den sicheren Schluß zu, daß dies auf
eine Verletzung der dem Beklagten obliegenden Obhutspflichten aus dem Heimvertrag
vom 8.5.2002 zurückzuführen ist. Konkrete Feststellungen dazu, wann genau, bei
welcher Gelegenheit und wie im einzelnen es zu der Fußverletzung gekommen ist,
lassen sich nicht treffen. Insbesondere steht nicht fest, daß Herr ... sich die Verletzung
zugezogen hat, als er das ...-Haus am 8.5.2002 vorübergehend verlassen hat. Dagegen
spricht bereits, daß die Klägerin ihn noch am selben Tag in das Heim zurückgebracht
und dabei offenbar keine Feststellungen getroffen hat, die auf eine schwerwiegende
Verletzung des Fußes schließen ließen. Es kann daher dahinstehen, ob der Beklagte -
wie die Klägerin meint - aufgrund des Heimvertrages verpflichtet war, Vorsorge dafür zu
treffen, daß Herr ... das Heim nicht verlassen konnte.
4
Auch im übrigen läßt sich eine schadensursächliche Verletzung der dem Beklagten
obliegenden Obhuts- und Betreuungspflichten nicht feststellen. Herr ... war zwar
altersdement und beim Gehen auf einen Stock angewiesen. Es bestehen aber keine
Anhaltspunkte dafür, daß er außerstande war, einen Willen zu bilden und mit anderen
5
zu kommunizieren. Dem Gesundheitszustand des Herrn ... entsprechend hat der
Beklagte es in Ziffer 3.1 des Pflegevertrages übernommen, ihm Hilfen bei der
Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität zu leisten. Daraus folgt aber nicht, daß er
tagsüber z. B. beim bloßen Aufenthalt in seinem Zimmer oder anderen Räumen des
Heimes oder beim Umhergehen innerhalb des Heimes ständiger Kontrolle, Aufsicht und
Hilfestellung bedurft hätte. Weder bestand für den Beklagten konkreter Anlaß, ihn
tagsüber in seinen Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Heimes einzuschränken
oder ihn gar zu fixieren, noch bestand dazu eine rechtliche Grundlage. Dies wird von der
Klägerin in ihrem Berufungsvorbringen letztlich auch nicht in Frage gestellt.
Ohne konkret darzulegen, durch welche Maßnahmen des Pflegeheims die Verletzung
des Herrn ... hätte verhindert werden können, ist die Klägerin allerdings der Meinung,
nicht sie trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß die Verletzung auf eine
konkrete Obhuts- und Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zurückzuführen sei;
vielmehr obliege es dem Beklagten, sich insoweit zu entlasten. Dies entspricht jedoch
nicht dem allgemeinen Grundsatz, daß der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden
Tatsachen darlegen und beweisen muß. Demgemäß obliegt die Beweislast für eine
objektive Pflichtverletzung des Schuldners gem. § 280 Abs. 1 BGB dem Gläubiger, hier
also der Klägerin. Eine Umkehr der Beweislast kommt in seltenen Ausnahmefällen nur
dann in Betracht, wenn der Gläubiger im Herrschafts- und Organisationsbereich des
Schuldners zu Schaden gekommen ist und die den Schuldner treffenden
Vertragspflichten zumindest auch dahin gingen, den Gläubiger gerade vor einem
solchen Schaden zu bewahren (BGH NJW 1991, 1540, 1541; OLG Hamm vom
9.12.2003 - 3 U 3/03 -). Dies hat der Bundesgerichtshof für den Bereich der Arzt- und
Krankenhaushaftung auf solche Risiken konkretisiert, die von dem Träger der Klinik und
dem dort tätigen Personal voll beherrscht werden können, wie etwa konkrete
Bewegungs- und Transportmaßnahmen (BGH, a. a. O.). Ein solcher Fall liegt hier
jedoch nicht vor. Anhaltspunkte dafür, daß sich Herr ... anläßlich einer konkreten
Pflegemaßnahme verletzt hat, bestehen nicht. In Betracht käme daher nur die
Verletzung einer allgemeinen Schutz-und Obhutspflicht. Wie bereits ausgeführt, war der
Beklagte jedoch nicht zu umfassenden und lückenlosen Beobachtungs- und
Kontrollmaßnahmen oder zu bewegungseinschränkenden Maßnahmen zum Schutz von
Herrn ... verpflichtet. Das Pflegepersonal konnte auch bei Anwendung aller gebotenen
Sorgfalt nicht sicherstellen, daß es etwa durch Sturz oder Unachtsamkeit zu der hier
aufgetretenen Verletzung kommen konnte, die letztlich dem allgemeinen Lebensrisiko
zuzuordnen ist.
6
Auch Anhaltspunkte dafür, daß eventuelle Organisationsmängel im Bereich des
Beklagten zu der Fußverletzung geführt haben könnten, liegen nicht vor, da nicht
ersichtlich ist, mit welchen zumutbaren Maßnahmen der Beklagte die Verletzung hätte
verhindern können.
7
Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, daß die Pflegepersonen die
Behandlung des Herrn ... unangemessen hinausgezögert hätten und es dadurch zu
zusätzlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Belastungen gekommen wäre.
Am 9.5.2002 war eine ärztliche Untersuchung des Herrn ... noch nicht geboten. Nach
der Aussage des Zeugen ... klagte sein Großvater an diesem Tag zwar bereits über
Schmerzen am Fuß, jedoch war für ihn eine Verletzung nicht festzustellen, so daß er
auch keine Veranlassung hatte, das Pflegepersonal an diesem Tage darauf
aufmerksam zu machen. Eine Schwellung des Fußes und damit Anlaß zu ärztlicher
Untersuchung wurde erstmals am 10.5.2002 festgestellt. Die erforderliche ärztliche
8
Untersuchung und Einweisung ins Krankenhaus wurde aber noch an demselben Tag
veranlaßt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 709 Nr. 10 ZPO analog.
9